E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Boehm Im Königreich der Frommen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95577-311-3
Verlag: Peter Boehm
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-95577-311-3
Verlag: Peter Boehm
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ÜBER DAS BUCH:'In anderen Ländern zieht man Leute so an, um kleine Kinder zu erschrecken, im Königreich Frauen. Dreizehn Monate lang hat der deutsche Journalist Peter Boehm an saudischen Universitäten unterrichtet. Er erzählt von Kindern, die Auto fahren dürfen, aber Frauen, die das nicht dürfen, von Luxus-Arbeitslosen und Frauen im Darth Vader-Kostüm, von Hausmädchen und ihren Horror-Geschichten, von der saudischen Autogesellschaft und dem wahnwitzigen Bauboom. Aber vor allem zeichnet Peter Boehm das detailgetreue Porträt einer islamisch-fundamentalistischen Gesellschaft, die auf der Welt ihresgleichen sucht. ÜBER DEN AUTOR:Peter Boehm ist Autor des Reise&Abenteuer Bestsellers Afrika Quer. Er war fast zehn Jahre lang Auslandskorrespondent der Berliner tageszeitung, taz, in Nairobi, Taschkent und Los Angeles und hat für viele renommierte deutsch-sprachige Zeitungen geschrieben und Features für das öffentlich-rechtliche Radio produziert.
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EIN GEBET FÜR DEN REGEN
Die saudi-arabische Hauptstadt Riad liegt mitten in der Wüste. Dort regnet es also nicht oft, auch nicht Mitte Januar. Deshalb war ich erstaunt, als ich eines Abends sah, die Wettervorhersage im Internet sagte für den nächsten Tag richtigen Regen voraus. Früh am nächsten Morgen schon orgelten die Imame über die Lautsprecher auf den Moscheen Gebete für den Regen durch die Viertel. In den Zeitungen stand, der König habe sie nach langer Dürre angewiesen, zusammen mit den Gläubigen für das Leben spendende Nass zu beten. Bis auf einige wenige Imame in privaten Moscheen ist der König als Oberhaupt der Gläubigen derjenige, der die Imame beschäftigt und bezahlt. Der Regen kam wie vorhergesagt. Aber er kam so dick, dass das Wasser bald kniehoch in den Straßen stand. Unsere Studenten baten uns, sie zwei Stunden früher nach hause gehen zu lassen, um nicht ins erwartete Verkehrschaos zu geraten. Wo zuvor flache, breite Straßen waren, staute sich nun weitflächig das Wasser. Von unserer Schule nach Hause bahnte sich unser Kleinbus langsam den Weg durch riesige Pfützen, kleine Seen wirklich und an machen Stellen kleine Flüsse. Vor unserem Apartmentblock stand ein paar Tage lang ein kleiner Teich, den wir weiträumig umgehen mussten, wollten wir nicht nasse Füße bekommen – bis schließlich ein Tanklastwagen kam und ihn abpumpte. Dschidda, die Hafenstadt am Roten Meer, stand wieder einmal völlig unter Wasser. Nach starken Regenfällen im Dezember 2009 sind dort nach offiziellen Angaben mehr als 120 Leute ertrunken – die meisten jämmerlich in ihren Autos. Warum ist das so ein großes Ding, fragte ich mich, wenn es im Königreich einmal regnet? Der Grund war einfach zu verstehen: Die Städte des Landes haben keine Kanalisation. Das Regenwasser kann also nicht ablaufen. Aber warum war das so? Selbst nach Dutzenden von Zeitungsseiten, die die Journalisten hier schon zu dem Thema vollgepinselt haben, war mir immer noch nicht klar, warum die Städte eigentlich keine Kanalisation hatten. Ein europäischer