E-Book, Deutsch, Band 3, 368 Seiten
Reihe: Faith Zanetti ermittelt
Blundy Die Schatten von Sizilien: Faith Zanetti ermittelt - Band 3
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-426-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman. Ein Fall für Faith Zanetti 3 |Eine starke Ermittlerin für Fans des Serien-Hits "Bones"
E-Book, Deutsch, Band 3, 368 Seiten
Reihe: Faith Zanetti ermittelt
ISBN: 978-3-96655-426-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anna Blundy, geboren 1970 in London, ist eine englische Schriftstellerin und Journalistin. Sie studierte Russisch an der Oxford University, arbeitete für einen amerikanischen TV-Sender in Moskau, wo sie abends in einer Blues-Band sang, war als Kolumnistin für die »Times« tätig und reiste so oft wie möglich nach Amerika, Afrika und in den Nahen Osten. Als ersten Roman veröffentlichte sie die Memoiren ihres Vaters, der als Auslandskorrespondent bei einem Auftrag in El Salvador ums Leben kam: Erlebnisse, die Anna Blundy auch in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe aufgreift. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Italien. Anna Blundy veröffentlichte bei dotbooks in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe: »Mord in Jerusalem - Band 1« »Die Toten von Moskau - Band 2« »Die Schatten von Sizilien - Band 3«
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Alles in meinem Leben hat sich verändert, seit Tamsin mich damals in ihr Büro zitierte, um mir den Cairnbridge-Auftrag zu erteilen.
Das Wort »Büro« ist hier eigentlich ein Euphemismus. In Wirklichkeit besteht die Redaktion des Chronicle aus Hunderten senkrecht stehender MDF-Platten, die den Raum in ganz viele winzige Zellen aufteilen. Wenn man richtig wichtig ist, so wie Tamsin, dann bekommt man noch ein paar Quadratmeter Plexiglas und eine Tür dazu. Ein Schreibtisch aus Walnussholz mit Aussicht auf den Hudson River? Nicht ganz.
»Zanetti! Herkommen!«, trompetete sie, am Ende ihres Kugelschreibers kauend. Sie ist der festen Überzeugung, dieser Gestus verleihe ihr Würde und Autorität, was natürlich blanker Unsinn ist. Genannte Eigenschaften bezieht sie allenfalls aus dem Umstand, dass ihre Haut am ganzen Körper aschgrau ist, da sie in den letzten zehn Jahren insgesamt nicht mehr als zehn Minuten Sonnenlicht abbekommen hat. Und dann war da natürlich noch ihr Charles-und-Camilla-Coup. Ihr hatte man seinerzeit nämlich die Camillagate-Bänder zugespielt, wodurch sie es zu beträchtlichem Ruhm brachte. Nicht, dass dazu irgendein Beitrag von ihrer Seite nötig gewesen wäre – wochenlange Recherchen und all die anderen Dinge, die gemeinhin zur Arbeit eines furchtlosen Reporters zählen. Aber die Sache bescherte ihr dennoch die Aussicht auf eine lebenslange Anstellung (wenn nicht bei unserer Zeitung, dann bei einer anderen) sowie die ehrfürchtige Hochachtung sämtlicher Berufsgenossen. Tamsin wohnt mit einem der ihr unterstellten Redakteure zusammen und glaubt allen Ernstes, niemand wüsste etwas davon. Die beiden sind so tief in ihre absurde Scharade verstrickt, dass sie zwar gemeinsam zur Arbeit fahren, sich dort aber den ganzen Tag lang eisern ignorieren. Das ist ziemlich peinlich, und mir wäre es wirklich lieber, ich hätte nie davon erfahren.
Wie auch immer, ich betrat also ihr Büro.
Seit Bens Geburt »half« ich in der Auslandsredaktion aus. Und was für eine Hilfe ich war! Meine Arbeit bestand vornehmlich darin, alte Bekannte anzuklingeln, die irgendwo an den Brennpunkten dieser Welt im Busch herumkrochen, und Dinge zu sagen wie: »Wir brauchen fünfhundert Wörter bis sechzehn Uhr!«
Die meisten dieser äußerst deprimierenden Telefongespräche liefen etwa so ab:
»Hi, Blitz. Wie steht’s mit den Nachrichten des Tages? Wer treibt was? Wer ist gestorben? Wie reagieren wir?« Dann seufzte ich und betrachtete meine abgekauten Fingernägel.
