Brenner Stinnes ist tot
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95552-007-6
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kappes achter Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1924)
E-Book, Deutsch, Band 8, 208 Seiten
Reihe: Es geschah in Berlin...
ISBN: 978-3-95552-007-6
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
April 1924: Hugo Stinnes, der bekannte und in republikanischen Kreisen geradezu verhasste Großindustrielle, stirbt an den Folgen einer Gallenblasenoperation. Seine Witwe glaubt jedoch nicht an ein natürliches Ableben ihres Mannes und beschuldigt die behandelnden Ärzte des Mordes. Sie beauftragt die Berliner Polizei, sich des Falles anzunehmen. Der inzwischen zum Oberkommissar beförderte Hermann Kappe kann den Ärzten zwar keine Schuld nachweisen. Doch er stößt auf eine ominöse Verbindung zwischen Stinnes und dem demokratischen Politiker Walther Rathenau, der zwei Jahre zuvor ermordet wurde. Plötzlich erhält der Fall Stinnes eine ganze neue, eine politische Dimension …
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ACHT
KAPPE kam am nächsten Morgen mit einer miserablen Laune ins Präsidium. Als er dann auch noch Brettschieß im Flur auf sich zueilen sah, wusste er sofort, der Tag würde schrecklich werden. «Schön, dass Sie endlich da sind. Ich habe eine dienstliche Anweisung für Sie, Kappe. Beschaffen Sie in den nächsten 48 Stunden genügend Material für eine staatsanwaltschaftliche Anklage gegen Prof. August Bier!» «In 48 Stunden?» «Ja, bis um 8.24 Uhr am Donnerstagmorgen.» «Und was ist dann?» «Wann?» «Am Donnerstag um 8.24 Uhr.» Brettschieß blies die Backen auf. Er sah aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. «Dann legen Sie mir Ihre Beweise gegen diesen Bier vor. Und wenn nicht, tragen Sie die Konsequenzen!» «Und die wären?» Brettschieß machte ein, zwei kleine Schritte rückwärts. «Kappe, wie reden Sie mit mir? Ich bin Ihr Vorgesetzter! Haben Se das etwa vergessen?» «Nö, deshalb frage ich ja.» Kappe fand sich selbst unverschämt. Aber wenn Brettschieß ihn schon morgens mit solch einem Anschiss empfing, blieb ihm gar nichts anderes übrig. «Was fragen Sie, Kappe?» «Was passiert, wenn ich am Donnerstag keine Beweise vorlege?» «Nun, Kappe …» Brettschieß trat von einem Bein auf das andere. Offensichtlich hatte er sich zu viel zugemutet und wusste jetzt nicht mehr, wie er unbeschadet aus dem Schlamassel herauskommen sollte. «Dann werde ich Sie zur Verkehrspolizei versetzen lassen.» Kappe musste grinsen. «Das meinen Sie jetzt nicht ernst.» Brettschieß biss sich auf die Unterlippe. «Doch, Kappe. Ich werde Sie am Donnerstag zur Verkehrspolizei schicken, wenn Sie meine Dienstanweisung missachten.» Und dann verstockt: «Das werde ich. Bei meinem Diensteid!» Kappe wurde schwarz vor Augen. Das konnte doch nicht sein. Dieser Brettschieß meinte die absurde Drohung wirklich ernst. Kappe trat auf seinen Vorgesetzten zu. Was er jetzt zu sagen beabsichtigte, war nicht für die Ohren der anderen bestimmt. «Sie können sich doch nicht von so einem Staatssekretär ohne Namen unsere Ermittlungsergebnisse vorschreiben lassen, Herr Doktor.» Auch Brettschieß dämpfte seine Stimme. «Sie haben meine Anweisung gehört. Bitte halten Sie sich daran, Kappe! Würde mir leidtun, Sie zu verlieren. Ausgerechnet