Bregin | Der Junge, der sein Herz wiederfand | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Bregin Der Junge, der sein Herz wiederfand

Ein Südafrika-Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26721-6
Verlag: Limes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Südafrika-Roman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-641-26721-6
Verlag: Limes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manchmal muss man vom Weg abkommen, um die eigene Bestimmung zu finden ...
'Erzähl mir von ihr', sagte sie, 'erzähl mir von deiner Mutter ...' Dies sind die Worte der alten Esther, nachdem sie den Flüchtlingsjungen Emanuel von der Straße aufgelesen und bei sich aufgenommen hat. Der junge Mann ist mit seiner Mutter aus dem Kongo geflohen, wurde unterwegs von ihr getrennt und fristet seitdem ein mittelloses Dasein in Durban an der Ostküste Südafrikas. Esther, selbst eine Außenseiterin, sieht in ihm, was niemand sonst zu sehen vermag: einen Jungen, der sein verlorenes Herz wiederfinden kann. Und tatsächlich, in einer alten Hütte inmitten der Schönheit der Drakensberge erfahren beide, dass ihre ungewöhnliche Freundschaft die Macht hat, alle Wunden zu heilen ...

Ein Plädoyer für Mut, Vertrauen und dafür, die Hoffnung niemals aufzugeben - inspirierende Unterhaltung vor der wunderschönen Kulisse Afrikas.

Die südafrikanische Autorin Elana Bregin liebt Menschen, Landschaften und die schillernden Facetten Afrikas. Sie setzt sich intensiv für Menschenrechte, für den Schutz von Tieren und unseres Planeten ein und hat zahlreiche Romane verfasst, die zum Teil ausgezeichnet wurden. In Südafrika gehören ihre Bücher zur Schullektüre. Bevor sie Schriftstellerin wurde, arbeitete sie viele Jahre als Verlagslektorin. Heute leitet sie Schreibseminare.

Bregin Der Junge, der sein Herz wiederfand jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Kapitel 2


Der Samstag begann immer langsam im Zentrum von Hillcrest. Es dauerte eine Weile, bis die Straßen wach wurden. Noch war es früh, und die Läden waren geschlossen, nur einige Fahrradfahrer in Grüppchen störten den herumwirbelnden Müll bei ihrer Durchfahrt. Eine einzige verschlafene Straßenhändlerin lehnte sich gegen eine Mauer und wartete darauf, dass sie den Fahrern der Pendeltaxis die Süßigkeiten und Früchte auf ihrem improvisierten Tischchen anbieten konnte. Später würde die Old Main Road wieder zum beliebten Treffpunkt werden, der Verkehr würde sich auf der zehn Blocks langen Einkaufsmeile in allen Spielarten stauen: elegante SUVs, auf deren Nummernschildern Namen statt Zahlen standen; glänzende, teure Limousinen neben alten Kastenwagen, die schon bessere Tage gesehen hatten; Taximinibusse, die überall anhielten, wo Passagiere ihnen Zeichen gaben; schicksalsergebene Motorradfahrer, die dahinter anhalten mussten.

Außerhalb der bewachten Areale der Shoppingcenter gingen Kleinunternehmer zu Fuß ihren Geschäften auf der Straße nach. Hausierer und Glücksuchende aller Art wanderten auf den ausgetretenen Bahnen zwischen den Fahrstreifen entlang und warteten darauf, dass sich ein Autofenster öffnete. Sie hofften auf ein schnelles Geschäft, bevor die Ampel umsprang: handgenähte Schuhbeutel und aus Resten gefertigte Säckchen für Wäscheklammern; Sonnenbrillen, Handtaschen und Steinschleudern; Vögel und andere Tiere, von kunstfertigen Händen aus Draht und Perlen gebogen.

Emanuel saß auf seinem kleinen Grünstreifen hinter der Ampel, genoss die frühe Morgensonne und arbeitete an den Holzkistchen, die er vor den Supermärkten aufgesammelt hatte. Er mochte diesen Platz mit den gelben Stämmen der Fieberakazien, die ein Rasenstück umrahmten. Er war ein bisschen weiter weg von den Autos, seitlich des Kreisverkehrs zwischen Supermarktparkplatz und Tankstelle. Hier war man nicht auf der Straße, hatte aber einen guten Blick darauf. Was bedeutete, dass es sich nicht lohnte, sich um diesen Platz zu streiten. Bisher hatte ihn auch noch keiner deshalb angegriffen.

