Bourget | Kosmopolis | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 290 Seiten

Bourget Kosmopolis

Ein Geschichte aus der Ewigen Stadt (Familiensaga)
1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-272-2529-3
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Geschichte aus der Ewigen Stadt (Familiensaga)

E-Book, Deutsch, 290 Seiten

ISBN: 978-80-272-2529-3
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Paul Bourgets Werk 'Kosmopolis' wird die Geschichte des jungen Protagonisten Jacques Champcey erzählt, der in die Welt der Pariser Intellektuellen und Künstler eintaucht. Das Buch zeichnet sich durch Bourgets präzisen und detaillierten Schreibstil aus, der die psychologischen Nuancen der Charaktere einfängt. Als ein führender Vertreter des literarischen Naturalismus bringt Bourget in 'Kosmopolis' Themen wie die Suche nach Identität und die Konflikte der sozialen Klassen zum Ausdruck. Das Buch steht auch im Kontext der französischen Belle Époque und reflektiert die gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit.

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Zweites Kapitel.
Der Anfang einer Tragödie
Inhaltsverzeichnis »Da hätten wir ja einen ganz gescheiten Menschen, dem doch nie ein Zweifel an seinen eigenen Ideen aufsteigt,« dachte Dorsenne, dem Marquis nachsehend. »Es ist wie bei den ehrlichen Socialisten, da muß ich mich auch immer wundern. Was für ein Pathos er mir nicht aufgetischt hat, aber was für eine Jugendglut in dieser alten, abgenützten Maschine!« Noch eine Minute verfolgte sein Blick den Verstümmelten von Patay, der die Propagandastraße entlang ging, und es lag mindestens ebensoviel Neid als Mitleid in diesem Blick. Der fehlende Arm machte Montfanons Größe und Magerkeit noch auffallender: er ging stramm mit dem raschen Schritt der von einer fixen Idee Behafteten, die, immer damit beschäftigt, kein Auge für ihre Umgebung haben. Die Sorgfalt, womit er den Schatten suchte und die Sonne mied, verriet indes den alten Römer, der die Gefahr ihrer ersten Strahlen im Frühling genau kennt. Eine Minute darauf blieb der Marquis stehen, um einem der zahllosen Bettler, die den Spanischen Platz und seine Umgebung überschwemmen, ein Almosen zu reichen, was um so verdienstvoller war, als er mit seinem einen Arm und noch dazu durch das Gebetbuch gehindert, große Mühe hatte, in seine Tasche zu greifen. Dorsenne kannte den Sonderling hinreichend, um zu wissen, daß er niemals gelernt hatte, ein Bittgesuch irgend welcher Art abzuschlagen. Dank diesem Grundsatz befand sich der Gegner der schönen Fanny bei vierzigtausend Franken Jahreszins und der größten persönlichen Bedürfnislosigkeit fortwährend in Geldverlegenheit. Die bedeutende Ausgabe für den Montluc bewies, daß ihm die Abneigung gegen das reizende Mädchen schon zur Leidenschaft geworden war, einer Leidenschaft, die viel mehr unbewußte Logik enthielt, als Montfanon selbst ahnte. Der wahre Grund seiner Abneigung lag in der Liebe zum Kardinal Guérillot, die wie alle seine Gefühle heiß und mit Eifersucht gepaart war, und er konnte es Fräulein Hafner nicht verzeihen, daß sie, die er dem Bischof von Clermont als gefährliche Streberin bezeichnet hatte, dennoch in Verkehr mit dem Kirchenfürsten gekommen war. An die Beweise ihrer aufrichtigen Gesinnung, an all die edlen Handlungen seiner Feindin, wovon ihm der Kardinal seit Monaten erzählte, glaubte der eigensinnige Mensch einfach nicht, und sein Haß entbrannte um so wilder, als er an einem gewissen Unbehagen insgeheim dessen Ungerechtigkeit erkannte. Während sich nun Dorsenne selbst nach dem Palast Castagna begab, dachte er indes bald nicht mehr an