Brennan Die Herren der Grünen Insel
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-10352-1
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 976 Seiten
Reihe: Die Irland-Saga
ISBN: 978-3-641-10352-1
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Irland 1166: Die Grüne Insel ist in viele kleine Reiche zersplittert, die sich unerbittlich bekriegen. Könige fechten langjährige Fehden aus, und selbst die friedliebendsten Untertanen werden in den blutigen Machtkampf hineingezogen. Zugleich droht ein gemeinsamer Feind in Irland einzufallen: Henry Plantagenet will die Insel an sich reißen. Werden sich die Herren der Grünen Insel vereinen und sich gegen den König von England stellen? Und welche Rolle spielen der grausame Krieger Ascall und die von ihm entführte Caitlín in diesem Kampf um Macht und Blut?
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1151
Ascall war sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal tötete. Nichts in dieser Nacht hatte ihn darauf vorbereitet.
Es war eine lange Nacht, ebenso schwarz wie kalt, eine Nacht, wie sein Bruder Ailillán sie fürchtete. Er vermutete hinter den grauen Nebelschwaden Geister und hinter dem Wald, der die Burg Dún Fionn umgab, ein Heer verwunschener Söldner, die nicht wussten, dass sie längst dem Tode geweiht waren, und immer noch drohend ihre Waffen erhoben.
Ascall lachte den ein Jahr jüngeren Ailillán aus. »Ich zeige dir einen Ort, der zu warm ist, als dass sich Geister dort wohlfühlten.«
»Woher weißt du denn, dass Geister Wärme hassen?«, fragte Ailillán erstaunt.
Ascall gab keine Antwort, aber Ailillán folgte ihm trotzdem vom Haupthaus ins Freie. Der Nachthimmel schien aus Pech zu sein – zu zäh, um jemals wieder freundliches Sonnenlicht durchzulassen. Weiß hingegen war der Hauch vor ihren Mündern, als sie über den Hof rannten. Sobald sie den rötlichen Lichtschein der Fackeln zurückgelassen hatten, sahen sie nicht einmal mehr ihn. Ailillán stolperte immer wieder, Ascall nicht. Er kannte jeden Stein und jede Furche im Boden. Es gab kein Loch, in das er noch nicht gelugt, keine Ritze, in die er nicht seine Hand gesteckt, keinen Winkel, den er unerforscht gelassen hatte. Noch nie hatte er die Ringburg, auf der er geboren worden war, verlassen, erst recht nicht, seit ihr Vater Jahre zuvor in den Krieg gezogen war. Er, Ascall, sei nun der Herr, bis er wiederkomme, hatte dieser beim Abschied erklärt.
Bis jetzt gab es kein Lebenszeichen von Ultan von Toora, doch das hatte nichts zu bedeuten. Ascall war sicher, dass der Vater einfach noch nicht genügend Feinde getötet hatte. Kriegszüge dauerten schließlich nicht nur Wochen wie früher, sondern manchmal mehrere Jahre, und in dieser Zeit musste er Dún Fionn und die Menschen, die hier lebten, beschützen.
Immer weiter ließen sie das Haupthaus mit der großen Halle zurück, den Anbau an der nördlichen Längsseite, in dem ihre Mutter und ihre Tante schliefen, außerdem die Vorratskammern, die Grubenhäuser, Stall und Schmiede, Werkstätten, in denen Bronze und Blei verarbeitet wurden, und die Scheune, wo man im Sommer das Getreide drosch. Ascall hatte ein anderes Ziel, ein kleines Gebäude in der Nähe der kreisrunden Mauer, die einst auf der Spitze einer großen Kalksteinerhebung gebaut worden war und schon den Attacken der gefürchteten Wikinger standgehalten hatte. Die Wände dieser Hütte waren aus Flechtwerk errichtet und sorgfältig mit Lehm ausgestopft worden, sein Dach dick mit Reet gedeckt, sodass der kalte Odem der Nacht keinen Einlass fand.
