Buch, Deutsch, Band 13, 476 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 594 g
Reihe: Historische Politikforschung
Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik
Buch, Deutsch, Band 13, 476 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 594 g
Reihe: Historische Politikforschung
ISBN: 978-3-593-38445-0
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Parlament
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Geschichte
- Rechtswissenschaften Recht, Rechtswissenschaft Allgemein Rechtsgeschichte, Recht der Antike
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Demokratie
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
- Rechtswissenschaften Öffentliches Recht Staats- und Verfassungsrecht Verfassungsgeschichte, Verfassungsvergleichung
Weitere Infos & Material
I. Einleitung 9
1. Gegenstand der Untersuchung und erkenntnisleitende Fragestellung 9
2. Der theoretische und methodische Zugang 17
2.1 Kulturgeschichte der Politik 17
2.2 Diskursbegriff und historische Diskursanalyse 20
2.3 Begriffs- und diskursgeschichtlich fundierte Satzanalyse 24
3. Forschungsstand 28
4. Quellen 40
5. Gang der Untersuchung 46
II. Die Verfassungsreformdebatten des ausgehenden Kaiserreichs 1916-1918 48
1. Der Raum der Debatten 48
1.1 Der äußere Rahmen 49
Die verfassungsrechtliche Position des Reichstags - Das Reichstagsgebäude - Die Stellung des Reichstags in der politischen Kultur
1.2 Die internen Regularien 62
Die Geschäftsordnung - Die parteipolitische Zusammensetzung des Reichstags 1912-1918
2. Die Inhalte der Debatten 74
2.1 Die allseitige Verwendung des Volksbegriffs 74
2.2 Die Thematisierung der intermediären Instanzen 91
Aufgaben und Funktionen der Abgeordneten - Die Parteien zwischen Ablehnung und bedingter Anerkennung - Die Verortungen des Reichstags zwischen Volk und Regierung
2.3 Strategien der Einflussgewinnung auf die Regierung 118
2.4 Der Staat und die Staatsform im Widerstreit der Meinungen 129
2.5 Die Polarisierung durch den Demokratiebegriff 135
2.6 Der Verfassungsausschuss als Ort begrenzter Zusammenarbeit 142
Der Ausschuss und seine Arbeit - Die Verwendung des Volksbegriffs -
Die Thematisierung der Abgeordneten - Die Parteien als Hindernis -
Die Stellung des Reichstags - Der Verweis auf die Regierung -
Die Bezugnahme auf den Staat - Zusammenfassung
3. Die begleitende Presseberichterstattung 169
4. Zusammenfassung 180
III. Die Beratungen der Nationalversammlung von Weimar 1919 185
1. Der Ort der Beratungen 185
1.1 Der äußere Rahmen 186
Die rechtliche Stellung der Nationalversammlung - Der Tagungsort
1.2 Die internen Regularien 205
Die Regelung durch die Geschäftsordnung - Die politischen Parteien und ihre Verfassungsziele - Die parteipolitische Zusammensetzung
2. Verfassungspolitische Vorentscheidungen 219
2.1 Die Berufung von Hugo Preuß 219
2.2 Die Dezemberkonferenz 1918 221
2.3 Die Redslobsche Parlamentarismustheorie und ihre Rezeption 228
2.4 Stellungnahmen und private Verfassungsentwürfe 234
2.5 Der weitere Verlauf 242
Die Besprechung im Rat der Volksbeauftragten - Die Einflussnahme der Einzelstaaten - Das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt
2.6 Zusammenfassung 254
3. Die Auseinandersetzung um zentrale Aspekte im Plenum 255
3.1 Die ubiquitäre Berufung auf das Volk 255
3.2 Die Macht der intermediären Instanzen 270
Die allgemein anerkannte Stellung der Abgeordneten - Die Parteien zwischen Negation und Neubestimmung - Die Vorbehalte gegenüber dem Reichstag
3.3 Die Ausgestaltung der Exekutive 289
Die parlamentarische Regierung - Der Reichspräsident als Garant der Stärke
3.4 Die schwierige Neubestimmung des Staates 307
3.5 Die Brückenfunktion des Demokratiebegriffs 313
4. Die Verhandlungen im Verfassungsausschuss 318
4.1 Zusammensetzung und Arbeitsweise des Ausschusses 318
4.2 Die Bezugnahme auf das Volk 320
4.3 Die Ausgestaltung der intermediären Instanzen 327
Die Akzeptanz von Abgeordneten und Parteien - Die Positionierung des Reichstags
4.4 Die Notwendigkeit einer starken Exekutive 336