»Zanetti? Bist du das? Was machst du denn in der Redaktion? Ich sage dir, hier herrscht das absolute Chaos. Die haben ganz vergessen, wer hier eigentlich wen bekriegt, der Waffenstillstand ist für den Arsch und ... ach du Scheiße! Mann, ich muss auflegen! Wir sprechen uns später!«
Mein Magen drehte und wand sich dann jedes Mal in stiller Qual vor lauter Eifersucht, und ich fühlte mich genötigt, die Beine hochzuschwingen und meine Füße in ihren Cowboystiefeln auf den Schreibtisch krachen zu lassen, um wenigstens ansatzweise das Gefühl zu haben, dass alles unter Kontrolle war. Wundert es da noch jemanden, dass die Kollegen von mir genauso die Nase voll hatten wie ich von ihnen? Nein. Zu Hause konnte ich nicht rauchen, also verbrachte ich den Großteil meiner Arbeitszeit draußen auf der Feuertreppe, von wo aus ich, einen Plastikbecher mit Espresso umklammernd, mit dem Kindermädchen telefonierte.
Daher hatte ich, als mich Tamsins Order erreichte, instinktiv angenommen, sie wolle mir mitteilen, dass ich gefeuert sei.
»Was gibt’s?«, fragte ich argwöhnisch.
»Der Chefredakteur hat ein Problem«, eröffnete sie das Gespräch.
Ich nickte ernst. »Das habe ich schon immer vermutet.« Ich setzte mich.
Tamsin verdrehte die Augen bis in die Schädelhöhle hinein. »Der Chefredakteur hat ein Problem in Bezug auf Cairnbridge«, präzisierte sie und bemühte sich erfolgreich, mir nicht ins Gesicht zu blicken, während sie dies sagte.
Ich stöhnte und ließ meinen Kopf auf ihre Tischplatte sinken, die Arme schützend darübergeworfen.
»Faith«, fuhr Tamsin in begütigendem Tonfall fort. »Ich habe geahnt, dass du so reagieren würdest ...«
Ich richtete mich wieder auf. »Sieh einer an, du hattest recht mit deiner Ahnung. Was ist bloß los mit dem Mann? Wir sind die einzige Zeitung weit und breit, die nach all den Jahren immer noch seine beknackten Verschwörungstheorien abdruckt. Und das, obwohl der Gerichtshof in Den Haag das Urteil gegen diesen Libyer gerade erst bestätigt hat! Pff. Als ob man den Fall überhaupt wieder hätte neu aufrollen müssen, zumal ungefähr tausend Leute damals gesehen haben, wie der Mann einen Koffer, auf dem dick und fett ›BOMBE‹ stand, ins Flugzeug geladen hat!«
Na ja, vielleicht war die Sache nicht haargenau so abgelaufen, aber die wesentlichen Fakten stimmten. Außerdem war das alles Ewigkeiten her.
Vielleicht hätte ich mich ein wenig diplomatischer verhalten sollen, aber ich konnte einfach nicht anders. Die Obsessionen unseres Chefredakteurs raubten einem wirklich den letzten Nerv. Natürlich weiß jedes Kind, dass man sowieso praktisch geisteskrank sein muss, um Chefredakteur einer Zeitung zu werden. Das ist wahrlich kein Geheimnis. Mit den Chefredakteuren ist es so ähnlich wie mit den Premierministern. Wenn jemand den Posten unbedingt haben will, dann ist allein das bereits ein sicheres Zeichen dafür, dass er ihn niemals bekommen sollte. Aber da es offenbar keine geistig gesunden Menschen gibt, die sich für diese Art von Tätigkeit hergeben möchten ... bleibt sie eben den Wahnsinnigen vorbehalten.
Unser Chefredakteur Sam Fischer zum Beispiel war besessen von Prinzessin Diana. Teil dieser Besessenheit war die felsenfeste Überzeugung, sie sei von christlichen Fundamentalisten ermordet worden, die zu verhindern versucht hatten, dass ein Moslem eine wie auch immer geartete Verbindung mit dem Königshaus einging. Er hatte die Prinzessin ein einziges Mal getroffen, auf irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung, und fortan darauf beharrt, sie seien allerbeste Freunde. Nach ihrem Tod hatte er ungefähr fünfundzwanzig Kilo abgenommen. Aber keine Sorge, es hätten auch gut und gern sechzig sein dürfen.
