Brooks | Das Gemälde | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Brooks Das Gemälde

Roman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-29780-0
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-641-29780-0
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der große New-York-Times-Bestseller - von der Autorin des Welterfolgs 'Das Pesttuch'
Washington, D.C., 2019: Jess, eine junge australische Wissenschaftlerin, und Theo, ein nigerianisch-amerikanischer Kunsthistoriker, finden sich durch ihr gemeinsames Interesse an einem Pferd unerwartet verbunden. Jess untersucht die Knochen des Hengstes nach Hinweisen auf seine Kraft und Ausdauer - Theo will die verlorene Geschichte des unbekannten schwarzen Trainers aufdecken, der für seinen Rennerfolg entscheidend war.

New York City, 1954: Martha Jackson, eine Galeristin, die für ihr Gespür bekannt ist, entdeckt ein Ölgemälde eines Pferdes aus dem 19. Jahrhundert von unbekannter Herkunft.

Kentucky, 1850: Ein versklavter Junge namens Jarret und ein braunes Fohlen schmieden ein Band der Verständigung, das das Pferd zu Rekordsiegen im Süden Amerikas führen wird. Als der Bürgerkrieg ausbricht, wird auch ein junger Künstler, der sich mit Gemälden des Rennpferdes einen Namen gemacht hat, zu den Waffen gerufen. In einer gefährlichen Nacht trifft er auf den Hengst und seinen Reiter Jarret, weit entfernt vom ehemaligen Glanz der Rennstrecke.

Basierend auf der wahren Geschichte des siegreichen Rennpferds Lexington ist 'Das Gemälde' ein Roman über Kunst und Wissenschaft, Liebe und Besessenheit und unsere offene Rechnung mit alltäglichem Rassismus.

Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman 'Auf freiem Feld' den Pulitzerpreis. 'Das Pesttuch' avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamt New-York-Times-Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.

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JESS


Smithsonian Museum Support Center, Maryland


2019

Jess war sieben gewesen, als sie den Hund ausgebuddelt hatte. Damals war er ein Jahr tot. Sie und ihre Mum hatten ihn mit einer kleinen Trauerfeier unter dem blühenden roten Eukalyptus im Garten begraben, und sie hatten beide geweint.

Ihre Mutter hätte am liebsten wieder geweint, als Jess sie für die Knochen, die sie gerade exhumiert hatte, um mehrere große Tupperdosen bat. Im Allgemeinen hätte Jess’ Mutter ihrer Tochter sogar erlaubt, das Haus in Brand zu setzen, solange sie dabei etwas über das Verhältnis zwischen Kohlendioxid und Sauerstoff lernen konnte. Doch in diesem Fall spielte Angst eine Rolle: War das Ausgraben eines verstorbenen Haustieres und das Zerteilen seines Körpers ein Zeichen dafür, dass die Kleine psychopathische Neigungen hatte?

Jess tat ihr Bestes, um ihrer Mutter klarzumachen, dass sie Milo ausbuddeln wollte, sie ihn liebte und weil sie deshalb sehen musste, in welchem Zustand sein Skelett war. Schön würde es aussehen, das wusste sie: der Schwung des Brustkorbs, die Rundung der Augenhöhlen …

Jess liebte die Innenarchitektur von Lebewesen. Rippen, ihr schützender Radius, und wie sie empfindliche Organe ein ganzes Leben lang mit ihrer Umarmung behüteten. Oder Augenhöhlen: Kein Handwerker hatte jemals ein eleganteres Behältnis für ein so kostbares Objekt wie das Auge erschaffen. Milos Augen hatten die Farbe von Rauchquarz gehabt. Wenn Jess mit dem Finger über die kleinen Einbuchtungen rechts und links seines zarten Schädels fuhr, konnte sie seine Augen wieder sehen: den liebevollen Blick ihres allerersten Freundes, der es nicht erwarten konnte, mit ihr zu spielen.

