Bock / Schubarth / Berger | Basiswissen Verschwörungsmythen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

Bock / Schubarth / Berger Basiswissen Verschwörungsmythen

Ein Leitfaden für Lehrende und Lernende

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

ISBN: 978-3-17-041248-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



From Corona denial, to Pizzagate and QAnon, to the Jewish world conspiracy & conspiracy myths are experiencing a boom. Providing seductive answers to complex questions, they penetrate everyday communications, especially in times of crisis, poisoning the climate of opinion with their friend&foe images and thus endangering democratic coexistence. This volume provides teachers with basic knowledge about the phenomenon of conspiracy myths. In the theoretical part, central terms are explained, historical references are made and explanatory approaches, mechanisms of action and empirical findings are presented. The practical part of the book describes sensitization, basic knowledge and lesson planning as the three building blocks for dealing with conspiracy myths.
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Hysterie in Historie und Gegenwart – Woher kommen Verschwörungsmythen?
  In diesem Kapitel wird die historische Genese von Verschwörungsmythen anhand ausgewählter Beispiele dargestellt. Damit soll verdeutlicht werden, dass Verschwörungsglauben kein neues Phänomen ist. Vielmehr sind die Ausprägungen einzelner Narrative vor dem Hintergrund der medialen Entwicklung adaptions- und evolutionsfähig. Verschwörungsmythen lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Die frühesten Überlieferungen beziehen sich meist auf kleinere Religionsgemeinschaften, die sich in Opposition zur Mehrheitsgesellschaft befanden. Gut dokumentierte Beispiele lassen sich unter anderem im Zuge der Christenverfolgung im römischen Kaiserreich beobachten. Das bekannteste Beispiel ist die angebliche Brandschatzung Roms durch Christen (64 n. Chr.), bei der Kaiser Nero der Erzählung nach absichtlich ein Feuer gelegt haben soll, um die Stadt neu aufzubauen und aus dieser Macht heraus das Christentum zu verbieten bzw. Christen zu verfolgen und umbringen zu lassen (Barrett, 2020). Ein ähnliches Muster zeigt sich bei antisemitischen Verschwörungsmythen bereits im frühen Mittelalter. Der Antisemitismus ist für sich genommen ein Phänomen, dem hier in seiner historischen Bedeutung kaum Rechnung getragen werden kann. Diese Verschwörungsmythen sind die wohl schlimmsten und langlebigsten. Die Bandbreite antisemitischer Verschwörungsmotive, die sich bis heute gehalten haben, ist äußerst divers und taucht in verschiedensten Kontexten immer wieder auf. Häufig stehen sie in direkter Verbindung zu Pogromen und zur systematischen Diskriminierung jüdischer Minderheiten. Dies gilt sowohl für das Motiv des Juden als »Brunnenvergifter«, welches unter anderem in Pest-Narrativen Verwendung fand, welche »die Juden« für Seuchenausbrüche verantwortlich machten, als auch für Verschwörungserzählungen über »Kindsmord« in Bezug auf das jüdische Opferfest (Wetzel, 2012). Die Vorstellung, in jüdischen Gemeinden würden christliche Kinder geopfert, regelmäßig verbunden mit Ritualmord-Motiven und der Vorstellung, dass Kinderblut getrunken würde, findet sich in über die Jahrhunderte permanent wieder – sowohl in der mittelalterlichen Ursprungsvariante, im Zuge verschiedener Pogrome bis in die Neuzeit, in der nationalsozialistischen Hetze gegen Deutsche jüdischen Glaubens als auch in der QAnon-Verschwörung (Amarasingam & Argentino, 2020). In der jeweiligen Variante sind die »Kindsmorde« ein Begleitmotiv, welches die sinistren, in vielen Fällen im Wortsinn teuflischen Bestrebungen der angeblichen Verschwörergruppe deutlich machen sollen. In Verbindung steht dies in der Regel mit einem Hauptmotiv, etwa dem Betreiben »dunkler Magie«, um Ernteausfälle zu erzeugen und die Position jüdischer Händler zu verbessern (Rohrbacher & Schmidt, 1991). Eine wichtige Phase in der Verbreitung und vor allem politischen Bedeutung von Verschwörungserzählungen waren die Amerikanische und unmittelbar folgend die Französische Revolution. Die damit einhergehenden Veränderungen wiesen zwei Ansatzpunkte für diverse Verschwörungserzählungen auf. Zum einen die Veränderungen der politischen Machtstrukturen und der Umbruch der gesellschaftlichen Ideenlandschaft: Die Vorstellung von grundlegenden Freiheiten für die große Mehrheit gegenüber Klerus und Adel stellt das gesamte gesellschaftliche Gefüge in Frage. Hinzu kommt das bereits im vorrevolutionären Umfeld entstandene Klima der geheimen Salons und konspirativen Gesellschaften, das von absolutistischer Zensur und omnipräsenter Geheimpolizei geprägt war. Sowohl die moderne Variante der Freimaurer als auch die der Illuminatenorden sind in akademischen Kreisen meist aufklärerischer und revolutionärer Bürgerhäuser entstanden (Cubitt, 2006). Insbesondere von konservativer