E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Biankas Tagebücher
Bleier Ich hab noch nie so gern gelebt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7751-7664-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mein Alltag zwischen der Schönheit und der Endlichkeit des Lebens - Tagebuch
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Biankas Tagebücher
ISBN: 978-3-7751-7664-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bianka Bleier (Jg. 1962) ist Autorin zahlreicher Bücher, Kalender und Zeitschriftenbeiträge. Seit sie dreizehn ist, schreibt sie Tagebuch. Ihre authentischen Tagebuchromane nehmen ihre Leserinnen seit 25 Jahren mit hinein in ihr Leben mit ihrer Familie. Ihre Leidenschaft für schöne Bilder und gute Zitate sind der Stoff, aus dem ihre zahlreichen Kalender sind. Sie lebt mit ihrem Mann in Forst/Baden, wo sie das Event-Laden-Café Sellawie gegründet hat (www.sellawie.de), das nach der aktiven Familienzeit und Mitarbeit in einer FeG zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt geworden ist. Ihre Affinität zum Buch lebt die gelernte Bibliothekarin neben dem Schreiben bei der Auswahl ihrer Lieblingsbücher für die kleine Buchhandlung, die zum Sellawie gehört. Ihre Homepage www.fromme-hausfrau.de ist ein beliebter Treffpunkt für Glaubens- und Lebensfragen. In ihrer Freizeit hält sich Bianka Bleier am liebsten in der Natur auf: Unterwegs mit dem E-Bike, am Lagerfeuer auf ihrem Freizeitgrundstück und auf Reisen mit ihrem Wohnwagen. https://www.sellawie.de/
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das Jahr 2014
10.Februar 2014
Wir sind auf der Messe in Frankfurt. Während ich Schmuck aussuche, ruft Lena an: »Ich war beim Frauenarzt. Es ist alles in Ordnung! Sechs Zentimeter ist das Baby groß! Es hat die ganze Zeit in mir gestrampelt, das kleine Menschlein! Es hat Arme und Beine und ein Rückgrat, worüber ich arg froh bin!« Ich bin so glücklich, dass ich im Lauf der Messe neue Schwerpunkte setze: Lammfelle, Babyspielzeug… Die Schweigepflicht ist nun aufgehoben!
Ich sehe plötzlich überall glückliche Großeltern. Werner und ich freuen uns sehr darauf. Ich hoffe, dass Lena die Geburt unbeschadet übersteht und das Kind gesund ist. Lena sagt, dass man einen ganz neuen Blick auf seine Eltern erhält, wenn man selbst neues Leben in sich trägt.
23.Februar 2014
Wir sind verzaubert von Lenas Art, auf uns zuzugehen. Auf eine sehr schöne, vertraute, nahbare Art gibt sie uns Anteil an ihrem neuen Leben, sodass unsere Vorfreude auf unser erstes Enkelkind (huch, wie das klingt…) wächst und wächst.
Danach Besuch bei Werners Mutter. Sie ist eine gütige, milde Greisin geworden. Ich massiere ihren juckenden Rücken, reibe ihre geschwollenen Beine ein, sie schnurrt– nie war ich ihr näher. Sie genießt das Versorgtwerden im Heim und hat die Verantwortung für ihr Leben abgegeben.
Danach fahren wir zu meinem Vater. Im Hintergrund läuft Tatort. Ein kleines Fläschchen Rosé und eine Packung Duplo stehen im Kühlschrank, meine geliebten Stapelchips auf dem Tisch, die Party kann beginnen. Zwei Stunden lang kriegen wir vom Tatort zweimal die Hälfte nicht mit, sind trotzdem enorm aufgeregt, ohne die Handlung zu verstehen. Am Ende wissen wir nur, dass wir einen guten Tatort verpasst haben, und Vati ist zufrieden. Er hat sich auf uns vorbereitet, Werbeprospekte aufbewahrt, Visitenkarten von Gastronomen, Spickzettel mit Fragen und Informationen.
25.Februar 3014
Jan ist eine Woche in der Gemeinde zum Wogele: eine Woche gemeinsames Leben mit dem Teenkreis. Es ist ein Gefühl von Freiheit, guten Gewissens nur für mich denken zu dürfen. Zu wissen, dass er glücklich und unter Gleichaltrigen ist, eine sinnvolle Aufgabe hat. Ich sehne mich danach, Jan loslassen zu dürfen, frei zu sein von der Verantwortung für ihn. Er ist so ein lieber Kerl, aber er ist mir zu nah, zu permanent um mich und Werner herum, zu abhängig von uns.