Die Mittelstellung der Reichsregierung - Die Auseinandersetzung um das Amt des Reichspräsidenten
4.5 Der Staat zwischen Tradition und Innovation 344
4.6 Demokratie als Argument 348
5. Die begleitende Presseberichterstattung 350
6. Zusammenfassung 368
IV. Die Debatte um das Republikschutzgesetz 1922 374
1. Der Raum der Debatte 375
1.1 Der äußere Rahmen: der Reichstag in der Weimarer Republik 375
1.2 Die inneren Strukturen 378
Die Vorgaben der Geschäftsordnung - Parteipolitische Zusammensetzung und Regierungsbildung
1.3 Das Attentat auf Walther Rathenau und seine Folgen 384
2. Semantische Kämpfe um die Weimarer Verfassungsordnung 387
2.1 Die Instrumentalisierung des Volkes 387
2.2 Die intermediären Instanzen: Anerkennung und Ablehnung 393
2.3 Die breite Anerkennung der Exekutivgewalten 399
2.4 Die Auseinandersetzung um den Staat und die Staatsform 403
2.5 Die Markierung durch den Demokratiebegriff 409
2.6 Die Verhandlungen im Rechtsausschuss 411
3. Die begleitende Presseberichterstattung 420
4. Zusammenfassung 426
V. Schluss 429
Abkürzungen 438
Quellen und Literatur 440
Danksagung 473
Personenregister 475
Nirgends in der Welt ist die Demokratie konsequenter durchgeführt als in der neuen deutschen Verfassung. […] Die deutsche Demokratie ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt. Mit diesem Superlativ würdigte der Reichsinnenminister Eduard David (SPD) am 31. Juli 1919 in der Weimarer Nationalversammlung die Verabschiedung der Reichsverfassung und damit die verfassungsrechtliche Begründung der Weimarer Republik als parlamentarische Demokratie. Diesem enthusiastisch bis emphatisch anmutenden zeitgenössischen Bekenntnis steht jedoch die Beobachtung gegenüber, dass die leitenden Demokratievorstellungen der Verfassungsväter und -mütter von Weimar weitgehend als unbekannt gelten und noch keiner systematischen Analyse unterzogen worden sind. Gerade die Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung standen in der Übergangsphase von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik infolge der Revolution von 1918/19 in der Verantwortung, die nun konstitutive Bedeutung des Volkes für die neue staatliche Ordnung anzuerkennen, in verfassungsrechtliche Formen zu überführen und damit die verfassungspolitischen Weichen für die Weimarer Republik zu stellen.
Es stellt sich die Frage, wie die Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung dieser Aufgabe gerecht zu werden versuchten, welche Demokratievorstellungen sie in den Prozess der Verfassunggebung einbrachten und wie sich diese in der Weimarer Reichsverfassung letztlich niederschlugen. Vor dem Hintergrund, dass das Parteienspektrum aufgrund der engen Bindung der Parteien an ihre jeweiligen "sozialmoralischen Milieus" (M. Rainer Lepsius) und der auch innerhalb der Milieus bestehenden Divergenzen stark fragmentiert war, ist zudem danach zu fragen, wie sich der Prozess der Mehrheitsfindung vollzogen hat. Welche Demokratieaspekte erwiesen sich als mehrheits- oder sogar konsensfähig bzw. welche stellten sich in der Verfassunggebung als nicht anschlussfähig heraus? Aufgrund der Tatsache, dass sich das parteipolitische Spektrum einschließlich der Führungsgruppen in dieser Übergangsphase durch eine hohe Kontinuität auszeichnete, ist darüber hinaus von Interesse, ob sich die Abgeordneten von überkommenen konstitutionellen Konzepten aus dem Kaiserreich leiten ließen oder neue Vorstellungen einer demokratischen Staatsordnung entwickelten. Dementsprechend beschränkt sich die vorliegende Untersuchung nicht auf die Zeit zwischen dem Zusammentritt der Weimarer Nationalversammlung am 6. Februar 1919 und der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung am 31. Juli 1919, sondern bezieht die vorangehende Verfassungsdiskussion im Reichstag des Deutschen Kaiserreichs zwischen 1916 und 1918 sowie die Beratungen über das "Gesetz zum Schutz der Republik" im Juni/Juli 1922 ein, um Aussagen zu Kontinuitäten und Wandel in den Demokratievorstellungen treffen zu können.
