Botton | Der Lauf der Liebe | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Botton Der Lauf der Liebe

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-403564-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-10-403564-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein fesselndes Plädoyer für das WAGNIS DER LIEBE. Am Anfang ist jede Liebe leicht. Wie aber geht es mit ihr weiter? Wie gelingt es, zu zweit das Glück zu finden? In seinem neuen Roman durchleuchtet Alain de Botton gnadenlos, aber einfühlsam die Liebesgeschichte von Rabih und Kirsten. Die Wahl der Ikea-Gläser, das Kennenlernen der Schwiegereltern, die Frage, ob die Butter tatsächlich im Kühlschrank stehen soll - all das gibt Anlass für die größten Dramen. Und so wie de Botton mit seinem berühmten Scharfblick erzählt, erkennen wir jene Strukturen der Liebe, die uns allen gleichermaßen Glück und Leid bereiten.

Alain de Botton gründete 2008 die ?School of Life? www.alaindebotton.com, da er der Überzeugung ist, dass man die verschiedenen Lebensbereiche wie Karriere, Liebe, Elternschaft usw. erlernen kann. Mit Charme, Ironie und Neugier entwickelt Alain de Botton seit seinem Romandebüt und Weltbestseller »Versuch über die Liebe« eine Philosophie des Alltags. Alain de Botton lebt mit Frau und Kindern in London. Sein Hauptwerk erscheint im S. Fischer Verlag. Literaturpreise: u.a.: Prix Européen de L'Essai »Charles Veillon« 2003 Wrtschaftsbuchpreis des Jahres 2004, verliehen von der Financial Times Deutschland und getAbstract
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Leidenschaft


Kirsten schlägt einen Ausflug nach Portobello Beach vor, eine halbe Stunde mit dem Rad auf dem Firth of Forth, am Meer entlang. Rabih ist unsicher auf dem Rad, das er bei einem von Kirsten empfohlenen Laden in einer Seitenstraße der Princes Street gemietet hat. Sie hat ein eigenes, ein kirschrotes Modell mit zwölf Gängen und fortschrittlichen Felgenbremsen. Er gibt sein Bestes, um mitzuhalten. Auf halbem Weg den Hügel hinab schaltet er in den nächsten Gang, aber die Kette will nicht, springt ab und dreht sich im Leerlauf um die Nabe. Er ist frustriert und wird wütend. Zu dem Laden wäre es ein weiter Weg. Kirsten aber geht mit dieser Situation ganz anders um. »Schau dich an«, sagt sie, »du riesengroßer Esel, du.« Sie dreht das Fahrrad um, schaltet die Gänge zurück und richtet die Gangschaltung wieder. Ihre Hände sind schnell ölverschmiert, ein Streifen davon landet auf ihrer Wange.

Liebe bedeutet Bewunderung für die Qualitäten des Geliebten, die unsere Schwächen und Defizite ausgleichen; Liebe ist eine Suche nach Ergänzung.

Er hat sich in ihre Ruhe verliebt; in ihr Vertrauen, dass alles gut wird; dass sie sich offenbar nie verfolgt fühlt und Fatalismus nicht zu kennen scheint; dies sind die Tugenden seiner ungewöhnlichen neuen schottischen Freundin, die mit einem so starken Akzent spricht, dass er dreimal nachfragen muss, um das Wort zu verstehen. Rabihs Liebe ist eine logische Reaktion auf die Entdeckung von Kirstens Stärken und Eigenschaften, die er selber gerne hätte. Er liebt aus einem Gefühl von Unvollständigkeit heraus – und aus einer Sehnsucht nach Ganzheit.

Damit ist er nicht allein. Denn auch Kirsten möchte eigene Mängel wettmachen, aber eben in anderen Bereichen. Sie ist erst nach dem Studium aus Schottland rausgekommen. Ihre Verwandten stammen alle aus derselben kleinen Ecke des Landes. Dort herrscht Engstirnigkeit; die Farben sind grau, Selbstlosigkeit zählt, die Atmosphäre ist provinziell. Daher fühlt sie sich zu allem hingezogen, was sie mit dem Süden verbindet. Sie sehnt sich nach Licht und Hoffnung, nach Menschen, die ihren Körper spüren und Leidenschaft und Gefühle zulassen können. Sie betet die Sonne an, während sie ihre blasse Haut und ihre Lichtempfindlichkeit nicht ausstehen kann. Ein Poster von der Medina von Fez hängt bei ihr an der Wand.

