Borasio / Heßler / Jox | Patientenverfügung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Borasio / Heßler / Jox Patientenverfügung

Das neue Gesetz in der Praxis

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

ISBN: 978-3-17-026631-5
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Nach langer Diskussion hat der Bundestag 2009 ein Gesetz zur Patientenverfügung verabschiedet. Die Erwartungen an das Gesetz waren hoch: Es sollte Rechtssicherheit für Ersteller und Anwender einer Patientenverfügung schaffen und Hinweise zu deren konkreter Ausgestaltung geben, unter Vermeidung einer zu starken Verrechtlichung des Lebensendes. Inwieweit das Gesetz die Erwartungen in der Praxis erfüllt hat, welche Probleme noch bestehen oder neu aufgetreten sind, wird in diesem Band aus interdisziplinären Perspektiven erörtert.
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1;Deckblatt;1
2;Titelseite;4
3;Impressum;5
4;Inhaltsverzeichnis;6
5;Vorwort der Herausgeber ;8
6;Das Gesetz zur Patientenverfügung und wie es dazu kam ;10
7;Was hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes in der Rechtsprechung verändert? ;16
8;Das Patientenverfügungsgesetz und die medizinische Praxis ;27
9;Perspektiven der Angehörigen ;37
10;Folgerungen für die Beratungspraxis ;46
11;Erfahrungen in Pflegeheimen und was daraus folgt ;63
12;Erfahrungen mit dem Gesetz in der Seelsorge ;67
13;Die medizinische Profession unter dem Druck gesellschaftlicher Erwartungen. Zur Zukunft der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung ;74
14;Offene Fragen zur Patientenverfügung aus ethischer Sicht nach dem neuen Gesetz ;86
15;Gesundheitliche Vorausplanung (Advance Care Planning). Was können wir aus internationalen Erfahrungen für die Umsetzung von Patientenverfügungen lernen? ;97
16;Offene Fragen im Blick auf Minderjährige ;116
17;Patientenverfügung – Besonderheiten in der Psychiatrie ;124
18;Widerruf der Patientenverfügung und Umgang mit dem natürlichen Willen ;130
19;Direkte Wirkung von Patientenverfügungen, wenn es keinen Betreuer gibt?;141
20;Was die Politik weiter tun kann und tun wird ;146
21;Verzeichnis der Herausgeber und Autoren ;152


