E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Bréau Ein fast perfekter Urlaub
Version 1.V01
ISBN: 978-3-8437-1834-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vier Heldinnen, die Bretagne und das übliche Beziehungschaos
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1834-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Adèle Bréau ist Journalistin, erstellt Psycho-Tests für die Frauenpresse, hat die Website Terrafemina.com mitgegründet und unterhält einen Blog, auf dem sich Frauen untereinander austauschen (adeledebrief.wordpress.com).
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3.
»Wissen Sie eigentlich, dass Sie eine Quelle der Inspiration für die Frauen Ihrer Generation sind?«
Da hatte sie den Salat. Egal, wie sehr sie sich inzwischen an die anstrengenden Interviews gewöhnt hatte, so ließ sie sich doch noch zu leicht von diesen hirnrissigen Fragen aus dem Gleichgewicht bringen. Sie, eine Quelle der Inspiration? Wieso mussten diese Journalistinnen sie bloß immer auf einen Sockel heben? Der Vater ihrer Tochter hatte sie für eine Bloggerin im Teeniealter verlassen. Sie selbst fing beim geringsten Missgeschick an zu stottern, stieß sich an Möbelstücken, hatte nie gelernt, sich vernünftig zu frisieren, und war immer noch fassungslos darüber, dass trotz allem ein derart charismatischer Mann wie Frédéric Bardin sie als Traumfrau betrachten konnte. Kurzum, trotz der Lorbeeren, die sie von der Presse erntete, seitdem sie zur Star-Fernsehköchin avanciert war, trotz der schönen Fotos von ihr – sämtlich retuschiert –, die hier und da erschienen waren (und die Laura eingerahmt und überall bei ihnen in der Wohnung aufgehängt hatte) –, und obwohl sie von ihren zahlreichen Fans oft auf der Straße erkannt wurde, fühlte sie sich noch immer wie eine Hochstaplerin.
»Eine Quelle der Inspiration? Übertreiben Sie nicht ein bisschen?«
»Nein, ich glaube nicht. Denken Sie daran, wie viele Mütter in Ihrem Alter genau wie Sie mit einer Scheidung fertigwerden müssen, und Sie beweisen ihnen, dass man sich trotz allem weiterentwickeln und eine bewundernswerte Karriere machen kann, noch dazu in einem sogenannten Männerberuf, dass man die Liebe wiederfinden kann und sogar … Dürfen wir darüber reden? Alice?«
Wortlos deutete die Journalistin mit einer leichten Kinnbewegung auf den kleinen, bisher kaum sichtbaren Bauch von Alice, die gegen ihren Willen errötete. Zwar hatten sich ihre Brüste gerundet, zum größten Entzücken von Fred, der nicht müde wurde, jeden Abend sein Gesicht darin zu vergraben, aber ihr war nicht klar gewesen, dass man ihr ihren Zustand bereits ansah. Sie schüttelte leicht den Kopf. Nein, das möchte ich nicht, noch nicht. Es ist noch zu früh. Dieses so fragile Glück wollte sie für sich behalten, für sich und Frédéric. Und außerdem war eine Schwangerschaft mit knapp vierzig nicht mehr so unproblematisch und selbstverständlich wie damals bei Laura. Diesmal musste sie sich einer ganzen Reihe von Untersuchungen unterziehen, wie der unsympathische Gynäkologe gemahnt hatte, an den sie sich gleich nach den ersten Schwangerschaftsanzeichen gewandt hatte. Die Speisen hatten plötzlich ihren Geschmack verändert, schon der Anblick von manchen rief Übelkeit hervor, und ihre Brüste schmerzten.
»Madame, Sie sind schwanger«, hatte er mit ernsthafter Miene festgestellt, als spräche er mit einer undisziplinierten Schülerin, die ihre Grenzen überschritten hatte. Also wirklich, wie leichtsinnig die Frauen heutzutage waren. Mit fast vierzig Mutter zu werden, das war doch geradezu unnatürlich! Aber nein, sie wollten den Stars nacheifern, eine zweite Jugend herausschinden und in einem Alter ein Baby vorzeigen, in dem ihre eigenen Mütter damals der wohlverdienten Menopause entgegenfieberten. Für die Männer war das natürlich etwas ganz anderes, die konnten noch im hohen Alter Vater werden, man denke bloß an Charlie Chaplin. Ja, vielleicht waren sie sogar eher dafür geschaffen, eine gelassene Vaterschaft in einem Alter zu akzeptieren, in dem sie endlich ihren Ehrgeiz aufgegeben haben. Aber diese Frauen, was dachten die sich? Alice hatte all diese Vorwürfe aus dem Blick und den übertriebenen Seufzern des alten Arztes herausgelesen, der in seiner Praxis im 16. Arrondissement thronte. Was war ihr nur eingefallen, fünfzehn Jahre nach dem ersten Kind noch einmal ein zweites zu bekommen? Würde sie überhaupt die Kraft haben, noch einmal eines großzuziehen? Nachts aufzustehen, das Geschrei zu ertragen, die Koliken, den nächtlichen Terror, die endlose Zeit bis zum Einschlafen, den Kindergarten, die Schule, das stundenlange Warten, wenn sie abends ausgingen, mit wie viel, mit über fünfzig? Würde sie damit umgehen können, ihren Kinderwagen neben den jungen Müttern im Park herzuschieben, die sich wahrscheinlich fragen würden, ob sie die Mutter, die Tante, oder vielleicht die sehr junge Großmutter des Babys war? Nein, jetzt übertrieb sie! »Spinnst du, Alice?«, hatten ihre Freundinnen erwidert, als sie ihre Zweifel mit ihnen geteilt hatte. Éva hatte gerade Jef bekommen, und alle Welt fand das normal. Aber Éva war ein wenig jünger als sie und die anderen – nur um drei Jahre, aber es war ein Unterschied. Und außerdem war es ihr erstes Kind, sie machte nicht so einen Unsinn und fing noch einmal von vorn an, in einem Alter, in dem ihre eigene Tochter schon zur Frau wurde. Daher hatte Alice lange gewartet, bis sie es Fred sagte, der, wie sie wusste, davon träumte, Vater zu werden. Sie hatte gesehen, wie er mit seinem Neffen Jérémy umging, dem Sohn seiner Schwester Anouk. Aus diesem Grund hatte sie beschlossen, dem Schicksal die Entscheidung zu überlassen, ob sie schon zu alt für Kinder war oder nicht. Los, entscheide du! Und es hatte für sie entschieden. Außerdem musste man hinzufügen, dass sie und Fred diesem Schicksal kräftig nachgeholfen hatten, indem sie sich mit wiederentdeckter jugendlicher Leidenschaft dem Sex hingegeben hatten, in ihrem Fall nach einer langen Durststrecke und ehelicher Langeweile. Im Blick dieses Mannes, der verrückt nach ihr war, hatte Alice eine Lust wiedergefunden, von der sie geglaubt hatte, sie sei für immer eingeschlafen. Doch dann war die brennende Leidenschaft uneingeschränkt wiedererwacht, so wie sie mit vierzehn in ihr aufgeflammt war, als die Jungs im Sommer zum ersten Mal Flirtversuche unternommen hatten.
