E-Book, Deutsch, Band 4, 508 Seiten
Reihe: Kommissar Leander
Breuer Leander und der Lummensprung
2023
ISBN: 978-3-8392-6454-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Inselkrimi
E-Book, Deutsch, Band 4, 508 Seiten
Reihe: Kommissar Leander
ISBN: 978-3-8392-6454-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Seehundjäger Tamme Boysen ist beunruhigt. Irgendetwas geht auf Helgoland vor sich, das er nicht einordnen kann: nächtliche Geheimtreffen auf dem Oberland, Gerüchte über neue Pläne zur Inselerweiterung, ein Einbruch ins Hotel Laguna, ein Verräter in den Reihen der Bürgerinitiative, ein geheimnisvoller Informant, der geschickt im Internet seine Spuren verwischt. Und dann fällt Tamme Boysen auch noch ein Toter vor die Füße. Spätestens jetzt benötigt er professionelle Hilfe.
Ein Fall für Henning Leander und gleichzeitig eine gute Chance für ihn, sich bei den Helgoländer Lummentagen der Vogelwartin Eiken Jörgensen wieder anzunähern. Alles sieht nach einem einfachen Job und erholsamen Tagen auf der Düne und dem Vogelfelsen aus. Doch dann geschieht etwas, das Leander persönlich nimmt und das den Einsatz seines Lebens von ihm fordert.
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Die Fenster der Paracelsus Nordseeklinik warfen blasse Lichtstreifen in die heraufziehende Dunkelheit. Unterstadt und Südhafen im Rücken folgte Tamme Boysen im Bogen dem schmalen sandigen Invasorenpfad. Schnaufend erreichte er das Oberland und blieb einen Moment lang stehen. Während er sich zwang, tief und gleichmäßig einzuatmen, glitt sein Blick über das links unter ihm liegende Mittelland, das 67 000 Tonnen Sprengstoff nach dem Krieg aus dem Felsen gesprengt hatten. Die Engländer hatten damals ganz Helgoland im Meer versenken wollen. Boysen war nicht mehr der Jüngste und so brauchte er einen Moment, bis sich sein Puls wieder beruhigt hatte. Dann setzte er seinen Weg über den Klippenrandweg fort, der gleich hinter dem gewaltigen rot-weißen Funkmast auf die steil abfallende Sandsteinkante stieß und von hier aus im großen Bogen um das Oberland herum führte. Blasses Mondlicht streifte den viereckigen Leuchtturm. Ein gleichmäßiger Seewind strich sanft über die hügelige, mit dünnem Gras bewachsene Fläche. Der Leuchtturm tastete mit seinen drei Lichtfingern die Felseninsel und weit darüber hinaus das Meer ab. Hier an der Kliffkante begann Tamme Boysens selbstauferlegter Dienst: Er kontrollierte jeden Abend die Sicherungszäune, die dafür sorgen sollten, dass keiner der vielen tausend Touristen, die sich hier täglich tummelten, um Helgolands berühmte Vogelfelsen zu besuchen, die tödlichen sechzig Meter in die Tiefe stürzte. So hatte er es die letzten fünfzig Jahre gehalten, seit er seinen Dienst bei der Wasserschutzpolizei angetreten hatte, und so hielt er es auch weiterhin, obwohl er schon seit Jahren in Pension war. Er hatte sein Pflichtgefühl schließlich nicht mit der Dienstmütze abgegeben und seine Verantwortung schon gar nicht. Außerdem war das eine seiner wenigen Möglichkeiten, seine Kollegen im aktiven Dienst zu entlasten und sich im Ruhestand nützlich zu machen. Die Zäune am Klippenrandweg bestanden aus fünf dünnen, waagerecht verlaufenden Drähten, die mit Kunststoffklammern an einbetonierten Eisenpfosten befestigt waren. Einzelne dieser Pfosten waren zusätzlich durch schräge Stützrohre im Felsboden verankert. Tamme Boysen rüttelte hier und da am Zaun und vergewisserte sich, dass der dem Ansturm des nächsten Tages gewachsen war. Rechterhand erstreckte sich die Siedlung, die sich in