E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Birschel Mordsgouda
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0026-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als Deutsche unter Holländern
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0026-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Annette Birschel, geboren 1960, aufgewachsen in Bremen, arbeitet seit vierzehn Jahren in den Niederlanden als freie Korrespondentin für deutsche Medien, u.a. für den WDR Hörfunk. Sie lebt in Amsterdam.
Autoren/Hrsg.
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Prolog
Irgendetwas war anders, das konnte ich riechen. Schon auf der Treppe. Fett. Der typische Amsterdamer Freitagabendgeruch. Und richtig, im Esszimmer von Jan und Hetty stand mitten auf dem Tisch die Fritteuse.
Eigentlich war das nichts Außergewöhnliches. So war es seit Jahren, jeden Freitag, wenn wir uns bei unseren Freunden zum borrel trafen mit Kind und Kegel, Mann und Maus. Den Mann gab es in meinem Leben zwar nicht mehr, aber die Tradition dieses geselligen Umtrunks zum Wochenabschluss war geblieben. Nun erklommen nur noch mein Sohn Marten und ich freitags um 18 Uhr die steile Treppe in den dritten Stock.
Sonst hatte sich eigentlich nichts geändert – nur dass die Fritteuse verschwunden war. Wahrscheinlich verstaubte sie im Schrank auf dem Boden. Obwohl, ich bin mir nicht sicher, ob Hetty und Jan nicht klammheimlich den Apparat hervorholten, wenn wir wieder abgezogen waren, um spätnachts doch noch in den Genuss der ein oder anderen kleinen Schweinerei zu kommen.
Denn was ist schon ein echter niederländischer Freitagabend-borrel ohne Fett: kleine Frühlingsröllchen, loempias, dicke kroketten und bitterballen. Immer wenn es gesellig werden soll, holt der Holländer die Fritteuse aus dem Schrank. Ob das nun auf dem Bauernhof in Drenthe ist, nach einem Gipfeltreffen in Den Haag oder eben im dritten Stock eines Wohnhauses in Amsterdam-Süd: zum stilvollen Abschluss einer Arbeitswoche gehört nun mal Frittiertes. Je fetter, desto geselliger.
In den letzten Wochen schien diese Art der Geselligkeit allerdings unangebracht gewesen zu sein, beinahe pietätlos, mussten sich meine Freunde gedacht haben. Schließlich war ich ja ein Häufchen Elend, glaubten sie zumindest, und so fütterten sie mich mit kalten italienischen Häppchen und Crackern mit französischem Weichkäse. Was mir zugegebenermaßen nicht ganz ungelegen kam.
Dazu schenkten sie mir einen guten alten Jenever ein, oder auch zwei. Der Aschenbecher stand in Reichweite, und es gab keine missbilligenden Blicke, wenn ich mal wieder zum Feuerzeug griff. Auch das war eine nicht zu verachtende Nebenwirkung meines neuen Status der Frisch-Entliebten.
Diese Phase schien nun unwiederbringlich vorbei zu sein. Das konnte ich zuerst riechen und dann auch sehen. Die Flasche Jenever stand nicht mehr vor meinem Teller, der Aschenbecher war auch nicht zu sehen. Und statt Provolone und Parmaschinken lagen nun blässlich-graue Röllchen, Bällchen und Stäbchen auf dem Tisch, und mittendrin stand die Fritteuse. Es sollte also wieder gesellig werden.
Marten hatte sich gleich zu seinen Freunden ins Wohnzimmer verzogen. In der einen Ecke des Sofas hing bereits Piet, seine langen Beine quer über den Couchtisch gelegt, in den Ohren die Stöpsel seines iPods. Und in der anderen lümmelte sein zehnjähriger Bruder Jip. Er hatte seine blonden Haare mit viel Gel straff nach hinten gekämmt, vermutlich in der Hoffnung, mindestens so erwachsen auszusehen wie die beiden anderen. Die waren immerhin schon zwölf.
Dazwischen saß nun also Marten in seinem rot-weißen Ajax-Amsterdam-Shirt. Mit seinen blonden Locken und den neiderregend langen Wimpern hätte man ihn glatt für einen Klon vom kleinen Lord halten können. Das funktionierte allerdings höchstens bei kurzsichtigen alten Damen.
Einträchtig stopften die drei Chips in sich hinein, tranken Cola und starrten gebannt auf den Fernseher, wo sich sprechende Mäuse mit gemeinen, aber dummen Katzen herumschlagen mussten. Sie schenkten mir einen kurzen und glasigen Blick, als ich hereinsah, murmelten kurz »Hallo« und wandten sich dann wieder den wichtigeren Dingen des Lebens zu.
Im Esszimmer stand Jan am Tisch und frittierte. Über seiner Jeans wölbte sich ein kleiner Bauch, von der Hitze der Fritteuse klebte das rotblonde Haar an seinem Kopf und war sein ohnehin etwas rosiges Gesicht nun fast schon rot. Mit seligem Lächeln warf er gekonnt ein paar panierte Fleischbällchen, bitterballen, in das kochende Fett. Dann holte er so einfühlsam, wie er sonst acht Stunden am Tag gefährliche Viren und Spam aus den Computern des Verkehrs- und Wasserministeriums fischte, lange, graue, fingerdicke Wurststengel aus ihrer Plastikhülle. Frikandellen. Als ich das Wort zum ersten Mal hörte, dachte ich an saftige dicke Buletten und bestellte gleich eine. Das kleine ›n‹ mitten in dem Wort hatte ich überhört. Den Fehler macht man nur einmal.
