E-Book, Deutsch, 446 Seiten
Böhne Was nun, Annabell
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-7470-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 446 Seiten
ISBN: 978-3-7578-7470-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schicksalhafter Liebesroman vor und nach der Wende. Im Mai 1961 besucht Annabell aus Waren/Müritz ihre Großeltern in Bonn. Dort verliebt sie sich in einen Studenten. Nach ihrer Rückkehr stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Ihr Plan, aus der DDR zu fliehen, misslingt. Sie wird wegen versuchter Republikflucht verhaftet. Während der Haft in Bautzen bekommt sie ihr Baby. Sieben Tage danach teilt man ihr mit, dass ihr Kind plötzlich gestorben sei. Sie wird in die Bundesrepublik abgeschoben. Annabell glaubt nicht an den Tod ihrer Tochter. Erst seit der Wende 1989 hat sie die Möglichkeit, nach ihr zu forschen. Das versucht ein Mann durch Drohanrufe zu verhindern. Wer ist dieser Mann? Kann er ihrer Tochter Schaden zufügen, wenn sie weiterrecherchiert? Beruflich ist Annabell eine erfolgreiche Reisekauffrau mit eigenem Reisebüro. Privat sehnt sie sich nach einem Lebensgefährten, dem sie vertrauen kann. Welche Rolle spielen dabei ihr Jugendfreund Georg und der ehemalige Kapitän Jürgen?
Gisela Böhne arbeitete in der Botschaft von Senegal in Bonn als Fremdsprachen-Korrespondentin, studierte Romanistik, Geografie und Pädagogik in Bonn und Grenoble und unterrichtete an Realschulen, zuletzt als Konrektorin. Seit 1974 lebt sie in Bielefeld. Sie ist Mitglied von DELIA. Mit Beginn der Pensionierung begann sie zu schreiben, zunächst Biografische Erzählungen unter dem Titel "Unvergessliche Tage", danach den Roman "Ich fliege nach Singapur, Gruß Jennifer" und den Fortsetzungsroman "Wir sind in Paris, Gruß Jennifer."
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Alles okay?
Waren/Müritz, Samstag, 24. Juni 1961 Annabell kam von der Toilette und starrte auf ihren Taschenkalender. Immer noch keine Regelblutung. Konnte das bedeuten, dass sie schwanger war? Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Wahrscheinlich spielte ihr Körper verrückt – gerade weil sie in zunehmendem Maße an nichts anderes mehr denken konnte. Statt zu duschen nahm sie ein Bad, möglichst heiß. Ihr Körper reagierte nicht. Sollte sie sich für heute Abend abmelden? Sie hatte sich so auf die Party gefreut. Es war das erste Klassentreffen, zwei Jahre nach dem Abschluss der Mittelschule und vor allen Dingen eine Party mit Tanz. Sie hatte Georg eingeladen mitzukommen. Er war ihr Freund, seit sie denken konnte. Er ging auf die Wossidlo-Oberschule und war eine Klasse über ihr. Waren sie nur befreundet, weil er der einzige Jugendliche in ihrem Alter war, der in ihrer Nähe wohnte? Würde er mit ihr tanzen? Eine Tanzschule hatten sie beide nicht besucht. Aber die brauchte man auch nicht unbedingt. Was sollte sie anziehen? Als sie das rote Sommerkleid zum ersten Mal anhatte, war sein spontaner Kommentar: „Das Kleid steht dir.“ Eine Stunde später verabschiedete sie sich fröhlich von ihren Eltern. Ihre Vorfreude auf den Abend war gespielt. Sie merkte ja nichts, aber dieses Nichts hätte sie gerne gegen die üblichen Bauchschmerzen eingetauscht. Georg wartete schon an der Kreuzung. Er begrüßte sie strahlend: „Das rote Kleid - extra für mich?“ Annabell dachte: Wenn er wüsste. „Du bist süß, wenn du verlegen bist.