Ailillán scheute die Dunkelheit, die sie im Inneren erwartete, mehr, als dass er die Wärme herbeisehnte. »Was willst du denn ausgerechnet hier?«, fragte er zweifelnd und versteifte sich.
Ascall gab ihm einen Stoß. »Nun geh schon hinein.«
»Dürfen wir das überhaupt?«
»Ich bin der Herr von Dún Fionn, ich darf alles.«
»Die alte Úna hat gesagt, dass den O’Neills jetzt die Burg gehört, weil Vater ihr Gefangener ist. Sie hat auch gesagt, dass alle mächtigen Männer Geiseln halten, sonst wären sie schließlich nicht mächtig, und dass die Geiseln oft getötet oder geblendet werden.«
Ascall packte Aililláns Hand so fest, dass sich seine Nägel ins weiche Fleisch des Daumenballens gruben. Der Bruder wimmerte.
»Sag nie wieder so einen Unsinn über Vater!«, zischte Ascall.
»Dann sag du mir, wo wir hier sind!«
Ascall erklärte ihm, dass die Ernte meist feucht vom vielen Regen sei. Dass man das Getreide vor dem Dreschen und Mahlen erst in einem mit Lehm und Steinen ausgekleideten und mit Torf beheizten Ofen, den man sorn nenne, trocknen und härten müsse. Und dass sich dieser im Holzhaus befinde.
Als sie endlich eintraten, brannte kein Feuer darin, noch nicht einmal die roten Augen der Glut blickten ihnen entgegen, aber die Wände des Ofens waren noch warm, und die Balken, die das Dach stützten, knackten, als würden sie sich wohlig strecken. Ungleich furchterregender klang das Geräusch, das dem Knacken folgte – ein Röcheln, nein, ein Knurren, tief und bedrohlich.
»Und es gibt sie doch!«, rief Ailillán angstvoll. »Geister, Feen, Götter, Elfen …«
»Selbst wenn es sie gäbe, sie würden niemals einen Schritt auf die Burg setzen! Sie wohnen auf Bäumen und unter Felsen, in Flüssen und Mooren. Und bei Mondschein tanzen sie auf den Lichtungen.«
»Aber heute scheint kein Mond.«
»Wenn sein Licht auf die Welt fiele, dann würdest du sehen, dass hier kein Geist sein Unwesen treibt, jedoch ein … Kätzchen schläft.«
Aililláns Atem beruhigte sich. »Wo ist es denn?«, fragte er neugierig.
Ascall zog den Bruder noch näher zum Ofen. Er wusste, dass er Kätzchen liebte. Manchmal schnitzte er ihm eins aus abgelagertem Buchen- oder Ebenholz. Seine Mutter Almaith behauptete, dass auch sein Vater gut schnitzen könne. Die alte Úna hingegen sagte, dass das nichts Besonderes sei. Es liege nun mal in der Natur eines jeden Mannes, mit dem Messer umgehen zu können. Vermöchte er das nicht, sei er eben kein Mann, sondern ein Mönch.
Ob dieses dumme alte Weib wirklich Geschichten vom Vater herumerzählte, die nicht stimmten? Falls es so wäre, würde Ascall sie zur Rede stellen, er war immerhin der Herr von Dún Fionn, Ultan von Tooras Stellvertreter, aber jetzt schlief Úna wohl tief und fest, und die Angelegenheit konnte bis zum kommenden Morgen warten.
Ascall griff in den Ofen, tastete sich immer weiter vor, stieß schließlich auf ein wohlig schnurrendes Fellbündel und zog es heraus. Vorsichtig reichte er es Ailillán. »Hier … hier ist das Kätzchen. Du kannst es halten.«
»Wo ist seine Mutter? Warum schläft es hier ohne seine Geschwister?«
»Es ist groß genug, um allein zu leben. Die Mutter mag es nicht mehr und gibt ihm Ohrfeigen, wenn es ihr zu nahe kommt.«
»Das ist grausam.«
»Grausam sind Krieger, keine Katzen. Die folgen nur ihrer Natur.«
»Krieger etwa nicht?«
»Ein Held wird, wer über sich hinauswächst.«
Sein Vater war ohne Zweifel ein Held. Gewiss sehnte er sich nach seiner Heimat, dem Weib und den Söhnen, aber er folgte beharrlich der Pflicht, Feinde zu besiegen.