jetzt, wo Sie zum Oberkommissar…» «Das hat nichts mit kriminalpolizeilicher Ermittlung zu tun. Sie wollen, dass wir die Drecksarbeit für die Politik machen», unterbrach ihn Kappe. Brettschieß drehte sich um und ging in sein Zimmer. In der Tür wandte er sich noch einmal an Kappe. Er sagte sehr leise, so dass man ihn kaum verstand: «Entweder Sie überführen diesen Bier, oder Sie können gehen! Das ist so und nicht anders. Morjen!» Er drückte sacht die Tür hinter sich zu. Kappe folgte ihm und klopfte an. Nichts rührte sich. Kappe klopfte erneut. «Herein!» Kappe betrat das Bureau des Chefs. «Haben Sie noch einen Moment Zeit?» Brettschieß schaute verärgert auf. «Was gibt’s denn noch?» «Nur eine Formalität. Ich möchte meinen Dienst quittieren.» Brettschieß schaute ihn lange mit offenem Mund an. «Spinnen Se, Kappe?» «Nö, ich gehe!» Brettschieß ließ sich langsam auf seinen Stuhl sinken. Er rieb sich die Augen. «Ach, Kappe!» Kappe wandte sich zum Gehen. Brettschieß holte ihn an der Tür ein. «So bleiben Se doch! Lassen Se uns wie erwachsene Menschen miteinander reden!» «Was gibt es da noch zu reden?» Brettschieß ging zu seinem Schreibtisch zurück und schob Kappe den Besucherstuhl hin. «Nun nehmen Se schon Platz, Sie alter Sturkopf!» So kriegst du mich nicht, sagte sich Kappe, nicht auf diese joviale Tour. Nicht nach deiner Dienstanweisung. Kappe blieb stehen. «Na gut», sagte Brettschieß. Seine Stimme klang schwach. Er ging an Kappe vorbei zur Tür und schloss ab. Dann kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück. Will er mich jetzt verprügeln, fragte sich Kappe, oder warum schließt er ab? «Was jetzt kommt, ist absolut vertraulich, Kappe.» Schon wieder. Brettschieß öffnete die Lade des Aktenschrankes. Dann fingerte er umständlich einen Schlüssel aus der Seitentasche seiner Weste. Der Schlüssel war an einem Kettchen befestigt. Brettschieß schloss den Tresor auf und entnahm eine Akte. Die Akte legte er auf seinen Schreibtisch. Er klappte sie auf. «Treten Se ruhig näher, Kappe! Sind ja sonst nicht so scheu.» Kappe wurde magisch von der Akte angezogen. Es handelte sich um ein gelbliches Dokument, vergilbt wie ein Handbrief aus dem tiefsten Mittelalter. Ein Geheimnis. Ein Schatz. Kappe überflog den in verwaschenen Buchstaben getippten Text. Was ihm auffiel, bevor er den Sinn verstand: Die Akte war amtlich, mit Stempel und pompösem Briefkopf. Aber sie war voller Fehler – Rechtschreibfehler. «Das ist eine der fünf offiziellen Kopien einer Liste der französischen Behörden», erklärte Brettschieß. Der Stolz, der sonst in ihm glühte, war einem leichten Zittern gewichen. Kein Zweifel! Kappe roch so etwas, wie ein Hund war er da: Brettschieß hatte Angst. «Diese Liste liegt der deutschen Regierung schon seit einiger Zeit vor.» Brettschieß ächzte. «Sie sehen ja, die Liste enthält Namen von Deutschen.» Unter den paar Zeilen mit der Anrede in holprigem Deutsch gab es eine enger getippte Liste. Was war mit diesen Menschen? Es handelte sich, wie Kappe schnell feststellte, um deutsche Namen: Müller, Meier, Schneider, Hoffmann, Anton, Ewald, Ludwig. «Paris will diese Leute vor ein französisches Gericht stellen. Wegen Kriegsverbrechen», erklärte Brettschieß. Kappes Blick kletterte blitzschnell die Liste hinauf. Von Schuster zu Meier. Über Keller zu Engler. Und dann