E-Book, Deutsch, 388 Seiten
Reihe: Max Brod - Ausgewählte Werke
Brod Der Sommer den man zurückwünscht / Beinahe ein Vorzugsschüler
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8353-2631-6
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Romane
E-Book, Deutsch, 388 Seiten
Reihe: Max Brod - Ausgewählte Werke
ISBN: 978-3-8353-2631-6
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In der farbenprächtigen sommerlichen Seelandschaft des Ostseebades Misdroy auf der Insel Wollin erlebt eine kleine Prager Familie um das Jahr 1899 einen fröhlichen Ausnahmezustand. Selbst die strenge Mutter ist hier erträglich, wo die vornehme Atmosphäre des alten Österreich auf die rauhere des Nordens trifft.
Das gesellige Leben der Prager deutschsprachigen Juden, hier wird es wieder lebendig, wie auch im zweiten Roman dieses Bandes, »Beinahe ein Vorzugsschüler«, einer Reminiszenz an Brods Schulzeit und eine Brücke zur untergegangenen Welt Prags in der Habsburger Monarchie. Die beiden kleinen Romane sind meisterhafte Zeitbilder und gehören zur schönsten Prosa, die Brod geschrieben hat.
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Vorwort
Jeder hat einmal im Gespräch über einen Dichter plötzlich gesagt oder sagen hören: »Kennen Sie die kleinen Bücher, die kleinen Erzählungen von ihm? Die sind ganz einmalig!« Oder über einen Maler: »Aber haben Sie auch die kleinen Zeichnungen gesehen, die sind fast schöner als die großen Gemälde. Wenn ich nur so eine kleine Skizze besäße, die wäre mir lieber als das ganze Werk.« Jeder kennt das Staunen über eine kleine vollkommene Stelle inmitten eines großen Werkes, und es scheint ihm, als sei in dieser Kostbarkeit, die von anderen sogar oft übersehen oder nicht genug gewürdigt wird, auf geheimnisvolle Weise das ganze Lebenswerk des Künstlers schon enthalten, alles, was er vor dieser »kleinen« Sache machte, aber auch alles, was später kam. Als habe sich hier sein ganzes Wesen und sein ganzes Können in einem Punkt gezeigt. Das heißt nicht, dass man die anderen Werke nicht auch schätzt, und vielleicht macht man es sich nur so einfach, das Werk, in dem man sich der eigenen Art entsprechend mit dem Künstler ganz einig weiß, zum vollkommensten zu erheben und zum geliebtesten. So verfahre ich mit jenen Büchern Max Brods, die ich die »kleinen« nenne. Es sind, obwohl der Kreis damit kaum geschlossen sein dürfte, die autobiographischen Erzählungen über seine Kindheit und frühere Jugend im kaiserlich königlichen Österreich, in die die Vorboten der Weltkriege und des Rassenmordes als Randerscheinungen, als Ahnungen einbrechen. Gröbere Gemüter als das angstvoll-kühne des durch lange Krankheit gegangenen Kindes hätten das sich noch als harmlos tarnende Böse sicher gar nicht bemerkt. Es aber war wach und empfindlich geworden und hatte durch geistige Leidenschaft seinen Vorrat an Phantasie und an Wissen, was dem Menschen sowohl an Gutem wie an Bösem möglich ist, enorm erweitert. Schon früh hatte man es lesen gelehrt, damit es sich während des Krankseins beschäftigen konnte. Und während der Körper stillliegen oder bis etwa zum zwölften Lebensjahr in einem Stützkorsett stillhalten musste, spielte der Geist, wurde unersättlich, kannte auch Perioden der Ausschweifung. Mit diesem feinen Instrument nahm der Junge in dem teils strahlenden, teils morbiden Glanz des sterbenden Kaiserreiches, in