Was in so einer frikandel drin ist, weiß keiner so genau, und es will auch keiner wissen. Aus gutem Grund. Es ist wohl irgendeine Mischung aus Kuheutern und Kalbsgedärmen, angereichert mit feingeraspelten Schweineohren, naturidentischen, EU-geprüften Aromastoffen und Geschmacksverstärkern. Das wird dann in der Fabrik zu den langen viereckigen Stäben gepresst, die die Niederländer so unglaublich glücklich machen können. 600 Millionen frikandellen essen sie im Jahr, nicht ohne sie zuvor in Ketchup und Mayonnaise zu ertränken.
Zwei dieser Monster hielt Jan nun in den Händen und küsste mich: links, rechts, links, ein Küsschen auf die Wange. »Welkom, wir frittieren heute.«.
Na, das war ja schließlich nicht zu übersehen.
»Gezellig, oder?«
Zwölf Jahre Niederlande hatten mich gelehrt, dass es auf diese Frage nur eine Antwort gibt: »Sehr gesellig, sicher.«
»Wir haben auch kaassoufflés.«
Jan zeigte auf die kleinen viereckigen Teigpäckchen, die mit einer entfernt nach Käse schmeckenden Paste gefüllt sind und mit einem Soufflé so viel gemein haben wie der Papst mit Silvio Berlusconi. Dabei lächelte er so glückselig, dass ich auf einmal alles verstand: Der Verzicht auf frittierte Häppchen am Freitagabend musste für Jan und Hetty eine große Entbehrung gewesen sein. Und das nur meinetwegen! Ich spürte eine ungeheure Welle der Zärtlichkeit für meine Freunde aufkommen.
Wenn sie nun der Meinung waren, dass meine Zeit als klagendes Opfer vorbei sein sollte, dann war das gut so. Um ehrlich zu sein, ich hatte die kleinen bitterballen eigentlich auch vermisst. Die sind nämlich alles andere als bitter und heißen auch nur deswegen so, weil man sie früher zu einem Gläschen Kräuterbitter aß.
»Und? Hattest du eine schöne Woche?«, begrüßte Hetty mich munter, als sie aus der Küche kam, in den Händen die Schüssel mit den Fritten. Zur Begrüßung braucht man die auch nicht unbedingt. Die Hände natürlich. Der Niederländer küsst. Links, rechts, links.
Hetty hatte ihre langen braunen Haare straff zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Brille halb auf die Nase herabgeschoben. Fast ähnelte sie meiner Handarbeitslehrerin, hätten da nicht dicke Perlen lustig von ihren Ohren gebaumelt. Jetzt stellte sie die Pommes auf den Tisch und arrangierte Ketchup und Mayonnaise drum herum. Wir setzten uns.
»Nun sag mal«, meine Freundin sah mich mit ihren Schokoladenaugen auffordernd an, »was tust du jetzt? Gehst du zurück nach Deutschland?«
Um ihre Direktheit habe ich sie immer schon beneidet. Ohne Umschweife und überflüssigen Schnickschnack steuert sie auf ihr Ziel zu. Es ist ja auch außerordentlich zeitsparend.
»Nein, wieso? Warum sollte ich denn zurück?« Ich war verwirrt.
Die Balkontür stand halb offen, so dass einem die feuchte Kälte lustig in die Knochen kriechen konnte, die Kinder saßen mit Chips und Cola gemütlich vor dem Fernseher. Und ich steckte mir gerade einen heißen bitterbal in den Mund. Sehnsucht nach der Heimat hatte ich absolut nicht. Warum auch?
»Na, wo du jetzt keinen Mann mehr hast.«
»Was? Bin ich etwa nichts ohne Mann?«, schnaubte ich. »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.«
Ich war richtig stolz, dass mir just in diesem Moment der Emanzenklassiker eingefallen war. Nur – das hätte ich wissen müssen – dieses Argument prallte an Hetty ab wie eine Sturmböe an den Betonlocken von Königin Beatrix.
Nicht, dass meine Freundin ein Hausmütterchen wäre. Im Gegenteil.
Hetty ist Managerin, eine absolute Karrierefrau. Selbst an einem Freitagabend kann sie beinah verklärt von ihrer Arbeit sprechen, als könne sie den Montag und die Aussicht auf eine neue, vollgepackte 40-Stunden-Woche gar nicht erwarten. Nur verbindet sie mit Feminismus eben lila Latzhosen und BH-Verbrennungen vor dem Monument für die Opfer von Krieg und Gewalt auf dem Amsterdamer Dam, dem Platz mitten in der City.
»Das ist Quatsch. Sonst würdest du nämlich jetzt nicht hier sitzen.« Hetty blieb nüchtern und ungemein logisch, wie immer. »Schließlich bist du wegen eines Mannes hierhergekommen. Und jetzt ist der weg. Also kann es gut sein, dass du auch gehst.«
Genau in diesem Moment blieb mir der bitterbal im Halse stecken. Das heißt, die eine Hälfte. Die andere Hälfte fiel mir aus dem Mund, und das heiße Kalbfleischragout tropfte über meine linke Hand auf den blank polierten...