Blackwood / Graham / Cummings | Spannende Kurzgeschichten aus den 1920er und 1930er Jahren | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Blackwood / Graham / Cummings Spannende Kurzgeschichten aus den 1920er und 1930er Jahren


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-8147-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-7562-8147-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Spannende Kurzgeschichten aus dem 1920er und 1930er Jahren Die Olive von Algernon Blackwood, Das Bat and Belfry Inn von Alan Graham, Das Richtige tun von Ray Cummings, Die Lüge von Holloway Horn, Die Medici Stiefeletten von Pearl Norton Swet, Wo war die Wych Street? von Stacy Aumontier, Der Würfler von Sidney Southgate, Die Motte von H.G. Wells

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Die Olive
Er musste unwillkürlich lachen, als die Olive über den glänzenden Parkettboden des Hotelspeisesaals auf seinen Stuhl zurollte. Sein Tisch in dem gewaltigen Salle à manger stand abseits: Er saß allein – ein einsamer Gast. Der Tisch, von dem die Olive fiel und auf ihn zurollte, war etwas weiter entfernt. Der Winkel dazu machte ihn selbst zu einem eher unwahrscheinlichen Ziel, doch das ungleichmäßig geformte, saftige Ding blieb, nachdem es auf seinem Weg ein- oder zweimal gezögert hatte, schließlich vor seinen Füßen liegen. Die Olive lag mit einer einladenden, fast aggressiven Ausstrahlung da. Er bückte sich und hob sie auf, wobei er sie wegen des Mädchens, von dessen Tisch sie gekommen war, etwas verlegen auf das weiße Tischtuch neben seinem Teller legte. Als er aufblickte, trafen sich ihre Blicke, und er sah, dass auch sie lachte, wenngleich ein wenig gehemmt. Als sie sich an den Hors d'oeuvres bediente, war die Olive durch eine falsche Bewegung von ihr weggeflogen. Sie beobachtete ihn dabei, wie er die Olive aufhob und neben seinen Teller legte. Dann blickte sie schnell wieder weg – und warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu. Der Vorfall war abgeschlossen. Aber die kleine längliche, saftige Olive lag neben seinem Teller, und er fühlte den Drang in seinen Fingern, mit ihr spielten. Er berührte sie automatisch von Zeit zu Zeit, bis seine einsame Mahlzeit beendet war. Als niemand hinsah, steckte er sie in seine Tasche, als ob es das Mindeste wäre, sie mitzunehmen, nachdem er sich die Mühe gemacht hatte, sie aufzuheben. Der Himmel allein weiß, warum, aber er nahm sie mit nach oben auf sein Zimmer und legte sie auf den Sims des Marmorkamins zwischen den Feldstecher und den Tabakdosen, den Tintenfässern, seinen Pfeifen und den Kerzenständern. Jedenfalls behielt er sie – die feuchte, glänzende, ungleichmäßig geformte, saftige, kleine, längliche Olive. Die Hotellounge war nicht sein Ding, und deshalb war er nach dem Abendessen in sein Zimmer gegangen. Er wollte die Jacke ausziehen, in aller Ruhe rauchen, und die Füße auf einen Stuhl zu legen, um noch ein Kapitel Freud zu lesen. Vielleicht auch ein oder zwei Briefe schreiben, die er gar nicht schreiben wollte, um dann um zehn Uhr ins Bett zu gehen. Aber an diesem Abend rollte die Olive vor seinen Augen immer wieder zwischen ihm und dem, was er las; sie rollte zwischen den Absätzen, zwischen den Zeilen. Die Olive war lebendiger als das Interesse an diesen ewigen 'Verwicklungen' und 'unterdrückten Wünschen' in den Büchern. Die Wahrheit aber war, dass er immer wieder die Augen des lachenden Mädchens hinter der hüpfenden Olive sah. Sie hatte ihn auf so natürliche, spontane und freundliche Weise angelächelt, bevor der strenge Blick ihrer Mutter sie unterbrochen hatte – ein Lächeln, das – so spürte er – zu einer Bekanntschaft am nächsten Tag führen könnte. Er dachte darüber nach! Das Kribbeln eines möglichen Abenteuers durchfuhr ihn. Sie war ein fröhlich aussehendes Mädchen mit einem glücklichen, halb schelmischen Gesicht, das auf der Suche nach jemandem zu sein schien, mit dem sie spielen konnte. Ihre Mutter war gebrechlich, wie die meisten Leute in dem großen Hotel, und das Mädchen eine pflichtbewusste und geduldige Tochter. Offenbar waren sie gerade an diesem Tag angekommen. Ein Lachen ist eine verräterische Sache, dachte er, als er einschlief und von einer ungleichmäßig geformten Olive träumte, die bewusst auf ihn zurollte. Er dachte an die Augen eines Mädchens, das seine ungeschickten Bewegungen beobachtete, dann zu ihm aufschaute und lachte. In seinem Traum war die Olive mit Bedacht und Geschick auf ihre ungewisse Reise geschickt worden. Es war eine Botschaft. Er wusste natürlich nicht, dass die Mutter, welche die Unbeholfenheit ihrer Tochter tadelte, gemurmelt hatte: »Das ist wieder typisch für dich, mein Kind! Du machst deinem Namen alle Ehre und kannst nie eine Olive sehen, ohne etwas Seltsames mit ihr anzustellen!