Sie war in einer der belebten Straßen von Sydney mit Bungalows aus rötlichem Backstein aufgewachsen, die sich beim ersten Wachstumsschub der Stadt im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts nach Westen ausgedehnt hatten. Hätte sie irgendwo auf dem Land gelebt, so hätte ihre Faszination vermutlich überfahrenen Kängurus, Wombats oder Wallabys gegolten. Doch als Großstadtkind aus Sydney freute sie sich schon über eine tote Maus oder vielleicht einen Vogel, der gegen ein Glasfenster geflogen war. Bislang war ihr bestes Versuchstier ein Flughund gewesen, der einen Stromschlag erlitten hatte und verendet war. Sie hatte ihn auf dem bewachsenen Streifen unter der Starkstromleitung gefunden und eine ganze Woche damit verbracht, ihn auseinanderzunehmen: die papierartige Membran seines Flügels, die sich vor ihr auffächerte wie der gefaltete Balg eines Akkordeons. Die Mittelfußknochen, wie menschliche Knochen, nur leichter – Knochen, die nicht zum Greifen und Halten gedacht waren, sondern um sich durch die Luft zu schwingen. Als sie fertig war, hatte sie den Flughund an die Lampenhalterung unter ihrer Schlafzimmerdecke gehängt. Dort, sauber von allem befreit, was verwesen konnte, sah sie ihn, wie er für immer durch endlose Nächte flog.

Im Laufe der Zeit war ihr Zimmer zu einer Art Naturgeschichtemuseum in Miniaturform geworden und hatte sich mit Skeletten von Eidechsen, Mäusen und Vögeln gefüllt, die auf Sockeln aus ausgedienten Garnspulen oder Fadenröllchen steckten und mit sorgfältig in Tinte geschriebenen lateinischen Namen versehen waren. Bei der Schar halbwüchsiger Mädchen, die mit ihr auf die Highschool gingen, machte sie das nicht allzu beliebt. Die meisten ihrer Klassenkameradinnen fanden ihre Besessenheit von nekrotischer Materie abstoßend und unheimlich. Sie wurde zu einem einzelgängerischen Teenager, was vielleicht zu ihrem hervorragenden Abschneiden in drei Fächern bei den bundesstaatlichen Abschlussprüfungen beitrug. Auch während des Studiums tat sie sich hervor und war schließlich mit einem Stipendium nach Washington gekommen, um ihren Master in Zoologie zu machen.

Das war etwas, das Australier gern taten: ein oder zwei Jahre im Ausland studieren, um sich den Rest der Welt anzuschauen. In ihrem ersten Semester hatte das Smithsonian sie als Aushilfskraft angestellt. Als man dort erfuhr, dass sie bereits mit dem Säubern von Knochen vertraut war, schickte man sie zum Präparieren von Gebeinen ans Museum of Natural History. Es stellte sich heraus, dass sie durch ihre Arbeit an kleinen Spezies sehr geschickt geworden war. Das Skelett eines Blauwals mochte das Museumspublikum vielleicht beeindrucken, doch Jess und ihre Kollegen wussten, dass ein Prachtstaffelschwanz wesentlich schwerer zu artikulieren war.

Sie liebte den Ausdruck »artikulieren«, weil er so zutreffend war: Ein wirklich gut aufgebautes Skelett erlaubte es einer Spezies, ihre eigene Geschichte zu erzählen, zu zeigen, wie es gewesen war, als das Tier noch atmete und lief, tauchte oder flog. Manchmal wünschte Jess, in viktorianischer Zeit gelebt zu haben, als Handwerker sich gegenseitig darin überboten, Bewegung abzubilden – wenn man ein Pferd zeigte, das sich aufbäumte, bedurfte es einer absoluten Balance im Innengerüst, und bei einem Esel, der das Bein hob, um sich an der Flanke zu kratzen, brauchte der Bildhauer einen ausgeprägten Sinn für Krümmung. Solche Innengestelle anfertigen zu lassen, war wie ein Fieber unter den wohlhabenden Männern der Zeit gewesen, die danach strebten, Präparate von besonders großer Schönheit und Kunstfertigkeit herzustellen.

In den zeitgenössischen Museen war der Raum dafür knapp. Wenn man Knochen neu zusammenfügte, zerstörte man damit Material – indem man Metall hinzugab oder Gewebe wegnahm –, weshalb nur sehr wenige Skelette überhaupt artikuliert wurden. Die meisten Knochen wurden präpariert, nummeriert und dann einzeln in Schubladen abgelegt, um später größenmäßig verglichen zu werden oder für die Entnahme von DNA-Proben zu dienen.

Wenn Jess diese Art von Arbeit machte, geriet ihre Nostalgie für die Handwerker der Vergangenheit in den Hintergrund, und die Faszination für die Wissenschaft überwog. Jedes einzelne Fragment erzählte eine Geschichte. Es war ihr Job, den anderen Wissenschaftlern dabei zu helfen, jedem auch noch so kleinen Fossil sein Vermächtnis zu entringen. Oft kamen die Proben rein durch Zufall ins Museum, ebenso oft aber auch als das Ergebnis tagelanger und akkurater wissenschaftlicher Arbeit. Vielleicht war ein Hobbyarchäologe auf das Schienbein eines Mammuts gestoßen, das in einem heftigen Schneesturm freigelegt worden war. Oder ein Paläontologe hatte den winzigen Zahn einer Wühlmaus gefunden, nachdem er wochenlang mühsam Erde gesiebt hatte. Jess druckte ihre Etiketten auf einem Laserprinter und vermerkte anhand der GPS-Koordinaten genau, wo die Probe gefunden worden war. In der Vergangenheit hatten Kuratoren eine persönlichere Note hinterlassen, ihre Kärtchen waren in sepiabrauner Tinte handgeschrieben.

