Blumenthal | Heute fängt das Morgen an | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Blumenthal Heute fängt das Morgen an

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-695-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-96148-695-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Verborgen unter der Trauer keimt noch immer die Liebe: Das Familiendrama »Heute fängt das Morgen an« von Valerie Blumenthal als eBook bei dotbooks. Vater, Mutter und zwei Söhne: Die Millers sind eine ganz normale Familie, bis ein tragischer Autounfall ihr Glück für immer zu vernichten scheint. Ben, der ältere Bruder, stirbt - und auch zwei Jahre später leiden seine Eltern so unter dem Verlust, als wäre das Unglück erst gestern geschehen. Denken sie etwa, es hätte besser ihren anderen Sohn getroffen? Der junge Oscar ist verzweifelt. So sehr er sich auch bemüht, ein liebenswerter Sonnenschein zu werden wie Ben es immer war, es will ihm einfach nicht gelingen. Also schmiedet er einen letzten, verzweifelten Plan, um seine Eltern wieder glücklich zu machen - und ahnt nicht, was er damit heraufbeschwört ... Ein ebenso schockierender wie einfühlsamer Roman über Trauer und Hoffnung, Schmerz und Zuversicht ... und über einen Jungen, der jedem ans Herz wachsen wird: »Dieser Roman beweist, dass Valerie Blumenthal eine Ausnahmeschriftstellerin ist!« Oxford Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der gefühlvolle Roman »Heute fängt das Morgen an« von Valerie Blumenthal. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks - der eBook-Verlag.

Valerie Blumenthal wurde in der Nähe von London geboren. Bevor sie sich der Schriftstellerei widmete, war sie als Journalistin tätig und unterrichtete unter anderem Creative Writing in einem Hochsicherheitsgefängnis. Heute lebt sie in einem Dorf in der Grafschaft Oxfordshire. Valerie Blumenthal veröffentlicht bei dotbooks die Romane »Mit den Augen einer Tochter«, »Heute fängt das Morgen an« und »Die Welt in meinen Armen«
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Kapitel 1


»Ich glaube, meine Mutter hat eine Affäre«, sagt Wiz zu Frederick, seinem neuen Freund, der gerade ziemlich lustlos Gläser von den Tischen vor dem Trout Inn abräumt. »Deine Mutter?« Frederick – groß gewachsen, picklig, Brillenträger – setzt langsam das Glas ab, das er in der Hand hält. Der rote Lippenstift am Rand des Glases ist auf seinen Zeigefinger gewandert, den er an seinem Pullover abwischt. »Sie sieht nicht so aus, als wäre sie der Typ für so was. Das glaube ich nicht.«

Vor zwei Monaten, an Wiz' vierzehntem Geburtstag, hat er ihn und auch seine Eltern zum ersten Mal getroffen.

»Jeder ist der Typ für so was.« Wiz mit seinem ernsten Blick und den blassen Wangen hebt viel sagend das Kinn und blickt zum Wehr hinüber.

Frederick setzt sich neben ihn. Eine Weile sitzen sie schweigend da und lassen ihre Beine von der Mauer baumeln.

»Und, wie kommst du darauf?«

Wiz nimmt das Fernglas zur Hand, das um seinen Hals hängt (daneben hat er eine Kamera an einem zweiten langen Tragriemen). »Kanadagänse«, murmelt er und stellt gegen das harte Sonnenlicht auf einige weit entfernte Punkte scharf. Erst als ihre Silhouetten klar erkennbar sind, hört er auch ihre Rufe.

»Ich glaube es eben«, sagt er geheimnisvoll mit müder Stimme. »Ich habe Beweise, sie sind praktisch unwiderlegbar. Ich kann nicht darüber sprechen.«

»Okay, meinetwegen.«

Wiz lässt das Fernglas wieder hängen – ein Zeiss, 8 x 20, das er vom Geburtstagsgeld und von Erspartem gebraucht gekauft hat – und wendet sich, auf einmal besorgt, seinem Freund zu: »Du bist doch hoffentlich nicht beleidigt oder so, nein? Es ist nur – es ist eben irgendwie persönlich, nicht dass ich es weiß, sondern wie ich es erfahren habe. Der Teil daran ist irgendwie persönlich, wenn du verstehst, was ich sagen will.«

»Klar, versteh ich.«

»Ich meine, ich hasse es, Leute vor den Kopf zu stoßen, ehrlich.«

Frederick ist so viel älter – vier Jahre – und noch dazu ein neuer Freund, da ist er einfach noch vorsichtig.

