Blechinger-Talcott / Frantz / Thompson | Politik in Japan | Buch | 978-3-593-37998-2 | sack.de

Buch, Deutsch, 312 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 398 g

Blechinger-Talcott / Frantz / Thompson

Politik in Japan

System, Reformprozesse und Außenpolitik im internationalen Vergleich

Buch, Deutsch, 312 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 398 g

ISBN: 978-3-593-37998-2
Verlag: Campus


Der Band gibt einen umfassenden Überblick über das politische System Japans. In vergleichenden Analysen werden die wesentlichen Politikfelder und Politikprozesse, die grundlegenden Faktoren politischer Entscheidungen und deren Inhalte dargestellt. Japans Rolle in Südostasien steht dabei ebenso im Fokus wie die Politikfelder Sicherheit, Ökonomie und Migration.
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Inhalt

Vorwort 7

Einleitung
Verena Blechinger-Talcott, Christiane Frantz, Marc R. Thompson 9

Innenpolitik und Gesellschaft

Regieren in Japan im Vergleich
Verena Blechinger-Talcott 29

Dominante Parteien in liberalen Demokratien: Die japanische LDP und die italienische DC im Vergleich
Patrick Köllner 45

Dezentralisierung als Herausforderung lokaler Demokratie?
Gesine Foljanty-Jost 63

Der "deutsche Weg" Japans und die "Gänseflugformation" des asiatisch-pazifischen Raumes
Mark R. Thompson 83

Das Modell des ostasiatischen Entwicklungsstaates in der Revision
Sebastian Heilmann 103

Aufarbeitung der Geschichte als politischer Prozess Deutschland und Japan im Vergleich
Gebhard Hielscher 117

Außenpolitik - Interessen, Akteure, Prozesse

Vor der Tür der Mächtigen
Deutschland und Japan auf dem Weg in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen?
Wichard Woyke 151

Japans und Deutschlands sicherheitspolitische Identität nach dem 11. September 2001
Dirk Nabers 169

Japan und die Weltwirtschaftspolitik
Hartwig Hummel 193

Japans Rolle in Südostasien
Marco Bünte 209

Japans "offener" Bilateralismus am Beispiel der Beziehungen zur Europäischen Union und zur ASEAN
Howard Loewen 225

Japanische Politik im regionalen und transnationalen Vergleich
Internationalisierung ohne Einwanderung
Der japanische Weg
Dietrich Thränhardt 251

Wirtschaftspolitische Reformen in Japan und Deutschland

Das Verhältnis von Zentralstaat und Regionen
Werner Pascha 269

Zur Rolle der Zivilgesellschaft
Schlaglichter aus dem Umweltschutz
Gabriele Vogt 289