den letzten zwanzig Jahren immer mehr ausgedehnt hatte, weil auf dem Unterland seit Langem kein Platz mehr zur Verfügung stand. Nun wurde die karge Grasfläche des Oberlandes breiter und die ersten Bombenkrater kamen in Sichtweite. Gleich dahinter lag die Kartoffelallee, die von der Kleingartenanlage hier herüber führte. Tamme Boyen folgte dem schmalen Weg aus rotem Backstein und genoss im Mondlicht die Aussicht über steil abfallende Buntsandsteinfelsen hinweg bis zur Langen Anna. Er passierte den Vogelfelsen, blieb einen Moment stehen, um dem Geschrei der Möwen, Lummen und Basstölpel zu lauschen, und steuerte dann das Plateau vor der Langen Anna an. Der Horizont zeigte noch 6einen dünnen, orangefarbenen Streifen, der vom Sonnenuntergang übrig geblieben war. Die Felsnadel im Vordergrund wirkte zerbrechlich und dürr. An dieser Stelle und am Lummenfelsen drängten sich tagsüber bis zum Sonnenuntergang die meisten Menschen auf engem Raum, und so wunderte es Tamme Boysen nicht, dass der Zaun zur Kliffkante hin leicht eingedrückt war. Naturfotografen versuchten halt immer wieder, noch einen Tick näher an die nistenden Vögel heranzukommen und möglichst weit über die Kante zu schauen. Boysen zog einen kleinen Spiralblock aus der Hemdtasche und notierte sich den Schaden, um ihn gleich morgen früh der Stadtverwaltung zu melden. Dann wandte er sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen nach rechts und schlenderte auf den Nordstrand zu. Der Weg fiel nun etwas ab bis zu einem Aussichtspunkt, der einen Überblick über Strand, Jugendherberge und die Reede bis hinüber zur Düne bot. Drüben waren nur noch die Bungalows und das Flugplatzgebäude erleuchtet, der Strand war längst im Dunkel verschwunden. Tamme Boysen sog die frische Meeresluft, die würzig nach Tang und Salz roch, tief ein und drehte sich um. Der Mond warf ein fahles Licht auf das Hochplateau, die drei Lichtfinger des Leuchtturms strichen kreisend durch die Luft. Um diese Zeit wusste sich Tamme Boysen allein hier oben, und er genoss die Stille und den Frieden, den der rote Sandsteinfelsen mitten in der Hochsee ausstrahlte. Auch die Kleingartenanlage links von ihm ruhte im Dunkel ihrer Hecken. Die Besitzer der Parzellen waren längst zu Hause, nur an den Wochenenden wurde hier abends länger gegrillt. Dann hielt Tamme Boysen gerne Einkehr bei einem der Kliffgärtner, bekam eine Bratwurst oder ein Stück Fisch und eine Flasche Bier und erzählte aus seinem langen Polizistenleben, als sei Helgoland zu seiner Zeit eine Hochburg des Verbrechens gewesen. Boysen passierte die ersten Parzellen, hielt sich am Dickhorn rechts, stieß auf die Straße An der Sapskuhle und hatte nun die Wahl, direkt weiter durch die Siedlung zum Unterland zu gehen oder noch eine kleine Runde zurück zu seinem Ausgangspunkt zu machen. Die Luft war angenehm frisch nach der Hitze des Tages, der Seewind ungewohnt sanft, und so bog Tamme Boysen nach rechts in die Leuchtturmstraße und umrundete die James-Krüss-Schule. Kurz bevor er den Leuchtturm erreicht hatte, glomm ein Lichtschein direkt an dem viereckigen Koloss aus Backstein auf, erleuchtete kurz ein Gesicht von unten und erlosch dann wieder. Da stand jemand in der Dunkelheit und hatte sich eine Zigarette angesteckt. Tamme Boysen verharrte einen Moment und lauschte in die Nacht. Als aber alles ruhig blieb, beschleunigte er seine Schritte, um nachzusehen, wer außer ihm so spät noch hier oben unterwegs war. Er folgte dem Holzzaun, der das Grundstück des Leuchtturmes umgab, nach rechts, weil er wusste, dass sich an dessen Ende vor dem kleinen Hügel mit dem Bunkerrest eine Lücke befand. Hier konnte er im Schutz der Dunkelheit das Gelände betreten und unbemerkt bis dicht an die Backsteinmauer gelangen. Er drückte sich an die warmen roten Ziegel und schob sich vorsichtig in Richtung Eingang. An der Turmecke blieb er stehen und lauschte in die Nacht. Zunächst hörte er nur das Kreischen einer Möwe irgendwo auf dem Oberland, doch dann vernahm er Stimmen, die erregt klangen. »Verarsch mich nicht, Reymers!