E-Book, Deutsch, 190 Seiten
Bratu / Dittmeyer Theorien des Liberalismus zur Einführung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96060-108-1
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 190 Seiten
ISBN: 978-3-96060-108-1
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Recht auf Freiheit bildet das normative Kernelement des Liberalismus. Doch worin besteht diese Freiheit genau? Und was für ein Staat resultiert daraus, wenn den Bürger*innen ein solches Recht auf Freiheit zugesprochen wird? In dieser Einführung wird zunächst – u.a. ausgehend von den Theorien von Kant, Gerald Gaus, Habermas, Locke, Mill, Rawls und Joseph Raz – diskutiert, welche verschiedenen Auffassungen von Freiheit es gibt und welche davon sich der Liberalismus aus welchen Gründen zu eigen macht. Im Anschluss werden verschiedene Formen des Liberalismus voneinander unterschieden und die Rolle von Toleranz, Neutralität und Privatheit im semantischen Feld des Liberalismus geklärt. Abschließend stellt der Band klassische Kritiken am liberalen Paradigma vor und fragt, wie sich dieses zur Frage offener Grenzen verhält.
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2. Die normative Grundannahme des Liberalismus: Das Recht auf Freiheit
In Kapitel 1 haben wir deutlich gemacht, dass der Liberalismus als politische Philosophie eine Theorie zur Grenze staatlicher Legitimität ist. Zudem haben wir angedeutet, wo diese Grenze dem Liberalismus zufolge verläuft, nämlich entlang des Rechts auf Freiheit der Bürger*innen. In diesem Kapitel wollen wir nun das Recht auf Freiheit – die normative Grundannahme des Liberalismus – im Detail beleuchten. Genauer gesagt wollen wir diskutieren, was wir unter Freiheit verstehen sollten, d.h. welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir von einer Person oder einer Menge von Personen (wie etwa einer Bürgerschaft) behaupten können, sie sei frei (Kapitel 2.1). Dabei wird sich zeigen, dass Freiheit ein Konzept ist, über dessen Inhalt sich sinnvoll streiten lässt und in der Philosophiegeschichte auch viel gestritten wurde. Im Anschluss daran werden wir erörtern, was es bedeutet, wenn den Bürger*innen vom Liberalismus ein Recht auf Freiheit zugesprochen wird und inwiefern sich die daraus resultierenden unterschiedlichen Formen eines liberalen Staates – jeweils in Abhängigkeit von dem ihnen zugrunde liegenden Verständnis von Freiheit – unterscheiden (Kapitel 2.2). 2.1 Verschiedene Freiheitsbegriffe
Bevor wir mit unserer Diskussion der verschiedenen Konzepte von Freiheit beginnen, müssen wir allerdings auf drei grundsätzliche Einschränkungen hinweisen. Zum einen werden wir uns im Folgenden ausschließlich mit Handlungsfreiheit beschäftigen. Wir möchten also klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir von einer Person A behaupten können, sie sei frei zu einer bestimmten Handlung x. Handlungsfreiheit ist nicht die einzige Spielart von Freiheit, mit der sich Philosoph*innen beschäftigt haben. Ein großer Teil des philosophischen Diskurses um Freiheit dreht sich um Willensfreiheit und damit um die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir von einer Person A behaupten können, sie sei frei dazu, ihre Motive und Wünsche selbständig auszubilden und ihren Willen zu bestimmen. Diese zweite Spielart von Freiheit werden wir im Folgenden ausblenden, so dass immer Handlungsfreiheit gemeint ist, wenn wir in nicht näher spezifizierter Weise von Freiheit sprechen. Denn als Ansatz der politischen Philosophie, der das Verhältnis der Bürger*innen untereinander bzw. zum Staat in den Blick nimmt, geht es dem Liberalismus darum, sinnvoll festzulegen, was die Akteur*innen tun (und nicht: wollen) können, also um ihre Handlungsfreiheit. Zum anderen geht es uns um Handlungsfreiheit in einem deskriptiven und nicht in einem normativen Sinne. D.h., wir möchten klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir von einer Person A behaupten können, sie sei frei zu einer bestimmten Handlung x in dem Sinne, dass ihr x möglich ist bzw. sie x tun kann. Fragt man nach der normativen Freiheit einer Person A zu einer Handlung x, so fragt man stattdessen danach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir von A behaupten können, sie sei frei zu x in dem Sinne, dass sie x tun darf oder dass es ihr erlaubt ist, x zu tun. Der Grund, aus dem wir uns auf Handlungsfreiheit im deskriptiven Sinne beschränken, ist natürlich nicht, dass es im Liberalismus nicht darum geht zu klären, was Menschen tun dürfen und was nicht. Aber das normative Setup des Liberalismus, d.h. wie dieser seine normative Grundannahme wählt, erlaubt es uns, die Frage nach der deskriptiven Freiheit der Akteur*innen und die nach ihrer normativen Freiheit getrennt voneinander zu betrachten. Wie in Kapitel 1 dargestellt, ist die normative Grundannahme des Liberalismus, dass die Bürger*innen eines liberalen Staates ein Recht auf Freiheit haben. Die Freiheit, zu der die Bürger*innen berechtigt sind, kann aber nicht deren normative Freiheit sein. Denn es wäre seltsam, würde der Liberalismus den Bürger*innen das Recht zusprechen, das zu tun, was