Bauingenieur, an den ich mich verzweifelt um Aufklärung wandte, erzählte mir, ursprünglich hätten die Stadtplaner einfach auf sie verzichtet. Wie oft regnet es schon in der Wüste! Als die Städte jedoch wuchsen, die asphaltierte Fläche zunahm und das Wasser immer weniger Platz fand abzulaufen, mussten sie ihre Meinung ändern. In Dschidda zum Beispiel war das vor rund zehn Jahren. Nur: Die Regierungsgelder für die geplanten Abwasser-Baumaßnahmen verschwanden in den Taschen irgendeines Prinzen und/oder seiner Getreuen. Deshalb wurde keine Kanalisation gebaut und deshalb stehen die saudischen Städte heute unter Wasser, wenn der Regen kommt. Blieb für mich allerdings noch eine Frage: Waren es wirklich die Gebete der Gläubigen, die den Regen brachten? Das fragte ich den jungen Saudi an der Rezeption unseres Apartmentblocks am Tag nach dem Guss. Er hat studiert, aber er sagte: „Der Herr lässt uns nicht im Stich.“ Ich fragte den nächsten, meinen Vorgesetzten an der Hochschule. Er hat in England studiert und acht Jahre lang dort gelebt. Er verdrehte die Augen und sprach versonnen: „Aber natürlich, das ganze Land hat ja dafür gebetet.“ Nur der Menschenrechtler Mohammed Al Qahtani winkte gelangweilt ab. Er ist so eine Art Ein-Mann-Opposition des Landes, einer der ganz wenigen Saudis, die ungezwungen mit westlichen Journalisten reden. Ohne nachzudenken sagte er: „Die Show ziehen die hier immer ab, bevor es anfängt zu regnen.“ Willkommen im Königreich der Frommen. Auf den Einen mag Saudi Arabien wirken wie eine große Show. Das Land selbst sieht sich jedoch als die von Gott gegebene Antwort auf die Frage nach der staatlichen Organisation, als irdisches Paradies der Gläubigen. Bis die Anschläge des 11. September 2001 Saudi Arabien in seinem Selbstverständnis erschütterten – fünfzehn der neunzehn Flugzeugentführer waren junge Saudis – behauptete der Klerus des Landes noch, Saudi Arabien habe das „perfekte islamische System“. So ähnlich sehen es auch andere. Für Hafis Muhammed Saeed, den Chef der pakistanischen Jamaat Ud Dawah-Gruppe, vormalig Lashkar eTaiba, jener Organisation, die für die Terroranschläge 2008 in Mumbai verantwortlich zeichnete, ist Saudi Arabien „der beste islamische, wenn auch nicht der ideale islamische Staat“. Das Königreich teilt die Ideologie der radikalen Sunni-Fundamentalisten, Al Quaida eingeschlossen: den Salafismus. Das ist der Glaube, dass alles gut war unter dem Propheten und den ersten vier „rechtgeleiteten“ Kalifen im 7. Jahrhundert. Der Salafismus ist die Grundlage des „perfekten islamischen Systems“. Deshalb dient das Königreich für eigentlich alle sunnitisch-fundamentalistischen Systeme als Vorbild. Nach dem Putsch der Militärs 1989 in Karthum schauten Hassan Al Turabi und Omar Al Baschir nach Saudi Arabien, um ihre Ideen zu verwirklichen. Die Bundesstaaten in Nord-Nigeria wollten ein auf der Scharia basierendes Gerichtssystem einführen? Im Königreich konnten sie seine Umsetzung studieren. Die afghanischen Taliban brauchten Geld? Also führten sie ihre pakistanischen Förderer im Königreich ein. Auch wenn das Königreich heute sein Rolle bei der Finanzierung der afghanischen Taliban herunterspielt, Saudi Arabien war der bei weitem wichtigste Geldgeber der Koranschüler, sei es durch staatliche Zuwendungen oder durch die Gelder von nicht-staatlichen Wohlfahrtsorganisationen. Die