« Das war der Bass des Fischers Malte Cohrs. Tamme Boysen erkannte ihn sofort. »Ich weiß genau, dass du einen neuen Anlauf planst.« »Das ist doch Unsinn«, entgegnete ein anderer Mann in einem Tonfall, als verzweifle er an der Starrköpfigkeit seines Gegenübers. Gernot Reymers, dachte Boysen und hatte sofort ein mulmiges Gefühl, weil er wusste, dass der Reeder Reymers und Malte Cohrs sich spinnefeind waren. »Die Abstimmung ist gegen mich gelaufen, verdammt noch mal«, fuhr Reymers fort. »Das muss ich akzeptieren, auch wenn ich es sehr bedauere. Aber mit dir und den anderen Dumpfköppen war ja nicht zu reden. Dabei hättet ihr alle etwas von dem neuen Land gehabt. Und von dem Gezeitenkraftwerk sowieso. Das hätte Helgoland unabhängig gemacht. Aber du und deine Genossen, ihr habt die Inselerweiterung ohne Sinn und Verstand verhindert.« »Genossen!«, erhitzte sich Cohrs. »Das ist doch …« »Dagegen kann ich nichts mehr machen«, fiel Reymers ihm ins Wort, »auch wenn wir gerade jetzt den Platz für ein paar Hotels verdammt gut gebrauchen könnten. Der Felsen platzt aus allen Nähten, seit die Arbeiter der Offshore-Windparks hier leben. Und du weißt so gut wie ich, dass für Touristen kaum noch Zimmer zur Verfügung stehen.« »Na bitte! Da ist die Katze aus dem Sack!« Malte Cohrs’ Bass dröhnte immer lauter. »Du witterst das große Geld. Tu doch nicht so scheinheilig! Das hast du von Anfang an so geplant: Erst willst du die Insel erweitern, und als das nicht klappt, sorgst du mit der Vermietung deines Hotels an die Stromkonzerne für einen Engpass bei den Gästebetten. Klar, wenn dann der Tourismus leidet, kann man gar nicht mehr anders, als die Insel doch noch zu erweitern und neue Hotels zu bauen. Aber diese Rechnung hast du ohne mich gemacht, Reymers! Verlass dich drauf!« »Ich habe dir einen Kompromiss vorgeschlagen, Cohrs: Bahnhofsmodell gegen Bürgerwindpark. Damit könnten wir alle gut leben.« »Von wegen Bahnhofsmodell! Du willst uns über den Tisch ziehen. Wenn wir den Köder schlucken und unseren Widerstand aufgeben, dann kommst du durch die Hintertür mit der Landverbindung.« »Du spinnst doch völlig, Cohrs! Weißt du, was dein Problem ist? Du leidest unter Verfolgungswahn.« »Von wegen Verfolgungswahn! Ich passe nur auf, dass du uns nicht verarschst. Was sagt denn eigentlich der Bürgermeister dazu? Ist der auch schon wieder mit im Boot? Oder ziehst du das jetzt mit deinen Kumpels von der HES alleine durch?« »Du bist doch bescheuert, Cohrs. Ich weiß gar nicht, wovon du da faselst. Noch einmal zum Mitschreiben: Die Landverbindung zwischen Felsen und Düne ist für mich kein Thema mehr. Und wenn du es ganz genau wissen willst, ich habe längst andere Pläne, und die haben mit der HES überhaupt nichts zu tun. Wie kommst du überhaupt auf so einen Blödsinn?« »So! Andere Pläne hast du! Was sollen denn das für Pläne sein? Heraus damit, Reymers, was für eine Schweinerei planst du diesmal?« »Schweinerei …! Mensch, Cohrs! Du solltest mal deine verquere Weltsicht überprüfen. Ich habe noch nie etwas nur für mich geplant....