Die beiden Knaben hockten sich vor den warmen Ofen, streichelten das Kätzchen und spürten, wie es mit den Pfoten sanft gegen ihre Hände trat. Bis eben hatten Ascalls Zähne vor Kälte geklappert, doch als er sich an den Körper des Bruders schmiegte und dem Schnurren des Tierchens lauschte, war ihm, als würden ihn nach langem Regen Sonnenstrahlen kitzeln. Er schloss die Augen und wähnte sich nicht länger von dunkelster Nacht verschluckt, sondern an jenen strohgoldenen Tag zurückversetzt, da sein Vater von Dún Fionn fortgeritten war …
Er nickte ein, träumte davon, dass der Vater wiederkam und an seinem Gürtel die Köpfe der Besiegten trug. Der brachte gewiss nicht nur Köpfe mit, auch goldene Fibeln und kupferne Gürtelschnallen für die Mutter, Stoffe so weich wie das Fell des Kätzchens und frische rote, süße Äpfel, deren Saft über das Kinn lief, wenn man hineinbiss.
Ascall schmatzte genussvoll, und dieses Geräusch riss ihn aus dem Schlaf – das und noch ein anderes.
Ailillán schlief tief und fest, das Kätzchen hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und zu schnurren aufgehört, Ascall aber konnte nicht einfach wieder die Augen schließen und so tun, als hätte er es nicht vernommen.
Er spitzte die Ohren, und da! Da war es wieder! Ein Ächzen, als würde einer gequält seinen letzten Atemzug tun. Ein Poltern, als würde einer schwer auf den Boden fallen. Ein Klirren, als würde einer sein Schwert ziehen oder es wieder in die Scheide stecken – sicher mit blutiger Klinge.
Ascall sprang auf. Jetzt, da er konzentriert lauschend den Atem anhielt, war nichts mehr zu hören als sein eigener dröhnender Herzschlag, doch das beruhigte ihn mitnichten. Die Stille hatte nichts Tröstliches, war schwer und schwarz wie die Nacht, verhieß nicht Schlaf, sondern … Tod.
Trostsuchend streichelte er das Kätzchen, aber das schien von Mäusen zu träumen, fuhr jäh seine Krallen aus und kratzte ihn. Der stechende Schmerz ließ Ascall kurz seine Furcht vergessen und das warme Blut, das über seinen Handballen floss, doch das Unbehagen wurde alsbald von einem neuen Laut genährt. Dieses Mal war es ein panischer Schrei, der so abrupt endete, dass er schwören konnte, hier war jemand zum Verstummen gebracht worden.
Ascall stürzte hinaus, spürte weder Kälte noch Dunkelheit, nahm nur die unsichtbare Bedrohung wahr. Ein salziger Geruch lag in der Luft, von dem sich nicht sagen ließ, ob er von verschwitzten Pferde- oder Menschenleibern kam. So oder so kündete er davon, dass jemand die Burg betreten hatte.
Ein Verbündeter seines Vaters.
Oder ein Feind.
Ascall griff nach seinem Gürtel, wo das kleine Messer hing, mit dem er seine Holzfiguren schnitzte. Nicht, dass er hoffte, er könnte feindlichen Kriegern tiefere Wunden zufügen als einen Kratzer, doch kämpfen würde er gleichwohl – würde jedem zeigen, dass er der Herr von Dún Fionn war, würde den Namen seines Vaters ehren.
Der Boden war nass vom letzten Regen. Obwohl er schlich, ertönte bei jedem seiner Schritte ein Schmatzen. Lauter als dieses, obwohl aus weiter Ferne und von Holz- und Lehmwänden gedämpft, waren aufgeregte Stimmen zu vernehmen. Ascall vermutete, dass sie aus der Halle des Haupthauses kamen oder von den Gemächern der...