E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Bischoff Willenskraft
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0586-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum Talent gnadenlos überschätzt wird
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0586-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Bischoff war der jüngste Basketball-Profi und Bundesliga-Trainer Deutschlands. Heute arbeitet er als Coach und Redner. Mit seinen zahlreichen Vorträgen und Seminaren erreicht er jährlich ca. 60.000 Teilnehmer persönlich. 'Wenn Sie Christian Bischoff als Redner buchen möchten, kontaktieren Sie bitte die Econ Referenten-Agentur.'
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel – Das Gesellschaftsspiel
Wer hat gesagt, du musst?
Wie schnell sich alles ändert. Ich stehe mitten in den Alpen unter der glühenden Morgensonne und frage mich, wie ich den Betonhimmel der Basketballhalle noch vor kurzem für das Höchste im Leben halten konnte. Heute flattert über meinem Kopf nur ein Stück Stoff im Wind. Ich lese den Aufdruck TRANSALPIN RUN. Darüber spannt sich eine Aussicht, die mich fast aus den Laufschuhen haut.
Doch die Doppelknoten meiner Laufschuhe sitzen so fest wie mein Getränkegurt, mein Rucksack und der Etappenplan in meinem Kopf. 500 Frauen und Männer drängen sich jetzt am Start. Da hinten sehe ich die Australier, die gestern vor mir im Meldebüro waren. Dort der Spanier aus dem Hotel, der eben beim Frühstück vier Schokocroissants und ein Stück Kuchen verputzt hat. Starker Magen, denke ich und zwinkere ihm zu.
Hier im Pulk ist die Vorfreude fast mit Händen zu greifen. Sie heizt die kühle Morgenluft zwischen uns auf. Ein Funktionär spricht über Mikrofon. Ich höre nicht, was er sagt. Ich spüre meine Fußsohlen, meine Knie, meine Beine, die Kraft in meinem Oberkörper. Ich bin da. Ich bin bereit.
Da kriecht etwas unter meinen Laufanzug, steigt kribbelnd hoch bis in die Haarwurzeln. »I’m on the Highway to Hell!« Musik! AC/DC! Die Stimme von Bon Scott hab-ihn-selig fährt aus den Boxen wie ein elektrischer Schlag durch meinen Körper. »No stop signs, speed limit! Nobody’s gonna slow me down!« Diese Sprache verstehen alle. Jede Silbe eine Adrenalinspritze.
Ich schreie mit. Im Bruchteil einer Sekunde entfaltet der Song seine Kraft in der Menge. Alle wissen: Jetzt geht’s los! Und mir wird klar, was da vor mir liegt: Rein in die Alpen und rüber. Acht Tage. 250 Kilometer. 15500 Höhenmeter.
Ein Mann hat mich die ganze Zeit beobachtet. Kein Wunder, ich wirke mit meinen zwei Metern und hundert Kilo Lebendgewicht zwischen den ganzen Laufkaninchen hier wie ein gestrandeter Albatros.
Es ist Neil, der Engländer, mit dem ich mich heute Morgen unterhalten habe. Er ist so um die sechzig. Beim Frühstück sagte er zu mir: »Christian, life is like a coin. You can spend it any way you want. But you can only spend it once!« – da war ich still. In fünf Minuten habe ich von ihm mehr gelernt als von anderen in einem Jahr. Vor zehn Jahren war er selbst auf dem Highway to Hell unterwegs gewesen. Kein Arzt hätte nach seinem Hirnschlag noch einen Penny auf ihn gesetzt. Und jetzt? Schaut ihn an, jetzt läuft er hier mit uns allen über die Alpen.
Ich erwidere seinen Blick, da lacht er und brüllt über die kreischende Gitarre von Angus Young hinweg: »Ich werd’s schaffen! Und du auch!« Er schlägt mir an die Brust.
»Wir seh’n uns im Ziel!«, gebe ich zurück.
