Braun | Du bist raus! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 110 Seiten

Braun Du bist raus!

1 Novelle & 3 Kurzgeschichten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7521-3353-0
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

1 Novelle & 3 Kurzgeschichten

E-Book, Deutsch, 110 Seiten

ISBN: 978-3-7521-3353-0
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Wie hatte es eigentlich angefangen? Wo war der Punkt, an dem sich alles veränderte? Ich kann es nicht mehr genau festmachen. War es der Tag, an dem ich das erste Mal über Nacht blieb? Nein, es begann früher. Vor ungefähr einem halben Jahr begann es, am ersten schönen Maitag des Jahres. Ich hatte bei IKEA gefrühstückt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, das Essen dort ist gut und billig. Außerdem sitzt man nett und kann Menschen sehen, ohne sich unterhalten zu müssen. Ich hasse es, mich unterhalten zu müssen. Also, ich hatte gefrühstückt, und als ich das Geschäft verlies, sah ich in der Gartenausstellung diesen Stuhl. Ein Stahlrohrgestell, an dem sich eine Art Netz als Sitzfläche und Lehne spannte. Um es gleich zu sagen: Ich interessiere mich nicht für Möbel! Mein Zimmer ist klein, ich wohne möbliert, und bin ohne unnötigen Schnickschnack eingerichtet. Aber dieser Stuhl sprach mich an. Wahrscheinlich war es seine ungewöhnliche Form, jedenfalls setzte ich mich hinein und fand es wundervoll. Herrlich bequem. Durch die Federung und die Nachgiebigkeit von Sitzfläche und Lehne passte er sich jeder Bewegung an. Hatte ich wirklich nicht vermutet, so merkwürdig wie der aussah. Dazu noch die Sonne und das Treiben auf dem Parkplatz. Es war so angenehm, dass ich bald eine halbe Stunde dort sitzen blieb. Dann ging ich nach Hause und selbst dort ging mir der Stuhl nicht mehr aus dem Kopf. Zwei Tage später besuchte ich das Geschäft erneut, und wieder setzte ich mich nach dem Frühstück in die Sonne in dieses wunderbare Sitzmöbel. Diesmal hatte ich mir sogar eine Zeitung mitgebracht und blieb fast zwei Stunden dort. So ging es einige Wochen. (aus 'Lebst du noch oder wohnst du nur?)

Geboren in Pinneberg. Floh die Kleinstadt schnell. Es folgten kurze Ausflüge in verschiedene Berufe, um schließlich beim Schreiben zu landen. Karin Braun lebt in Kiel und arbeitet als Autorin, Literaturbloggerin, Herausgeberin - kurz: Sie macht was mit Büchern.
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Das Wochenende

Samstag Abend um 20:00 suchte ich mir einen Teller und Besteck aus der Küchenabteilung und ging noch schnell runter in die Markthalle. Das Bett, welches ich mir für die Nacht ausgesucht hatte, ein sehr schönes, 1,40 m breites französisches Modell mit vielen Kissen und ohne Besucherritze, hatte leider nur eine sehr dünne Bettdecke und ich fror doch leicht. Also dachte ich mir, dass in der Markthalle vielleicht auch richtig dicke Daunendecken wären. Nachdem ich das Passende gefunden hatte, nahm ich mir noch eine Wolldecke mit und suchte mir auf dem Rückweg in mein Schlafzimmer auch noch etwas zum Lesen aus. Dann richtete ich mir mein Abendbrot und schaltete den Fernseher leise ein. Das war ein Erlebnis. Nach zwei Jahren ohne TV genoss ich es, mich quer durch das Programm zu zappen, dabei Bier zu trinken und Chips zu essen. Als ich dann endlich ins Bett ging, fiel mir auf, dass ich nicht einmal Angst gehabt hatte, entdeckt zu werden, sondern mich rundherum wohlfühlte. Ich las noch ein paar Seiten und dann schlief ich ein.

