E-Book, Deutsch, 303 Seiten
Brendborg Quallen altern rückwärts
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7517-2063-2
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was wir von der Natur über ein langes Leben lernen können
E-Book, Deutsch, 303 Seiten
ISBN: 978-3-7517-2063-2
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Verglichen mit anderen Erdbewohnern dauert ein Menschenleben nur einen Wimpernschlag: Kalifornische Redwoods können fünftausend Jahre alt werden, einige Quallenarten kehren ihren Alterungsprozess um und manche Bakterien sind sogar unsterblich.
Molekularbiologe Nicklas Brendborg nimmt die Leser:innen mit in die entlegensten Winkel der Welt und die modernsten Forschungslabors; unterwegs zu den ältesten Menschen, zu Zombiezellen und zu Experimenten, die unsere grundlegenden Vorstellungen vom Leben auf den Kopf stellen.
Dabei geht Brendborg einer zentralen Frage der Menschheit nach: Wie kann ein langes und gesundes Leben gelingen?
Nicklas Brendborg ist Postdoktorand für Molekularbiologie an der Universität Kopenhagen. Brendborg ist Absolvent des Novo Nordisk International Talent Program und des Novo Scholarship Program. Sein Buch QUALLEN ALTERN RÜCKWÄRTS war ein großer Erfolg in Dänemark und die Übersetzungsrechte wurden in über zwanzig Länder verkauft. Anfang 2023 ist das Buch auch in den USA erschienen.
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EINLEITUNG
Der Jungbrunnen
Im Jahr 1493 machte sich Christoph Kolumbus auf zu seiner zweiten Amerikareise. Zu seinem Gefolge gehörte ein ehrgeiziger junger Spanier namens Juan Ponce de León. Auf der Insel Hispaniola gründeten die Seefahrer ihre erste Kolonie in der neuen Welt, und hier ließ sich Ponce de León nieder. Damals wussten die Spanier nicht viel über das, was sie da entdeckt hatten. Oder wo sie überhaupt gelandet waren. Womöglich in Indien?
Von der tropischen Insel aus zogen sie immer wieder auf Entdeckungsreisen – und dabei war es im Prinzip unmöglich, nicht auf etwas Unbekanntes zu stoßen. In der neuen Siedlung in der Karibik, aber auch zu Hause in Spanien rankten sich Gerüchte um diese Reisen, über fantastische Welten, fremde Völker und unvorstellbaren Reichtum.
Eines Tages hörte Ponce de León ein solches Gerücht über ein neues Land nördlich von Hispaniola. Sofort trommelte er eine Mannschaft zusammen und machte sich auf den Weg, um der Geschichte auf den Grund zu gehen. Gemeinsam mit seinen Männern segelte er entlang der Bahamas – die man zu dieser Zeit bereits kannte – und erspähte als erster Europäer das unbekannte Land: Aufgrund der von Blumen übersäten Landschaft taufte er es auf den Namen La Florida.
Bei ihrer Erforschung Floridas begegneten die Spanier irgendwann einem Stamm Eingeborener. Während des Aufeinandertreffens verhielten sich die Stammesmitglieder diplomatisch und erzählten den Neuankömmlingen von einer recht sonderbaren Quelle, die sie »Jungbrunnen« nannten: einer Quelle, deren Wasser Heilkräfte besäße und die selbst den ältesten Mann wieder jung mache. Aber, darauf beharrten sie, niemand in ihrem Stamm könne sich daran erinnern, wo die Quelle lag. Und nein, das sei ganz sicher kein Ablenkungsmanöver, um von den Spaniern in Frieden gelassen zu werden. Es gebe sie wirklich.
In den folgenden Jahren segelte die spanische Expedition die Küste Floridas auf und ab und durchkämmte die hintersten Winkel nach der berüchtigten Quelle. Aber wie wissen, ob man sie auch gefunden hat? Die hoffnungsvollen Spanier badeten in jeder Quelle, in deren Nähe sie kamen. Ein reichlich mutiges Unterfangen, in Anbetracht der Alligatorenpopulation Floridas. Den Jungbrunnen fanden sie natürlich nie – stattdessen fand der Sensenmann sie irgendwann alle.