Und da macht es Klick in meinem Kopf. Ich weiß plötzlich, dass ich es schaffe. Ich habe zwar keine Ahnung WIE. Bin bisher nur dreimal einen Marathon gelaufen. Ich weiß nur DASS. Probleme werde ich lösen, wenn sie auftreten. Bis dahin werde ich einfach einen Fuß vor den anderen setzen. Schritt für Schritt für Schritt für Schritt für Schritt, 250000 Mal. Über alle Pässe, über alle Grate und Hänge der Alpen bis ins Ziel. Scheißegal, dass alle sagen, das sei verrückt. Ich will über die Alpen laufen. Und ich werde ankommen. Nicht weil ich es schaffen muss. Sondern weil ich es schaffen WILL!
Die Regeln der anderen
Zwei Tage vor ihrer Hochzeit rief meine beste Freundin an und meinte, dass sie sich total verknallt habe. Toll, dass ihr euch noch immer jeden Tag neu verliebt, antwortete ich. Doch da heulte sie schon los, dass es ein anderer sei. Und dass sie am liebsten mit ihm durchbrennen wolle. Was es da zu heulen gebe, fragte ich. Na, sie müsse doch jetzt heiraten. Alles sei vorbereitet, die Einladungen verschickt und das Essen bestellt. Was sollen denn die anderen denken? Sie könne doch nicht alles absagen!
Die Hochzeit fand statt. Als der Priester ihr dann am schönsten Tag ihres Lebens die Willst-du-Frage stellte, habe ich auf eine ehrliche Antwort gewartet: Nein, eigentlich will ich nicht. Ich muss.
Sie sagte schlicht: Ja.
So läuft das.
Willst du verstehen, was Willenskraft in deinem Leben bewirken kann, musst du erst mal das Gesellschaftsspiel verstehen. Das ist das Spiel, aus dem du raus willst. Aus dem ich bereits ausgestiegen bin.
Ach ja, übrigens. Ich sage einfach »du« zu dir. Ich mache das, weil das »Sie« nur eine unnötige Barriere und Distanz zwischen uns beiden aufbaut. Du kennst die Situation: Du hast fünf Jahre mit einem Kollegen zusammengearbeitet. Sagt immer »Sie« zueinander. Eines Abends beim Bier streckst du ihm die Hand entgegen und sagst: »Übrigens, ich bin der Christian. Lass uns duzen.« Er lacht dich freundlich an: »Gerne. Ich bin der Bernd.« Und du spürst, wie innerhalb von Sekunden eine emotionale Barriere zusammenbricht, die euch fünf Jahre lang auf Distanz zueinander gehalten hat. Diese Barriere wollen wir hier gar nicht errichten. Mein Vorschlag: Lass dich darauf ein! Wenn du das Buch wieder weglegst, kannst du dich ja wieder gesiezt fühlen, wenn du möchtest.
Das Gesellschaftsspiel also, zu dem wir alle tagtäglich erzogen werden, ohne es zu bemerken. Es ist leicht zu durchschauen, wenn du die Grundregeln kennst. Beobachte es im Supermarkt, im Büro, im Kino. Die Menschen reden ständig von den Ketten, die sie sich selbst anlegen. »Ich will heute Abend schwimmen gehen. Aber ich hab den Schreibtisch voller Arbeit« oder »In vier Wochen mit dem Rucksack durch Australien? Wer soll denn dann zu Hause auf den Hund aufpassen?«
Die Leute ahnen irgendwie, was sie wirklich wollen, was ihnen fehlt. Und dass sie eigentlich viel mehr aus ihrem Leben machen könnten. Aber na ja, nun ist halt alles so, wie es ist, und man hat sich arrangiert. »Kein Wille: keine Vorstellung, keine Welt«, wie Arthur Schopenhauer gesagt hat. Irgendwie ist es ja auch ganz bequem so. Nicht zuletzt weil andere entscheiden und damit auch die Verantwortung übernehmen. Diese Menschen laufen vor sich selbst davon, obwohl sie wissen, dass sie früher oder später vom Leben wieder eingeholt werden. In meinen Seminaren stelle ich mich vor sie hin und rufe:
Übernimm einhundert Prozent
Verantwortung für dein Leben!