Den Sonntagmorgen verbrachte ich im Bett. Lesen, dösen und einfach die Weichheit der Matratze und die Satinbettwäsche genießen. Eigentlich hätte ich gerne einen Kaffee getrunken, hatte aber vergessen, mir Löslichen mitzubringen. Das bedauerte ich nun doch, weil ich gemerkt hatte, dass es in der einen Küche einen Wasserkocher gab, der funktionierte. Überhaupt lagen das Wohnzimmer, die Küchenecke und das Schlafzimmer nicht allzu weit auseinander, und sogar ein kleiner Arbeitsplatz mit Computer war in der Nähe. Das war auch nicht schlecht. Vor einiger Zeit hatte das Jobcenter mich gezwungen, eine Profilingmaßnahme zu besuchen. Dort hatte ich gelernt, mit einem Computer umzugehen, und auch, wie man das Internet nutzt. Damals fand ich es total überflüssig, da ich mir nie einen Rechner würde leisten können und weil mich niemand einstellen würde. Doch nun konnte ich meine Kenntnisse gut gebrauchen. Der Rechner war nämlich mit dem Internet verbunden, und so surfte ich den halben Nachmittag durch die verschiedenen Zeitungen und informierte mich über Themen, die mich interessierten. Damit war ich so beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkte, dass jemand neben mir stand. Stellen Sie sich nur meinen Schreck vor, als ich aufsah und neben mir den Wachmann entdeckte, der mich freundlich anlächelte. Mich traf fast der Schlag. Bevor ich irgendetwas heraus brachte, sprach er:

„Hallo, man hat mir gar nicht gesagt, dass dieses Wochenende jemand hier sein wird. Aber schön, dann bin ich nicht so alleine.“

Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, und so starrte ich einfach auf den Bildschirm vor mir. Er sprach weiter: „Ich heiße übrigens Ernst. Was meinen Sie, wollen wir heute Abend zusammen das Spiel gucken? Ich hab ein Bierchen dabei.“ Er lächelte entschuldigend: „Natürlich alkoholfrei!“

Mühsam presste ich heraus: „Ich bin Martin,“ dann erschrak ich: Hätte ich nicht lieber einen falschen Namen nennen sollen? Stotternd sprach ich weiter: „Ja Ernst, wäre sicher nett. So um acht denn?.“

Ernst tippte sich an die Mütze und ging. Merkwürdig ruhig schaltete ich den Rechner aus und ging in die Küche. Dort nahm ich mir ein Bier und setzte mich an den Tisch, während meine Gedanken rasten: Was sollte ich bloß machen? Wenn Ernst plauderte, dann konnte ich ganz sicher mit einer Anzeige rechnen. Das hatte mir noch gefehlt. Mich schreckte auch nicht, dass ich sicherlich mit einer Geldstrafe rechnen musste, viel mehr bedauerte ich, dass es nun endgültig vorbei sein würde mit meinen Wochenenden und Abenden hier. So sicher wie das Amen in der Kirche würde ich Hausverbot bekommen. Kurz erwog ich, Ernst die Wahrheit zu sagen. Er schien ein netter Kerl zu sein. Komisch, dass er sich nicht mehr gewundert, hatte mich hier zu finden. Nun, wahrscheinlich war er ein wenig beschränkt. Doch das konnte ja nur von Vorteil für mich sein, so lange er nur nicht redete.

Ich beschloss einfach, auf seine Vorgabe einzugehen und mich zu verhalten, als wenn alles seine Richtigkeit hätte mit meinem Aufenthalt hier. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte, dass es bereits 19:30 war. Noch eine halbe Stunde, bis mein Besuch kam, und so ging ich zum Küchenschrank und sichtete meine Vorräte. Mir wurde richtig warm ums Herz, als ich die Lebensmittel alle ordentlich in den Schrank sortiert sah. Zu Hause ließ ich alles auf dem Tisch stehen, die Schränke waren nur für das Geschirr, das ich nicht brauchte. Die Sachen, die ich in Gebrauch hatte, standen auf und in der Spüle. Doch hier machte es mir Spaß, alles ordentlich zu haben. Plötzlich merkte ich, dass ich mich darauf freute, Besuch zu bekommen. Seit Jahren gab es niemanden mehr, mit dem ich gemeinsam etwas unternehmen konnte. Wollte ich ja auch gar nicht. Na ja, ehrlich gesagt: Meistens wollte ich keinen sehen, aber so ein Fußballspiel machte sicher mit Gesellschaft mehr Spaß. Also dachte ich: Mach ich es gemütlich. Unten in der Markthalle hatte ich Kerzen gesehen und auch Glasschalen für Knabberkram. Die Sachen waren schnell zusammen gesucht und auf dem Couchtisch Malmö arrangiert.

Während des Spiels vergaß ich eine Zeitlang, in welcher Situation ich mich befand. Ernst war ein angenehmer Gesellschafter und ich genoss es, diesen Abend nicht allein zu sein. Doch als dann das Spiel zu Ende war, wurde mir doch wieder recht beklommen ums Herz. Wie konnte das hier angehen? Normalerweise müsste ich schon hochkantig rausgeschmissen worden sein und Hausverbot auf Lebenszeit haben. Ganz zu Schweigen von der Anzeige. Welchen Straftatbestand stellte es dar, wenn man bei IKEA einzog? Hausfriedensbruch? Diebstahl? Ich hatte keine Ahnung.