Montfanon und seine Vorurteile, sondern nur an die Nachricht von Boleslav Gorkas Rückkehr, die er eben aus dem Munde des Marquis erfahren hatte. Die Neuigkeit mußte dem Schriftsteller sehr unerwartet gekommen sein und ihn ernstlich beschäftigen, denn er warf nicht einmal einen Blick auf die Auslage des französischen Buchhändlers an der Ecke des Corso und sah nicht nach, ob die erwünschte Aufschrift »Vierzehntes Tausend« endlich auf dem gelben Umschlag seines letzten Bandes prange, der »Weltlichen Idylle«, die im Herbst erschienen war und einen großen Erfolg gehabt hatte, dem aber seine sechsmonatliche Abwesenheit von Paris und jeder litterarischen Clique doch etwas Abbruch that. Ebensowenig nahm er sich heute die Mühe, im Spiegel der Schaufenster, woran wahrhaftig auf dem Wege vom Spanischen Platz nach dem Palast Castagna kein Mangel ist, festzustellen, ob die Lebensweise, die er sich nach Lord Byrons Muster zum Schutz gegen jeden Fettansatz auferlegte, ihre Schuldigkeit thue und seiner Gestalt die eleganten Umrisse erhalte, die seiner Eitelkeit, als hübscher Mann zu gelten, am Herzen lagen. Dorsenne vernachlässigte heute auch eine seiner liebsten Unterhaltungen, nämlich die Fäden an dem aus Erinnerungen zusammengewebten Teppich zu verfolgen, den ein Gang durch Rom vor den Augen des Unterrichteten aufrollt, und doch führte ihn der Weg zum Castagnaschen Palast, der am Ende der Juliastraße seine düsteren Steinmassen vom Ufer des Tiber erhebt, an einer Reihe von Gebäuden vorüber, die die Chronik von Jahrhunderten erzählen. Zuerst der riesige Palast Borghese, das Borghesische Klavier, wie er der Form seines Grundrisses nach getauft worden ist, dieses Denkmal alter Herrlichkeit, das kaum zwei Jahre später der Schauplatz einer noch viel wehmütigeren Ausstellung werden sollte als der Palast Castagna, und eines Unterganges, der nicht wie der des leichtlebigen Kosmopoliten Ardea ein verdienter war. Taucht nicht das ganze päpstliche Rom vor der Seele des Beschauers auf, wenn er den ungeheuren, nach jenem Papst benannten Bau sieht, der den St. Peter vollendet hat und auf seine Stirne neben dem Namen des Apostelfürsten sein stolzes Paulus V. Burgherius Romanus gesetzt hat? Nicht einmal einen zerstreuten Blick hatte Dorsenne für den prunkvollen Bau, und ebenso geistesabwesend ging er zehn Minuten später an der Ludwigskirche, dem Gegenstand von Montfanons besonderer Andacht, vorüber. Die Seele muß frei sein, um sich jenem Zauber der Geschichte zu erschließen, wie er den aus Vergangenheit aufgebauten Städten entsteigt, und obwohl Julian sich mit Fug und Recht etwas darauf zu gute that, über den Gemütsbewegungen zu stehen, obwohl er den Ausspruch des Mannes, der nie einen Kummer empfunden haben wollte, den ein Buch nicht verscheucht hätte, über die Maßen bewunderte, hatte er auf diesem Gang zu seinem »Menschenmosaik« nicht die volle Unabhängigkeit und mußte unaufhörlich die Fragen hin und her wälzen: »Boleslav Gorka zurück? Und vor zwei Tagen noch sagte mir seine Frau, daß sie ihn nicht vor vier Wochen erwarte ... aber Montfanon hat doch nicht ... Boleslav Gorka hier? Und gerade jetzt, wo die Steno wahnsinnig in Maitland verliebt ist ... sie ist ja ganz toll. Was für Augen sie ihm vorgestern in ihrer Gesellschaft gemacht hat! Es war ein Skandal. Gorka hat schon diesen Winter ein Vorgefühl davon gehabt, denn als der Amerikaner zum erstenmal Alba malen wollte, hat er's hintertrieben. Der Montfanon ist gut, wenn er von friedlicher Teilung zwischen diesen zwei Männern faselt! Als Boleslav nach Warschau ging, haben sich Maitland und die Gräfin kaum gekannt, und jetzt ... Ist er wirklich so Hals über Kopf