der Stadt, in der drei Nationalitäten aufeinandertrafen, sich bekämpften, sich stumm duldeten oder Symbiosen eingingen, Gefahren wahr, Zeichen, die auf das Spätere, nach 1938 Geschehende, hinweisen. Diesen Zeichen, die das Kind erschreckten, begegnet man auf Schritt und Tritt in den Büchern. Es sind oft wirklich nur Nuancen, ein gehässiges Wort, eine hochmütige Geste, falsche Ideale, Egoismus, Chauvinismus. Die Summe all dieser Nuancen ist nicht von ihm gezogen worden. Sie wird, da es Erinnerungsbücher sind, in Tel-Aviv geschrieben, an ganz wenigen Stellen oder am Schluss des Buches eingesetzt. Diese Summe, Auschwitz, Theresienstadt …, ist das Einzige, was nachträglich in diese bis ins kleinste Detail genau gezeichnete Jugendwelt hineingebracht wurde. Alles andere ist unter den spezifischen Bedingungen der Dichtung authentisch. Man würde es ja auch spüren, wenn etwas verändert, manipuliert, übertrieben worden wäre. Das war auch gar nicht seine Art. Außerdem wehrt sich die Wirklichkeit solch intensiver Erlebnisse gegen Eingriffe. Er hasste alles Gewaltsame, Künstliche, Übertriebene. Auch das Wort »hassen« hätte ihm nicht gefallen. Er war im Alter doch wohl seinem Vater ähnlich geworden, dem Kampf und Krampf vermeidenden, ausgleichenden Vater, dessen Fotografie er stets bei sich trug. Sie waren sich auch äußerlich ähnlich. Er wusste, dass das Leben, sofern es nicht gewaltsam gebrochen wird, von den unmerklichen Dingen bestimmt wird, dass es wächst. Nie hat man von zarteren Kindheits- und Jugenderlebnissen gelesen als bei ihm. Oft so zart, so sehr vom Geistigen, besonders von der Musik bestimmt, dass man es heute, in dieser raueren Zeit, nicht gleich verstehen und nachfühlen kann. Solcher geistigen Glut, die den von unerhörten Gewissensskrupeln gequälten Jungen beherrschte, der, obwohl er auch gern wie ein richtiger Junge tobte und spielte, sich sogar für unerlaubte Gedanken strafte wie etwa für den kurzfristigen Unglauben an die charakterliche Einheit des Bruders oder für falschen Ehrgeiz, solcher Glut weicht der Mensch von heute aus, das ist »Romantik«. Längst ist heutigen Schriftstellergenerationen die Achtung vor der eigenen rauschhaften und doch leisen, nach innen gekehrten Entwicklung, des oft peinlichen oder als peinlich empfundenen Grenzbezirks, verlorengegangen. Dabei bleibt Max Brod mit diesen »kleinen« Büchern Beinahe ein Vorzugsschüler und Der Sommer den man zurückwünscht« so modern wie zum Beispiel Hamsun oder Joseph Roth. Die persönlichen Äußerungen eines Menschen bleiben immer lebendig, wenn sie auch mit ihm altern. Zwar ist das alte Österreich längst vergangen, zwar sind die Jugenderlebnisse an ein bestimmtes Jahrzehnt in einem bestimmten Jahrhundert geknüpft, aber sie sind kraft des Persönlichen niemals muffig, niemals »Theater«, als das manches einem Zeitstil Angepasste oft schon nach einigen Jahren erscheint, nämlich dann, wenn die Mode gewechselt hat. Er hat sich um das, was Mode war, nicht gekümmert, außer vielleicht in frühen Gedichten, die nach Heine klingen. Aber ich weiß nicht einmal genau, ob das dem Zeitgeschmack oder seiner eigenen Bewunderung für Heine entsprang. Er gibt seine persönlichen Anmerkungen zum Zeitgeschehen unbefangen und mit größter Selbstverständlichkeit. Er misstraute sich nicht, hatte nicht die Abneigung heutiger junger Schriftsteller gegen sich und seine