Bogner | Soziologische Theorien. Eine kurze Einführung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Reihe: Reclam Sachbuch premium

Bogner Soziologische Theorien. Eine kurze Einführung

Reclam Sachbuch premium

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Reihe: Reclam Sachbuch premium

ISBN: 978-3-15-962102-9
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Systemtheorie, Kritische Theorie, Wissenssoziologie, Akteur-Netzwerk-Theorie, Institutionentheorie und viele andere - diese Einführung verschafft einen Überblick über die zunächst verwirrende Vielfalt relevanter soziologischer Theorien, indem sie die Leser auf einen instruktiven Streifzug durch die Theorieansätze mitnimmt und deren wichtigste Vertreter vorstellt. Voraussetzungslos verständlich, klar fokussiert auf den Kern der jeweiligen Theorie, Unterschiede zu anderen prägnant herausarbeitend, mit einem Personenregister. So ist der Band ein idealer Ausgangspunkt für vertiefte Beschäftigung mit soziologischer Theorie. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Alexander Bogner, geb. 1969, ist Privatdozent für Soziologie in Wien und Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 2017 bis 2019 war er Professor für Soziologie an der Universität Innsbruck. Er ist aktuell Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Letzte Buchveröffentlichung: Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet , Reclam, 2021.
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Verwirrende Vielfalt
Sollte man aber nicht, sagt THOMAS S. KUHN (1922–1996). Der US-amerikanische Wissenschaftshistoriker hat argumentiert, dass die fortdauernde Sorge um die theoretischen Grundlagen eines Fachs kein gutes Zeichen ist (Kuhn 2021). Seiner Meinung nach zeichnet sich echte Wissenschaft (allen voran die Physik) dadurch aus, dass sie auf Basis eines breiten Forscherkonsenses operiert und die alltägliche Forschung daher in aller Regel keine Grundsatzfragen aufwirft. Im Laboralltag wird nicht darüber diskutiert, was »Natur« oder »Leben« sei. Dies macht die Naturwissenschaften leistungsfähig, denn sie können sich auf das Lösen konkreter Rätsel, also auf Detailfragen, beschränken. Grund dafür ist, dass die Forschung eine stabile normative Grundlage hat, ein einheitliches Relevanzraster, eine gemeinsame Perspektive. Kuhn nennt es »Paradigma«. An diesem Paradigma richten sich alle Forschungsaktivitäten wie Eisenpfeile in einem Magnetfeld aus. Historische Beispiele sind Newtons Mechanik oder Einsteins Relativitätstheorie, also epochale Forschungsleistungen, die Maßstäbe für die gesamte Physik ihrer Zeit gesetzt haben. Aber wie gesagt: Arbeitsteiliges, experimentelles Rätsellösen ist nur möglich, wenn die Disziplin über ein Paradigma, eine einheitliche Denkweise verfügt – und nicht vorrangig mit sich selbst beschäftigt ist. Wie wir wissen ist gerade die [11]Soziologie für Identitätsfragen anfällig: Was genau ist Soziologie? Wodurch zeichnet sich eine soziologische Perspektive aus? Gibt es überhaupt so etwas wie Gesellschaft? Weitläufige Theoriedebatten sind für Kuhn ein Hinweis darauf, dass wir es nicht mit »normaler Forschung« zu tun haben, sondern mit einer unreifen Vorstufe. In dieser Phase wird darum gerungen, welche Fragestellungen wissenschaftlich fruchtbar, welche Begriffe brauchbar, welche Daten nützlich und welche Methoden geeignet sind. Das heißt, in unreifen Disziplinen »philosophiert« man über das Grundlegende. Für Kuhn ist der Reifungsprozess erst dann abgeschlossen, wenn der Theoriediskurs