sie ohnehin dürfen oder was ihnen erlaubt ist. Wenn bereits bestimmt ist, wozu die Bürger*innen im normativen Sinne frei sind, d.h. welche Handlungen sie ausführen dürfen, trägt die Behauptung, dass sie auch das Recht haben, entsprechend zu handeln, nichts Neues zu ihrem normativen Status bei. Die Freiheit, zu der die Bürger*innen dem Liberalismus zufolge berechtigt sind, muss also deren deskriptive Freiheit sein: Sie haben das Recht, gewisse Dinge tun zu können. Ausgehend von dieser Einsicht wollen wir uns der Frage nach dem, was die Bürger*innen tun dürfen, in zwei Schritten nähern. Im ersten Schritt klären wir, wann die Bürger*innen dem Liberalismus zufolge frei im deskriptiven Sinne sind, also welche Bedingungen vorliegen müssen, damit sie frei handeln können. Im zweiten Schritt stellen wir fest, warum ihnen im Sinne des Liberalismus das Recht auf diese Freiheit zukommt, und folgern daraus, wozu sie im normativen Sinne frei sind, d.h. was sie tun dürfen. Schließlich wollen wir betonen, dass wir Handlungsfreiheit als lokales Konzept und nur in abgeleiteter Hinsicht als globales Konzept diskutieren. Denn im Folgenden werden wir immer danach fragen, ob eine Person A in oder zu einer spezifischen Handlung x und nicht ob sie insgesamt frei ist. Zwar sprechen wir im Alltag häufig so, als sei Freiheit ein globales Konzept, d.h. ein Konzept, das man pauschal auf Personen oder Gruppen anwenden könnte, etwa wenn wir danach fragen, ob eine Person oder eine Gruppe nun frei oder unfrei sei. Mit dem begrifflichen Instrumentarium, das wir hier einführen, kann man solch globale Urteile nur als Zusammenfassungen verstehen, die viele lokale Urteile bündeln. D.h., wenn man behauptet, eine Person A sei insgesamt oder global frei, behauptet man eigentlich, dass A zu allen möglichen oder zumindest zu sehr vielen einzelnen Handlungen und also in vielfacher Hinsicht lokal frei ist. Der Vorteil eines solchen lokalen Ansatzes ist, dass Freiheit dadurch zu einem Konzept wird, das verschiedene Freiheitsgrade zulässt und nicht binär gedacht werden muss. Je nachdem, zu wie vielen Handlungen eine Person lokal frei ist, ist sie global gesehen mehr oder weniger frei. Nach diesen allgemeinen Vorüberlegungen skizzieren wir nun ein Beispiel, anhand dessen wir die Unterschiede der verschiedenen Konzepte von Freiheit, die wir im Folgenden diskutieren, illustrieren wollen. Dieses Beispiel soll einen fiktiven Staat abbilden, auch wenn es sicherlich Menschen gibt, die nach wie vor unter ähnlich schwierigen politischen Bedingungen leben müssen: Im Staate S regiert eine Diktatorin, die sich vor Jahren mit Unterstützung des Militärs an die Macht geputscht hat. Einziges Ziel dieser Diktatorin ist es, sich selbst und ihr Umfeld in einer privilegierten Position zu halten, und hierfür ist ihr jedes Mittel recht. Für die Bürger*innen von S hat die Machtbesessenheit der Diktatorin und ihrer Führungsriege schwerwiegende Konsequenzen: Nacht für Nacht nimmt die Geheimpolizei – treues Instrument der Machthaberin – Hausdurchsuchungen vor und fahndet nach Dissident*innen. Diese werden in öffentlichen Schauprozessen zu drakonischen Strafen verurteilt, meist verschwinden sie auf Jahre zur Zwangsarbeit in Lagern. In allen größeren Städten werden jeden Abend über Lautsprecher die vermeintlichen Heldentaten der Diktatorin gepriesen, und den Bürger*innen wird eingeschärft, dass ihre Zukunft und die ihres Landes in den Händen der Führungsriege liegen. Es gibt keine Bildungsmöglichkeiten. Kinder werden schon früh für bestimmte Berufsgruppen ausgewählt und dann in sogenannten Kaderschmieden auf diese vorbereitet. Das Reisen ist den Bürger*innen von S ebenfalls verboten, nicht einmal innerhalb von S dürfen sie ohne vorherige Genehmigung der Behörden herumfahren. Allerdings gäbe es in S ohnehin auch nicht mehr viel zu sehen und zu besuchen, da die Diktatorin und ihr Clan das Land systematisch ausplündern. Alle Kulturgüter wurden bereits verschachert, und auch die natürlichen Ressourcen von S werden nach und nach zur Bereicherung der Diktatorin ins Ausland verkauft, während die Bürgerschaft in umfassender Armut lebt. Nach außen hin will sich die Diktatur den Anstrich legitimer Herrschaft geben. Daher erlässt sie Dekrete, die angeblich auf das Wohl der Bevölkerung abzielen, und verbietet z.B. fettige, ungesunde Nahrungsmittel und den Konsum von Drogen. Auch finden regelmäßig Wahlen statt, aber zu diesen tritt nur die Partei der Diktatorin an. Weder die Medien noch die Gerichte können die Wahlen kritisch überwachen, denn keine von beiden Instanzen ist unabhängig von den Eingriffen der Machthaberin. Intuitiv erscheint uns die Situation der Bürger*innen von S als moralisch ungerechtfertigt, d.h., den Menschen in S wird von der Diktatorin Unrecht angetan. Müssten wir diesem Unrecht einen Namen geben, läge es nahe, dieses als Freiheitsberaubung zu bezeichnen. Intuitiv ist die Situation der Menschen in S also ein Fall von Freiheitsberaubung. Aber auf welchen der vielen dargestellten skandalösen Sachverhalte stützt sich dieses Urteil eigentlich? Was genau stellt eine Freiheitsberaubung...