Alles, was sie über Rabihs Hintergrund erfährt, fasziniert sie. Dass er der Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter ist, er Ingenieur und sie Stewardess, findet sie aufregend. Er erzählt ihr Geschichten über eine Kindheit in Beirut, Athen und Barcelona, wo es strahlend schöne Augenblicke, aber manchmal auch größte Gefahr gab. Er spricht Arabisch, Französisch, Deutsch und Spanisch; seine Koseworte (spielerisch überbracht) haben viele Facetten. Seine Haut ist olivenfarben, ganz anders als ihre rosig helle. Er schlägt seine langen Beine übereinander, wenn er sitzt, und seine erstaunlich grazilen Hände können Makdous, Taboulé und Kartoffelsalat zubereiten. Er versorgt sie mit seiner Welt.

Auch sie ist auf der Suche nach einer Liebe, die sie ins Gleichgewicht bringt und sie vervollständigt und ergänzt.

In der Liebe geht es auch darum, von den Verletzlichkeiten und Sorgen des anderen berührt zu werden, besonders dann, wenn wir (wie es in den ersten Tagen passiert) dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Unseren Liebhaber niedergeschlagen oder in einer Krise zu sehen, in Tränen oder einer Situation nicht gewachsen, gibt uns die Sicherheit, dass er, trotz aller Tugenden, doch nicht so beängstigend unschlagbar ist. Auch er ist manchmal verwirrt und nah am Wasser gebaut, eine Erkenntnis, die uns eine neue, helfende Rolle auferlegt, die unsere Scham über die eigenen Unzulänglichkeiten reduziert und uns im Leiden einander näherbringt.

Die beiden nehmen den Zug nach Inverness, um Kirstens Mutter zu besuchen. Sie besteht darauf, die beiden am Bahnhof abzuholen, obgleich dies für sie eine Bustour durch die ganze Stadt bedeutet. Sie nennt Kirsten ihr »Lämmchen« und umarmt sie auf dem Bahnsteig innig, mit schmerzhaft geschlossenen Augen. Sie reicht Rabih formell die Hand und entschuldigt sich für die jahreszeitlichen Gegebenheiten: es ist halb drei Uhr nachmittags und schon fast dunkel. Sie hat dieselben lebhaften Augen wie ihre Tochter, doch ihre haben zudem noch etwas Unerschrockenes, weswegen er sich ziemlich unwohl fühlt, als sie sich dann auf ihn richten – was sie während ihres Aufenthalts wieder und wieder unvorhergesehen tun.

Ihr Zuhause ist ein schmales, einstöckiges graues Reihenhaus, unmittelbar gegenüber der Grundschule, wo die Mutter seit drei Jahrzehnten unterrichtet. In ganz Inverness gibt es Erwachsene – die inzwischen Läden besitzen, Verträge entwerfen und Blut abnehmen –, die sich an ihre Einführung in die Grundlagen der Arithmetik erinnern und an die Bibelgeschichten, denen sie zu Mrs McLelland’s Füßen gelauscht haben. Genau genommen erinnern sie sich daran, wie deutlich sie allen ihre Zuneigung zeigte, aber auch, wie leicht man sie enttäuschen konnte.

Die drei essen gemeinsam im Wohnzimmer zu Abend, während im Fernsehen eine Quiz-Show läuft. Bilder, die Kirsten im Kindergarten gemalt hat, pflastern in hübschen vergoldeten Rahmen die Wände des Treppenhauses. Im Flur hängt ein Foto von ihrer Taufe, in der Küche ein Bild von ihr in ihrer Schuluniform, im Alter von sieben Jahren, vernünftig dreinblickend und mit Zahnlücke; und auf dem Bücherbord steht ein Schnappschuss von ihr, als sie elf war, hager, zerzaust und unerschrocken, in Shorts und T-Shirt am Strand.

