E-Book, Deutsch, 330 Seiten
Brannighan Botschaft in Stücken
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948972-25-7
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Norwegen-Thriller
E-Book, Deutsch, 330 Seiten
ISBN: 978-3-948972-25-7
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cole Brannighan kam 1981 als Einwandererkind in Aschaffenburg zur Welt. Dort entdeckte er das Lesen für sich und begann, im Rettungsdienst zu arbeiten. Zum Studium zog es ihn nach Frankfurt, wo er als psychosozialer Berater tätig ist. Seine Leidenschaft fürs Schreiben entflammte 2015, als er eines Morgens inspiriert aufwachte und begann, sein erstes Buch zu schreiben. Diese Energie treibt ihn bis heute an, seine Fantasie zu entfesseln und die Unfassbarkeiten der menschlichen Psyche packend zu beschreiben.
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1 Alltagsgeschäft
Mit einem leichten Summen fuhren die automatischen Jalousien hoch und rasteten ein. Regentropfen liefen die Scheibe herunter, vereinten sich mit anderen und flossen wie durch Adern über das Glas. Vor der Villa wippten die jungen Kiefern des Waldes im Wind sachte in der Morgendämmerung hin und her.
Magnus rieb sich den Schlaf aus den Augenwinkeln und richtete sich im Bett auf. Seine Glieder fühlten sich steif an. Wo bin ich, dachte er. Odda, Norwegen, zu Hause, antwortete der Teil seines Verstandes, der weniger wehtat.
»Aufwachen, Schlafmütze!«, rief Medina aus dem Erdgeschoss.
Magnus erinnerte sich, dass er mit ihr Wein getrunken und sie mit nach Hause genommen hatte. »Verdammt«, murmelte er und wuchtete sich aus dem Bett. Ein Pochen in den Schläfen verriet ihm, dass er mit neununddreißig Jahren nicht mehr so trinken konnte wie während seiner Ausbildung zum Bankkaufmann.
Er stand auf, zog sich seine Boxershorts an und ging zum Badezimmer. Vor dem Spiegel stellte er sich der Bestandsaufnahme: Seine schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab, das Lindgrün seiner Augen wirkte matt über den Ringen unter seinen Lidern. Sie waren fein und dezent und doch zeugten sie von einem Leben, das sich langsam in die andere Richtung neigte.
Wann zum Teufel hatte er den Scheitelpunkt überschritten?
Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn mit dem Grübchen. Die vereinzelten weißen Barthaare passten zu den grauen Haaren an seinen Schläfen. Beides störte ihn, störte seine Eitelkeit. Vielleicht war es an der Zeit, mit dem Haarfärben zu beginnen.
»Du hast es immer noch drauf«, sagte er zu sich selbst. »Du bist dynamisch, siehst gut aus und kannst junge Frauen klarmachen.« Während die Worte seine Lippen verließen, fehlte seinen Augen der Glanz des unerschütterlichen Selbstbewusstseins, das vor zehn Jahren noch ein anderes gewesen war. Er nahm sich den Trockenrasierer aus der Schublade unter dem Waschbecken und begann, sich fertig zu machen.
* * *
Medina stand in der Wohnküche und drückte eine Taste auf der Kaffeemaschine. Mit einem Brummen startete der Apparat, mahlte die Bohnen und schäumte dann die Milch für den Caffè Latte auf.
Während Magnus sich im Stehen abmühte, seine Krawatte zu binden, genoss er Medinas Anblick.
Sie war zweiundzwanzig und eine wahre Schönheit. Ihr langes, glattes, braunes Haar fiel ihr über die Schultern. Es strahlte im Licht der Deckenleuchten. Um ihre schmale Hüfte trug sie einen senfgelben Gürtel, der einen Kontrast zu ihrem blauen Hosenanzug bildete. Sie nahm sich ihre Ohrringe von der Küchenanrichte und steckte sie an.