« Der junge Mann war an die italienische Riviera gekommen, um sich zwei Monate lang zu erholen. Sein Wissen über Chemie, einschließlich unsichtbarer Tinten und ähnlicher Geheimnisse, hatten sich für die Zensurstelle als so wertvoll erwiesen, dass er sich fünf Jahre lang ohne jeglichen Urlaub überarbeitet hatte. Es war sein erster Besuch in dieser Region. Sonne, Akazien, blaues Meer und strahlender Himmel hatten ihn angelockt. Die günstigen Umtauschkurse ergaben für ein Pfund einen Gegenwert von vierzig, fünfzig, sechzig oder gar siebzig Schilling – anstelle der zwanzig zu Hause. Er fand den Platz schön, aber ziemlich unbewohnt. Er hatte ihn zufällig ausgewählt und war dadurch in eine Gegend gekommen, in der es die Gesellschaft, die er zu finden hoffte, nicht gab. Nach dem Krieg hatte sich der Ort nur langsam erholt; die Kolonie der ansässigen Engländer war immer noch recht verstreut; die anderen Reisenden zogen die französische Küste mit Mentone und Monte Carlo vor, um sie zu bevölkern. Außerdem wurde das gesamte Land durch Streiks verwirrt. In der einen Woche fiel das elektrische Licht aus, in der nächsten gab es keine Post, und sobald die Elektriker und Postangestellten ihre Arbeit wieder aufnahmen, stellten die Eisenbahnen ihren Betrieb ein. Nur wenige Besucher kamen, und die wenigen, die kamen, reisten bald wieder ab. Dennoch blieb er, gefangen von der Sonne und dem guten Wechselkurs. Er hatte auch nicht die körperliche Kraft, einen besseren, lebendigeren Ort zu entdecken. Er ging in den Olivenhainen spazieren, er saß am Meer und an den Palmen, er besuchte Geschäfte und kaufte Dinge, die er nicht brauchte, nur weil der Wechselkurs sie billig erscheinen ließ. Er zahlte immense Summen für 'Extras' in seiner wöchentlichen Rechnung und lachte dann, als er sie auf Schillinge herunterrechnete und feststellte, dass ein paar Pennys dafür reichten; er lag stundenlang mit einem Buch in den Olivenhainen. Ja, die Olivenhaine! Sein Tagesablauf konnte den Olivenhainen nicht entgehen; zu den Olivenhainen führten ihn früher oder später seine Spaziergänge, seine Ausflüge, seine Wanderungen am Meer, seine Einkäufe – alles führte ihn zu diesen allgegenwärtigen Olivenhainen. Wenn er eine Ansichtskarte kaufte, um sie nach Hause zu schicken, war in einer Ecke mit Sicherheit ein Olivenhain zu sehen. Der ganze Ort war mit Olivenhainen übersät, die Menschen verdankten ihr Einkommen und ihre Existenz diesen unbändigen Bäumen. Die Dörfer zwischen den Hügeln standen bis an den Rand voll in ihnen. Sogar in den Gärten der Hotels wimmelte es davon. Die Reiseführer lobten sie ebenso beharrlich, wie die Bewohner sie früher oder später in jedes Gespräch einbrachten. Sie schwärmten von ihnen: »Und wie gefallen Ihnen unsere Olivenbäume? Ah, Sie finden sie schön. Am Anfang sind die meisten Leute enttäuscht, aber dann wachsen sie mit ihnen.« »Das tun sie«, stimmte er zu. »Ich bin froh, dass Sie sie schätzen«, bekam er zur Antwort. »Wir finden, sie sind der Inbegriff von Anmut. Und wenn der Wind die Unterblätter über einen ganzen Berghang hinweg hebt – Donnerwetter! – das ist wunderbar, nicht wahr? Da wird einem die Bedeutung von 'olivgrün' klar.« »Das ist so«, seufzte er. »Aber trotzdem würde ich gerne eine zu essen bekommen – eine Olive, meine ich.« »Ah, zu essen, ja. Das ist nicht so einfach. Wissen Sie, die Ernte ist – « »Genau«, unterbrach er ungeduldig, der gewohnten und ausweichenden Erklärungen überdrüssig. »Aber ich würde die Früchte gerne probieren. Ich würde gerne eine genießen.« Nach sechs Wochen Aufenthalt hatte er nicht ein einziges Mal eine Olive auf dem Tisch, in den Geschäften oder gar auf den Straßenkarren auf dem Marktplatz gesehen. Er hatte noch nie eine gekostet. Niemand verkaufte Oliven, obwohl Olivenbäume in diesem Ort wie eine Droge waren; niemand kaufte sie, niemand fragte nach ihnen; es schien, dass niemand sie haben wollte. Die Bäume waren, wenn er genau hinsah, dicht mit kleinen, dunklen Beeren bewachsen, die eher an eine saure Schlehe erinnerten als an die saftige, köstliche, würzige Frucht, die man mit ihrem Namen verbindet. Männer klettern auf die Stämme, schütteln die beladenen Äste und schlagen mit langen Bambusstöcken auf sie ein, um die Früchte herunterzuklopfen, während Frauen, mit Kindern, die auf ihren Schenkeln hocken, mühsame Stunden damit verbrachten, die Körbe darunter zu füllen und dann Maultiere und Esel mit ihrem täglichen 'Fang' zu beladen. Aber eine Olive, die man essen konnte, war nicht zu bekommen. Er hatte sich nie für Oliven interessiert, aber jetzt sehnte er sich von ganzem Herzen danach, seine Zähne in einer von ihnen zu fühlen. »Ach! Aber es ist die spanische...



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