Ihr Zimmer ist offenbar mehr oder weniger unberührt, seit sie nach Aberdeen gegangen ist, um in Jura und Buchhaltung ihren Abschluss zu machen, im Schrank hängen schwarze Kleidungsstücke, und die Regale sind vollgepackt mit zerfledderten Schulbüchern. In die Penguin-Ausgabe von hat die jüngere Kirsten damals geschrieben, »Fanny Price: die Tugend der außergewöhnlichen Normalen«. Ein Fotoalbum unter dem Bett bietet eine Aufnahme von ihrem Vater, der in Cruden Bay vor einem Eiswagen steht. Sie ist sechs und wird nur noch ein Jahr lang etwas von ihm haben.

Der Familienlegende gemäß hat Kirstens Vater nach zehn Ehejahren eines Morgens das Haus verlassen, mit einem kleinen Koffer, den er, während seine Frau in der Schule war, gepackt hatte. Als einzige Erklärung hatte er auf dem Tisch im Flur einen Zettel hinterlassen, auf den gekritzelt war. Danach zog er in Schottland umher, verdingte sich hier und da auf einer Farm und blieb mit Kirsten nur in Kontakt, um ihr einmal jährlich zum Geburtstag eine Karte und ein Geschenk zu schicken. Als sie zwölf wurde, kam ein Päckchen mit einer Strickjacke in der Größe für eine Neunjährige. Kirsten schickte es an eine Adresse in Cammachmore zurück mit der freimütigen Notiz, sie hoffe, er werde bald sterben. Seither hat man nichts mehr von ihm gehört.

Wäre er wegen einer anderen Frau gegangen, hätte er lediglich sein Ehegelöbnis gebrochen. Aber Frau und Kind zu verlassen, nur um für sich zu sein und sich noch mehr zu vergnügen, ohne je über seine Motive zufriedenstellend Rechenschaft abzulegen – dies hatte eine viel tiefergreifendere, abstraktere und noch verheerendere Dimension.

Kirsten liegt in Rabihs Armen, während sie ihm all dies darlegt. Ihre Augen sind rot. Dies ist eine weitere Seite an ihr, die er liebt: die Schwäche eines sonst so ausgesprochen kompetenten Menschen.

Sie fühlt ihrerseits genauso für ihn – von seiner eigenen Geschichte gibt es mindestens ebenso traurige Umstände zu berichten. Als Rabih zwölf war, nach einer Kindheit, die von sektiererischer Gewalt, Straßensperren und Nächten in Luftschutzkellern geprägt war, sind er und seine Eltern von Beirut nach Barcelona gezogen. Aber schon ein halbes Jahr, nachdem sie ankamen und sich in einer Wohnung in der Nähe des alten Hafens niedergelassen hatten, begann seine Mutter, über Unterleibschmerzen zu klagen. Sie ging zum Arzt, und vollkommen unvorhergesehen wurde bei ihr ein fortgeschrittener Leberkrebs diagnostiziert, was in dieser Unmittelbarkeit in ihrem Sohn das Urvertrauen zerschlug. Drei Monate später starb sie. Nach einem Jahr war sein Vater wieder verheiratet, mit einer emotional distanzierten Engländerin, mit der er jetzt im Ruhestand in einer Wohnung in Cadiz lebt.

Kirsten möchte den zwölfjährigen Jungen von damals trösten, und dies so leidenschaftlich, dass es sie selbst überrascht. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie immer wieder ein Bild von Rabih und seiner Mutter, zwei Jahre vor ihrem Tod, auf dem Rollfeld des Beiruter Flughafens, mit einer Lufthansa-Maschine im Hintergrund. Rabihs Mutter war auf Flügen nach Asien und Amerika eingesetzt, reichte wohlhabenden Geschäftsleuten im vorderen Bereich des Flugzeugs die Mahlzeiten, stellte sicher, dass die Gurte fest angeschnallt waren, schenkte Getränke aus und lächelte Fremde an, während ihr Sohn zu Hause auf sie wartete. Rabih erinnert sich noch an die aufgeregte Quasi-Übelkeit an den Tagen, wenn er sie zurückerwartete. Aus Japan brachte sie ihm einmal Notizbücher aus Fasern von Maulbeerbäumen mit und aus Mexiko eine bemalte Figur von einem Azteken-Häuptling. Sie sah wie eine Filmschauspielerin aus – wie Romy Schneider, meinten die Leute.