beendet ist, also ein Paradigma existiert und die Phase des Rätsellösens anbricht. Theoriediskussionen sind ein Krisenindikator. Sind soziologische Theoriedebatten tatsächlich nur quälende Exerzitien in disziplinärer Selbstvergewisserung? Wohlmeinende Stimmen würden dagegenhalten, dass die unüberwindliche Theorienvielfalt innerhalb der Soziologie auf deren besondere Reflexionsfähigkeit verweist. Schließlich erzwingt die Komplexität und Uneindeutigkeit der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft eine Pluralität soziologischer Beschreibungsweisen (Fischer 2014). Eine soziologische Einheitstheorie kann es daher nicht geben. Aber stimmt das auch? Oft genug wird das Fehlen einer facheinheitlichen Theorie bemängelt und als Theoriekrise thematisiert. Dies heizt dann Versuche an, ein einheitliches Paradigma für die Soziologie zu schaffen. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind Luhmanns Systemtheorie (siehe Kapitel 7) oder Habermas’ Kommunikationstheorie (siehe Kapitel 4). [12]Trotz aller Bemühungen hat sich eine facheinheitliche Theorie bislang nicht durchgesetzt. Auch die Großtheorien werden wieder als Theorieoptionen verstanden. Die allgemein geschätzte (oder gefürchtete) Theorienvielfalt wird uns wohl noch lange erhalten bleiben. Zwar gibt es immer wieder Anläufe, die analytische Qualität konkurrierender Theorien vergleichend zu bewerten, in der Hoffnung, gemeinsame Wurzeln zu finden und Pseudo-Vielfalt zu reduzieren. Doch Theorien verfolgen unterschiedliche Ziele, sind von unterschiedlichen Denkstilen getragen und verwenden unterschiedliche Grundbegriffe. In jeder Theorie hat die Welt des Sozialen daher ein deutlich anderes Gesicht. Deswegen lassen sich Theorien so schlecht gegeneinander ausspielen. Man hat es dennoch versucht, aber dabei wurden die Theorien – so wie im berühmten Positivismusstreit der 1960er Jahre, einer Kontroverse mit Adorno und Karl Popper an vorderster Front (Adorno et al. 1993) – unter politischen Vorzeichen bewertet. Dies trug zu erheblicher Verwirrung bei, denn bei den Studierenden entstand der Eindruck, man müsse sich mitten im Wissenschaftsbetrieb zwischen Sozialismus und Faschismus entscheiden. Diese wilden Jahre sind vorbei. Doch auch die rein wissenschaftliche Kontroverse verlagert das Problem nur, weil der Streit sofort darum geht, welche Kriterien für eine Bewertung konkurrierender Theorien überhaupt angemessen sind. Diese Frage lädt die Kontrahenten dazu ein, sich auf die meta-theoretische Ebene zu begeben, von der es erfahrungsgemäß keine Rückkehr mehr gibt. Vielleicht haben sich die Energien im Theorienstreit erschöpft. Jedenfalls herrscht heute eine weitgehend friedliche Koexistenz [13]zwischen den soziologischen Denkstilen bzw. eine freundliche Indifferenz. Es gibt in der Soziologie nicht nur viele Theorien, sondern auch eine verwirrende Vielfalt an Vorstellungen darüber, was unter Theorie überhaupt zu verstehen ist. Ist eine Theorie lediglich eine generalisierende Aussage, die auf Fallbeispielen beruht? Oder ein Modell, das Hypothesen in einen inneren Zusammenhang bringt? Oder – sehr viel weiter gefasst – eine Weltanschauung, die uns beim Interpretieren und Analysieren die Optik einstellt? In diesem Buch geht es, wie schon der Titel ankündigt, um soziologische Theorien. Doch der Titel erklärt wenig. Es heißt zunächst nur, dass es sich um Theorien handelt, die aus der Soziologie stammen oder in der Soziologie eine wichtige Rolle spielen. Das könnten – rein theoretisch – auch Mikro-Theorien sein. In