Braig | Amra und Amir | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 202 Seiten

Braig Amra und Amir

Abschiebung in eine unbekannte Heimat
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-7899-8
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Abschiebung in eine unbekannte Heimat

E-Book, Deutsch, 202 Seiten

ISBN: 978-3-7487-7899-8
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag wird die in Deutschland aufgewachsene Amra in den Kosovo, das Herkunftsland ihrer Eltern, abgeschoben. Sie kennt weder das Land noch die Sprache und findet sich plötzlich ohne Geld, Wohnung und Arbeit in einer völlig unbekannten Welt wieder. Ihr bleibt nur das Leben auf der Straße. Um sich zu schützen schlüpft sie in die Rolle des Jungen Amir, der sich als Müllsammler und Gelegenheitsjobber durchschlägt. Neben dem alltäglichen Überlebenskampf muss sie sich schon bald auch mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen: Ist sie mehr Amra oder mehr Amir? Mehr Frau oder mehr Mann? Oder muss sie sich vielleicht gar nicht entscheiden?

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AMRA / 6.
  Erst vor wenigen Tagen hatten sie zusammen Amras Geburtstag gefeiert und nun kamen fast alle neugierig auf Ninas Hilferuf hin wieder zusammen, um zu hören, was die Dramaqueen, wie sie Nina spöttisch, aber doch liebevoll nannten, wieder zu einem Leben-und-Tod-Problem gemacht hatte. Nina war manchmal ein wenig verrückt und hatte im Laufe der Jahre schon so manche Maus zum Elefanten mutieren lassen. Aber man wusste ja nie, und ein Abend bei Pino, zusammen mit den anderen, war schließlich auch nicht zu verachten – ob nun mit oder ohne ernsthafte Probleme. In Pinos Pizzeria und Gelati-Boutique trafen sie sich seit vielen Jahren. So manches Taschengeld war zu Pino gewandert, manche geschwänzte Schulstunde hatten sie hier verbracht, und seit sie auch abends unterwegs sein durften, war Pinos Nebenzimmer fast zu ihrem Wohnzimmer geworden. Pinos Großvater war als einer der ersten Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, Pinos Vater hatte die Pizzeria eröffnet und aufgebaut, und vor einigen Jahren hatte Pino sie zusammen mit seinem Lebensgefährten übernommen. Fast hätte sein Vater ihn ja enterbt. Ein schwuler Sohn passte nicht in die italienisch-katholische Welt, an der Pinos Vater hing. Und ein schwuler Sohn, der mit seinem Lebensgefährten die Pizzeria als „Familienbetrieb“ führen wollte, ging gar nicht. Aber außer Pino gab es niemanden, dem er Pizzeria und Eiscafé hätte übergeben können, als er beschloss, mit seiner Frau, die seit Jahren unter Rheuma litt, im warmen Italien ein „Gutbürgerliches deutsches Landgasthaus“ aufzubauen. Irgendwann hatte sich Pinos Vater notgedrungen mit der Situation abgefunden und da er, genauso wie Pinos Mutter, dem Charme des Schwiegersohnes nicht lange hatte widerstehen können, war das Familienglück bald wiederhergestellt.   Nacheinander tröpfelten die Mitglieder der Clique nun also bei Pino ein und verschwanden mit grüßendem Nicken im Nebenzimmer, wo sie von einer stillen und sehr blassen Amra und einer völlig überdrehten Nina erwartetet wurden. Erst als alle eingetroffen und mit Pizza, Pasta und Bier versorgt waren, legte Nina los. Stefan durchbrach als Erster das betretene Schweigen, das Ninas Erklärungen gefolgt war. „Nina, du spinnst. Heute hast du es wirklich übertrieben. Mit so was macht man keine Witze. Ist dir langweilig?“ Nina gab wortlos Conny, die neben ihr saß, den mittlerweile ziemlich ramponierten Brief und wartete, bis er die Runde gemacht und alle ihn gelesen hatten. Aufgeregtes Stimmengewirr füllte den Raum und wurde immer lauter, bis ein besorgt dreinblickender Pino das Zimmer betrat und fragte, was denn heute los wäre und ob sie nicht ein wenig ihre Lautstärke herunterfahren könnten – schließlich wären nebenan ja auch noch andere Gäste. Anstelle einer Antwort hielt Stefan ihm den Brief vor die Nase. Pino las und musste sich vor Schreck erst einmal setzen. Als er nicht mehr an den Tresen zurückkehrte und die junge Frau, die die Gäste bediente, ihn schließlich suchen kam, fand Pino seine Sprache wieder. „Bitte, Rose, eine Runde Grappa für alle. Für mich einen doppelten, und schicke Tonio herein.“ Tonio, Pinos Liebster, kam kurz darauf direkt aus der Küche mit einem voll beladenen Tablett ins Nebenzimmer. Die Schürze hatte er noch umgebunden und Mehl färbte seine Unterarme weiß. „Was ist denn los, Pino? Ich muss gleich wieder in die Küche zurück, heute ist hier die Hölle los. Wer von euch hat denn Geburtstag?“ Mit diesen Worten stellte er das Tablett auf den Tisch und sah zu, wie sich alle bedienten. Auch Tonio bekam nun den Brief unter die Nase gehalten. Er überflog ihn, las noch einmal und dann noch ein drittes Mal, und ließ sich schließlich auf einen freien Stuhl fallen. „Aber Amra, was sollst du denn im Kosovo? Haben die jetzt völlig den Verstand verloren?