Autorinnen und Autoren 311


Zur Politik und zum politischen System Japans wird in Deutschland - im Vergleich zu anderen Regionen der Welt - erst seit relativ kurzer Zeit geforscht. Im Gegensatz zu den USA, wo Gesellschaft und Politik Japans bereits seit den 1940er Jahren auf der Agenda amerikanischer Sozialwissenschaftler standen und im Zuge der Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Besatzung Japans auch von staatlicher Seite gefördert wurden, und wo auch in der Folgezeit ehemals in Japan als Besatzungskräfte stationierte Sozialwissenschaftler ihr Interesse am Land und dessen Politik wissenschaftlich weiter verfolgten, wuchs das sozialwissenschaftliche Interesse an Japan und Ostasien in der Bundesrepublik Deutschland erst in den 1960er Jahren. Die universitäre Japanforschung war zu dieser Zeit vor allem durch die philologische Tradition geprägt und im Sinne der klassischen Japanologie auf Sprach- und Literaturwissenschaft ausgerichtet. Mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Japans wuchs jedoch in den 60er Jahren auch in Deutschland das sozialwissenschaftliche Interesse an den Hintergründen und institutionellen Rahmenbedingungen, die diese Entwicklung ermöglicht hatten. Schon 1956 war auf Initiative des Bundestages und des Auswärtigen Amtes das Institut für Asienkunde Hamburg mit dem Ziel gegründet worden, die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Asien wissenschaftlich zu erforschen. Das Institut verfügte von Beginn an über einen starken Japan-Schwerpunkt. 1965 startete die Volkswagen-Stiftung eine Initiative zur Förderung der gegenwartsbezogenen Ostasienforschung in Deutschland, die auch die Sozialwissenschaften mit einbezog. In der Folge nahm die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ostasien und auch mit Japan in Deutschland stetig zu.
Im Bereich der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Japan gehört Paul Kevenhörster zu den Wissenschaftlern, die seit den 60er Jahren grundlegende Werke zum politischen System Japans vorlegten und damit das Land, zu dessen Politik es bis dahin kaum wissenschaftliche Arbeiten in deutscher Sprache gegeben hatte, als Forschungsgegenstand für die Politikwissenschaft in Deutschland erschlossen. Kevenhörsters Arbeiten befassten sich zunächst vor allem mit dem japanischen Wahlsystem, den politischen Meinungsbildungsprozessen und den Interdependenzen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und politischen Institutionen (siehe z.B. Kevenhörster 1969, 1973). Später wandte sich sein Interesse auch der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik zu (Kevenhörster 1999). Kevenhörsters Arbeiten betrachteten Japan dabei von Anfang an aus vergleichender Perspektive und analysierten die politischen Institutionen und Akteure niemals isoliert, sondern immer im Kontext anderer parlamentarischer Demokratien und vor dem Hintergrund der im Fach Politikwissenschaften geführten Theoriediskussion. Dies ermöglichte es auch anderen deutschen Politikwissenschaftlern, Japan als Fallbeispiel in ihre Analysen mit einzubeziehen und befruchtete damit die vergleichende politikwissenschaftliche Forschung. Ebenso motivierten seine Arbeiten zahlreiche an der sozialwissenschaftlichen Untersuchung des gegenwärtigen Japan interessierte Japanologen, deren Zahl vor allem seit den 1980er Jahren kontinuierlich anstieg. Kevenhörster selbst trug (und trägt noch immer) aktiv zum Austausch zwischen Japanologen und Politikwissenschaftlern bei. Dies zeigte sich zum Beispiel in seinem Engagement in der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF), die 1988 mit dem Ziel gegründet wurde, den Dialog zwischen Sozialwissenschaftlern und Japanologen zu fördern und deren Vorstand Kevenhörster viele Jahre angehörte, oder auch in seiner aktiven Mitarbeit im wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Asienkunde Hamburg sowie des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) in Tokyo, die ebenfalls die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Japan ins Zentrum ihrer Forschungstätigkeit stellen. Heute nimmt die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem modernen Japan breiten Raum innerhalb der deutschen Japanologie ein und steht gleichberechtigt neben der kulturwissenschaftlichen und philologischen Japanforschung. Gleichzeitig wird Japan auch im Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft oft als Fallbeispiel herangezogenen. Die Beiträge im vorliegenden