Seite wurde revolutionären Umtrieben ein konspiratives Wirken zugeschrieben, was von der Angst zeugt, die die oberen Schichten erfasst hatte. Die Geheimgesellschaften, die sich großer Beliebtheit in bürgerlichen Kreisen erfreuten, wurden zu Fixpunkten einer Vielzahl von Verschwörungserzählungen (Cubitt, 2006). Im 19. Jahrhundert formten sich derartige Verbindungen neu oder reformierten sich nach historischen oder fiktiven Vorbildern. Ihre inhaltliche Ausrichtung reichte von pseudoantikem Obskurismus (Mischung früher wissenschaftlicher Erkenntnisse über Phänomene wie Elektrizität, Magnetismus, Biologie mit Astrologie, okkulten Geheimlehren, Formen des Spiritismus) bis hin zu konkreten politischen und religiösen Ideologien. Nach heutigem Wissensstand hatte keine dieser Organisationen einen maßgeblichen Einfluss auf politische Ereignisse und Revolutionen. Natürlich gab es zahlreiche wichtige Persönlichkeiten wie etwa George Washington, die Mitglieder in solchen Organisationen waren (in seinem Fall die der Freimaurer) und deren Handlungen Auswirkungen auf das historische Geschehen hatten. Jedoch gab und gibt es bis heute keinerlei Hinweise darauf, dass ihre Handlungen maßgeblich von diesen Organisationen beeinflusst worden wären. Dennoch erwies sich diese Zeit als prägend für viele bis heute fortgesetzte Verschwörungsmythen, z. B. auf das vermutete Wirken der Illuminaten und Freimaurer, die in diesen Narrativen zu Epochen übergreifenden Mächten verklärt wurden (Frenschkowski, 2007). Verschwörungsmythen sind historisch gesehen keine bloßen skurrilen Beiprodukte historischer Umbrüche, sondern wesentlicher Bestandteil politischer Diskurse und Ideologien. Im Zuge des im Europa des 20. Jahrhunderts erstarkenden militanten Nationalismus finden sich viele aus Verschwörungsmythen abgeleitete Narrative über das Untergraben nationaler Größen durch eine Gruppe von Verschwörer:innen (Juden, Bolschewisten/Kommunisten/Marxisten, Sozialdemokraten). Gerade in der deutschen Geschichte haben sich Verschwörungsmythen als im negativsten Sinne treibende Kräfte und zentrale Bestandteile, insbesondere der nationalsozialistischen Ideologie, erwiesen (Wippermann, 2007). Eine der wirkmächtigsten Verschwörungserzählungen ist die der sogenannten »Dolchstoßlegende«: Die Vorstellung, die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die anschließende wirtschaftliche Katastrophe wären nicht auf politisches und militärisches Versagen und eine Mischung aus nationalistischem Größenwahn bei gleichzeitiger Inkompetenz zurückzuführen, sondern auf das Untergraben der Kriegsbemühungen durch »die Juden« und »die Sozialdemokraten«. Eben jener Verschwörungsmythos einer »Jüdischen Weltverschwörung«, der mit dem Aufkommen der kommunistischen Bewegung und der bolschewistischen Oktoberrevolution mit dem »Gespenst des Kommunismus« vermengt wurde, stellte im NS-Regime die Rechtfertigungsschablone für den Holocaust dar (Neitzel, 2008). Keine der zu diesem Zeitpunkt präsenten Verschwörungserzählungen war im eigentlichen Sinne neu, sondern es waren Iterationen bekannter Motive in Adaption zu neuen politischen Entwicklungen. Diese Entwicklungen brachen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keinesfalls ab. Im Klima des Kalten Krieges entsponnen sich Verschwörungserzählungen sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion bezüglich der Unterwanderung durch Verschwörergruppen (Hecht, 2003). Die konkrete Ausrichtung der Narrative ist stets vom kulturellen Hintergrund abhängig, in dem sie erstmals aufkommen. In den 1980er-Jahren breitete sich z. B. in den USA die sogenannte »Satanic Panic« aus. Der Begriff ist ein Sammelterm für verschiedene Narrative, die satanistische Geheimbünde sowohl hinter einer Reihe angeblicher (Kinds-)Ritualmorde als auch diverser progressiver politischer Entwicklungen sahen und die im Widerspruch zu den extrem konservativen Ansichten einer durch evangelikale Moralvorstellungen geprägten Gesellschaft standen (Frankfurter, 2003). Verschwörungsmythen sind ambivalenter Natur: Zum einen gibt es Konstanten, wie etwa die antisemitischen Motive von »Kindsmorden«, »Jüdischen Eliten« und ähnliche Sprachbilder, die sich in verschiedenen Epochen wiederfinden lassen. Zum anderen sind diese Konstanten jedoch kulturell und politisch adaptionsfähig. Besonders deutlich wird dies am erwähnten Beispiel der »Jüdisch-bolschewistischen Verschwörung«. Hierbei wurde das ältere Narrativ des »Jüdischen Großkapitalisten/Arztes/Intellektuellen« bzw. der »Jüdischen...


After completing teacher training at the University of Potsdam, Sophia Bock is preparing a doctoral dissertation on the topic of conspiracy ideologies as a challenge for schools and teachers. Prof. Wilfried Schubarth taught on issues of young people, schools and educational research in the Department of Educational Science at the University of Potsdam until his retirement (2021).


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