E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Brandis Woodwalkers & Friends. Katzige Gefährten
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-401-80926-7
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Special zur Bestseller-Reihe "Woodwalkers"
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-401-80926-7
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katja Brandis, geb. 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat inzwischen zahlreiche Romane für junge Leser*innen veröffentlicht. Sie lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München. www.katja-brandis.de
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Keine Jagdsaison
Ich hatte gehört, dass Jugendliche in normalen Schulen Aufsätze darüber schreiben müssen, was sie in den Ferien erlebt haben. Auf der Clearwater High gab es so was nicht – das Risiko war zu groß, dass solche Aufzeichnungen einem Menschen in die Hände fielen. Denn was wir als Woodwalker taten und erlebten, war meistens geheim … und manchmal auch fellsträubend gefährlich.
So wie diese Situation, in der wir gerade steckten. Meine große Schwester Mia und ich – beide in Pumagestalt – kauerten in einem Gebüsch neben einem schrottigen braunen Pick-up, auf dessen Ladefläche aller möglicher Kram gestapelt war. Aus dem Fenster auf der Beifahrerseite des Autos ragte der Lauf eines Gewehrs heraus. Er zielte nicht auf uns, aber dafür auf eine Herde von Wapitis, die in der Morgendämmerung friedlich auf einer Lichtung weidete.
Meine Schwanzspitze pendelte vor Aufregung. Das geht gar nicht, sagte ich zu Mia – lautlos, von Kopf zu Kopf. So, wie wir uns immer verständigten, wenn wir in unserer Tiergestalt waren. Ich werde nicht zuschauen, wie er die abknallt!
Früher hast du gerne Wapiti gefressen, meinte Mia ein bisschen erstaunt.
Ich spürte, wie die Tasthaare an meiner Schnauze nervös zuckten. Zum Glück war der Wilderer noch nicht bereit zu schießen, gerade hörte ich ihn im Führerhaus ein Dosenbier gluckern. Ja, früher! Als ich Lou noch nicht kannte – du weißt schon, dieses nette Wapitimädchen in meiner Klasse, das ich mag. Also, was ist? Wir müssen was machen!
Stimmt, sagte Mia und bleckte die Fangzähne, die so lang waren wie Menschenfinger. Nein, sie war kein niedliches Kätzchen, sondern eine vierzig Kilo schwere Raubkatze. Was schlägst du vor? Wir könnten auf sein Auto springen und es ein bisschen zerkratzen, das lenkt ihn vielleicht ab!
Bestimmt, aber unser Ziel ist ja nicht, dass WIR stattdessen erschossen werden, wandte ich ein. Als Menschen könnten wir hier mehr ausrichten. Zu blöd, dass wir unsere Klamotten bei der Schule gelassen haben.
Lautlos verließ ich das Gebüsch und pirschte geduckt, sodass der Kerl mich nicht sah, um das Auto herum. Auf der offenen Ladefläche lag unter anderem eine alte, karierte Decke. Prompt hatte ich eine Idee. Schnell erklärte ich Mia, was ich vorhatte, und sie schaute mich mit großen Augen an. Meinst du wirklich, das klappt?
Etwas anderes fällt mir gerade nicht ein, sagte ich hastig. Los, beeil dich, er kann jederzeit anfangen rumzuballern!
Mia schlich davon. In so was war sie ein Profi – wenn sie nicht gesehen werden wollte, sah sie auch keiner. Ich dagegen blieb, wo ich war, konzentrierte mich und stellte mir den blonden vierzehnjährigen Jungen mit grüngoldenen Augen vor, der ich in meiner Menschengestalt war. Schon spürte ich, wie ein Kribbeln meinen Körper durchzog und wie er begann, die Form zu ändern. Aus meinen Vorderpranken wurden wieder Hände, aus den Hinterläufen Beine und Füße. Meine Ohren schrumpften und zogen sich an die Seite des Kopfes zurück, die Fangzähne wurden zu meinem harmlosen Menschengebiss. Weh tat das alles zum Glück nicht und ich war längst daran gewöhnt. Ein paar Wimpernschläge später kauerte ich pelzlos hinter dem Wagen, fröstelte im kühlen Nachtwind und wünschte mir den Pullover und die Hosen zurück, die ich leider ein paar Hundert Kilometer von hier entfernt versteckt hatte. Vorsichtig zog ich die Decke von der Ladefläche und wickelte mich hinein.
Als der Wilderer hörte, wie ich an das Fenster auf der Fahrerseite klopfte, ließ er vor Schreck fast sein Gewehr fallen. Er streifte sich mit einer Hand hastig das Nachtsichtgerät vom Kopf und blickte erst ertappt drein und dann erstaunt. Wahrscheinlich hatte er mit einem Ranger gerechnet und nicht mit einem ziemlich ungewöhnlich angezogenen Jungen. Schließlich waren wir hier meilenweit von der nächsten Siedlung entfernt, mitten im von einzelnen Kiefern getupften Grasland. Auf der schmalen Straße war schon ewig kein Auto mehr vorbeigekommen.
»Sir, dürfte ich Sie einen Moment stören?«, fragte ich so höflich, wie ich es in Menschenkunde gelernt hatte.
Der Mann ließ das Fenster heruntersurren. »Was zum Teufel machst du hier, Bursche?«, motzte er mich an.
»Sie wissen schon, dass keine Jagdsaison ist?«, fragte ich zurück. »Wenn Sie schießen, machen Sie sich strafbar.«
Wie ich erwartet hatte, lachte er mich aus. »Was interessiert dich das? Geh nach Hause, setz dich vor den Fernseher und schau Captain Marvel oder was euch Kinder so interessiert.«
Ich rührte mich nicht. Besser, ich lenkte ihn noch einen Moment länger ab. Aber es war ein gutes Zeichen, dass die Wapitis schon wachsam die Köpfe gehoben hatten. Hatten sie Mia gewittert? Sie schlich sich extra in Windrichtung an, damit die Huftiere jede Menge Pumageruch in die Nase bekamen.