Wenn Sie einen seriösen Historiker fragen, dann ist diese Episode vor allen Dingen eine Legende. Da ich aber kein solcher bin, kann ich es mir erlauben, mein Buch mit dieser kleinen Abenteuergeschichte einzuleiten.
In Wirklichkeit suchten Ponce de León und seine Männer wahrscheinlich nach denselben Dingen wie alle anderen ihrer Zeitgenossen: Land, Gold, eventuell Sklaven und wohl auch Frauen. Dennoch finden sich Berichte dieser Art in den unterschiedlichsten Zivilisationen wieder, von Alexander dem Großen über das antike Griechenland und die Kreuzritter bis hin zum alten Indien, China und Japan. Es gibt zahlreiche Erzählungen über verjüngende Quellen und magische Elixiere.
Unsere eigene Zeit bildet dabei keine Ausnahme. Ständig hören wir Geschichten über Anti-Aging-Hokuspokus. Parallel zum Vormarsch der Wissenschaft ist es heute eben die Forschung, die die meisten Vorschläge unterbreitet, wo die Quelle der ewigen Jugend denn zu finden sei. Auf den ersten Blick mag das wie ein Fortschritt klingen, aber selbst die Suche der Wissenschaft nach einem Wundermittel gegen das Altern war nicht immer von Glück geprägt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubten einige Forscher zum Beispiel, dass man Extrakte aus Tierdrüsen dazu verwenden könne, Menschen jünger zu machen. Einer dieser Wissenschaftler, der Chirurg Serge Voronoff, baute diese etwas bizarre Theorie weiter aus: Er war überzeugt davon, dass man nicht nur Extrakte der Tiere verwenden sollte; nein, man müsse den Menschen das Drüsengewebe direkt transplantieren, das funktioniere garantiert. Und nachdem er in Ägypten kastrierte Männer untersucht hatte, schlussfolgerte er, dass Hoden einen besonders verjüngenden Effekt hätten.
Darauf begann Voronoff mit der Transplantation kleiner Stücke von Affenhoden auf seine Patienten. Es war gerade skurril genug, dass gewöhnliche Menschen einen großen Bogen um ihn machten. Doch die Reichen und Berühmten waren verrückt danach. Sie standen Schlange, um endlich auch Voronoffs Anti-Aging-Transplantation ausprobieren zu dürfen. Das Interesse war in der Tat so riesig, dass Voronoff Unsummen verdiente, und schon bald hatte er Schwierigkeiten, genügend Affenhoden herbeizuschaffen. Er war gezwungen, ein Gehege für die armen Geschöpfe zu errichten – auf seinem neugekauften Schloss –, und stellte einen Zirkustrainer ein, um die Tiere selbst zu züchten.
Voronoffs Patienten endeten logischerweise als historischer Witz. Sowohl sie als auch Voronoff selbst wurden mit der Zeit älter und bekamen Falten, wie auch Ponce de León und seine Männer. Und wie wir heute – es sei denn, die Wissenschaft findet eine bessere Lösung als bisher.
In diesem Buch soll es genau darum gehen: jung zu sterben, und das so spät wie möglich. Es geht um die Antworten der Wissenschaft auf die Frage, wie wir so lange wie möglich ein gesundes Leben führen können. Ich verspreche Ihnen, Sie müssen keinerlei Drüsen an Ihr bestes Stück nähen, und Sie brauchen auch nicht mit menschenfressenden Reptilien zu baden. Eine Reise wird es trotzdem.
Die Jagd nach einem längeren Leben war schon immer von Übertreibungen und Betrügereien begleitet. Heutzutage hat sich das natürlich gebessert, nachdem die Wissenschaft den Platz von Magie und Religion eingenommen hat – und sich seit den Zeiten Serge Voronoffs glücklicherweise erheblich weiterentwickelt hat. Aber es ist immer noch schwer zu durchschauen, was wahr und was falsch ist. Es gibt viele Hochstapler dort draußen, und nicht wenige der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse verbergen sich in für normale Menschen unbekannten Zeitschriften hinter fachsprachlichen Ausdrücken. Die große Frage lautet nun: Was wissen wir heute über Anti-Aging, und was davon kann man bedenkenlos für das eigene Leben nutzen?