Band stehen stellvertretend für diese Entwicklung und stellen die einzelnen Facetten der politikwissenschaftlichen Japanforschung in Deutschland vor: Es finden sich Arbeiten sowohl zu den institutionellen Rahmenbedingungen und zentralen Akteuren im politischen System Japans als auch zur Außenpolitik und zentralen Politikfeldern. Auch die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes repräsentieren das breite Spektrum der politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu Japan in Deutschland. Neben universitären Forschern an politik- bzw. sozialwissenschaftlichen oder japanologischen Lehrstühlen sind Wissenschaftler aus den zentralen Forschungsinstituten der deutschen Japanwissenschaft, dem Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo und dem Institut für Asienkunde in Hamburg vertreten.
Fragt man nun nach den zentralen thematischen Diskursen, die die politikwissenschaftliche Japanforschung in Deutschland wie auch international geprägt haben und heute noch prägen, so lassen sich im Bereich des politischen Systems und der politischen Entscheidungsprozesse Japans vor allem drei Bereiche identifizieren: a) das Verhältnis zwischen Politik und Bürokratie, b) Wege und Prozesse der Artikulation politischer Interessen und c) die Frage nach der Innovations- und Reformfähigkeit des politischen Systems. Das gemeinsame Leitmotiv dieser Diskurse ist dabei die Frage nach dem Wesen der Demokratie in Japan und danach, ob und inwieweit sich die japanische Ausprägung der Demokratie mit anderen westlichen Modellen demokratischer Regierung in Einklang bringen lässt, wo sich Unterschiede zeigen und wie diese erklärt werden können.
Die Diskussion über das Verhältnis zwischen Politik und Bürokratie hat seit den 1950er Jahren die sozialwissenschaftliche Japanforschung geprägt. Ausgangspunkte der Debatte sind hierbei die führende Rolle der Ministerialbürokratie bei der Erarbeitung von Gesetzesinitiativen, der hohe Gestaltungsspielraum der Verwaltung bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben sowie die enge personelle Verflechtung zwischen Bürokratie und Politik einerseits und zwischen Bürokratie und Wirtschaft andererseits. Die zentrale Funktion der Bürokratie als Initiator, Planer und ausführendes Organ politischer Maßnahmen wurde dabei insbesondere im Bereich der Wirtschaftspolitik thematisiert. Der Politologe Chalmers Johnson leitete hieraus sein Modell von Japan als "Entwicklungsstaat" (developmental state) ab und argumentierte, dass insbesondere die Aktivitäten der technokratisch planenden Ministerialbürokratie den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Japans vom Entwicklungsland zum Industriestaat innerhalb von nur 20 Jahren erklären könnten. Die Beamten, insbesondere im wirtschaftspolitisch bedeutenden Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI), hätten aufbauend auf ihrem umfassenden Fachwissen strategisch wichtige Wirtschaftsbereiche identifiziert und gezielt Fördermaßnahmen eingeleitet, die es japanischen Unternehmen ermöglichten, binnen kurzer Zeit eine führende Stellung auf dem Weltmarkt einzunehmen. Japans Wirtschaftspolitik sei daher von einem hohen Maß an staatlicher Planung und Intervention geprägt, orientiere sich jedoch im Kern an marktwirtschaftlichen Prinzipien (Johnson 1982). Aus der Diskussion um Japan als Entwicklungsstaat entstand in der Folgezeit die Debatte darüber, inwieweit dieses japanische Modell der Entwicklung auf andere Staaten in Ostasien und darüber hinaus übertragbar sei (Woo-Cumings 1999, siehe auch die Beiträge von Thompson und Heilmann in diesem Band).
Der zweite wichtige Diskurs zum Verständnis des politischen Systems Japans entzündete sich an der Frage des Zusammenspiels zwischen Politik, Ministerialbürokratie und Wirtschaft im politischen Prozess. Während frühe Studien (etwa Scalapino und Masumi 1962) von einer engen Kohärenz der politischen Eliten und deren eher harmonischen Kooperation ausgingen, stellten Studien in den 1980er Jahren diese Geschlossenheit in Frage und thematisierten insbesondere Konflikte zwischen den drei Akteursgruppen. Dabei wurde diskutiert, ob sich die in Japan stattfindenden Prozesse der Interessenartikulation eher als pluralistisch beschreiben lassen, wie Ellis Krauss und Muramatsu Michio (1987) argumentierten, oder ob politische Entscheidungsprozesse in Japan nicht vielmehr unter Rückgriff auf neo-korporatistische Erklärungsmodelle verstanden werden müssten (Schmitter und