heimgekommen, so muß er von seinem Stellvertreter Wind bekommen haben. So was kommt ja vor unter guten Kameraden, solche Tröpfe gibt's ... Falls Gorka, der ein Pistolenschütze ist wie Casal, diesen Amerikaner im Zweikampf erschießt, so erhält die Welt einige nachgemachte Velasquez weniger, woran mir etwa so viel liegt als an meinem ersten Leitartikel. Auch wenn er den Verrat an seiner Geliebten rächt, macht es mir keinen Kummer, denn sie treibt's wirklich ein bißchen bunt, diese Katharina Steno; aber was soll aus meiner kleinen Freundin, der armen, herzigen Alba werden, wenn die Thorheiten ihrer Mutter Skandal erregen, vielleicht blutigen? Das Kind ahnt zuweilen manches und leidet namenlos darunter ... Gorka hier? ... Und mir hat er's nicht geschrieben, obwohl ich seit seiner Abreise mehrere Briefe von ihm erhalten habe, obwohl er mich letzten Herbst unter dem Vorwand, daß ich die Frauen kenne, zum Vertrauten seiner Eifersucht gemacht und die reizende kleine Eitelkeit gehabt hat, mir einen Roman einblasen zu wollen! ... Dies Schweigen und diese Rückkehr, das schmeckt nicht mehr nach einem Roman, sondern nach einer Tragödie, und bei einem Manne wie diesem muß man auf alles gefaßt sein. Nun, ich werde ja bald wissen, woran ich bin, denn jedenfalls treffe ich ihn im Palast Castagna. Er wird sich's nicht haben nehmen lassen, seine Frau zu begleiten, um die einstige Geliebte ein paar Stunden früher wiederzusehen. Die einstige Geliebte? Nein, nein. Dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen ... Es wäre mir lieber, er säße noch an der Weichsel, dort war er besser aufgehoben! Arme, herzige Alba!« Dieses innerliche Selbstgespräch unterschied sich sehr wenig von dem, was unter diesen Umständen jeder andre junge Mann, der sich für die unschuldige Tochter einer leichtsinnigen Mutter interessiert, auch gedacht haben würde. Es ist immer ein rührender Fall, aber kein seltener, und der Romandichter hätte nicht nötig gehabt, ihn gerade in Rom zu studieren und zum Schaden seiner litterarischen Laufbahn einen ganzen Winter und Frühling darauf zu verwenden. Wenn seine Teilnahme aber über den Studienzweck hinausging, so hatte Dorsenne ja ein sehr einfaches Mittel zur Hand, um seine »kleine Freundin« vor allem Herzeleid zu bewahren, das der Leichtsinn dieser Mutter, die auch das Alter keine Tugend lehrte, über sie bringen konnte. Warum machte er sie nicht zu seiner Frau? Dorsenne hatte väterliches Vermögen, das durch litterarische Erfolge bedeutend vermehrt worden war, denn seit sein erster Band der im Jahre 1879 erschienenen »Weiblichen Studien« ihm einen Namen gemacht hatte, war keiner von seinen fünfzehn Romanen- oder Novellenbänden unbemerkt geblieben. Seine persönliche Berühmtheit konnte je nach Bedürfnis auch durch Familienstolz unterstützt werden, denn sein Großvater war der jüngere Vetter jenes berühmten Generals Dorsenne gewesen, den Napoleon an der Spitze seiner Garde nur durch einen Friant hatte ersetzen können. Damit ist alles gesagt. Die Erben des Helden aus der großen Kaiserzeit hatten zwar diese Verwandtschaft nicht anerkannt, aber Julian glaubte daran, und wenn er gelegentlich Schmeicheleien über seine Werke mit der Bemerkung ablehnte: »Ach, in meinen Jahren hatte mein Großonkel als Oberst der Garde schon ganz andre Dinge vollbracht,« so war es ihm heiliger Ernst damit. Dieser etwas fragliche Ruhm hätte aber nicht einmal ins Treffen geführt zu werden gebraucht, um ihn der Gräfin Steno, deren gesellschaftliche Stellung durch ihren Lebenswandel immerhin erschüttert war, als Schwiegersohn annehmbar zu machen. Was das Herz des...



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