Auf der Kochinsel mit den Barhockern standen Knäckebrot, brauner Käse und Erdbeermarmelade bereit.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte Medina und sah Magnus an, der sich mit seiner Krawatte abmühte. Sie lief zu ihm und unterstützte ihn beim Knoten. »Hast du gestern einen Albtraum gehabt? Du hast gezuckt und gestöhnt, voll spooky.«
»Weiß nicht, kann mich nicht erinnern.« Magnus ließ sie gewähren, da sich sein Kopf anfühlte, als wolle er bersten. Im Gegensatz zu ihm sah sie fit und wach aus.
»Ich habe im Internet gelesen, dass Leute, die am Anfang des vierzigsten Lebensjahres stehen, nicht so heftig feiern sollten. Der Stoffwechsel sei nicht mehr derselbe.«
»Nicht mehr derselbe? Quatsch! Ich muss nur mehr Sport machen, das ist alles«, log Magnus. Alter passte nicht zu dem Bild, das er von sich selbst hatte. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Sag mal, was ist mit deinem Freund?«
»Mit Murat?«, fragte Medina, band die Krawatte etwas zu fest, setzte sich an den Küchentisch und kramte einen Schminkspiegel aus ihrer Handtasche. »Was soll mit dem sein?« Sie klang gereizt.
Magnus lockerte den Knoten und klappte den weißen Kragen herunter. »Du bist noch nie über Nacht geblieben. Wird er sich keine Gedanken machen?«
»Nee, der ist dumm wie Brot. Hat beim Boxen den Gong nicht gehört. Ich habe ihm gestern eine Message geschickt, dass ich bei meiner Tante Leyla übernachte.«
»Und was, wenn er diese Tante fragt?«
»Er hasst diese Tante. Auch wenn er eifersüchtig ist, würde er sie nie anrufen.«
»Sicher?«
»Ganz sicher, sie hat ihn mal verprügelt.«
»Was? Murat ist 1,90 m groß!«
»Tante Leyla ist 1,60 m. Also keine Angst, wenn sie ihn schon vermöbeln kann, tut er dir nix.«
»Ich habe keine Angst vor ihm«, stellte Magnus klar und setzte sich an den Tisch. Er nahm sich ein Knäckebrot und bestrich es mit Butter. Insgeheim hatte er Respekt vor dem Erwischtwerden, da das eine Menge Ärger nach sich ziehen würde. Doch das war ja das Gute an einer Affäre. Das Spiel mit der Gefahr, die verbotene Frucht und vor allem der knackige Hintern von Medina waren es wert, diese Affäre zu unterhalten, auch wenn es ihn ein Vermögen kostete.
Medina trug Eyeliner auf, klappte den Spiegel zusammen und zückte ihr Handy. Ihre Finger mit den langen Nägeln klackten wie Trommelfeuer über das Display. »Beeil dich, du musst die Bankfiliale aufschließen, Chef.«
»Ja, keine Sorge, wir schaffen es rechtzeitig. Ach, übrigens, wir verkaufen diese Woche Bausparverträge.«
»Wird denn in Odda so viel gebaut? Wir haben ja nicht mal 8.000 Einwohner.«
»Ist doch egal. Das bringt Kohle. Die Direktion gibt eine gute Provision für jeden Abschluss. Hast du Verwandte, die einen Bausparvertrag haben wollen?«
»Vergiss es. Ich trenne Berufliches von Privatem.«
»Und du sitzt bei deinem Chef zu Hause am Tisch?«, bemerkte Magnus und zog die linke Braue hoch.
»Das ist was anderes und hör auf, mich auszufragen, iss lieber etwas.«
Magnus wollte in sein Knäckebrot beißen, doch er entschied sich dagegen. Allein beim Gedanken an feste Nahrung rebellierte sein Magen. Stattdessen griff er nach dem Caffè Latte und gönnte sich einen Schluck. »Das Frühstück werde ich auslassen. Wieso isst du denn nichts?«
Medina wandte die Augen nicht vom Bildschirm ab. »Neue Diät, morgens nix, mittags Nudeln und abends Salat.«
»Ist das wieder aus einem dieser Frauenblogs?«
»Ja.«
»Du weißt, dass das Müll ist, oder?«
»Sagt der Silberrücken«, erwiderte sie und hielt ihr Handy so, dass sie ein Selfie von sich schießen konnte.