»Du hast mich nicht vor den Kopf gestoßen.« Frederick streicht mit der Hand über seine Akne, der anscheinend auch mit noch so viel Salbe nicht beizukommen ist. »Ehrlich gesagt, mir ist da neulich abends was passiert ...«

»He, Frederick!« Der Wirt taucht aus den schattigen Tiefen der Gaststätte auf. »Ich bezahl dich für die Arbeit und nicht fürs Quatschen ... Selbst wenn es einer unserer besseren Gäste ist, mit dem du redest«, fügt er nachsichtiger hinzu, als er Wiz erkennt. »Wie geht's deinen Eltern?«

»Gut. Alles bestens«, murmelt Wiz verschlossen, während er aufsteht und sich über den Hosenboden seiner Jeans fährt.

Aber überhaupt nichts ist gut, oder? Alles ist ein einziger Schlamassel.

»Ich erzähl es dir beim nächsten Mal«, sagt Frederick und fährt mit dem Einsammeln der Gläser fort.

Wiz schlendert zu seinem Rad auf dem Parkplatz. Die Autos sind alle verschwunden, nur der zerbeulte Lada des Kochs und der Jeep des Wirts stehen noch dort. Und Wiz' Rad, das er mit einer Kette an einem Baum angeschlossen hat, der die Blätter hängen lässt. Irgendwo schreit der zahme Pfau. Wiz imitiert ihn, indem er die Hände wie einen Trichter an seinen Mund legt; dann schwingt er sich in den Sattel und fährt los. Er kann gehen, wohin er will, denn seit er vierzehn ist, sind die Beschränkungen von früher aufgehoben. Er darf von Gesetzes wegen allein gelassen werden oder babysitten. Sollten sich seine Eltern scheiden lassen und er lieber bei dem einen statt dem anderen Elternteil leben wollen, würden seine Wünsche stärker respektiert werden.

Er verlässt den Parkplatz. In Wolvercote biegt er in die Wiesen von Port Meadow ein und nimmt den Pfad, der quer hinüber bis nach Osney führt. Hin und wieder hält er an, um durch das Fernglas einen Vogel zu beobachten. Kanal und Eisenbahn durchqueren die weiten Wiesen des Weidelands, die bis zum Fluss reichen; nach den Überschwemmungen des Winters sind sie mittlerweile vollständig abgetrocknet. Ponys grasen selbstvergessen auf den Wiesen, die Bäuche wie Fässer vom saftigen, feucht glänzenden Gras. Hunde tollen zwischen ihnen herum und bellen provozierend. Etwas abseits in einer anderen Herde stehen Kühe und äugen herüber, misstrauischer als die Ponys. In der Ferne glitzert silbern der byzantinische Kirchturm der St.-Barnabas-Kirche mit seiner grünen Spitze ...

Wiz, flachsblond und schmächtig auf seinem Rad, tritt in die Pedale mit der geistesabwesenden Miene von jemandem, der Probleme mit sich herumträgt. Er steigt ab, als er das kleine Tor und den Pfad erreicht, der über die Eisenbahnbrücke führt, dahinter überquert die Aristotle Bridge den Kanal. Links liegen die Schrebergärten, ein alter Mann bückt sich mit einer Schirmmütze über seinen Salat, rechts liegt die kleine Wiese, auf der er früher mit Ben gespielt hat. Eine Ewigkeit scheint das her zu sein.

Er beschließt, sich einen Film aus der Videothek in der Walton Street zu holen. Edward mit den Scherenhänden wird ihn auf andere Gedanken bringen. Außerdem spielt da Winona Ryder mit.

Wiz öffnet die eiserne Pforte, die in den Garten führt. Sie hängt so tief in den Angeln, dass sie mit einem ziemlich unangenehmen Geräusch über die Granitplatten schabt, die von der dauernden Reibung eine rostrote Schleifspur tragen. Die Pforte muss immer geschlossen bleiben, damit der spindeldürre Jagdhund mit dem passenden Namen Lowry nicht nach nebenan läuft. Der früheren Eigentümerin war das egal gewesen; über zwei Generationen hatte sie Tiere und Kinder in ihrem Garten spielen lassen. Der steinerne Luftschutzbunker hatte als Versteck für kleine Banden von Jungs und Mädchen gedient, die ihn mit Teppichresten und Holzklötzen eingerichtet hatten. Wiz war eines dieser Kinder gewesen. Die ältere Frau hatte ihnen auf einem Servierblech, das mit angetrockneten Rändern übersät war, Limonade und Rosinenbrötchen gebracht. Dann war sie gestorben. Die neuen Eigentümer hatten Vorhänge und Rüschengardinen angebracht, und jeder wusste, dass damit die Tage des Spielens im Luftschutzbunker endgültig vorbei waren. Bei den Hunden dauerte es länger, bis sie begriffen hatten.