Was hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes in der Rechtsprechung verändert?
Bernhard Knittel 1 Auswirkungen in der strafgerichtlichen Rechtsprechung
1.1 Wichtiges Grundsatzurteil des BGH vom 25. Juni 2010: „Fuldaer Sterbehilfe-Fall“1
Bereits im ersten Jahr der Geltung der Neuregelungen in §§ 1901a, 1901b sowie 1904 n. F. BGB durch das 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz (BtÄndG) erging eine bedeutsame Grundsatzentscheidung des BGH. Sie brachte eine wesentliche Klarstellung zur strafrechtlichen Beurteilung von Behandlungsbegrenzungen gemäß dem Patientenwillen und gab hierbei frühere Beurteilungsmaßstäbe auf. Entschieden wurde der Fall eines Rechtsanwalts, der einer Mandantin geraten hatte, den Schlauch der Magensonde zu durchtrennen, durch welche die in einem irreversiblen Wachkoma befindliche Mutter der Mandantin ernährt wurde. Während die Vorinstanz seine Mandantin wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen hat, wurde der Rechtsanwalt wegen versuchten Totschlags durch aktives Tun verurteilt. Der 2. Strafsenat des BGH hat dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsanwalt freigesprochen. Das LG habe zwar zutreffend festgestellt, dass es sich bei dem Durchschneiden des Schlauchs um ein aktives Tun gehandelt habe. Nach früherer Rechtsprechung war eine Sterbehilfe durch aktives Tun stets strafbar. Der 2. Senat hält an dieser Rechtsprechung jedoch nicht länger fest. Sie sei zum einen nicht länger haltbar wegen der neuen zivilrechtlichen Rechtslage aufgrund der Änderung des Betreuungsrechts zum 1. September 2009. Der Gesetzgeber habe mit den Neuregelungen unter anderem zur Patientenverfügung und in § 1904 BGB entschieden, dass der Wille des einwilligungsfähigen Patienten unabhängig von Art und Stadium seiner Krankheit verbindlich sein soll, und zwar namentlich für Betreuer/Bevollmächtigte und Ärzte. Zum anderen habe sich die bisherige Abgrenzung von zulässiger „passiver“ und unzulässiger „aktiver“ Sterbehilfe anhand der naturalistischen Unterscheidung von Tun und Unterlassen als unpraktikabel erwiesen. Stattdessen will der BGH alle Handlungen in Zusammenhang mit der Beendigung einer ärztlichen Heilbehandlung zusammenfassen unter dem normativ-wertenden Oberbegriff des „Behandlungsabbruchs“. Dieser schließt auch die subjektive Zielsetzung des Handelnden ein, eine Heilmaßnahme gemäß dem Willen des Patienten zu beenden oder zu begrenzen. Eine solche Maßnahme soll dann gerechtfertigt sein, wenn sie dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Nach wie vor strafbar gemäß §§ 212, 216 StGB bleiben aber alle Handlungen, die außerhalb des Zusammenhangs mit einer medizinischen Behandlung vorgenommen werden. Ein gerechtfertigter Behandlungsabbruch liegt zudem nur dann vor, wenn sich das Handeln darauf beschränkt, einen Zustand (wieder-)herzustellen, in dem ein bereits begonnener Krankheitsprozess den Tod herbeiführt. Unzulässig sind demgegenüber solche Eingriffe, die die Beendigung des Lebens unabhängig vom Krankheitsprozess herbeiführen. Ausdrücklich weist der BGH auf die strengen beweisrechtlichen Maßstäbe hin, die für die Feststellung des mutmaßlichen Behandlungswillens zu gelten haben. Hier sei vor allem zu prüfen, ob die Verfahrensregeln der §§ 1901a und 1901b BGB beachtet wurden. 1.2 Fortführung durch BGH-Urteil vom 10. November 2010: „Kölner Sterbehilfefall“2
In einem weiteren Urteil hat der 2. Strafsenat des BGH seine Rechtsprechung präzisiert. Die Entscheidung betraf einen Angeklagten, der am Klinikbett seiner Schwiegermutter erschien und – ohne Betreuer oder Bevollmächtigter zu sein und zudem ohne Kenntnis des genauen Inhalts ihrer Patientenverfügung zu haben – lautstark die Einstellung intensivmedizinischer Maßnahmen verlangte. Wesentliches Motiv war seine Befürchtung, die Patientin könnte als Pflegefall entlassen werden und dann ihm und seiner Ehefrau finanziell zur Last fallen. Als die Ärzte kurze Zeit danach Einblick in die Patientenverfügung nehmen konnten, lehnten sie eine Behandlungseinstellung ab. Sie hielten den Zustand der Patientin für „ernst aber nicht hoffnungslos“ und sahen kein Indiz für einen von ihr gewünschten Abbruch der Maßnahmen. Mit den Worten: „Gut, dann mach ich das jetzt selbst!“ schaltete der Angeklagte daraufhin eigenmächtig alle Perfusoren ab, was zu einem dramatischen Abfall von Blutdruck und Herzfrequenz der Patientin führte. Am Versuch, auch ein Beatmungsgerät abzuschalten, wurde er gewaltsam durch einen anwesenden Krankenpfleger gehindert. Die Perfusion wurde vom Klinikpersonal nach zehn Sekunden wieder eingeschaltet. Die Patientin starb drei Stunden später an einem septischen Schock, nicht nachweisbar an der vorübergehenden kurzen Unterbrechung der Medikamentenzufuhr. Das LG Köln verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die es zur Bewährung aussetzte (obwohl es das Vorgehen des Angeklagten sehr negativ mit dem Begriff „rechtsfeindliche Züge“ bewertete). Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet. Ein gerechtfertigter Behandlungsabbruch habe schon deshalb nicht vorliegen können, weil der Angeklagte den Willen der Patientin gar nicht kannte. Außerdem waren die in der Patientenverfügung festgelegten Bedingungen nicht erfüllt, da der dort sinngemäß beschriebene Fall einer hoffnungslosen Lage nicht eingetreten war. Die Urteilsgründe enthalten einen nochmaligen Appell des BGH, die Vorgaben in § 1901a, § 1901b BGB strikt zu beachten. Der Senat bewertet sie als verfahrensrechtliche Absicherungen bei der Ermittlung des Patientenwillens und der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch. Sie gewährleisten damit Rechts- und Verhaltenssicherheit, auch für das Strafrecht. In diesem Zusammenhang betont der BGH: Nur Betreuer/Bevollmächtigte sind befugt, die Übereinstimmung einer Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zu prüfen und dem Willen des Patienten gegebenenfalls Geltung zu verschaffen. Dies geschieht zwingend im Zusammenwirken mit dem behandelnden Arzt. Dieser prüft in eigener Verantwortung, welche ärztliche Behandlung im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist, und erörtert dies mit dem Vertreter unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zu treffende Entscheidung. 1.3 Positive Aufnahme der neueren strafrechtlichen Rechtsprechung
Die neue Rechtsprechung des 2. Strafsenats wird in der Literatur überwiegend begrüßt.3 Ihr wird bescheinigt, die Rechtssicherheit für Ärzte und Betreuer/Bevollmächtigte zu erhöhen und rechtsdogmatisch im Wesentlichen überzeugende Abgrenzungen einzuführen. Anerkennend hervorgehoben wird auch, dass ausdrücklich einheitliche Maßstäbe für Strafrecht und Betreuungsrecht gelten sollen. Gaede4 spricht von „Durchbruch ohne Dammbruch“. 1.4 Rechtsfolgen
Willigt ein Betreuer/Bevollmächtigter in eine Behandlung gegen den Willen des Patienten ein („ungewollte Lebensverlängerung“), ist die Einwilligung unwirksam. Die straf- und zivilrechtlichen Folgen entsprechen denen jeder sonstigen unwirksamen Einwilligung in ärztliche Maßnahmen. Zum einen liegt eine (ggf. strafbare) Körperverletzung des Patienten vor, da die Voraussetzungen für die Aufnahme einer Behandlung bzw. die weitere Behandlung fehlen. Das gilt auch dann, wenn sich hierdurch das Leben des Betroffenen objektiv verlängert. Zum anderen können hieraus Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche analog § 1004 I 1 BGB folgen sowie Schadensersatzansprüche (nach § 823 I BGB bzw. wegen Verletzung des Behandlungs-/Pflege-/Heimvertrags, §§ 280, 241 I, 249 I BGB). Baltz spricht von „Lebenserhaltung als Haftungsgrund“.5 Willigt ein Betreuer/Bevollmächtigter nicht in die Behandlung ein, obwohl der Wille des Patienten auf (Weiter-) Behandlung zielt, kann dieses Verhalten gegebenenfalls als Tötungsdelikt strafbar sein und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche begründen. Aber für beide Konstellationen gilt: Sofern Arzt und Betreuer/Bevollmächtigter die zivilrechtlichen Regeln zur Ermittlung des Patientenwillens eingehalten haben, wird das in der Regel einen Schutz vor Strafe bzw. Haftung auch dann bewirken, wenn später neue Erkenntnisse zu dem Schluss führen mögen: Die Entscheidung bzw. Umsetzung entsprach nicht dem Patientenwillen! Man wird dann im Allgemeinen einen sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum bzw. eine Putativeinwilligung anzunehmen haben. Arzt und Betreuer/Bevollmächtigter sind zwar eigenständig zur Ermittlung des Patientenwillens verpflichtet. Ihr gutgläubiger Konsens kann jedoch Bedeutung für das jeweilige Verschulden des Arztes bzw. Betreuers/Bevollmächtigten haben.6 2 Auswirkungen in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung
Seit Inkrafttreten des 3. BtÄndG zum 1. September 2010 sind nur zwei betreuungsrechtliche Entscheidungen veröffentlicht worden, die sich mit der neuen Rechtslage befassen: LG Kleve (FamRZ 2010, 1841)7 und LG Oldenburg (Fam-RZ 2010, 1470). Um nähere Erkenntnis über die Auswirkungen der Neuregelung in der zivilgerichtlichen Praxis zu gewinnen, habe ich eine auf wenige Punkte beschränkte bundesweite Umfrage bei ca. 30 Amtsgerichten unternommen. Die Rücklaufquote betrug rund zwei Drittel. Antworten gingen ein aus den Amtsgerichten (von Nord nach Süd und wieder Nord entgegen dem Uhrzeigersinn):...


Prof. Dr. med. Gian Domenico Borasio ist Ordinarius für Palliativmedizin an der Universität Lausanne, Dr. iur. Hans-Joachim Heßler ist Vizepräsident des Oberlandesgerichts München, Dr. med. Dr. phil. Ralf J. Jox ist Mitarbeiter am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der LMU München und Dr. theol. Christoph Meier ist stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing i. R.


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