28.Februar 2014
Albtraum! Nach einem ganz normalen wunderschönen Alles-ist-gut-Alltag erwache ich mit Schüttelfrost und eskalierenden Schmerzen im unteren Rücken. Ich kann mich nicht erinnern, je solche Schmerzen gehabt zu haben, außer in der Austreibungsphase einer Geburt. Alarmiert wecke ich Werner, der mich ins Krankenhaus fährt. Die Ärzte tippen auf Nierenkolik, ich auf Bandscheibenvorfall, beides bestätigt sich nicht. Plötzlich bekomme ich Durchfall, danach Übelkeit, Kreislaufschwäche, der Schmerz klingt wieder ab. Röhre hier, Geräte da, einzelne Sätze dringen durch den Nebel, der mich umfängt: »Vielleicht ist ein Organ geplatzt«, »Die Leber sieht auffällig aus«, »Sie hat ein auffälliges Blutbild– viel zu wenig weiße Blutkörperchen, sieht nach einer Blutbildungskrankheit aus.«
Isolierstation.
Ich schlafe viertelstundenweise, frage mich erschöpft, was mit mir los ist: Krebs, Lebensmittelvergiftung, Leukämie, geplatzte Zyste? Immer wieder schiebt sich das Bild meiner Mutter im Krankenhaus vor meine Augen, die innerlich verblutete. Sterbe ich heute Nacht wie sie an multiplem Organversagen?
1.März 2014
Stark erweiterte Arterien auf der Leber. Einsam bin ich, traurig, ratlos. Heute Abend wollten wir mit Freunden essen gehen, morgen wandern, am Montag mit Lena shoppen. Und jetzt darf ich nicht einmal mehr das Zimmer der Isolierstation verlassen. Lena und Johannes kommen im Ganzkörperschutzanzug. Die Schmerzen lassen wieder etwas nach.
2.März 2014
Isolierhaft ist nicht mein Ding. Ich stehe noch unter Schock wegen dieser grausamen Nacht vorgestern. Ein Blick in den Spiegel lässt mich schaudern. Ich sehe schlecht aus. Alt, grau, eingefallen, Oma…
Es gab in meinem Leben einen Moment, als ich fast frontal mit einem Auto zusammengeprallt wäre. Um ein Haar wäre ich gestorben. Als ich meine Krebsdiagnose erhielt, bekam ich große Angst, dass ich sterben müsse. Vor zwei Nächten dachte ich: Ich sterbe jetzt vielleicht. Da war keine Angst, sondern eine Möglichkeit, die mich an Muttis Weg erinnerte. Ich war wie abgespalten von mir selbst. Noch nie stand ich gefühlt so konkret an dieser Schwelle, zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung davon, wie sich Stunde X anfühlen mag.
Ich lebe im Niemandsland: keine Schmerzen mehr, keine Ahnung, worauf sie zurückzuführen waren. Keine Ahnung, welche Hiobsbotschaften und Untersuchungen mich noch erwarten.
Wo war Gott in all dem? Habe ich ihm meine Ruhe zu verdanken? Dass die Ärzte nicht wild drauflosoperierten, sondern nach dem Röntgenbefund ein CT machten, in dem sich der Verdacht auf Luft im Bauchraum erstaunlicherweise (laut Bericht) entkräftete?
Die Stationsärztin teilt mir mit, die Empfehlung der hämatologischen Abteilung laute, eine Knochenmarksuntersuchung machen zu lassen, eine Stanzung aus dem Hüftknochen, um Blutkrebs auszuschließen. Ich bin schockiert. Darauf war ich nicht eingestellt nach den vorherigen entwarnenden Informationen. Ich möchte lieber auf eigene Verantwortung nach Hause, möchte meine Blutwerte vom Hausarzt überwachen lassen und gegebenenfalls zu einem Spezialisten gehen. Mir reicht es erst einmal. Ich muss verdauen.
Mein Körper, der mich seit fünf Jahrzehnten durchs Leben trägt, wird mürbe. Nie werde ich diese Nacht in der Notaufnahme vergessen– die gefühlte Todesnähe, die gedankenlos hingeworfenen Hiobsbotschaften der Ärzte, die exorbitanten Schmerzen. Was war das?