Dass die Frage nach den leitenden Demokratievorstellungen der Weimarer Nationalversammlung noch weitgehend unbeantwortet ist, liegt in besonderem Maße in der Schwierigkeit begründet, den Forschungsgegenstand angemessen zu spezifizieren. Ein Demokratiebegriff, der als analytischer Ausgangspunkt für das skizzierte Erkenntnisinteresse dienen kann, ist vor eine zweifache Herausforderung gestellt: Zum einen muss er spezifisch genug sein, um demokratische Vorstellungen von konkurrierenden konstitutionellen, "antidemokratischen" und rätedemokratischen abgrenzen zu können. Zum anderen muss er hinreichend allgemein sein, um der zeitgenössischen Offenheit der Diskussion gerecht zu werden. Erschwert wird die Begriffsbestimmung zusätzlich durch die Tatsache, dass die Idee der Demokratie zu einer der vieldeutigsten politischen Vorstellungen zählt. Selbst wenn Varianten des Demokratiebegriffs außer Acht gelassen werden und die wörtliche Übersetzung des aus dem Griechischen stammenden Wortes "demokratia" als "Volksherrschaft" in den Mittelpunkt gestellt wird, ergeben sich noch keine Auskünfte darüber, welche Elemente für diese "Herrschaft des Volkes" charakteristisch sind. Auch der prägnante Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln aus dem Jahre 1863, Demokratie sei "government of the people, by the people, for the people", hilft hier nur bedingt weiter. Er gibt zwar genauere Auskünfte darüber, wie Volk und Herrschaft in dieser dreifachen Interdependenz aufeinander zu beziehen sind. Jedoch beinhaltet er keine Antwort auf die "demokratietheoretische Gretchenfrage", wie das Verhältnis zwischen dem Volk und der Herrschaft zu organisieren ist.
Als Ausgangspunkt des hier zugrunde liegenden Demokratiebegriffs dient die Anerkennung der Volkssouveränität und damit des Volkes als alleiniger Träger und Inhaber der Staatsgewalt. Sie allein bietet jedoch noch kein Spezifikum einer demokratischen Herrschaftsordnung, da die Volkssouveränität auch in Diktaturen zur Grundlage erklärt werden kann und auch wurde. Spezifisch demokratisch ist also nicht die Tatsache des Bezuges zum Volk, sondern die Art dieses Bezuges: Wie wird dieses Volk verstanden und auf welche Weise fungiert der Wille des Volkes als Grundlage der Herrschaft?
Im Gegensatz zu nichtdemokratischen Auffassungen, in denen das Volk ausschließlich als eine ideelle Einheit und demzufolge auch der Volkswille als ein einheitlicher Gesamtwille konzipiert werden, gehen demokratische Ansätze einen Schritt weiter. Zwar wird auch hier das Volk in bestimmten Kontexten wie in der Anerkennung der Volkssouveränität einheitlich verstanden, definiert wird dieses Volk jedoch als die Summe der Staatsbürger. Der Letztbezug liegt also beim einzelnen Bürger, weshalb das Volk nicht als eine ideelle Einheit, sondern als eine heterogene und pluralistische Gesamtheit der Bürger verstanden wird. Daraus folgt für die Konzeption des Volkswillens, dass dieser sich aus den Einzelwillen der Staatsbürger zusammensetzen muss, wie er sich in Wahlen und Abstimmungen äußert und empirisch zu ermitteln ist. Somit ist auch der Volkswille nicht als ein gegebener und einheitlicher Gesamtwille, sondern als eine pluralistische Größe zu verstehen. Die Berufung auf das Volk und den Volkswillen ist also wie die Anerkennung der Volkssouveränität nicht