“ Amra hatte den ganzen Abend schweigend in ihrer Lasagne gestochert, die mittlerweile zu einer unappetitlichen rotbraunen Masse geworden war. Sie sah Tonio an und zuckte nur unglücklich mit den Schultern. Tonio, der dafür bekannt war, auch im größten Chaos, das hin und wieder in der Pizzeria herrschte, den Überblick zu behalten, der Pino, wenn der alles hinschmeißen wollte, einfach an die Luft setzte und wieder Ordnung in den Laden brachte – dieser Tonio fand auch heute als Erster wieder zurück zum logischen Denken. Nach dem ersten Schrecken stand er auf. „Ich lasse noch eine Runde Grappa und Espresso für alle bringen. Ich muss in die Küche und Pino an den Tresen, aber in einer Stunde wird die Küche geschlossen und dann komme ich zu euch. Ihr überlegt schon mal, was wir machen können. Sammelt einfach Ideen, alles was euch einfällt, und schreibt sie auf. Nichts ist zu blöd, alles kann nützlich sein: Wer kann helfen? Was kann geschehen? Was habt ihr schon mal über ähnliche Fälle gehört und gelesen? Strengt Eure grauen Zellen an, heute ist es mal wirklich wichtig.“ Weg war er. Ich bin ein Fall, dachte Amra und drehte zwei krumme Zigaretten für Nina und sich selbst.   Als Tonio eine gute Stunde später die Tür zum Nebenzimmer öffnete, summte die Luft vor geballter Konzentration und sie war dick und roch nach Rauch, Bier und Angst. Der Pizzabäcker riss erst einmal die Fenster auf und drohte ihnen, nur halb ernst gemeint, mit dem Finger: „Ihr dürft doch hier nicht rauchen! Oder kommt das etwa alles aus euren Köpfen?“ Sein Lachen verstummte, als ihm wieder bewusst wurde, um was es hier ging. Amra und ihre Freunde hatten gut gearbeitet, stellte Tonio fest, als er sie berichten ließ. Sie hatten unzählige Vorschläge zusammengetragen und alles aufgeschrieben, was ihnen eingefallen war. Stefan wollte sogar noch in der Nacht eine Online-Petition starten, wurde von Tonio aber ausgebremst. „Stefano, immer erst drüber schlafen und dann loslegen. Das ist besser. Außerdem müssen wir zuerst einen Anwalt fragen, welche Formulierung die beste ist. Nicht dass der Schuss nach hinten losgeht, weil wir etwas falsch gemacht haben.“ Anne hatte „Kontakt zum Rechtsanwalt herstellen“ bereits als ihre Aufgabe übernommen, denn sie lernte Rechtsanwaltsgehilfin und saß somit an der Quelle. Jenny leitete eine Jugendgruppe in der Kirchengemeinde und wollte mit dem Pastor über Amra sprechen. Kalle sollte bei Pro Asyl Informationen einholen, Maike in ihrer Amnesty International Gruppe nachfragen. So hatte jeder und jede von ihnen einen Auftrag. Amra allerdings stand das Schwerste bevor: Kralle, Frau Bronner und vor allem Amras Mutter wussten noch von nichts und mussten möglichst schnell informiert werden. Sie redeten und planten noch eine Weile, dann brachte Tonio eine weitere Runde Grappa und schickte seine erschöpften und zugleich deprimiert-aufgekratzten Gäste nach Hause. Am Sonntagabend wollten sie sich wieder treffen und jede und jeder sollte möglichst noch weitere Helfer und Helferinnen mitbringen. Als Amra an Tonio vorbei zur Tür ging, legte er ihr die Hand auf die Schulter und sagte leise: „Amra, ich kann dir leider nichts versprechen und dieses Alles-wird-gut-Blabla liegt mir nicht. Aber wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um dich zu Hause zu behalten.“   Pino, der bis die letzten Gäste gegangen waren, hinter dem Tresen stehen musste, um ihre Wünsche zu erfüllen, ließ sich von Tonio alles erzählen. Die beiden jungen Männer, die wie Amra in Deutschland geboren waren, aber dennoch die italienische Staatsbürgerschaft besaßen und so genau wie Amra keine Papier-Deutschen waren, fühlten sich dem zu Tode erschreckten Mädchen besonders nahe. Noch vor wenigen Jahren hätte ihnen das gleiche Schicksal gedroht, jetzt aber waren sie EU-Ausländer und als solche kamen sie auf der Stufenleiter gleich nach den Deutschen und keiner konnte ihnen mehr etwas anhaben. Die beiden diskutierten noch lange, während sie die Küche schrubbten und die Pizzeria für den nächsten Tag fertig machten. Aber trotz aller möglichen und unmöglichen Ideen, die ihre vom Grappa erhitzten Köpfe ausspien, wollte ihnen keine brauchbare Lösung einfallen.   Amra steckte vorsichtig den Schlüssel ins Schloss und öffnete leise die Haustür. Sie wollte die Begegnung mit Ma-am lieber auf den nächsten Tag verschieben. Sie war erschöpft nach dem Nachmittag mit Nina und dem Abend bei Pino und Tonio. Aber sie war auch völlig überwältigt davon, wie sehr sich ihre Freunde und Freundinnen ins Zeug legten, um zu helfen. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn und sie bemühte sich sehr darum, oben anzuhalten, bevor die rasante Fahrt wieder in die Tiefe ging. Dass Nina und Stefan zu ihr hielten und alles tun wollten, damit Amra bleiben konnte, war fast selbstverständlich. Stefan war schon seit sie gemeinsam die erste Klasse der Grundschule besucht hatten, der Dritte im Bunde mit Amra und Nina. Mit ihm konnte man über alles reden und man konnte mit ihm Spaß haben ohne Ende; es war fast wie mit Nina. Stefan war anders als die meisten Jungs, die Amra kannte. Als Kinder hatten sie gemeinsam die kleine Stadt unsicher gemacht und später waren sie...



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