Und wenn alle das fleißig auf ihre Notizblöcke kritzeln, rufe ich wieder:
Stopp!
Schreib das bitte nicht auf!
Ich will nicht wissen, was du für ein Lebensversager bist,
wenn das für dich was Neues ist!
Dann schaue ich in offene Münder.
Natürlich weiß ich nur aus einem Grund, wie dieses limitierte Leben aussieht: weil ich es selbst gelebt habe. Es ist voller Enge, voller Zwänge, Fremdbestimmung, Verstellung, Angst und Enttäuschung. Die Grundregel lautet: Ich muss!
Wir alle kennen das leiernde Mantra der Limitierten: Ich muss dies, ich muss jenes … Ein Mann muss einen Sohn zeugen. Muss einen Baum pflanzen. Muss ein Haus bauen. Ach ja, das eigene Haus. Damit alle sehen können, dass du es geschafft hast. DEIN eigenes Haus! Gratulation! Wer fragt schon danach, was nach Zins und Tilgung und Instandhaltung übrigbleibt? Denn du weißt ja, für was du jahrzehntelang verzichten musst. Damit du später SICHER bist! Im Moment bist du eh zu beschäftigt, um das Leben zu genießen. Von Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr, um genau zu sein. Das ist hart. Aber einer muss ja die Familie ernähren. Schluss ist mit 67. Und so schlimm ist es ja gar nicht. Denn wer alles gibt, wird auch belohnt. Der Boss ist fair und weiß, wer was für die Firma leistet. Du bekommst einen Dienstwagen. Bei guter Führung springt sogar ein Diensthandy raus. Nicht für Müller vom Vertrieb, der schon zehn Jahre darauf wartet. Ha! Du hast noch mehr Umsatz gemacht und darfst dir dafür das neueste iPhone aussuchen. Außerdem alle Gespräche frei. Jubel, Trubel, Heiterkeit! Als Gegenleistung muss das Ding nur rund um die Uhr eingeschaltet sein. Damit du als Springer erreichbar bist. Super Deal, oder? Dienstwagen und Handy – und schon hast du die »goldenen Handschellen« verpasst bekommen, die Firmen ihren Mitarbeitern gerne anlegen. Damit sie nicht mehr abhauen können …
Das mit deiner Gehaltserhöhung ist allerdings in die Hose gegangen. Aber über Geld spricht man ja nicht. Man definiert sich lieber über das Erreichte, die Dinge, die man geleistet hat. Nicht wahr?
Gesellschaftsregel Nummer eins: Sag mir, was du hast, und ich sag dir, wer du bist. Bullshit! Gesellschaftsregel Nummer zwei: Wer nichts hat, der ist nichts. Was für ein Schwachsinn! Gesellschaftsregel Nummer drei: Nur harte Arbeit führt zum Erfolg. Quatsch!
Wenn ich heute Menschen begegne, die so denken, erkenne ich sie sofort. Schon an der Körperhaltung. Es sind die Duckmäuser. Die Buckler. Die Schleimer. Die mit der panischen Angst, anzuecken. Bloß nicht der Einzige sein! Bloß nicht isoliert sein! Und das, obwohl wir doch alle coole Individualisten sein wollen, die sich nach Kräften durch Mode, Musikgeschmack und Tattoos den Anstrich des selbständigen und frei denkenden Menschen geben.
Beobachte doch einfach einmal selbst, was passiert, wenn fünfzig dieser modernen, weltgewandten Leistungsträger morgens einen S-Bahnwaggon füllen. Obwohl sie sich fast gegenseitig auf dem Schoß sitzen, glotzt jeder...