E-Book, Deutsch, 555 Seiten
Bock Pipeline
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7531-8493-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Geschichte aus den Tiefen der Ostsee
E-Book, Deutsch, 555 Seiten
ISBN: 978-3-7531-8493-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von mir gab es als eBooks bereits 'Morituri', 'Pharmageddon', 'Wir im Kopf' usw.
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Providence, Rhode Island
Mittwoch, 27. September 2018. Die Stimmung war ausgesprochen mies, als NagaA-CEO Derrick Moscone gegen 10.00 a.m. seinen Platz am Kopf des Besprechungstisches im kleinen aber prächtigen George P. Mitchell-Tagungsraum eingenommen und das Meeting mit einem Schlag der Schiffsglocke eröffnete, die einmal auf dem berühmten Walfisch-Fänger „Charles W. Morgan“ die Glasen geläutet hatte.
Eigentlich war die Stimmung in der ganzen Firma schon lange vor dem Meeting schlecht gewesen. Und noch „eigentlicher“ war die Stimmung in der ganzen Fracking Industrie seit Jahren desaströs, weil alle unter dem enormen Preisverfall auf dem Heimatmarkt litten.
Natürlich gab es auch Gewinner in diesem von den kleinen Anbietern nicht zu gewinnenden Krieg um Kunden, das waren die großen Firmen ExxonMobil, BHP, Halliburton und einige andere der Energieriesen, die z.B. mit Öl das Geld verdienten, das sie einsetzten, um an kleinen Firmen aufzukaufen, was aufzukaufen war. Denn eines Tages würde der Schweinezyklus vorbei sein, und dann würden die Preise wieder in (un)geahnte Höhen steigen, und allein die mitgekauften Schürfrechte der Kleinen würden bares Gold oder Bitcoin oder wie die Währung dann heißen würde wert sein.
Die Pracht des Besprechungsraumes passte im Moment ebenso wenig zur Stimmung, wie die draußen herrschenden spätsommerlichen Temperaturen und die Farbenpracht des Indian Summer.
Keiner der Beteiligten, und das waren alle leitenden Angestellten der NaGaA, hatte eine andere Atmosphäre erwartet. Und alle hatten sie Angst vor diesen Montagmorgen-Treffen der Firmenleitung, denn CEO Derrick Moscone war in der Branche als unberechenbarer Choleriker bekannt!
Die Umsatzzahlen waren im letzten Quartal noch einmal tiefer in den Keller gerutscht, nachdem man zuvor doch schon geglaubt hatte, die Talsohle erreicht zu haben. Hatte man aber offenbar nicht...
Die Kosten blieben trotz aller Sparmaßnahmen auf einem zu hohen Niveau – das wussten sie alle, und die NaGaA hatte wirklich alles versucht: Man hatte Mitarbeiter entlassen, sogar der bis dato kostenlose Kaffee war im 12. und 13. Stock rationiert worden. Letzteres nicht, weil das irgendeine messbare Einsparung brachte, das wussten auch die Verantwortlichen dieser Maßnahme, sie war vorgenommen worden, um auch dem letzten verbliebenen Mitarbeiter den Ernst der Lage zu demonstrieren.
Aber ernst war es nicht nur für die NAGAA, nein, das betraf alle Fracking-Firmen und auch die Zulieferer. Der heimische Markt für Erdgas war zu Dumpingpreisen gesättigt, neue Absatzquellen fast unmöglich zu erschließen und weder mittel- noch langfristig waren neue Abnehmer in Sicht.
„Rich“, sprach Moscone seinen Finanzchef Goldwater mit einer Mine an, die einem Kapitän Ahab angemessen gewesen wäre, nachdem Moby Dick sein Schiff versenkt hatte, „wie sieht es aktuell aus? Und bevor du weit ausholst, du weißt, du neigst dazu, bitte ich dich: Mache es kurz!“
Richard Ronald Goldwater schraubte also seinen Mont Blanc Füller, den er in Erwartung der notwendigen Notizen schon aufgeschraubt hatte, sorgfältig wieder zu und legte ihn betont langsam und sorgsam zur Seite. Dann schlug er die Ledermappe zunächst auf, um zu zeigen, dass er gut vorbereitet zum Meeting gekommen war. In der Mappe warteten ca. 25 Folien darauf, verwendet zu werden. Sie hätten locker für einen halbstündigen Fachvortrag gereicht. Außerdem bewahrte er dort die 48 von seiner Assistentin ständig aktualisierten Reservefolien auf, die für den Fall vorgesehen waren, dass der CEO irgendwelche unerwarteten Fragen stellen würde (er neigte dazu). Goldwater war der wahrscheinlich letzte Finanz“mensch“ in ganz Rhode Island, der noch richtige Overheadfolien produzieren ließ. Er traute diesem neumodischen Kram mit Powerpoint-Präsentationen auf dem Laptop nicht, er fand auch, dass sie alle gleich aussahen. Für seine Overhead-Folien hatte er in sehr guten Zeiten von einer Grafik-Agentur für viel Geld einen individuellen Stil entwickeln lassen.
Außerdem hätte er es nie geschafft, seinen Laptop mit dem Beamer zu verbinden. Das zu lernen, war nicht sein Ding, fand er, er war schließlich Head of Finance und nicht irgendein Dutzend-IT-Techniker. Nein, Powerpoint und den ganzen PC-Mist sollten die Jungen nur machen, er jedenfalls nicht.
Inzwischen hatte seine Sekretärin bereits Probleme, diese altmodischen Folien überhaupt noch zu besorgen. Ihm war das egal, das war nicht sein Problem, er war Head of Finance, nicht weniger.