blieb er an einem Nagel hängen – Brettschieß! Kappe schaute auf. Brettschieß nickte schwer. «Die Franzosen verhängen die Todesstrafe, Kappe. Und sie vollstrecken sie auch in solchen Fällen. Ich war damals bei der Feldpolizei. Sie wissen ja, uns Polizeibeamte nahm man da gerne, auch wenn ich lieber zur Kavallerie gegangen wäre. Aber da haben se mich nicht genommen. Also musste ich französische Saboteure jagen.» Mehr musste Brettschieß gar nicht sagen. Manchmal verstand Kappe sehr schnell, geradezu unheimlich schnell. Vor allem, wenn es um so etwas ging. Brettschieß schwitzte. «Wie Sie sich sicher vorstellen können, sind einige Franzosen dabei erschossen worden. Das waren unsere Feinde. Die haben unsere Quartiere in die Luft gesprengt. Heimtückisch! Kappe, was soll man da machen?» Kappe wusste es auch nicht. Er zuckte mit den Achseln. «Krieg ist Krieg! Da fielen auch welche, die keine Saboteure waren.» Klar, Krieg ist Krieg. Nur eines war Kappe wichtig: Gefallen waren Brettschieß’ Saboteure nicht, denn fallen konnte man nur im Feld. Brettschieß’ Problem war, dass er nicht im Feld war, sondern bei der Feldpolizei. Und die hat Saboteure an die Wand gestellt. Aber diese feine Nuance wollte Kappe seinem sich in Auflösung befindlichen Vorgesetzten jetzt nicht zumuten. «Im Außenministerium hat man mir das Original der Liste unter die Nase gehalten. Die Herren sagen, ihnen seien die Hände gebunden. Man muss mich nach Frankreich ausliefern. Allein schon, um die deutsche Verhandlungsposition etwas genehmer zu gestalten. Verstehen Sie?» «Klar.»Kappe seufzte. «So ist die Politik.» Brettschieß trat auf ihn zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Kappe spürte die unangenehme Wärme dieses Menschen. Brettschieß dünstete aus. Das war die Angst. «Es sei denn…es sei denn, ich schaffe es, ‹Ordnung in mein Kommissariat zu bringen›. So drückt man sich im Außenministerium aus. Dann könnte man versuchen, mit den Franzosen zu verhandeln. Mich gegen einen anderen auszutauschen. Die Franzosen wollen nicht alle auf der Liste. Sie setzen nur alle drauf, damit sie uns Zugeständnisse abtrotzen können. Es liegt in der Hand des Außenministeriums, ob ich nach Paris ausgeliefert werde oder nicht. Kappe, das ist Politik! Ein schmutziges Geschäft, wenn Se mich fragen.» «Politik …», seufzte Kappe nur noch. Er wäre jetzt gerne gegangen. Aber Brettschieß nahm seine Hand nicht von Kappes Schulter. «Es geht um mein Überleben, Kappe. Verstehen Se jetzt, warum ich so dränge?» Kappe machte sich los. «Ja, das verstehe ich. Trotzdem würde ich lieber bei Wind und Wetter am Potsdamer Platz den Verkehr regeln, als dem Außenministerium eine fingierte Anklage zu liefern.» Brettschieß ließ seinen Kopf fallen. Wie ein Geköpfter sah er aus. «Wissen Se was? Ich verstehe Sie, Kappe. Ich war auch mal so.» Kappe traute seinen Ohren nicht. Brettschieß hatte eine Eingebung. «Geben Sie mir eine Chance, Kappe! Sie wissen doch selbst nicht, wer Stinnes auf dem Gewissen hat und ob überhaupt jemand seine Finger im Spiel hatte. Habe ich recht?» Kappe verstand zwar nicht, worauf Brettschieß hinauswollte, aber er antwortete: «Ja.» «Gut! Vielleicht hat dieser Bier ja doch Dreck am Stecken. Wenn es so wäre und Sie kämen ihm auf die Schliche, was würden Sie dann tun?» «Ihn zur Strecke bringen.» ...