E-Book, Deutsch, Band 78, 200 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
Borner / Corvo Dorian Hunter 78 - Der Hermaphrodit
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95572-078-0
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 78, 200 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
ISBN: 978-3-95572-078-0
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Band 78 der legendären Serie um den 'Dämonenkiller' Dorian Hunter! Dorians einzige Hoffnung, in seinen eigenen Körper zurückzukehren, hat sich mit Phillips Verschwinden zerschlagen. Der Ersatzkörper, den Bastet ihm gegeben hat, beginnt zusehends zu verfallen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, in dem der Dämonenkiller die Spur des Hermaphroditen wieder aufnehmen muss. Seine Suche führt ihn nach Versailles - und in ein weiteres seiner früheren Leben ... 'Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ?Dorian Hunter? und sein Spin-Off ?Das Haus Zamis? vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction.' Kai Meyer enthält die Romane: 277: 'Herrin der Marionetten' 278: 'Der Hermaphrodit'
Autoren/Hrsg.
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2. Kapitel
Athos, der heilige Berg. Und seine Halbinsel. Gut dreihundert Quadratkilometer Landfläche im Nordosten des alten Hellas, bewohnt von wenig mehr als zweitausend Menschen – allesamt Mönche. An wenigen anderen Orten der Welt stieß man in so schneller Folge auf derart viele Klöster und klosterähnliche Siedlungen, war der orthodoxe Glaube so allgegenwärtig wie die Luft zum Atmen. Das älteste Kloster, so wusste Dorian Hunter inzwischen, war schon vor dem ersten Jahrtausendwechsel entstanden, zwanzig von ihnen zählten inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Doch von derlei Meriten merkte man vor Ort wenig. Ruhm und Glanz schienen dem Alltag der Einwohner dieser bemerkenswerten Mönchsrepublik vollkommen unwichtig zu sein, die Aufmerksamkeit der nach Obskuritäten süchtigen Welt scherte sie kein bisschen.
Letzteres spielte dem Dämonenkiller in die Hände. Dorian hatte sich am Flughafen von Thessaloniki einen Mietwagen genommen und war querfeldein gefahren, mit nichts als dem sonnenbeschienenen Land vor sich und gelegentlichen Telefonkontakten mit Don Chapman als Begleitung. Er hatte die Fahrt genossen, vorbei an kleinen Dörfern und weiten Feldern, an weiß getünchten Natursteinmauern, knorrigen Bäumen und Ziegenherden, die so selbstverständlich und unbeaufsichtigt über die schmalen Straßen der griechischen Provinz trotteten, als hätten sie und nicht die Menschen sie gebaut.
Nahe Ierissos, der letzten größeren Siedlung vor der Halbinsel, die sein Ziel war, sah er wieder das Meer, ein in der Sonne glitzerndes Überall, das sich scheinbar grenzenlos bis zum Horizont erstreckte. Die letzten Hotels, die letzten Gaststätten. Dann nur noch Weite. Betrat man Chalkidiki, so schien es Dorian, ließ man jeglichen Tourismus und jedwede Moderne hinter sich. Auf einmal waren da allein der allgegenwärtige Ozean, die Natur und die eigenen Gedanken. Die Reise zu sich selbst.
Kein Wunder, dass es gerade hier so viele Klöster hat, dachte er, als er seinen Wagen endlich von der Landstraße weg und auf die Buckelpiste lenkte, die ihn zu der von ihm ausgewählten Skite führen würde. Skite hießen die Mönchsdörfer auf der Halbinsel; kleine, einzig von Männern Gottes bewohnte Gemeinden, die unter der Obhut und der administrativen Leitung des jeweils nächstgelegenen Großklosters standen. Die meisten von ihnen lagen nahe der Küste und schienen fast, als habe man ihre Bauten und Wege vor langer Zeit aus den steinernen Klippen herausgeschlagen, die hier die Landschaft prägten wie kaum etwas sonst. Würzige Seeluft und der Duft der Olivenbäume begrüßten Dorian, kaum dass er geparkt und die Wagentür geöffnet hatte.