Er schiebt sein Fahrrad zu dem verfallenen Holzschuppen unter dem Walnussbaum hinüber. Letztes Jahr haben dort Schwalben genistet. Dieses Jahr haben sie den Carport für sich entdeckt, den Alastair, sein Vater, eigens für seinen Austin Healey gebaut hatte. Er will den alten Wagen in seiner freien Zeit wieder aufmöbeln (»Welche freie Zeit denn?«, sagt Liz, die Mutter von Wiz). Wach und knopfäugig hockten die Schwalben auf dem Dachbalken, wenn sie nicht gerade an ihrem trichterförmigen Netz bauten, und ließen Kot und Steinchen auf die graublaue Wagenhaube fallen, bis Alastair sich gezwungen sah, den Wagen auf der Straße zu parken. Dort steht er wie vergessen zusammen mit dem Golf der Familie und dient als Staub- und Fliegendreckfänger. Alastair fährt mit dem Fahrrad zu seiner Praxis in der Beaumont Street. In Oxford fährt jeder überall Rad, nicht nur die Studenten – eine Stadt für Fahrräder, die bald noch autofeindlicher sein wird, wenn die Pläne, Autos aus dem Stadtzentrum zu verbannen, Wirklichkeit werden ... Bens Mountainbike haben sie als Ersatzrad behalten. Es war sein letztes Geburtstagsgeschenk gewesen; er hat es vielleicht ein paar Stunden sein eigen genannt. An jenem Abend hatte er es ausprobieren wollen. Seither hat es noch niemand benutzt. Kastanienbraun glänzend mit stahlblauen Zickzackstreifen steht es da, und es käme gewissermaßen einer Entweihung gleich, damit zu fahren. Liz bietet es gelegentlich Gästen oder Schülern von ihr an, doch noch im selben Atemzug erzählt sie die Geschichte des Rades, und sie lehnen dankend ab.

Ben wäre in zwei Tagen siebzehn geworden. Seine Eltern wappnen sich innerlich für den traurigen doppelten Jahrestag. Niemand sagt etwas, aber Wiz weiß: Es wird schrecklich werden.

Das Leben im Hause Miller lässt sich in ein Davor und ein Danach einteilen. Mit Ben und ohne Ben. Man kann sagen: So war es damals, und so ist es heute. Auf die eine oder andere Weise ist er immer anwesend – die Erinnerungen, Worte, die konkreten und abstrakten Andenken brauchen nur abgerufen zu werden. Und dann der Unfall selbst mit seinen Nachwirkungen: Wie soll dieser Schrecken jemals weichen? Wiz weiß, dass die Dinge nie in Ordnung kommen werden. Vor dem Unfall, nach dem Unfall. So sieht es aus. Und jetzt hat seine Mutter ... Die psychologische Beratung hat nichts geändert. Wie versteinert hat er dort auf dem Sofa gesessen und vor lauter Beklemmung kein Wort herausbekommen. Dieses Eindringen in seine Privatsphäre war ihm zuwider, und letzten Endes konnte alle Beratung der Welt die fotografisch genauen Bilder nicht aus seinem Kopf verbannen, das Schreien in seinem Kopf, das immer wieder von neuem beginnt. Die alte Atmosphäre ließ sich nicht wieder herstellen – die Leichtigkeit, das Lachen, die Liebe, das Leben einer ganz normalen Familie. Und es gab einiges, das Wiz nicht sagen konnte, wie zum Beispiel: Haben meine Eltern sich gewünscht, ich wäre ums Leben gekommen und nicht Ben?

Liz hört das Schaben der Gartenpforte und das Knirschen von Fahrradreifen mit der üblichen Erleichterung. Sie ist so daran gewöhnt, diesen Druck und seine Entladung in ihrem Körper zu spüren, dass sie dieses Gefühl schon für normal hält und die eigene Anspannung erst bemerkt, wenn ihr Kopf wieder klar wird. Erleichterung durchströmt sie, und sie lässt Schultern und Brustkorb sinken. Während früher die Ironie in ihren Augen funkelte, als ob in deren indianisch schwarzer Iris eine Streichholzflamme flackerte, sind sie jetzt...



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