Diese Präparatoren des neunzehnten Jahrhunderts waren ohne Kenntnis von DNA und all den vitalen Daten, die man später daraus gewinnen konnte, ihrem Handwerk nachgegangen. Jess fand den Gedanken aufregend; wenn sie an einem Tag die Schublade mit einer neu angelegten Probe schloss, dann würde diese möglicherweise erst fünfzig oder hundert Jahre später von einem Wissenschaftler wieder geöffnet werden, auf der Suche nach Antworten auf die Fragen, die Jess noch gar nicht zu stellen vermochte, und das unter Anwendung von Analysemethoden, die sich vollkommen ihrer Vorstellungskraft entzogen.

Eigentlich hatte sie gar nicht in Amerika bleiben wollen. Doch Berufswege können manchmal ebenso von Zufällen abhängig sein wie Unfälle auf Straßen. Gerade als sie ihren Abschluss machte, bot das Smithsonian ihr einen viermonatigen Vertrag an, mit dem sie nach Französisch-Guyana reisen konnte, um Proben im Regenwald zu sammeln. Nicht viele Mädchen aus der Burwood Road im Westen von Sydney bekamen die Chance, nach Südamerika zu fliegen und in einem Jeep durch den Regenwald zu rumpeln, mit Skorpionproben, die kreuz und quer wie Wäsche zum Trocknen aufgehängt waren. Ein weiteres Angebot folgte: Diesmal ging es nach Kenia, wo sie am Kilimandscharo Spezies der Gegenwart mit denen verglich, die Theodore Roosevelts Expedition ein Jahrhundert früher gesammelt hatte.

Am Ende dieser Reise packte Jess ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, bereit, nach Hause zu fliegen und mit dem weiterzumachen, was sie immer noch als ihr eigentliches Leben betrachtete, als das Smithsonian ihr eine feste Anstellung anbot; es war die Tätigkeit als Geschäftsführerin ihres Testlabors für Knochenkunde von Wirbeltieren am Museum Support Center in Maryland. Dabei handelte es sich um eine brandneue Einrichtung, und dass die Stelle frei war, kam unerwartet. Der Manager, der das Labor eingerichtet hatte, litt plötzlich an einer Allergie gegen die weichen, staubartigen Exkremente der Speckkäfer. Diese Käfer galten als das bevorzugte und beste Mittel zur Knochensäuberung, und wer nicht mit ihnen arbeiten konnte, ohne einen Nesselausschlag zu bekommen, musste zwangsläufig seinen Beruf wechseln.

Der Spitzname des Smithsonian war »der Dachboden Amerikas«. Und das Support Center war der Dachboden des Dachbodens: eine riesige Anlage mit zwölf Meilen Lagerräumen, in denen unschätzbare wissenschaftliche und künstlerische Sammlungen untergebracht waren. Jess hatte sich nicht vorstellen können, da draußen in der Vorstadt zu arbeiten, so weit vom öffentlichen Gesicht des Museums entfernt. Doch als sie zum ersten Mal den breiten Verbindungskorridor entlangging, der als »die Straße« bekannt war und das Zickzack aus metallverkleideten, klimatisierten Gebäuden miteinander verband, in denen alle möglichen Arten von Naturwissenschaften ihren Platz hatten, wusste sie, dass sie im Epizentrum ihres Berufes angelangt war.

Nach dem Vorstellungsgespräch gingen sie und der...


Schwaab, Judith
Judith Schwaab, Jahrgang 1960, studierte Italienische Philologie. Sie ist Lektorin und Übersetzerin aus dem Englischen und Italienischen, unter anderem von Anthony Doerr, Daniel Mason, Jojo Moyes, Sue Monk Kidd, Maurizio de Giovanni und Stefania Auci. Für ihre Übersetzung von Chimamanda Ngozi Adichies "Blauer Hibiskus" erhielt sie 2020 den Internationalen Hermann-Hesse-Preis.

Brooks, Geraldine
Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman „Auf freiem Feld“ den Pulitzerpreis. „Das Pesttuch“ avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamt New-York-Times-Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.



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