Nach dem Hinweis des CEO, es bitte kurz zu machen, klappte Rich seine Ledermappe mit einem demonstrativen Seufzer und lautem Klappen wieder zu, schaute für einen kurzen Moment gottergeben zum Himmel resp. zur Stuckdecke des Tagungsraumes, seufzte ein zweites Mal tief – das war seine Art, sein totales Nicht-Einverständnis zu zeigen –, holte tief Luft, wartete dann noch einen Moment, um schließlich nur ein Wort zu sagen: „Schlecht.“
Und nach einem Moment des Überlegens, ob er seine Präsentation trotz Moscones Hinweis um ein paar Worte ergänzen sollte, fügte er hinzu: „Und zwar zum Gotterbarmen schlecht.“ Das war´s. Damit war seine Präsentation beendet. Wenn sie es kurz wollten, bitte schön, das hatten sie davon: Fünf Sekunden statt informativer 30 Minuten.
Goldwater war sehr enttäuscht. So viel Arbeit seiner geschrumpften Abteilung für ein einziges Wort: Schlecht, den beschreibenden Rest zählte er nicht mit.
„Schön“, sagte Moscone, „das war die bisher kürzeste Präsentation, die ich von dir je erlebt habe. So kurz hatte ich es zwar nicht gemeint, aber das war also zumindest formal ´mal was Neues... Aber“, und damit wandte er sich an alle anderen, „unser Finanzchef hat es auf den Punkt gebracht. Er ist nur zu vornehm, um „beschissen“ zu sagen, glaube ich“.
Kapitän Ahab lächelte bei der Bemerkung sogar freudlos. Aber so, dass der Wal, hätte er es gesehen, in der See trotz 50 cm Speckschwarte gefroren hätte.
Dann fragte er: „Rich, wie schlecht, wie beschissen ist die Lage denn nun tatsächlich? Wie lange halten wir noch durch?“.
Als er sah, dass Goldwater seine Mappe wieder öffnen wollte, schob er „Rich, bitte wieder ohne Folie...“ nach. Diesmal lächelte er Goldwater dabei um Verzeihung bittend an. Man durfte sich auch als CEO nicht mit dem Finanzchef anlegen, das würde sich im falschen Moment eventuell als großer Fehler erweisen können. Nein, das wäre nicht gut, das wusste auch Moscone.
„Wenn wir alles zusammenkratzen, und wenn wir wie blöd sparen, maximal ein Jahr, vielleicht eineinhalb. Kredite werden wir wohl nur bekommen, wenn wir fundiert positive Geschäftsaussichten präsentieren können. Dann natürlich länger. Ich könnte mir vorstellen...“
„Danke, Rich, vielen Dank, das war sehr bildhaft“, unterbrach ihn der CEO, um sich mit diesen Worten demonstrativ freundlich seiner jungen und eloquenten Vertriebschefin zuzuwenden, die ihn daraufhin eher erschreckt ansah. Sie hatte gerade an dieses unglaubliche Ekel von Schwiegermutter gedacht, die ihren Besuch für´s Wochenende angekündigt hatte, und die mindestens ein dreigängiges Menü von ihr für sich und vor allem für ihr Goldsöhnchen erwartete – und die Vertriebschefin war leider keine gute Köchin, nicht einmal eine mäßige.
„Pattie“, hörte sie, „jetzt bitte deine Sicht der Dinge, wie stehen wir im Vergleich mit den Konkurrenten da? Wenn es geht, bitte auch ohne Slides... Sonst ist unser Finanzchef ernsthaft beleidigt, oder Rich?“
Rich blickte ihn nicht einmal an, er haderte noch...
„Der Markt?“, fragte Pattie Bronski rhetorisch zurück, um etwas Zeit zu gewinnen. Aber es gelang ihr schnell, sich zu konzentrieren. Jetzt eben LNG statt Auberginen-Mousse. Sie klappte den Laptop mit dem Rezept für das Mousse wieder zu. Dann eben ohne Slides, das war kein Problem, fand sie, denn schlagfertig war sie: „Man könnte sagen, meine Herren“, und damit wandte sie sich mit einem gewinnenden Lächeln an alle im Raum, „man könnte es so beschreiben: Im Moment gibt es gar keinen Markt mehr!“.
Sie machte eine kurze Pause, um die ungeteilte Aufmerksam auch der Letzten zu erreichen. Sie fuhr sich mit einer Hand durch die kurz geschnittenen dunklen Haare, deren genau berechnete Struppigkeit sie einem ausnehmend teuren Künstler von Coiffeur verdankte, und lächelte noch einmal in die Runde, denn das Lächeln stand ihr, das wusste sie, auch.
„Aber das wäre natürlich falsch, denn für einige gibt es immer einen Markt, auch wenn der Markt am Boden oder wo auch immer, vielleicht auch im zweiten Keller liegt. Wir sind inzwischen bei Abgabepreisen zwischen 2$ und 3$ pro mmBtu angekommen, ein paar Altverträge zu 7,50$ bestehen noch, aber da drängen die Kunden schon gewaltig. Ich weiss nicht, wie lange wir selbst das Niveau für die letzten Kunden halten können. Ein paar Anfragen von Chemiefirmen liegen uns vor, sogar größere Mengen wurden angefragt, aber auch nur zu unter 3 $ pro mmBtu. Ich denke, in Absprache mit unserem Finanzchef, wir müssen das machen, es gibt uns zumindest etwas cash flow.
Das einzige Chart von Pattie, das Ihnen der Autor zumutet:
Der Preisverfall der Gaspreise in $ in den USA 3
In der chemischen Industrie sehe ich mittelfristig ein gewisses Potenzial für uns, aber das ist begrenzt, und das ist Zukunft und nicht das Jetzt, und das hängt natürlich stark vom Preis ab. Ihr wisst, wie groß die Konkurrenz ist!
Im Grunde gönnt im Moment keine Krähe...