Brendebach | So viele verschiedene Arten von Grün | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 196 Seiten

Brendebach So viele verschiedene Arten von Grün

Zwei Novellen vom Bleiben und vom Gehen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-5593-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zwei Novellen vom Bleiben und vom Gehen

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

ISBN: 978-3-8192-5593-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Die Schublade hat sie über manche Phase gerettet, in die Schublade durfte kein Vorwurf und keine Rechtfertigung. Auch keine große Entschuldigung. Nur kleine Dinge. Timm ist sich sicher, dass manche Ehe gehalten hätte, wenn das Paar so eine Schublade gehabt hätte." Eine Frau geht durch ihren Tag, ein Mann reist durch Europa. Mitten im Leben, aber die wichtigsten Menschen sind nicht mehr dabei.

Martin Brendebach erlebte den Kalten Krieg am Nordrand des Westerwaldes und die roaring nineties in Berlin. Nach langen Aufenthalten in China arbeitete er als Lehrer. Heute lebt er in Potsdam und arbeitet in einem Landesministerium
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Bleiben und Gehen
ODER
Die Gefährtin


Dazwischen


Ich schreckte nicht aus dem Schlaf hoch. Und bin mir sicher, nicht geschrien, nicht einmal laut im Schlaf gesprochen zu haben. Dennoch war mir klar, dass ich soeben aus einem Alptraum erwacht war. Ich klaubte hastig die Scherben dieses Traums aus der flüchtigen Erinnerung zusammen, ängstlich, sie sonst nicht mehr schnell genug zu einem Ganzen fügen zu können. Ein Haus. Ein großes, graues Haus ohne Fenster. Darin war jemand, nicht ich. Niemand, den ich kannte. Aber er wartete dort auf mich. Ich sollte dort etwas tun. Eigentlich musste es Markus sein. Aber er war es nicht. Dieser Mensch hatte kein Gesicht, fast keine Ge - stalt, aber im Traum haben Menschen ja quasi Namensschilder angenadelt, als seien sie Teilnehmer eines Gespensterkongresses. Und dieses Gespenst hatte einen anderen Namen. Nicht Markus Mann. Aber ich wusste nicht welchen. Ich lauschte weiter dem Traum nach, wie man manchmal im geistigen Ohr einen schlecht verstandenen Satz noch einmal abhört. Ich bin nicht in dieses fensterlose Haus gegangen. Ich habe davor gestanden. Und mich dann umgedreht. Dann bin ich aufgewacht.

Neben mir atmet Susan tief, als wolle sie mich damit beruhigen. Draußen ist es dunkel. Wir können heute unsere Pässe holen. Morgen früh sind wir in Petersburg, abends in Moskau. Und dann – klären wir es dann ein für allemal? Aber seit dem Traum habe ich Zweifel. Mann war nicht in diesem großen grauen Haus. Vielleicht suche ich den falschen. Vielleicht ziehe ich völlig unnötig dieses junge Mädchen da in etwas hinein. Sie will mit, sagte sie, fast in dem Ton, in dem eine Sechsjährige ihren Papa nicht zur Arbeit aus dem Haus gehen lassen will. Vielleicht will ich damit aber auch nur eine Entscheidung fällen, ohne sie aussprechen zu müssen.

Ich kenne sie erst seit ein paar Tagen. Aber auch da, ahne ich, stimmt was nicht. Es können nicht nur Tage sein.