Ernst gähnte und stand aus dem Sessel auf. „Danke für den schönen Abend, aber jetzt muss ich noch mal meine Tour machen und dann brauche ich einen starken Kaffee, sonst überstehe ich die Nacht nicht.“

Ich begleitete ihn noch bis zur Treppe. Noch einmal versicherten wir uns, wie angenehm wir die Gesellschaft des jeweils anderen gefunden hätten, und dass wir so etwas gerne einmal wiederholen sollten. Erleichterung machte sich bei mir breit. Ernst hatte anscheinend immer noch nicht bemerkt, dass hier nicht alles seine Richtigkeit hatte. Noch diese und nächste Nacht und dann würde ich mich vom Acker machen. Sicher würde ich noch manchmal ins Restaurant kommen, aber nur tagsüber. Zu meiner Erleichterung gesellte sich nun Trauer. Der Gedanke daran, in mein altes Leben zurückzukehren, ohne diese kleine Flucht daraus zu haben, drückte mich nieder. Wütend schluckte ich die aufsteigenden Tränen herunter. Die alte Bitterkeit stieg in mir auf. Immer wenn ich einmal etwas hatte, das mein Leben ein wenig schöner machte, wurde es mir wieder genommen. Ich wischte mir über die Augen: Wenigstens die paar Stunden, die ich noch hier hatte, würde ich genießen, das ließ ich mir nicht nehmen.

Am Montag schlief ich wieder lange. Ich schalte das Radio ein und war so zufrieden, dass ich sogar bei einigen Songs mit summte. Es war ja der Oldiesender, die Sachen kannte ich noch. Musik, die jetzt up to date war, interessierte mich nicht. Nach dem Frühstück sah ich mich in der Ausstellung um und setzte mich einen Augenblick in eines der Kinderzimmer. So hatte meines damals nicht ausgesehen. Das war eher grau gewesen. Hier war alles bunt und die Sachen luden zum Spielen ein. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es schön sein müsse, Kind in so einem Zimmer zu sein. Vielleicht wäre es auch schön ein Kind zu haben, mit diesen Möglichkeiten. Überrascht ließ ich den Teddybären fallen, den ich in meinen Händen hielt. Vielleicht war es ganz gut, dass ich erst einmal nicht mehr herkommen würde. Diese Umgebung schien einen zu korrumpieren. Es sollte schön sein, Kinder zu haben? Was sollte denn daran schön sein? Diese Biester würden mich doch nur tyrannisieren. Genau wie alle anderen. Außerdem ist es total verantwortungslos, in diese Welt Kinder zu setzen.

Ich sah mich noch einmal in dem Zimmer um und dachte kurz: Na ja, vielleicht wäre es ja doch nett ... Dann ging ich schnell in mein Wohnzimmer und las die Zeitung. Die üblichen Katastrophennachrichten rückten mir mein Weltbild wieder zurecht. Was sollten Kinder in dieser Welt? Unsere Zivilisation war verrottet und da täuschte auch kein buntes Kinderzimmer drüber hinweg.

Den Tag verbrachte ich vor dem Fernseher und mit Lesen. Ab und an machte ich mir etwas zu Essen und ansonsten ließ ich einfach meine Seele baumeln. Den wahrscheinlich erst einmal letzten Tag hier wollte ich mir nicht vermiesen lassen.

Abends kam Ernst noch einmal auf seiner Runde vorbei. Er setzte sich ein wenig zu mir und zuerst fühlte ich mich wieder leicht mulmig, doch dann entspannte ich mich. Als er ging, begleitete ich ihn wieder bis zur Treppe ins Erdgeschoss und verabschiedete mich. Gerade, als ich überlegte, ob ich ihn nicht bitten sollte, mich durch den Personalausgang rauszulassen, damit ich den Stress und die Angst morgen früh vermeiden konnte, sagte er: „Übrigens Martin, bevor du morgen gehst, sollst du ins Chefbüro kommen.“ Ich fühlte mich, als wenn mir jemand mit voller Kraft in den Magen geboxt hätte, und stammelte: „Wie? Warum soll ich ins Chefbüro?“

Ernst klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter: „Nun mach dir nicht gleich ins Hemd. Jürgens hat angerufen, der Standortleiter hier, und wollte wissen, ob alles in Ordnung ist. Da habe ich ihm gesagt: Dass ich es nicht okay finde, dass sie mich nicht informiert haben, dass das Experiment bereits gestartet ist.“ Er grinste: „Einen Moment dachte ich, der weiß gar nichts davon, so perplex wie der war, aber dann meinte er nur, Ach ja, ich erinnere mich. Sagen Sie dem Herrn, ich möchte ihn morgen um 07:30...



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