Ungehemmt stürzten sie sich aufeinander, wenn sie sich abends in Freds Wohnung trafen, die schon nach kurzer Zeit zum Schauplatz ihrer großen Liebe geworden war, dem Refugium ihrer erneuerten Beziehung. Während der Arbeit im Restaurant kam es manchmal vor, dass sie sich kneifen musste, um dieses brennende Feuer zu zügeln. Sie begnügten sich damit, sich vielsagende Blicke zuzuwerfen und die glimmende Begierde anzufachen, die sie nicht mehr verließ, bis sie sie endlich stillen konnten. Vor lauter Ungeduld hatten sie es sogar schon in der Speisekammer, auf der Toilette des Restaurants und einmal sogar im Hotel am Ende der Straße getrieben, einem nicht besonders ordentlichen Etablissement, wo sich niemand darüber gewundert hatte, als sie nur eine Stunde nach dem Einchecken ihr Zimmer wieder verlassen hatten, kichernd wie in flagranti ertappte Jugendliche. Infolgedessen war Alice schnell schwanger geworden und hatte sich unweigerlich schuldig gefühlt, als sie die Bestätigung erhalten hatte. Sie würde erneut Mutter werden, mit allem, was dazugehörte. Zumindest, wenn sie nicht abtrieb und sich dazu entschloss, ihre Romanze so weiterzuführen wie bisher. Denn so glücklich Fred auch sein würde, wenn er die Neuigkeit erfuhr – würde dieses Kind nicht unweigerlich das Ende der Harmonie einläuten, so wie es den meisten Paaren ging, die eines Tages beschlossen hatten, ihr Glück und ihre Sorglosigkeit mit einem Neugeborenen zu teilen? Sollte sie nicht lieber das Glück genießen, zu zweit zu sein, genug Geld zu haben, beruflich erfolgreich zu sein, und, in ihrem Fall, eine zweite, diesmal unbeschwerte Jugend zu erleben? Nein, das wäre zu egoistisch. Und wenn sie darüber nachdachte, wusste sie genau, dass sie jetzt, wo es passiert war, niemals das Risiko eingehen würde, dieses Baby zu verlieren und es hinterher zu bedauern, denn in ihrem Alter so natürlich und schnell schwanger zu werden, grenzte an ein Wunder. Also hatte sie es Fred bei der Einweihung von Max’ Restaurant erzählt. An diesem Abend waren sie alle in einem bunten Haufen mehr oder weniger harmonisch vereinter Freunde und Bekannter beisammen gewesen, und nachdem sie es einmal ausgesprochen hatte, gab es kein Zurück mehr. Wenn sie an dieses vergangene Jahr dachte und wie es ihrer aller Leben durcheinandergewirbelt hatte, streichelte Alice ihren Bauch, während die Journalistin ihr gegenüber allmählich ungeduldig wurde.
»Nein, ich möchte lieber nicht darüber reden«, beschloss Alice. »Einige meiner Freundinnen wissen noch nicht Bescheid, und ich möchte nicht, dass sie es aus der Zeitung erfahren.«
»Natürlich«, antwortete ihre Gesprächspartnerin mit enttäuschter Miene. »Aber würden Sie mir denn das Recht der Erstveröffentlichung einräumen? Unsere Leserinnen verehren Sie, Alice, und noch mehr: Sie verehren Sie und Fred als Paar. Sie haben ja keine Ahnung, wie viele E-Mails und Briefe hereinströmen, sobald wir Ihnen einen Artikel widmen. Dieses Baby ist das i-Tüpfelchen einer wunderbaren Geschichte. Das Publikum ist begierig auf solche ›normalen‹ Leute wie Sie, denen sie sich nahe fühlen, als gehörten sie zu ihrer Familie. Also dieses Baby, in Ihrem Alter – nehmen Sie es mir nicht übel, Sie sind noch sehr jung, natürlich, das wollte ich nicht damit sagen, aber …«
Alice lächelte ihr beschwichtigend zu. Natürlich...