Lehmbruch 1979). Jüngere Studien zu diesem Bereich sehen Japan als Netzwerkstaat, der durch segmentierte politische Entscheidungsstrukturen, fragmentierte Macht und ein hohes Maß an Verteilungskonflikten gekennzeichnet ist, zu deren Überwindung strategische Netzwerke geknüpft werden (ausführlich dazu Kevenhörster 2002: 147-155). Im politischen Prozess Japans kommt aufgrund des hohen Maßes an Konflikten und der Notwendigkeit, strategische Allianzen zu formen, informellen Elementen hohe Bedeutung zu (Köllner 2006). Dies hat nicht zuletzt zur Folge, dass auch illegitime Mittel der Einflussnahme, etwa im Bereich des politischen Spendenwesens, hohe strategische Bedeutung für politische und wirtschaftliche Akteure erlangt haben (Blechinger 1998).
Eine weitere, wichtige Strömung innerhalb der Diskussion um Interessenartikulation im politischen System Japans befasst sich mit der Frage nach der Bedeutung politischer Akteure, die außerhalb des Dreiecks Politik-Wirtschaft-Bürokratie angesiedelt sind. Hier sind Arbeiten zur Opposition in Japan und dabei vor allem zu den seit Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu permanent in der Opposition stehenden linken Parteien (Pohl 1976, Derichs 1995) ebenso zu nennen wie Studien zur Rolle der Gewerkschaften. Pempel und Tsunekawa (1979) haben in einem wichtigen Aufsatz den politischen Prozess Japans als korporatistisches System unter Ausschluss der Gewerkschaften beschrieben. Neuere Studien (etwa Seifert 1997, Kume 1998) zeigen jedoch, dass den Gewerkschaften durchaus eine, wenn auch nach außen hin nicht immer deutlich als solche sichtbare, wichtige Rolle in politischen Entscheidungsprozessen zukommt, etwa als Gesprächspartner von Regierung und Wirtschaft in Beratungsgremien. In den letzten Jahren hat darüber hinaus die Forschung zum dritten Sektor, zur japanischen Zivilgesellschaft, an Gewicht innerhalb der politikwissenschaftlichen Japanforschung gewonnen. Dies steht im Zusammenhang mit der Einführung des Gesetzes über gemeinnützige Organisationen (NPO-Law) im Jahr 1998, das bis dahin bestehende institutionelle Hindernisse für zivilgesellschaftliches Engagement beseitigte und die Herausbildung einer aktiven Zivilgesellschaft ohne staatliche Intervention in Japan möglich machte (Pharr und Schwartz 2003, Pekkanen 2006, siehe auch den Beitrag von Vogt in diesem Band).
Mit dem Ende der 38 Jahre dauernden Dominanz der Liberaldemokratischen Partei (LDP) im Jahr 1993 und der Einleitung politischer Reformen setzte darüber hinaus in der politikwissenschaftlichen Japanforschung ein neuer Diskurs ein, der sich mit der Frage der Innovationsfähigkeit des politischen Systems sowie den Bedingungen für Erfolg und Misserfolg politischer Reformen befasste. Während Studien zu Beginn der 1990er Jahre weitreichende Veränderungen im gesamten politischen System vorhersagten (etwa Yamaguchi 1993) oder, vor dem Hintergrund der Rückkehr der LDP an die Regierung im Jahr 1994, einen Wandel im politischen Prozess auch ohne Regierungswechsel diagnostizierten (Pempel 1998), warfen Arbeiten zur Jahrtausendwende einen kritischen Blick auf die Reformfähigkeit des japanischen politischen Systems und sprachen gar von den 1990ern als einer "verlorenen Dekade" (lost decade, ushinawareta jûnenkan) (Komorida et al. 2005, 2006; siehe auch Foljanty-Jost 2005).
Parallel zu diesen drei Diskursen war und ist die politikwissenschaftliche Japanforschung auch von der intensiven Auseinandersetzung mit einzelnen Politikfeldern geprägt. Zu diesen gehören insbesondere Studien zur japanischen Umweltpolitik (z.B. Foljanty-Jost 1988, 1999; Schreurs 2003), Sozialpolitik (Calder 1988, Campbell 1992) sowie zum Bereich der Gender-Forschung (Lenz 1984, Lenz und Mae 2000, Pharr 1981). Ebenso wie die in ihrem Kern oft auch - zumindest implizit - vergleichend angelegten Arbeiten zu den drei oben identifizierten Diskursen in der politikwissenschaftlichen Japanforschung haben die auf einzelne Politikfelder bezogenen Studien zum Teil Eingang in die allgemeine politikwissenschaftliche Forschung gefunden, die aus den Ergebnissen von Untersuchungen zum Fallbeispiel Japan Anregungen für vergleichende Arbeiten gewinnen konnte.


Verena Blechinger-Talcott ist Professorin am Ostasiatischen Seminar der FU Berlin. Christiane Frantz lehrt Politikwissenschaft an der Universität Münster. Mark Thompson ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.


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