Als ich mich nicht bewegte und den Mann weiterhin freundlich anblickte, wurde er ärgerlich. »Worauf wartest du? Scher dich weg!«
»Sie wollen also wirklich jagen, obwohl es verboten ist?«, fragte ich.
»Hau ab, Junge … sonst passiert hier gleich was, was dir gar nicht gefallen wird!«
»Ich glaube eher, es passiert was, was Ihnen nicht gefällt«, sagte ich, beugte mich ins Auto und zog seinen Autoschlüssel ab, bevor er kapiert hatte, was los war. Dann verbog ich den Schlüssel, bis er U-Form hatte. Selbst in meiner ersten Gestalt bin ich deutlich stärker als ein Mensch, was manchmal ganz praktisch ist.
Es gefiel ihm tatsächlich nicht. Selbst im schwachen Licht der Dämmerung konnte ich sehen, dass sein Gesicht so rot anlief wie der Kehllappen eines Truthahns. »Du spinnst wohl!«
Auf der Lichtung galoppierten die Wapitis davon und verschwanden im Wald.
»Nein, ich glaube nicht«, sagte ich, während der Mann wütend nach seinem Gewehr griff. Ohoh. Jetzt war der richtige Moment, um abzuhauen, schließlich waren unsere vierbeinigen Freunde in Sicherheit. Doch als ich losrennen wollte, stolperte ich über den Saum der blöden Decke und ging zu Boden, schmerzhaft bohrte sich der Schotter der Straße in meine Haut. Noch immer außer sich vor Wut knallte der Wilderer die Autotür auf und traf mich – ob absichtlich oder nicht – seitlich am Kopf. Während er aus dem Wagen sprang, sackte ich halb betäubt um und erwartete jeden Moment, dass mich harte Hände packen würden.
Passierte aber nicht. Stattdessen schrie der Mann auf.
Alles klar, Carag?, fragte Mia besorgt. Ich glaub, du kriegst eine fette Beule.
Sie lag auf dem Autodach, hatte von dort aus mit ausgefahrenen Krallen herabgeangelt und den Wilderer seitlich am Jackenkragen erwischt. Erstarrt vor Furcht, mit weit aufgerissenen Augen, hing er in ihrem Griff, während sie mit der anderen Pranke nachfasste. Jetzt sah es so aus, als würde sie seinen Hals von hinten umarmen.
Glaub ich auch, antwortete ich und befühlte meinen Kopf. Ja, da bildete sich tatsächlich eine Beule.
»Nimm mein Gewehr … knall das Vieh ab … bevor es mich umbringt … schnell!«, flüsterte der Kerl heiser.
Noch ein bisschen taumelig bewegte ich mich um sein Auto herum und holte wie gewünscht seine Knarre.
»Schieß!«, brüllte der Wilderer.
»Es ist gerade keine Jagdsaison, wie Sie wahrscheinlich wissen«, sagte ich und knallte den Lauf so lange gegen einen Stein, bis er gekrümmt war wie das Horn eines Bisons. Dann wandte ich mich wieder seinem Besitzer zu und versuchte, mich daran zu erinnern, was mein Lieblingslehrer James Bridger zu dem Wilderer gesagt hatte, in dessen Falle er mal festgesessen hatte. »Wenn Sie noch mal wildern und wenn es nur ein einziges Mal ist, dann melde ich Sie den Behörden!«
Der Wilderer wimmerte leise. Machte ihm das mit den Behörden Angst? Na ja, wahrscheinlich eher, dass Mia gerade genüsslich seine Wange abschleckte. Fühlte sich bestimmt nicht gut an, Raubkatzenzungen sind rau wie grobes Schmirgelpapier. Und ich darf wirklich nichts von ihm abbeißen?, fragte Mia.
Nein, und wir hauen jetzt ab – der Kerl hat genug, sagte ich zu ihr und ließ die Decke fallen. Auf dem Boden liegend, damit er es nicht sehen konnte, verwandelte ich mich zurück, dann markierte ich das Auto mit einem kräftigen Strahl Pumapisse. Ich wollte es zwar nicht als meins beanspruchen – ich brauchte keinen Blechhaufen! –, aber die Geste zählte.
Mit langen Sprüngen rannten Mia und ich in den Wald. Auf vier Beinen kam man zum Glück schnell voran, denn wir hatten noch ein ordentliches Stück Weg vor uns bis zu unseren Eltern, die vor ein paar Jahren von einem Wolfsrudel aus ihrem alten Revier in Yellowstone vertrieben worden waren.
Als wir in sicherer Entfernung waren, liefen wir wieder etwas langsamer.
Toll, was du in dieser Schule alles gelernt hast, meinte Mia und schleckte mir über die pelzige Schulter. Dieser Mann hat mit dir geredet wie mit einem Menschen, er hat gar nicht gemerkt, dass du keiner bist.
Ja, stimmt, gab ich zurück, knuffte sie spielerisch und nagte an ihrem Ohr. Du wirst es toll finden an der Clearwater High, die meisten Leute dort sind total nett und der Unterricht echt interessant. Solange man tagsüber in die Klasse geht, kann man nachts herumstreifen, so lange man will. Es ist so katzig, dass du im Herbst auch da sein wirst!
Eigentlich hatte Mia vorgehabt, so wie meine Eltern fast immer nur als Puma zu leben, aber dass ich auf diese Schule ging und mich dort sehr wohlfühlte, hatte sie neugierig gemacht. Vor Kurzem hatte sie beschlossen, sich...