Taliban wiederum haben ihr berüchtigtes Ministerium zur Förderung der Tugend und der Verhinderung des Lasters nach dem direkten Vorbild der Kommission zur Förderung der Tugend und der Verhinderung des Lasters geschaffen, der saudischen religiösen Polizei. Osama bin Laden wuchs im Königreich auf und wurde dort geprägt. Von seinem Heimatland kehrte er sich erst ab, nachdem er 1994 dem saudischen Königshaus vorgeschlagen hatte, von ihm zusammenzustellende Freiwilligenverbände in die vom Irak bedrohten Grenzregionen zu schicken. Das Königshaus, das 1980 bei der Besetzung der großen Moschee in Mekka schlechte Erfahrungen mit radikalisierten Freischärlern gemacht hatte, lehnte dankend ab und holte stattdessen US-Truppen ins Land. Das löste den Bruch mit Osama bin Laden aus: Die pro-westliche Außenpolitik des Königshauses gab den Ausschlag, nicht die heimische Ordnung. Aber wie sieht es aus, so ein perfektes System, heutzutage, in den Zeiten der Informationsrevolution? Die Antwort gab auch hier der Regen. Moderne Technologie und göttlicher Wille koexistieren friedlich und schließen sich nicht aus. Natürlich gab es auch in Saudi Arabien die Wettervorhersage. Und meine Studenten verfolgten sie auch und trauten ihr. Sonst wären sie ja ins Verkehrschaos geraten. Aber gleichzeitig waren sie auch davon überzeugt, dass Gebete Einfluss auf den Regen haben. Fast jeden Tag schreiben die saudischen Zeitungen über solche Probleme, wie den Bau einer Kanalisation, die mangelnde Städteplanung, das Versprechen einer U-Bahn, die dann doch nie kommt, ja, die Unfähigkeit der saudischen Behörden überhaupt, grundlegende kommunale Aufgaben zu bewältigen. Doch das „perfekte islamische System“ in Frage stellen sie nie. Dieser Konflikt zwischen islamischer Lehre und den Herausforderungen einer modernen Wirtschaft und Verwaltung wird im Königreich jeden Tag ausgetragen. Oft gewinnt das perfekte System, manchmal die Moderne. Aber die Spannungen zwischen ihnen bleiben immer erhalten. Willkommen im Königreich der Frommen.
HIER REGIEREN DIE ALTEN
Der wohl mächtigste Mann der arabischen Welt ist ein Greis. Bei einer seiner raren Fernsehansprachen im Frühjahr 2011 erschien König Abdullah äußert gebrechlich. Langsam hangelte er sich durch ein paar Dekrete. Das Sprechen bereitete ihm sichtlich Mühe, nur stockend konnte er ein paar Sätze vom Blatt ablesen. Nach ein paar quälend langen Minuten war es endlich vorbei. Sein Alter sieht man ihm jedoch gar nicht nicht an. Sein Mösenbart ist tiefschwarz eingefärbt, und der weiße Shemagh, das Tuch, mit dem er stets den Kopf verdeckt, verbirgt seine Vollglatze. Unmittelbar nach der Ansprache wurde der traditionelle Säbeltanz der saudischen Prinzen gezeigt. Der König zuckte mit den Schultern und tanzte federnden Schrittes um die anderen Spätsiebziger herum. Seinen Säbel schwang er mit Elan. Allerdings vergaß das staatliche Fernsehen zu erwähnen, dass der Tanz vor ein paar Jahren aufgenommen wurde. „Der König hat chronische Rückenschmerzen“, sagt ein westlicher Diplomat. Er kann keinen Säbel mehr schwingen. Während im Frühjahr 2011 in anderen arabischen Ländern die alten, verknöcherten Regime wankten, ist Saudi Arabien außer Mauretanien bisher das einzige Land, in dem es keine Massenproteste gab – die Ost-Provinz ausgenommen, in der eine große schiitische Minderheit lebt. Dabei ist die...