Es war so seltsam: Vorher hatte ich rasende Schmerzen, hinterher weiche Knie und eine weiche Seele, aber mittendrin, als ich dachte, das könnte es gewesen sein, war ich seltsam ruhig. Vielleicht wird es eines Tages so sein dürfen mit dem Sterben, dem Nadelöhr-Durchschreiten…
3.März 2014
Heute Morgen endet meine Isolierhaft. Das Schild Umkehrisolation wird abgerissen. Im Ultraschall zeigen sich keinerlei organische Auffälligkeiten, die Leber ist unauffällig, meine Thrombozyten sind von 30000 auf 50000 hochgeschnellt. Alle Gespenster wurden vom Tisch gefegt. Paradigmenwechsel von schwer krank zu gesund. Meine Seele braucht Zeit, um nachzukommen. In mir ungeweinte Tränen, große Verletzlichkeit. Leben ist ein tägliches Gnadengeschenk. Ich will heim zu meiner Mama. Vati hat viele Tränen um mich geweint.
Nun bin ich endlich daheim, nach einem langen, unwirklichen Wochenende voller Diagnosevorschlägen von geplatztem Organ bis Leukämie. Daheim zu sein ist arg schön. Ich fühle mich frei. Ich kann hinlaufen, wohin ich will. Aber das Entsetzen über das Erlebte sitzt tief. Manchmal kommen die Tränen. So nah habe ich mich dem Tod noch nie so konkret gefühlt.
Mein Hausarzt, der gute alte Dr. Bärenthal, der mich seit dreißig Jahren kennt, nimmt mich in den Arm: »Na, meine Gute, so einen dicken Brief dabei heute!« Er liest den Arztbrief aufmerksam, sieht mich an und meint: »Mein Bauch sagt: Da ist nichts.« Das ist der Satz des Tages. Egal, ob er stimmt, schön klingt er! Er meint noch: »Ich hätte mir auch kein Knochenmark nehmen lassen.«
7.März 2014
Kontrollbesuch beim Hausarzt. Die Luft riecht nach Narzissen. Was erwartet mich– Schafott oder Auferstehung? »Sie sehen gut aus!«, jubelt Dr. Bärenthal. Heute siezt er mich wieder. Da weiß ich, dass alles gut wird. Und tatsächlich: Meine Thrombozyten sind hochgeschnellt auf 150000! Halleluja! Kein Bandscheibenvorfall, keine Nierenerkrankung, kein geplatztes Organ, keine Leukämie. Diagnoseversuch der Klinik: »Am ehesten infektgetriggert.«
13.März 2014
Werner wirkt aufgewühlt und unrund. Er ist auf der Suche nach einem neuen Platz für sich. Sein Leben, das auf Umbruch zusteuert, macht ihm Mühe. Er wirkt eigenbrötlerisch, streitlustig, orientierungslos. Er wird schnell wütend und beobachtet sorgenvoll, wohin sich die finanzielle Lage des Sellawie entwickelt. In seiner Firma beginnen die letzten 150 Arbeitstage, was Wehmut und Sicherheitsverlust mit sich bringt. Es gibt keine Chance, seiner Gefühlswelt zu entfliehen. Wir führen ernste, zum Teil schmerzhafte, aber wesentliche Gespräche. Wir brauchen ein Fundament für unser künftiges Miteinander.
Die kaufmännische Seite des Sellawie ist ungeheuer herausfordernd. Wir haben höhere Einnahmen, als wir uns je hätten vorstellen können, ebenso haben wir immens hohe Kosten für Personal, Steuern, Wareneinkauf, Strom und Nebenkosten. Es ist jeden Monat eine Herausforderung, das Geld für die Löhne bereitzustellen.
Gestern hatten wir einen sehr ruhigen Tag. Die Mitarbeiter standen sich die Füße in den Bauch. Das versetzt Werner in Alarmbereitschaft. Heute war das Haus von der ersten bis zur letzten Minute bevölkert.
22.März 2014
Werner stresst mich. Ich kann ihn nicht verstehen. Ich fühle mich nicht verstanden. Er begegnet mir manchmal so geringschätzig, dass es mir eng ums Herz wird. Seine emotionalen Schwankungen, seine Gereiztheit, seine Unfreundlichkeit und...