Magnus grinste schief. Er liebte ihre kecke Art. »Sag mal, diese Ohrringe sehen teuer aus. Hab ich dir wieder ein Geschenk gemacht, von dem ich nichts weiß?«
»Ja, danke übrigens. Hab dir die Kreditkarte wieder in den Geldbeutel gesteckt. Schön, dass du mich hin und wieder mit Kleinigkeiten verwöhnst, du bist sehr aufmerksam.«
»Gern geschehen, ich wusste nicht, dass ich so ein guter Lover bin. Da wir beide nichts vom Frühstück haben, sollte ich mal wieder ans Geldverdienen denken, damit ich mir weiterhin diese Geschenke leisten kann. Ich würde sagen, ich fahre vor und du kommst nach. So bekommt Grethe nichts mit.«
»Echt jetzt?«, fragte Medina, legte den Kopf schräg und machte ein Duckface, nur um ein weiteres Selfie zu schießen. »Sie mag in den Fünfzigern sein, doch das heißt nicht, dass sie nicht checkt, was abgeht. Bei nur zwei Angestellten in deiner kleinen Bankfiliale ist es gar nicht möglich, dass sie das nicht mitkriegt.«
Magnus biss sich auf die Unterlippe. Ihm schmeckte der Gedanke nicht, dass seine wertvollste Angestellte wusste, was er privat so trieb und mit wem. Hoffentlich würde das Arbeitsklima nicht leiden. »Okay, dann fahren wir gemeinsam los«, sagte er resigniert.
Sie räumten noch schnell das Frühstück ab, bevor sie sich auf den Weg machten.
Während Medina schon das Haus verließ, nahm sich Magnus den Schlüsselbund von der Anrichte und blieb an der Haustür stehen. Auf der Eingangsstufe lag ein kleines, braunes Päckchen. Durch den Regen, der mittlerweile abgeebbt war, hatte sich die Oberfläche gewellt und die Tinte war verlaufen. Der Empfänger war nicht zu erkennen. Nicht selten landete ein Paket für den Nachbarn bei ihm vor dem Haus, doch er hatte im Moment weder die Zeit noch den Kopf, um sich mit solchen Belanglosigkeiten herumzuschlagen. Er legte es auf dem Schuhschrank ab, schloss die Tür und warf Medina den Schlüssel zum SUV zu.
Magnus war kalt und er überlegte, eine Jacke mitzunehmen, doch er entschied sich dagegen. »Fahr du heute, ich brauche noch eine Weile, bis ich auf dem Damm bin.«
Medina ließ den BMW an, rollte mit dem Wagen vom Hof auf die Straße und gab Gas.
Magnus bereute, dass er die 211-PS-Version gewählt hatte, da ihm die Beschleunigung den Kopf entschieden zu stark in die Kopfstütze drückte. »Muss das sein? Wir fahren doch kein Rennen!«
»Hab dich nicht so, wozu hast du so ein Auto, wenn du damit nicht Gas gibst?«, tat sie seine Beschwerde ab und fuhr schwungvoll die kurvige Straße, vorbei an den anderen Villen, hinab nach Odda.
Die roten und senfgelben Häuser schmiegten sich in das Tal zwischen zwei schroffen Bergen, deren Spitzen mit Schnee bedeckt waren und sich auf dem Wasser des Sørfjords spiegelten. Magnus blinzelte, als das Licht der aufgehenden Sonne golden auf dem Schnee glänzte und das Tal langsam mit Licht flutete. Damit ihm bei den Serpentinen nicht schlecht wurde, fixierte Magnus den Holzturm der alabasterfarbenen Kirche, der sich von den Gebäuden am Ufer abhob. Er hoffte, dass Medina zumindest in den verkehrsberuhigten...