1. Oxford. Einige Tage zuvor


Mann war nicht da. Abgereist, und die Flüge nach Kopenhagen waren ausgebucht. Aber da sei diese junge Studentin, die fahre sogar nach Indien mit dem Auto (vielleicht Flugangst, man wisse das nicht genau), die werde mich sicher mitnehmen. Das klang gut. Aber als sie mich am nächsten Morgen abholte, kamen mir Zweifel. „Das ist Guste“, stellte sie zunächst ihre Ente vor. „Tut mir leid, der BMW ist gerade in der Werkstatt.“ Das junge Biest konnte, wenn nicht Gedanken, so zumindest Blicke lesen. Jeden - falls meine. Jede Erwiderung darauf hätte lahm geklungen, also beließ ich es beim Lächeln. Dann fiel mir doch noch eine ein: „Wir müssen schließlich übers Wasser.“ „Wo ist Ihr Koffer?“ Ich hob meine Sporttasche ein wenig in die Höhe. „Geplant waren nur zwei Tage.“ „Umso besser. Dann müssen Sie nichts auf den Schoß nehmen.“ Sie kniff ein Auge zu, während ihr Daumen mit einer Mischung aus Feingefühl und Gewalt den Kofferraum entriegelte. „Ich dachte diese schönen Autos werden seit zwanzig Jahren nicht mehr hergestellt?“ „Kann sein. Ist ... jedenfalls ... Baujahr 1992.“ Der Deckel knackte und ließ sich hochstemmen „Vielleicht die letzte ihrer Art.“ Ich tätschelte das grasgrüne Dach. „Hallo Guste. Nett, dass du mich mitnimmst.“

Ich tastete vergeblich nach einem Mechanismus, mit dem man den Sitz nach hinten schieben konnte. „Oh, tschuldigung, so große Leute fahren sonst nicht bei mir mit.“ Sie zerrte an etwas neben der Handbremse „Kräftig drücken!“ und quietschend fuhr der Sitz ein paar Fingerbreit zurück. „Ich fürchte, das war’s.“ „Wird schon gehen. Zur Not bauen wir den Sitz aus und ich setz mich nach hinten.“

Guste hatte Charakter. Der Schaltknüppel war dicht beim Lenk - rad befestigt und ragte fast waagerecht in die Kabine, ich hatte so etwa zuvor nur in einem alten Film gesehen, Susan zog und steckte den Knüppel dort heraus und herein, wo normalerweise etwa das Radio sich befunden hätte. Den Platz zwischen den Sitzen nahm dafür ein großzügiger Aschenbecher ein. Liberte toujours. „Geht’s wirklich?“ Sie sah mich nach einer erträglichen Position für meine Beine tasten. „Kein Problem. Außerdem wäre die Alternative laufen. Oder die britische Eisenbahn. And You don’t know which is worse.“ „Warten Sie ab, was uns auf der M25 erwartet.“ Sie startete mit viel Gas. „Auf, Guste!“ Es dauerte einige LKW, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass der Gegenverkehr einen Meter an mir vorbei rauschte, ohne dass ich mein Leben selbst im Griff hatte. „Wie orientieren Sie sich eigentlich? An der Leitplanke oder am Mittelstreifen … nur so ’ne technische Frage.“

Sie lachte hell und gab darauf keine Antwort. das gefiel mir. Hell ist ohnehin das Wort, das mir heute, da ich all dies aufschreibe, besonders oft für sie in den Sinn kommt. Hell waren ihre Haare und ihre Haut, hell ihr Verstand und, von gelegentlichen Gewitterwolken, die sich in gewissen Phasen unserer gemeinsamen Reise auch mal verdichteten, abgesehen: hell ihr Wesen. Dass „hell“ in der Sprache, die man auf Reisen zu sprechen pflegt, noch etwas ganz anderes bedeutet, fällt mir jetzt erst auf, und auch wenn ich sie in gewissen Momenten ein kleines Teufelchen nennen sollte – nein, die Hölle war es nie.