Die Zustände heute sind nämlich andere. Früher war alles, was mit Verjüngung zu tun hatte, ausnahmslos Schwindel und Scharlatanerie. Das ist es heute erwiesenermaßen nicht mehr: Wir können auf nachweisbare, solide wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Labor und aus der realen Welt zurückgreifen, die beweisen, was tatsächlich wirkt. Es ist Routine, das Leben von Labortieren erheblich zu verlängern, und wir stehen an der Schwelle dazu, diese vielversprechenden Resultate auf den Menschen zu übertragen. Unsere Zeit ist die erste, in der wir eine echte Chance haben, die Menschheit von der Geißel des Alterns zu befreien.
***
Man kann Anti-Aging als einen natürlichen Teil des langen und langwierigen Vormarschs der modernen Medizin ansehen:
–Zuerst kämpften wir darum, dass die meisten von uns überhaupt überleben und erwachsen werden konnten.
–Als Nächstes gingen wir zum Angriff auf die vielen Viren und Bakterien über, die einst ganze Gesellschaften auf einmal lahmlegen konnten – und dies mitunter bis heute tun, wie wir aus aktuellem Anlass wissen.
–Dann haben wir es mit den altersbezogenen Erkrankungen aufgenommen: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz. Auch gegen sie kämpfen wir noch immer. (Im Lauf dieses Buchs werden wir sehen, wie weit wir schon gekommen sind.)
–Inzwischen unternimmt die Wissenschaft schon den nächsten Schritt: den Kampf gegen das Altern selbst.
Doch auch wenn wir die schlimmsten Krankheiten, die es gibt, besiegen und loswerden könnten, kommen wir nicht darum herum, mit steigendem Alter körperlich immer schwächer zu werden.
Den Großteil unseres Lebens verbringen wir mit einem Körper, der sich in ständigem Verfall befindet. Und darüber hinaus ist unser Älterwerden die Ursache dafür, dass uns Alterserkrankungen zu schaffen machen. Junge Menschen bekommen eben äußerst selten Thrombosen und erkranken nicht an Demenz. Natürlich können wir Behandlungsmethoden gegen diese Erkrankungen entwickeln, aber wem wir in Wirklichkeit zu Leibe rücken wollen, ist der Alterungsprozess. Wir brauchen Anti-Aging.
Wenn es uns gelänge, die Zeiger unserer biologischen Uhr zu bremsen – oder sie sogar zurückzudrehen –, könnten wir nicht nur zwei, sondern alle Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wir könnten länger leben, wären dabei gesünder und fitter, und wir würden das Risiko für die meistgefürchteten Krankheiten minimieren.
So weit sind wir selbstverständlich längst nicht. Wir können niemandem garantieren, dass er oder sie über 100 Jahre alt werden wird. Betrachtet man die Sache allerdings als großes Puzzle, können wir dank der enormen Fortschritte in der Anti-Aging-Forschung schon die ersten Teile zusammenfügen.
Mit dem, was wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, ist es uns bereits möglich, den Alterungsprozess bedeutend zu verlangsamen. Und das ist eigentlich alles, was nötig ist. In der Anti-Aging-Wissenschaft arbeitet man mit dem Begriff der longevity escape velocity, der besagt, dass wir das Wunderheilmittel nicht jetzt sofort und auf der Stelle finden müssen. Alles, was wir brauchen, sind kleine, schrittweise Verbesserungen. Jedes Mal, wenn wir das Altern nur ein winziges bisschen aufhalten, erkaufen wir uns Zeit. Und in dieser Zeit erreichen wir neue Verbesserungen, die uns noch mehr Zeit einbringen, und so weiter.
Wenn wir irgendwann an dem Punkt ankommen, an dem die...