der Regel erwartet man von »soziologischen Theorien« jedoch, dass sie ein Panorama der sozialen Ordnung liefern, also aufs große Ganze gehen. Man erwartet, mit anderen Worten, Gesellschaftstheorien, vielleicht auch Gesellschaftsdiagnosen oder Sozialtheorien. Aber was ist hier nun wieder der Unterschied? Gesellschaftstheorien erklären Aufbau, Struktur und Funktionsweise gegenwärtiger Gesellschaften. Hier steht die Faszination für die Komplexität der sozialen Ordnung im Vordergrund, die schon bei den soziologischen Klassikern greifbar wird. Die zentralen Fragen lauten: Wie funktioniert Vergesellschaftung? Wie ist soziale Ordnung möglich? Und was treibt den sozialen Wandel an? Ihre Leistungsfähigkeit bezieht die Gesellschaftstheorie gerade aus ihrer Gesellschaftsferne, das heißt aus ihrer Distanz zu einem Gegenstand, der nicht mehr als abbildbares Objekt [14]verstanden wird, sondern in seiner Gegenständlichkeit als ganz wesentlich durch Theorieentscheidungen bestimmt gilt. Die Gesellschaftstheorie, das ist die Königsklasse soziologischer Theorien. Gesellschaftsdiagnosen forschen nach dem Wesen gegenwärtiger Gesellschaften. Im Vordergrund steht die Frage: In welcher Gesellschaft leben wir denn eigentlich? (vgl. Pongs 1999/2000) Hier geht es also – im Vergleich zur Gesellschaftstheorie – um etwas Gegenständliches, nämlich um die Suche nach einem Kernmerkmal, das die Gesellschaft im Ganzen prägt, steuert und in Schwung hält. Was sind solche Kernmerkmale? Das kann der Kapitalismus sein, die Technik oder neue Risiken. Die Rede ist dann dementsprechend von der kapitalistischen, technologischen oder Risikogesellschaft. Gesellschaftsdiagnosen setzen also voraus, dass alles, was sich auf der Erscheinungsebene der Gesellschaft ereignet, dem Wirken eines (einzigen) dahinterliegenden Prinzips verdankt – eben dem Wesen der Gesellschaft. Der Charme der Gesellschaftsdiagnose besteht in ihrer medialen Anschlussfähigkeit. Geliefert wird soziologisch informiertes Orientierungswissen mit oftmals hohem Unterhaltungswert (vgl. Bogner 2021). Sozialtheorie ist ein aus dem Englischen (social theory) eingewanderter Begriff. Er signalisiert, dass im Zuge soziologischer Theoriearbeit weithin geläufige Grundlagen sozialwissenschaftlicher Reflexion auf den Prüfstand gestellt und damit tiefschürfende Begriffsarbeiten in Angriff genommen werden. Solche fundamentalen Problemstellungen lauten zum Beispiel: Was ist gemeint, wenn vom Sozialen die Rede ist? Was ist eine Handlung und wer ist daran beteiligt? Welche Begründung und welche Folgen hat die [15]Einteilung von Menschen in Männer und Frauen? Weitere Beispiele wären Reflexionen über das Verhältnis von Mikro- und Makro-Ebene, von Handlung und Struktur, von Sozialität und Individualität. Der ausgeprägte Wille, die eigenen Denkvoraussetzungen in Frage zu stellen, ist im Übrigen auch ein Grund, warum ihre historischen Vorläufer für die Soziologie so wichtig sind. Wir gehen immer wieder zu Weber, Simmel, Durkheim und anderen zurück, um uns zu vergegenwärtigen, auf welche konzeptionelle Basis unser gegenwärtiges Denken und Deuten gebaut ist. So weit in aller Kürze. Im Mittelpunkt dieses Buchs stehen Gesellschaftstheorien, wobei das auch nur die halbe Wahrheit ist. Schließlich lassen sich die oben genannten Theorietypen nicht so leicht voneinander abgrenzen. Das sehen wir am Beispiel der frühen Kritischen Theorie: Die galt früher als Paradefall einer Gesellschaftstheorie, wird heute jedoch –...


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