„Schafft Guste das in einem Rutsch?“

„Klar. Sind nur 144 Meilen. Wenn’s weiter so fluppt, sind wir mittags in Harwich, dann kann Guste sich auf der Fähre ausruhen.“

Harwich also. Ich hatte nicht einmal gewusst, wie der Hafen hieß, von dem die Fähre ablegen würde. Hatte in Punkten gedacht: A, B, C, in Linien, auf denen ich England durchziehen würde, mich bewegt wie ein Finger auf einer Karte. Konnte nicht sagen warum, aber als sie den Namen des Hafens sagte, roch ich Tang und hatte Lust, auszusteigen. Der M25 wälzte sich achtspurig um London herum, mit den gleichen einfallslosen Schil - dern weiß auf blau wie wohl überall auf der Welt, wahrscheinlich sind sogar in Mali die Autobahnschilder weiß auf blau, und es hätte auch Mali sein können, durch das wir fuhren, wer weiß, was hinter diesen Sicht- und Lärmschutzwänden sich befand. Man hätte sogar meinen können, der Himmel sei ausgesperrt und wir führen unter künstlichem Licht, so fahl warf das Metall der Leitplanken und der helle Asphalt das Sonnenlicht zurück. Mir war, als müsse ich erst Harwich erreichen, um die Sonne zu sehen. „Waren Sie schon mal an der Küste? In Harwich?“

„Nein. Nur im Südwesten, Cornwell und so.“

„Wie heißt die – wie heißt das – Grafschaft?“

„Uff – keine Ahnung.“

Sie schien nicht mehr reden zu wollen, eine Weile. Eigentlich sympathisch. Ich gewöhnte mich daran, auf der falschen Seite zu sitzen, von rechts überholt zu werden. Erblickte meine Schläfe im Außenspiegel. Mehr grau als blond mittlerweile, was deutlicher zu Tage tritt, wenn die Haare kurz rasiert sind. Britta sagt, beim Friseur alterst du immer um zehn Jahre. Nicht nur der Haare wegen, die dann in der Sonne blinken wie Raureif. Auch die Falten treten dann stärker hervor, vor allem die Querfurchen auf der Stirn und die Kerbe, etwas versetzt über der Nasen wur - zel. Ein Schädel. denke ich, wenn ich in den Frisierspiegel schaue. Ein Schädel. Aber ich weiß, dass ich trotzdem mit den kurzgeschorenen Haaren am besten aussehe, auch wenn ich damit in einer anderen Liga spiele. Noch nicht alte Herren. Aber eben 40+. Sie schaltet das Radio ein: „O.K?“ „Sure!“

Frou frou, let go. Ich wollte schon fragen, ob sie den Film kennt. Rechnete nach. Nein, sie wird ihn nicht kennen. Sie dreht zur BBC. Um mir einen Gefallen zu tun, weil ältere Männer lieber BBC hören als BritPop? Der Moderator hat einen China-Experten zu Gast. Ich hätte lieber weiter frou frou gehört, aber dieser Sound gefiel mir auch, das feine Gelehrtenenglisch, das seine Vokale dehnt als wolle es in jeden noch ein Quantum freundliche Distanz träufeln. Ich glitt beinahe in den angenehm-gedämpften Zustand wachen Dämmerns, nur Regen fehlte, den der Fahrtwind in hypnotischen Schlieren die Scheiben hinunterpressen müsste. Dann wäre leichter sich vorzustellen gewesen, dass wir in einer kleinen Kapsel geborgen durch unwirtliche Welten sausen und nie ankommen müssen.

Da fiel ein Tropfen. Ein Zweiter. Der Himmel verdunkelt sich rasch. Hoffentlich war das nicht der eine Wunsch, den ich im Leben freihatte. Der Regenguss rauschte über uns hinweg. Susan betätigte den imposanten Hebel, der aber nur zwei hilflose gummibewehrte Plastikstöcke über die Frontscheibe scheuchte. Sie musste sich vorbeugen. und verlangsamte noch mehr. Aber nach Minuten platzte die Regenhülle schon auf. Und mit ihr der Kokon des kurzen Schweigens. Im Nachhinein, heute erst, habe ich die Erklärung dafür, warum dieses Schwei gen uns beiden nicht unangenehm war. Es war nicht das peinliche Schweigen zwischen Unbekannten.

„Wie kommt es eigentlich, dass Sie Mann nicht getroffen haben?

Hat er den Termin...



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