Es wurde bereits rapide dunkel, doch die Ruhe, die ihn in den Straßen der Skite nahe Athos umarmte wie einen heimgekehrten Freund, schien zeitlos zu sein und sich nicht um den Lauf der Sonne zu scheren. Kies knirschte unter Dorians Schuhsohlen, und der salzig riechende Wind ließ die Zypressen und Johannisbrotbäume am Rande der Siedlung verschwörerisch flüstern.
In einem rechteckigen Gebäude am Ende eines gepflasterten Weges stand ein hölzernes Tor offen, und Licht fiel hinaus in das mondbeschienene Schweigen. Dorian trat näher. »Entschuldigung?«
Der Raum jenseits der Schwelle stellte sich als Werkstatt heraus. Dorian sah mit allerlei Krempel übersäte Tische, Kisten voller Handwerkszeug und alte, ölverschmierte Maschinen, die dem Anschein nach zum Stanzen und Bohren verwendet wurden. Gelbliche Neonröhren aus dem Pleistozän der Lichtelektronik erhellten das Bild, tauchten es aber gleichzeitig in einen kränklich anmutenden Schein, der zu ihm passte.
Inmitten des Raumes standen zwei Männer. Und bluteten aus klaffenden Kopfwunden.
Was zum Teufel …
Der Rechte war ein stämmiger Mittvierziger. Buschig-brauner Vollbart unter einer Halbglatze, vor dem beachtlichen Bauch eine graue, speckige Schürze. Der Linke befand sich ihm direkt gegenüber, nur von einer schmalen Werkbank von ihm getrennt. Er war schmächtig, aber anderthalb Köpfe größer als sein Kompagnon. Sehnige Arme, sonnengegerbtes Gesicht, stahlblaue Augen. Augen voller Hass.
»Hallo?«, sagte Dorian in dem leidlich passablen Griechisch, das er beherrschte. Er sprach nun lauter, hatten die beiden Männer bislang doch nicht auf seine Anwesenheit reagiert. Und er sprach strenger. »Kann ich Ihnen helfen?«
Der Mittvierziger schnaubte ungehalten. In der Hand hielt er einen Schraubstock, an dem dunkles Blut klebte. Die Hand zitterte. Schweiß stand auf seiner hohen Stirn. »Ihm vielleicht«, knurrte er. »Wenn Sie ihn erschießen.«
Dorian trat näher. Die Wunden der Männer waren nicht tief, das erkannte er nun. Sie bluteten nur stark, wie das bei Kopfwunden nun einmal war. »Niemand erschießt hier irgendwen, klar?«, sagte er vorsichtig. Die Aggressivität, die von den zwei Gestalten ausging, war nahezu greifbar. Doch ihm schien, als sei der Schmächtige ihre größte Quelle und der mit der Schürze nur ein – willentlich, aber eben doch nur das – darauf Reagierender.
»Legen Sie die Werkzeuge weg«, sagte Dorian fest. Auch der Schmächtige war bewaffnet. Ein metallener Schraubenschlüssel, lang wie der Unterarm eines hageren Kindes, ruhte in seiner erhobenen Linken. Natürlich war auch er blutbesudelt. Man musste kein Detektiv sein, um zu begreifen, was hier geschehen war. »Sofort.«
»Sonst?«, zischte der Schmächtige. Sein Blick ruhte nach wie vor auf seinem Kompagnon.
Dorian zögerte nicht. Seine Hand schnellte vor, packte den Schraubenschlüssel und entwendete ihn seinem Besitzer. »Sonst nehme ich sie«, antwortete er dann – und nahm auch dem Bärtigen die Waffe weg. Er wusste nicht, ob das wirklich helfen würde, schließlich lagen auf der Werkbank mehr als genug scharfkantige Alternativen herum.
