E-Book, Deutsch, 576 Seiten
Brooks Black Rabbit Summer
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-423-41476-0
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 576 Seiten
ISBN: 978-3-423-41476-0
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in Südengland auf. Nach seinem Studium verdiente er sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Seit dem überwältigenden Erfolg seines Debütromans >Martyn Pig< widmet er sich ganz dem Schreiben. Für seine Arbeiten wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet, u.a. mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie der Carnegie Medal für >Bunker Diary<. Er schreibt auch Thriller für Erwachsene.
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Eins
Der Sommer dieser Geschichte begann für mich an einem heißen Donnerstagabend Ende Juli, während die Sonne allmählich unterging. Ich war mit Nichtstun beschäftigt– lag bloß auf dem Bett und starrte die Decke an–, weshalb ich in Wirklichkeit gar nicht sah, wie die Sonne unterging, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie da draußen irgendwo war. Alles war irgendwo da draußen– der von Sonnenstrahlen erleuchtete Horizont, das abnehmende Rot des Himmels, der Mond, der Rest der Welt–, ich wollte nur mit nichts davon etwas zu tun haben.
Ich wollte damals mit nichts etwas zu tun haben.
Das Einzige, was ich wollte, war auf meinem Bett liegen und die Decke anstarren.
Ich hatte keine Ahnung, woher meine Lethargie kam– und ich glaube, es interessierte mich auch nicht besonders–, doch in den ungefähr drei Wochen seit Schulende hatte ich offensichtlich die Gewohnheit angenommen, gar nichts zu tun, und es fiel mir schwer, von dieser Gewohnheit wieder loszukommen. Spätmorgens aufstehen, stundenlang zu Hause rumhängen, ein Weilchen in der Sonne sitzen… vielleicht ein Buch lesen, vielleicht auch nicht. Was spielte es für eine Rolle? So wie ich es sah, würden die Tage und Nächte vergehen, egal ob ich irgendwas tat oder nicht. Und genauso war es. Die Vormittage vergingen, die Nachmittage vergingen, die Abende wurden nach Sonnenuntergang zu Nächten… und ehe ich mich versah, lag ich wieder auf meinem Bett, starrte die Decke an und wunderte mich, wo der Tag geblieben war, warum ich nichts gemacht hatte und wieso ich mich nicht aufraffen konnte, irgendwas zu tun.
Es gab jede Menge Dinge, die ich an jenem Abend hätte tun können. Es war erst halb zehn. Ich hätte fernsehen, eine DVD gucken oder mich anziehen und irgendwo hingehen können. Ich hätte fernsehen, eine DVD gucken und mich anziehen und irgendwo hingehen können.
Aber ich wusste, ich würde es nicht tun.
Ich war zufrieden, nichts zu tun.
Zufrieden?
Keine Ahnung.
Ich nehme an, dass ich zufrieden war.
Das jedenfalls tat ich, als das Telefon klingelte und der Sommer dieser Geschichte begann– ich lag auf dem Bett, starrte die Decke an und war in gedankenlose Gedanken versunken. Das Klingeln des Telefons drang nicht richtig zu mir durch. Es war bloß ein Geräusch, das vertraute eintönige Trillern des Telefons unten im Flur, und ich wusste, der Anruf galt sicher nicht mir. Wahrscheinlich war es nur Dad, der vom Büro aus anrief, oder eine von Mums Freundinnen, die ein bisschen quatschen wollte.
Kein Grund, sich aufzuregen.
Kein Grund für irgendwas.
Höchstens was zum Hören.
Jetzt hörte ich Mum unten– wie sie aus dem Wohnzimmer kam, durch den Flur ging, sich leise räusperte, den Hörer abnahm…
»Hallo?«, hörte ich sie sagen.
Kurze Pause.
Danach: »Oh, hallo, Nicole. Wie geht’s?«
, dachte ich und mein Herz schlug ein bisschen schneller.
»Pete!«, rief Mum. »Telefon!«
Einen Moment rührte ich mich nicht. Ich lag bloß auf meinem Bett, starrte die Zimmertür an und überlegte, warum mich Nicole Leigh an einem Donnerstagabend um halb zehn anrufen sollte. Wieso rief sie mich an? Sie hatte mich seit einer Ewigkeit nicht angerufen.
»Pete!«, rief Mum wieder, diesmal lauter. »Telefon!«
Mir war eigentlich nicht danach, mit jemandem zu reden, und ich wollte Mum schon fast bitten, sie solle Nicole sagen, ich sei nicht da und würde später zurückrufen. Doch dann begriff ich, dass ich, um das zu tun, ebenfalls aufstehen und nach unten gehen musste, außerdem würde Mum fragen, wieso ich nicht mit Nicole sprechen wollte, und ich müsste mir irgendwas ausdenken, was ich ihr sagen könnte…
Und darauf hatte ich keinen Bock.
Und selbst wenn…
Also, es war ja schließlich nicht irgendwer am Apparat, oder? Es war Nicole Leigh.
Ich rappelte mich hoch, reckte die Steifheit aus meinem Nacken und machte mich auf den Weg nach unten. Als ich ankam, stand Mum am Ende des Flurs und hielt die Hand über den Hörer.
»Nicole ist dran«, sagte sie übertrieben flüsternd und formte die Worte mit den Lippen, als ob es um irgendetwas Geheimes ginge.