Emotionen, die er auch als solche ausgab und nicht verfremdete. Es war die humanistische Schule, es war Goethe vor allem, der es ja liebte, vom Kleinen, Intimen auf das Allgemeine zu schließen, das Große im Kleinen zu entdecken, dem er darin folgte. Er wusste und konnte es, bei seiner trainierten Gewissenhaftigkeit, von sich sagen, dass er gerecht war. Er war auch behutsam. Deshalb, weil man sich so sehr auf seine Behutsamkeit verlässt, sind die Anklagen, die er gegen die Grausamkeit der Zeit, der Menschen dieser Zeit, gegen die Vernichtung des europäischen Judentums erhebt, besonders schmerzlich. Man windet sich, man wehrt sich als Leser, gerade war man in einer so zauberhaften Jugendbeschreibung drin und nun? Nun wird sie zerrissen von etwas, das kein Gehirn je ganz begreifen kann. Der Schrecken ist da. Den will man jetzt nicht. Er hat manchen Feind gehabt, manche Anfeindung erlebt. Er glaubte, weil er, wie er es nennt, aus einer »polemischen« Stadt stamme, weil er zum Polemisieren neige. Ich glaube aber, dass es geschah, weil sein Polemisieren meist ein Kämpfen für einen hohen Menschlichkeitsbegriff war, der sich, ob ausgesprochen oder nicht, strahlend abhob von dem, was in der Nazizeit geschehen und vielen seiner Freunde und Verwandten, gegen deren Vergessen er in den »kleinen« Büchern angeht, geschehen ist. »Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe«, sagt Goethe. Das stimmt nicht. Liebe ist anstrengend, ist unbequem. Einer, der große Vorzüge hat, ist unbequem und wird ignoriert oder bekämpft. Die Abwehr und die Feindschaft mancher Leser ist eine Vergiftungserscheinung, die die Nazizeit hinterlassen hat. An Flaubert bewunderte er die Genauigkeit der Beobachtung und strebte ihm nach. Er verwob die geistigen Kämpfe seiner Jugend in ein Netz von sinnlich wahrnehmbarer Schönheit. Man staunt über die vielen Eindrücke, die er durch die Natur und durch die äußere Erscheinung anderer Menschen empfing. Besonders dicht ist das Buch Der Sommer den man zurückwünscht in dieser Hinsicht. Es erzählt von der Sommerreise nach Misdroy an der Ostsee, einer strapaziösen und umständlichen Expedition, die die Familie jedes Jahr unternahm, um dem zarten Jungen, den man gerade erst so viel Krankheit entrissen hatte, etwas Gutes zu tun. Die Mutter mit den Kindern Sophie, Otto und Erwin (d. i. Max) und einem blutjungen tschechischen Dienstmädchen fuhr voraus; der in der Bank nicht für viele Wochen abkömmliche Vater (man blieb bis zum Herbst an der Ostsee) reiste später hinterher. Für die Kinder war diese Reise in den Norden, dessen Menschen und Bräuche ihnen fremd, bedrohlich oder komisch oder beides in einem erschienen, ein großes Abenteuer. Für die Mutter wird es mehr eine Last als ein Vergnügen gewesen sein, denn sie wirtschaftete in gemieteten Räumen selbst, kochte, führte den Haushalt nach demselben Reglement wie in Prag. Deshalb nahm sie auch das Dienstmädchen mit, das sie noch vor Ende der Ferien hinauswarf, nach Prag zurückschickte, ein von den Kindern gefürchtetes Ereignis, das sich jeden Sommer wiederholte. Das neurotische Verhältnis der Mutter zu ihren Dienstmädchen hat Brod schon 1908 in dem kleinen Roman Ein tschechisches Dienstmädchen beschrieben. Die junge, schöne, blonde, wilde, unbeherrschte und herrschsüchtige Mutter, die, wie man heute deutlich sieht, krank und ihren Launen selbst hilflos...