Er verbrachte den Vormittag meistens hier und arbeitete an seinen Kisten. Dafür nahm er die verdreckten und gesplitterten Bretter auseinander und ordnete die noch brauchbaren neu. Es war nicht schwer, sie zu zerlegen. Manchmal war das Holz verrottet, und die Nägel fielen einfach heraus. Die restlichen Nägel hebelte er mit der Klinge seines Messers aus dem Holz. Er ließ sich gerne damit Zeit, die raue Oberfläche der Bretter abzuschmirgeln, die Nägel zu retten und die guten Teile wieder zusammenzusetzen.

Manchmal verkaufte er eine Kiste. Es spielte keine Rolle, ob er das tat oder nicht. Die Kisten gaben ihm etwas zu tun. Ließen ihn beschäftigt aussehen. Solange du aussahst, als hättest du etwas zu tun, ließ die Straße dich in Ruhe. Es bedeutete, dass du einen Grund hattest, hier zu sein. Dass du niemandem den Platz in der Schlange der Bedürftigen wegnahmst.

Ein großer Polizeiwagen hielt mit quietschenden Reifen auf der anderen Seite der Straße. Noch schenkte ihm niemand Beachtung. Uniformierte schoben sich heraus. Er verspannte sich, fragte sich, ob sie seinetwegen gekommen waren, doch sie waren hinter jemand anders her. Eine Gestalt mit wildem Blick und einer Handtasche hastete über die Kreuzung auf ihn zu. Schwerfällig nahmen die Polizisten die Verfolgung auf. Sie waren nicht gemacht für schnelles Tempo. Die Extrakilos, die sie herumschleppten, machten den Wettkampf unfair.

Der Bösewicht sah zurück und grinste, dann drosselte er sein Tempo, bis er beleidigenderweise nur noch schlenderte. Für einen kurzen Moment begegnete sein scharfer Blick dem Emanuels, dann weidete er die Handtasche aus, warf sie in den Rinnstein und lief die Seitenstraße hinunter, die zur Eisenbahntrasse führte.

Die Polizisten liefen zu ihrem Wagen zurück, stiegen mit genervtem Zungenschnalzen wieder ein und fuhren davon. Emanuel setzte seine Arbeit fort. Seine Hände genossen das Hämmern, die befriedigende Erneuerung von etwas Altem, Unbrauchbarem.

Ein verbeulter roter Toyota, dessen beste Tage bereits vorbei waren, hielt neben seinem Platz an der Ampel.

»Verkaufst du diese Kisten?«, rief ihm die Fahrerin zu.

Er nickte vorsichtig. Sie sah nicht aus, als bräuchte sie Secondhandkisten.

Sie schwenkte in die Parkbucht neben seinem Platz ein und stieg aus. »Wie viel?«

Er hielt fünf Finger hoch.

»Fünf Rand? Das ist viel zu billig. Ich nehme zwei. Hier sind vierzig Rand.«

Er starrte sie an: eine seltsame Frau. So ging das nicht mit dem Handeln. Er nahm das Geld trotzdem.

Es gab nur drei Kisten zum Aussuchen, aber sie ließ sich Zeit und sah sich jede genau an. »Ich nehme diese beiden.«

Sie gab ihm die vierzig Rand. Er sagte nichts.

»Warum malst du nicht etwas darauf?«, fragte sie. »Eine Blume. Und mach die Bretter näher zusammen. Dann können die Leute sie verwenden, um Gemüse darin zu pflanzen.«

Er nickte höflich.

Sie stieg zurück in ihren Wagen, der eine gründliche Wäsche nötig gehabt hätte, und fuhr davon.

Die vierzig Rand vibrierten in seiner Hosentasche. Er ließ seine übrig gebliebene Kiste stehen und ging zu dem Imbiss an der Ecke, setzte sich an den einzigen Tisch im Freien. Ein richtiger Kunde, der köstliches vegetarisches Curry löffelte, die Sauce mit Brot auftunkte und die Reste mit der Zunge abschleckte. Fleisch aß er zurzeit nur selten, es erinnerte ihn zu sehr an den Geruch von Leichen.

Ein paar Tage später war seine einzige Kundin wieder da, ihr rotes Auto war jetzt noch staubiger. Das Rücklicht war zerbrochen, und die Karosserie hatte eine neue Beule.

»Hallo!«, rief die Fahrerin. »Wie läuft das Geschäft mit den Kisten?«

An diesem Morgen hatte er vier Stück, die neu zusammengesetzt waren und in einem Halbkreis um ihn herumstanden. Eine fünfte ließ sich nicht mehr retten, also nutzte er sie als Sitz. Die vier Kisten waren dieselben wie gestern. Niemand wollte sie kaufen.

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern polterte wie ein Sammeltaxi auf den Bordstein, ohne auf das Hupkonzert hinter sich zu achten. Dann stieg sie aus und ging um das Auto herum zur Beifahrerseite, um etwas herauszuholen.