»Danke«, antwortete ich und nahm ihr das Telefon aus der Hand. Ich wartete, bis sie wieder im Wohnzimmer verschwunden war, dann hob ich den Hörer ans Ohr. »Hallo?«
»Guten Abend«, sagte eine vornehm tuende Stimme. »Spreche ich mit Mr Peter Boland?«
»Hi, Nic.«
»Mist«, sagte sie und lachte. »Woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Telepathie«, antwortete ich. »Ich hatte gerade an dich gedacht, als plötzlich das Telefon klingelte–«
»Lügner. Deine Mum hat dir gesagt, dass ich dran bin, stimmt’s?«
»Ja.«
Nic lachte wieder. Es war ein sympathisches Lachen, irgendwie heiser und süß, es erinnerte mich an vergangene Zeiten… Zeiten, die ich vergessen zu haben glaubte.
»Stör ich dich?«, fragte sie.
»Wie meinst du das?«
»Einfach so… du hast ganz schön lange gebraucht, um ans Telefon zu kommen, das ist alles. Und ich hab gehört, wie deine Mum ihre Hand über den Hörer gelegt und geflüstert hat.«
»Das macht sie immer«, sagte ich. »Hat nichts zu bedeuten. Ich war bloß oben in meinem Zimmer…«
»Allein?«
Ich hörte das Schmunzeln in ihrer Stimme.
»Ja«, sagte ich. »Allein.«
»Brav.«
Ich starrte die Wand an, horchte auf die gedämpfte Stille am anderen Ende der Leitung und stellte mir den Ausdruck in Nics Gesicht vor– amüsiert, aufmerksam, auf nette Art verschwörerisch.
»Und, Pete«, fuhr sie fort. »Wie geht’s?«
»Ganz gut, glaub ich.«
»Was hast du so allein getrieben?«
»Nicht viel. Und du?«
»O Gott«, seufzte sie, »das Einzige, was ich in den letzten drei Wochen gemacht hab, ist packen.«
»Packen?«
»Ja, du weißt doch… für den Umzug nach Paris.«
»Ich dachte, der ist erst Ende September.«
»Schon, aber Mum und Dad sind die nächsten drei Wochen unterwegs und sie wollen den größten Teil der Packerei hinter sich haben, bevor sie losfahren. Im Moment stehen hier Kartons und anderer Mist rum. Als würden wir in einem Lagerhaus wohnen.«
»Klingt lustig.«
»Ja…«
Ich schwieg eine Weile und wartete darauf zu erfahren, was sie wollte. Nicole war nicht der Typ für Small Talk und ich wusste, sie rief mich nach all der Zeit sicher nicht an, nur um mit mir über Umzugskisten zu quatschen. Deshalb starrte ich die Wand an und wartete.
Schließlich sagte sie: »Hör zu, Pete… Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Was machst du am Samstag?«
»Samstag? Keine Ahnung… nichts Besonderes. Wieso?«
»Du weißt aber schon, dass es auf dem Parkgelände eine Kirmes gibt, oder?«
»Ja.«
»Samstag ist der letzte Tag und ich dachte, wir könnten uns treffen, mal wieder einen netten Abend haben. Bloß wir vier– du, ich, Eric und Pauly. Du verstehst schon, wegen der alten Zeiten.«
»Wegen der alten Zeiten?«
»Ja, du weißt doch, woran ich denke– unsere Clique… wir . Ich meine, so lange ist das ja noch nicht her, oder? Ich hab einfach gedacht, na ja, du verstehst schon…«
»Was?«
»Ich dachte bloß, wir sollten uns mal wieder treffen, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät für was?«
»Na ja, du gehst aufs Oberstufen-College, Eric und ich hauen ab nach Paris, Pauly kriegt wahrscheinlich einen Job… vielleicht ist es ja die letzte Gelegenheit, uns zu treffen.«
»Ja, kann sein…«
»Komm schon, Pete… Eric und Pauly sind auch dafür. Wir treffen uns in der alten Hütte am Drecksweg–«
»In der ?«
Sie lachte. »Ja, ich weiß… ich hab erst vor einer Weile wieder dran denken müssen, du weißt schon, ich hab mich dran erinnert, wie wir sie gebaut haben und so, und da fand ich, das wär doch ein guter Ort für ein letztes Treffen. Wär bestimmt lustig– so wie die Hüttenfeten, die wir früher gefeiert haben. Jeder bringt ein paar Flaschen mit, wir lassen uns ein bisschen volllaufen… und danach gehen wir alle zusammen auf die Kirmes und kotzen in die Achterbahn.« Sie lachte wieder. »Du einfach kommen, Pete. Ohne dich wär es nicht das Gleiche.«
»Was ist mit Raymond?«
Nicole zögerte. »Raymond Daggett?«
»Ja, ich meine, es waren doch nicht nur wir vier in der alten Clique, oder? Raymond war meistens auch dabei.«
»Hm, ja, schon. Aber Raymond… ich mein, das ist doch nicht so sein Ding, oder?«
»Was willst du damit sagen?«
»Du weißt schon… Fete machen, auf die Kirmes gehen, sich mit Eric und Pauly treffen. Ich glaub einfach nicht, dass ihm das Spaß machen würde, das ist alles.«
»Wieso nicht?«
»Schau mal, Pete«, seufzte sie. »Ich sag ja nicht, dass ich ihn nicht dabeihaben …«
»Was ?«
»Nichts. Nur…«
»Was?«
»Gar nichts. Schon gut.« Sie seufzte...