“ „Fahr los. Ich komme hinterher. Am Berg schieben wir. Ich möchte nicht durchgeschwitzt ankommen.“ „Okay“, sagte Georg und startete. In dem gemieteten Saal begrüßten sich alle laut und herzlich und stellten ihre Partner oder Freundinnen vor. Später spielte eine Schülerband, es wurde getanzt, manchmal übermütig so etwas wie Rock’n Roll und Blues zum Kuscheln. Auch Georg nahm Annabell in die Arme. Sie bewegten sich im Rhythmus Wange an Wange. Es war ein neues, ungewohntes Gefühl, obwohl er ihr vertraut war wie kein anderer. Plötzlich wurde ihr übel. Sie konnte nur noch sagen: „Entschuldige, mir ist schlecht“, sich ihre Handtasche schnappen und zur Toilette laufen. Sie musste sich übergeben. Zum Glück waren keine Mädchen dort. Und jetzt? Zurück zu Georg? Sie hätte ihm nicht in die Augen sehen können. Sie ging hinaus in die Sommernacht. Es war noch hell. Sie nahm ihr Fahrrad und schob es ein Stück, bis es ihr wieder besser ging. Dann fuhr sie nach Hause – langsam, damit die Eltern schon im Bett waren, wenn sie ankam. Sie schlich sich in ihr Zimmer, zog ihr Kleid aus, schminkte sich ab und warf sich auf ihr Bett. Verzweifelt und ratlos weinte sie sich in den Schlaf. Waren, Montag, 26. Juni 1961 Annabell stand vor der Tür mit dem Schild Wartezimmer. Bei der Arzthelferin hinter dem Dresen hatte sie sich forsch angemeldet. Sie zögerte. Noch könnte sie einfach wieder verschwinden. Was hätte das für einen Sinn? Das würde an ihren anderen Umständen nichts ändern. Sie nahm im Wartezimmer Platz und fragte sich, warum sie dort saß. Spannte sich ihr Busen bereits, oder bildete sie sich das nur ein? Ein Baby, jetzt schon? Das war viel zu früh! Nur langsam begann Annabell zu begreifen, dass etwas passiert war, das nicht rückgängig zu machen war und ihr Leben völlig umkrempeln würde. Was würden ihre Eltern sagen? Würden sie ihr Baby betreuen, wenn sie in der Buchhandlung arbeitete? „Frau Petersen, bitte!“ Petersen? Das galt ihr. Annabell folgte der Arzthelferin. Einmal war sie bisher bei dieser Frauenärztin gewesen, weil ihre Mutter sie hingeschickt hatte. Die Ärztin saß an einem Schreibtisch und zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber, sah sie prüfend an und fragte: „Haben Sie einen bestimmten Grund für diesen Besuch, Frau Petersen?“ „Meine Regelblutung ist zwei Wochen überfällig“, platzte Annabell unwillkürlich heraus. „Haben Sie Ihre Blutung normalerweise regelmäßig?“ „Ich könnte die Uhr danach stellen.“ „Erinnern Sie sich? Ich hatte es angeboten, Ihnen die Pille zu verschreiben. Wissen es Ihre Eltern schon, oder haben Sie es zuerst dem Vater Ihres Babys gesagt?“ „Das ist das zweite große Problem. Ich war über Himmelfahrt und den Brückentag in der BRD in Bonn bei meinen Großeltern zu Besuch, und dort wohnte ein Student. Ich habe mich Hals über Kopf in ihn verliebt.“ „Wie lange waren Sie dort? „Fünf Tage.“ „Oh, so viele Tage hat man Ihnen zugebilligt?“ „Wahrscheinlich wegen des Feiertags.“ „Haben Sie es ihrem Freund schon geschrieben?“ „Ich würde es ihm am liebsten persönlich erzählen.“ „So schnell bekommen Sie keine neue Reiseerlaubnis“, stellte die Ärztin fest und schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich möchte Pedro dabei in die Augen sehen.“ „Das verstehe ich. Sie möchten erkennen, wie er es aufnimmt.“ „Nicht nur er. Ich weiß auch nicht, was ich dabei fühlen würde. Er hat mich für eine Studentin gehalten, und ich habe ihm nicht widersprochen. Ich war nur Gefühl und hatte keinen Verstand.