Sein zweites Steckenpferd war Cairnbridge. Er hatte unser Rechercheteam von Im Visier bestimmt schon fünfzehn Mal auf die Story angesetzt, und darüber hinaus hatte unser Blatt immer wieder all jenen Spinnern als Sprachrohr gedient, die behaupteten, sie würden für die CIA arbeiten und wüssten genau, was damals passiert sei. Und überhaupt, die Libyer seien unschuldig. Der wahre Grund, weshalb die US-amerikanische Regierung und die CIA und alle anderen, die ihre Finger in der Sache stecken hatten, immer wieder beteuerten, nicht den Schimmer einer Ahnung zu haben, wer die Männer gewesen seien und für wen sie gearbeitet hätten, sei einzig und allein die Tatsache, dass sie – also die Libyer – »zu viel wüssten«.
Aha. Ich glaube, damit weiß ich auch schon zu viel. Viel zu viel.
»Zanetti!«, bellte Tamsin empört.
Oh. Ich hatte mir, ohne es zu merken, eine Zigarette angesteckt. Prompt fing der Rauchmelder an zu kreischen, und noch bevor ich den Glimmstängel in Tamsins Kaffeetasse ersäufen konnte, kam ein Sicherheitsbeamter ins Zimmer gestürmt. Seine rechte Hand ruhte auf etwas an seinem Gürtel.
»Mein Gott, Sie sind ja bewaffnet!«, entschlüpfte es mir.
»Seit Juli.« Er nickte. »Warten Sie, ich schalte das rasch ab. Da war wohl jemand ungezogen«, tadelte er zungeschnalzend, während er mit seinen schweren schwarzen Stiefeln Tamsins Schreibtisch erklomm.
»So bin ich eben«, lautete meine Antwort.
Tamsin reckte den Kopf an seinen Waden vorbei und versuchte, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. »Wie du zweifellos weißt, jährt sich das Unglück in diesem Jahr zum fünfundzwanzigsten Mal ...«
Lieber Herrgott, rette mich! »Ja, so viel ist mir bekannt«, räumte ich ein.
»Und Der Chefredakteur ...«, fuhr sie fort. Ich bin hier übrigens nicht diejenige, die das »Der« von »Der Chefredakteur« großschreibt. Das machte sie mit ihrer Stimme. Warum sie ihn nicht einfach Sam nennen konnte, so wie alle anderen auch, war mir schleierhaft. »Der Chefredakteur möchte eine Sonderausgabe in Gedenken an den Anschlag herausbringen ...«
»Tams! Ich dachte, wir würden uns neuerdings darum bemühen, eine jüngere Lesergeneration zu indoktrinieren – die armen Schafe, die damals noch gar nicht auf der Welt waren. Ernsthaft! Ich werde ihn mir gleich mal zur Brust nehmen.« Ich stand auf und wandte mich zum Gehen.
»Faith, Schätzchen. Setz dich wieder hin«, befahl Tamsin sanft. Der Sicherheitsbeamte mit seiner dicken Knarre war mittlerweile verschwunden, und sie hatte ihren Schreibtisch wieder für sich. Mit der Handfläche wischte sie imaginäre Stiefelabdrücke von der Platte. Ihre Finger sind blass und knochig und wirken durch die schwarzen Kostüme, die sie trägt, geradezu totenbleich.
»Faith. Glaubst du allen Ernstes, du könntest ihm die Sache ausreden? Glaubst du, ich hätte ihm gegenüber nicht genau dieselben Einwände vorgebracht wie du gerade?«
Ich seufzte unwillig und fischte eine neue Zigarette aus meiner Schachtel. Dann steckte ich sie wieder zurück. »Nein. Vielmehr glaube ich, dass du brav genickt und gesagt hast: ›Ooooh, Sam, was für eine geniale Idee! Lass uns sofort damit anfangen!«‹
Im grünlichen Grablichtgeflacker der Leuchtstoffröhre, die über unseren Köpfen schwebte, war es schwer zu erkennen, aber ich glaube, Tamsin wurde rot. Das war wohl auch das Mindeste.
»Wie auch immer deine persönliche Auffassung zu der Sache...