»Ich wollte dir meine Gemüsekiste zeigen. Schau, wie gut sie funktioniert«, sagte sie. »Ich habe den Boden mit Zeitungspapier ausgelegt und sie dann mit guter Pflanzerde gefüllt.«

Reihen grüner Setzlinge winkten ihm mit ihren Ranken fröhlich zu.

»Warum probierst du nicht, was ich vorgeschlagen habe? Male ein paar Blumen oder Gemüsepflanzen auf die Seiten deiner Kisten. Mach sie ansprechender. Und mach ein bisschen Werbung. Die Leute nehmen dich nicht wahr, wenn du hier sitzt. Ein nettes Schild an diesem Pfosten würde das ändern. Hier, ich habe dir ein bisschen Farbe gekauft.«

Sie verstand es nicht. Er wollte nicht besser zu sehen sein. Gesehen zu werden bedeutete Ärger zu bekommen.

Sie legte zwei Tuben Farbe auf den Boden vor ihm. Er sah sie an, hob sie aber nicht auf. Warum interessierte sie sich so für das, was er tat? Gehörte sie zu den rechthaberischen Leuten, die immer dachten, sie müssten die Welt retten?

»Ich kann meine Kiste hierlassen, wenn du willst«, schlug sie vor. »Dann können die Leute sehen, was man mit den Kisten machen kann.«

Er schüttelte den Kopf.

»Sicher?«

Ihre Beharrlichkeit ging ihm langsam auf die Nerven. Wortlos stand er auf und ging davon, auf die Seitenstraße zu, in der vor ein paar Tagen der Handtaschendieb verschwunden war, ließ sie einfach stehen, obwohl sie immer noch redete.

In den nächsten Tagen hungerte er. Die meiste Zeit regnete es stark. Auf den Verkehrsinseln standen armselige durchweichte Gestalten, die zitternd an das Mitleid der Vorbeifahrenden appellierten. Ein paar Fenster wurden heruntergelassen, ein oder zwei Münzen wurden in die Plastikbecher der Bettler geworfen.

Bei diesem Wetter hatte er keine Chance auf einen Gelegenheitsjob wie eine Schicht Parkplatzwache oder das Waschen eines Autos, bezahlt mit ein paar Rand oder einer warmen Mahlzeit. Seine Mutter hatte Glücksarbeiten dazu gesagt, zu allem, was einem so unterkam, während man herumzog. Manchmal brauchten sie ihn, um etwas zu heben oder zu tragen. Manchmal wollten sie ihn als menschliche Werbung, wollten, dass er den ganzen Tag mit einem Schild oder einem Hühnerkopf auf der Straße herumstand. Oder sie gaben ihm Flugblätter, die er an Autofahrer verteilen sollte. Das war schwieriger, als es sich anhörte. Niemand riskierte es gerne, sein Autofenster herunterzukurbeln. Man könnte ja ein Whoonga-Junkie sein, der einem Autofahrer die Brille von der Nase schlagen würde.

Er verfiel in Winterschlaf, bis die Welt wieder trocken war, vergaß im Traum seinen Hunger. In einigen Zentren, durch die er gekommen war, gab es Anlaufstellen von Wohltätigkeitsorganisationen, wo man für wenig Geld eine Mahlzeit bekam und duschen konnte. Aber in den Vororten oberhalb der Autobahn nach Durban existierte kaum dergleichen. Einem blieb nichts übrig, als mit den anderen nach Nahrung zu suchen. Wäre seine Mutter hier gewesen, hätte sie gewusst, wie sie ihnen ein Einkommen sichern konnte. Sie hatte die Gabe, alle Chancen zu erkennen, und genügend Charme, um sie auch zu ergreifen.

»Iss nichts aus den Mülltonnen«, hatte sie ihn immer ermahnt. »In dieser Hitze verdirbt das Essen schnell. Es wird dich krank machen.«

An manchen Tagen war es schwer, ihren Rat zu befolgen. Die Glücksarbeiten blieben aus. Das zum Überleben notwendige...


Bregin, Elana
Die südafrikanische Autorin Elana Bregin liebt Menschen, Landschaften und die schillernden Facetten Afrikas. Sie setzt sich intensiv für Menschenrechte, für den Schutz von Tieren und unseres Planeten ein und hat zahlreiche Romane verfasst, die zum Teil ausgezeichnet wurden. In Südafrika gehören ihre Bücher zur Schullektüre. Bevor sie Schriftstellerin wurde, arbeitete sie viele Jahre als Verlagslektorin. Heute leitet sie Schreibseminare.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.