Der Schmächtige zuckte zusammen, als habe man ihn geschlagen. Aufbrausend drehte er den Kopf zu Dorian – doch dann blinzelte er, schwankte und leckte sich nervös über die Lippen. Es schien, als habe man in seinem Innern eine Art Schalter umgelegt, denn als er sich wieder fing, war der Großteil seines eben noch äußerst offenkundigen Zorns verflogen. »Er … er soll halt nicht ungefragt meine Werkzeuge benutzen«, erklärte sich der Mann. Es klang allerdings wie das trotzige Gemurmel eines bockigen Kindes, das längst wusste, dass es verlor. »Weiter verlange ich ja nichts.«
»Deine Werkzeuge, pah!« Buschbart schnaubte erneut. »Die gehören der Allgemeinheit, das weißt du so gut wie ich. Bei uns gibt es kein Privateigentum.«
Dorians Blick fiel auf einen kleinen Verbandskasten, der unterhalb einer Neonröhre an der unverputzten Wand hing. Er nahm ihn, stellte ihn auf die Werkbank und öffnete ihn. Mullbinden, Salben und allerlei anderer Kram kamen zum Vorschein. »Hier«, sagte er. »Kann ich Sie damit allein lassen oder nicht?«
Die zwei Streithähne sahen sich an, dann nickten sie. Beide wirkten beschämt. Als könnten sie nicht glauben, wie sehr sie eben noch ausgerastet waren. Peinliches Schweigen hielt in der Werkstatt Einzug.
»Na, immerhin«, sagte Dorian. »Und kann mir einer von Ihnen vielleicht noch den Weg zu Ioannis Bastekis nennen? Ich finde sein Haus einfach nicht.«
Buschbart brachte Dorian zurück zum hölzernen Tor und zeigte ihm, wo er falsch abgebogen war. Der Dämonenkiller bedankte sich und zog weiter, seiner telefonisch gebuchten Bleibe entgegen. Doch in Gedanken blieb er bei den zwei ungleichen Männern. Sie mussten Mönche sein, das war klar. Zwar stieß man auf Chalkidiki auch auf andere Menschen, doch arbeiteten diese nur tagsüber in den Skiten und Klöstern sowie auf den Feldern. Spätestens nach Einbruch der Dunkelheit gehörte die Gegend allein den Mönchen, sah man einmal von Ausnahmen wie Dorian ab. Außerdem hatte Buschbart »bei uns« gesagt, was ja wohl auf eine Zugehörigkeit zur Mönchsklasse hinwies. Und es stimmte: Privates Eigentum war den Mitgliedern dieser Klasse hier fremd.
Warum also sollten sich die beiden um einen simplen Schraubstock streiten, bis Blut floss? Und warum konnte Dorian nur diesen bohrenden, stählernen Blick des schmächtigen Mannes nicht vergessen?
Ioannis Bastekis betrieb ein Lokal mit Fremdenzimmer am Ortsrand der Skite. Dass er nicht oft Hausgäste hatte, merkte man sofort: an dem Gesicht, das er machte, als Dorian auf seiner Schwelle erschien, und an seiner nur leidlich genießbaren Kochkunst (»Warmes Essen? Um diese Zeit? Unsere Küche hat längst geschlossen!« – Dem Geschmack dessen nach zu urteilen, das er Dorian schließlich murrend vorsetzte, hatte dieses »längst« vor etwa zehn Jahren begonnen.) und am Zustand seiner Fremdenzimmer.
Dorians lag im Obergeschoss des zweistöckigen Hauses. Sein Bett stand unter einer Dachschräge, die aus nichts als Wellblech bestand, und grenzte an eine Wand, deren Verputz wirkte, als könne schon ein mittellautes Husten ihn zum Abbröckeln veranlassen. Davon abgesehen beinhaltete das etwa neun Quadratmeter messende Zimmer noch einen schäbigen Tisch, einen Stuhl ohne Lehne und ein Fenster. Letzteres hatte Dorian weit aufgerissen – irgendwie musste er der stickigen Hitze ja Herr werden, die unter dem Wellblechdach regierte wie der Satan über die Hölle –, und nun lag er mit nacktem Oberkörper auf der Matratze, die Beine ausgestreckt, und lauschte dem Rauschen des nahen Meeres. Sterne funkelten am Nachthimmel über der Skite, und die Luft roch nach Weite und einem Leben, dessen Takt allein die Natur diktierte.
Der Schlaf ließ auf sich warten. Lag es an der Aufregung? Dorian wollte bis zum Morgengrauen ausharren, bevor er sich dem Kloster...