“ „Kann er Sie hier in Waren besuchen?“ „Nein, er stammt aus Fuerteventura und wohnt nur für kurze Zeit bei meinen Großeltern, weil er die Ruhe für die Fertigstellung seiner Examensarbeit braucht. Im Studentenwohnheim war es ihm zu lebhaft. Er wird Arzt. „Typisch“, sagte die Ärztin lächelnd. „Haben Sie Ihre Schulzeit schon beendet?“ „Ja, vor zwei Jahren mit dem Mittelschulabschluss, und ich habe gerade nach zwei Jahren Lehre meine Prüfung als Buchhändlerin bestanden.“ „Seien Sie froh, dass Sie hier in der DDR sind. Sie haben es bei uns leichter als in der BRD. Dort dauert eine Lehre drei Jahre. Was sind Ihre Eltern von Beruf?“ „Meine Mutter ist Floristin, mein Vater Landwirt. Wir haben einen Bauernhof.“ „Noch! Bis zur Kollektivierung. – Ich sehe, Sie werden am 13. August 18 Jahre alt. Damit gelten Sie hier als erwachsen. In der Bundesrepublik wird man erst mit 21 Jahren volljährig. So ein Quatsch. Das ist man für mich, wenn man in der Lage ist, ein Baby zu bekommen, und Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie sind in der Lage.“ Die Ärztin stand auf. „Kommen Sie bitte mit. Ich werde Sie jetzt untersuchen.“ Die Ärztin nahm Annabell Blut ab und erklärte: „Die Blutprobe schicke ich ins Labor. In einer Woche können Sie bei mir das endgültige Ergebnis erfragen.“ Nach der weiteren Untersuchung versicherte die Ärztin: „Es ist alles okay. Ich gebe Ihnen einen Plan mit, auf dem steht, wann sie wiederkommen sollten, wenn alles normal verläuft, bei Unregelmäßigkeiten bitte natürlich sofort. Sie werden sich auf ihr Baby freuen. Als Alleinerziehende erhalten sie hier auf jeden Fall einen Krippenplatz. Das ist in Westdeutschland nicht so. Wir sind in dem Punkt viel fortschrittlicher. Und ich versichere Ihnen: Sie haben bestimmt das süßeste Baby der Welt.“ „Ja“, sagte Annabell unwillkürlich. „Es wird auffallen, denn es hat einen spanischen Vater und eine senegalesische Oma. Pedro hat eine hellbraune Hautfarbe.“ „Oh ha, Sie lassen kein Problem aus.“ „In Bonn wäre das kein Problem. Dort gibt es viele süße Diplomatenkinder in den unterschiedlichsten Hautfarben.“ „Sie haben dort Ihre Großeltern besucht, sagten Sie?“ Den prüfenden Blick der Ärztin bei dieser Frage konnte Annabell nicht deuten. Hatte sie zu viel von sich erzählt? Als sie am Abend nach Hause kam, lag ein Brief von Don Pedro, zur Zeit bei Familie Petersen, auf ihrem Schreibtisch. In seinem ersten Brief hatte er sie mit einer außergewöhnlichen Blume verglichen. Sie hatte ihm nicht ebenso ideenreich geantwortet. Dieses Mal bezeichnete er sie als seine Glücksfee, weil er eine gute Note für seine Examensarbeit bekommen hatte. Seine Worte schmeichelten ihr. War die Beziehung zwischen Pedro und ihr wirklich Liebe? Müsste er dann nicht so etwas schreiben wie ‚Ich vermisse dich‘ oder ‚Ich sehne mich nach dir‘? Und sie selbst? Würde sie jetzt mit ihm in Spanien eine Familie gründen wollen? Annabell ging zum Fenster und schaute in den Himmel. Das machte sie gerne, wenn sie eine Frage hatte. Meistens fand sie beim Blick in die Wolken eine Antwort. Die dunklen Wolken bewegten sich nicht von der Stelle, als wollten sie sagen: Heute musst du die Antwort alleine finden. Nachdenklich ging sie zurück in ihr Zimmer und fragte ihr Spiegelbild: „Was nun, ledige Mama Annabell aus Waren an der Müritz oder unfreiwillige Ehefrau eines Arztes...