Zentral für Kirstens Liebe ist das Bedürfnis, die Wunde von Rabihs lang verdrängtem, selten erwähnten Verlust zu heilen.

Die Liebe ist dann am innigsten, wenn wir merken, dass unsere Geliebten unsere chaotischen, peinlichen und beschämenden...


Botton, Alain de
Alain de Botton gründete 2008 die ›School of Life‹ www.alaindebotton.com, da er der Überzeugung ist, dass man die verschiedenen Lebensbereiche wie Karriere, Liebe, Elternschaft usw. erlernen kann. Mit Charme, Ironie und Neugier entwickelt Alain de Botton seit seinem Romandebüt und Weltbestseller 'Versuch über die Liebe' eine Philosophie des Alltags. Alain de Botton lebt mit Frau und Kindern in London. Sein Hauptwerk erscheint im S. Fischer Verlag.
Literaturpreise:

u.a.:

Prix Européen de L'Essai 'Charles Veillon' 2003
Wrtschaftsbuchpreis des Jahres 2004, verliehen von der Financial Times Deutschland und getAbstract

Bechtolsheim, Barbara Frfr. von
Barbara v. Bechtolsheim studierte Literaturwissenschaft, Psychologie, Philosophie und Biologie in Bonn, München und Stanford (USA). Sie lebt als Übersetzerin und Literaturdozentin in Berlin. Seit 1988 übersetzt sie zeitgenössische Belletristik, u.a. Mavis Gallant, Toni Morrison und Joyce Carol Oates, sowie Biographien und Sachbücher wie ›Die Nachrichten‹ von Alain de Botton.

Alain de BottonAlain de Botton gründete 2008 die ›School of Life‹ www.alaindebotton.com, da er der Überzeugung ist, dass man die verschiedenen Lebensbereiche wie Karriere, Liebe, Elternschaft usw. erlernen kann. Mit Charme, Ironie und Neugier entwickelt Alain de Botton seit seinem Romandebüt und Weltbestseller 'Versuch über die Liebe' eine Philosophie des Alltags. Alain de Botton lebt mit Frau und Kindern in London. Sein Hauptwerk erscheint im S. Fischer Verlag.
Literaturpreise:

u.a.:

Prix Européen de L'Essai 'Charles Veillon' 2003
Wrtschaftsbuchpreis des Jahres 2004, verliehen von der Financial Times Deutschland und getAbstract
Barbara Frfr. von BechtolsheimBarbara v. Bechtolsheim studierte Literaturwissenschaft, Psychologie, Philosophie und Biologie in Bonn, München und Stanford (USA). Sie lebt als Übersetzerin und Literaturdozentin in Berlin. Seit 1988 übersetzt sie zeitgenössische Belletristik, u.a. Mavis Gallant, Toni Morrison und Joyce Carol Oates, sowie Biographien und Sachbücher wie ›Die Nachrichten‹ von Alain de Botton.

Alain de Botton gründete 2008 die ›School of Life‹ www.alaindebotton.com, da er der Überzeugung ist, dass man die verschiedenen Lebensbereiche wie Karriere, Liebe, Elternschaft usw. erlernen kann. Mit Charme, Ironie und Neugier entwickelt Alain de Botton seit seinem Romandebüt und Weltbestseller »Versuch über die Liebe« eine Philosophie des Alltags. Alain de Botton lebt mit Frau und Kindern in London. Sein Hauptwerk erscheint im S. Fischer Verlag.
Literaturpreise:
u.a.:
Prix Européen de L'Essai »Charles Veillon« 2003
Wrtschaftsbuchpreis des Jahres 2004, verliehen von der Financial Times Deutschland und getAbstract
Barbara v. Bechtolsheim studierte Literaturwissenschaft, Psychologie, Philosophie und Biologie in Bonn, München und Stanford (USA). Sie lebt als Übersetzerin und Literaturdozentin in Berlin. Seit 1988 übersetzt sie zeitgenössische Belletristik, u.a. Mavis Gallant, Toni Morrison und Joyce Carol Oates, sowie Biographien und Sachbücher wie ›Die Nachrichten‹ von Alain de Botton.



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