E-Book, Deutsch, Band 5, 320 Seiten
Reihe: Die Penderwicks
Birdsall Die Penderwicks im Glück (Die Penderwicks 5)
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-646-92534-0
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein toller Abschluss der vielgeliebten Penderwicks-Reihe!
E-Book, Deutsch, Band 5, 320 Seiten
Reihe: Die Penderwicks
ISBN: 978-3-646-92534-0
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bereits für ihr erstes Buch, »Die Penderwicks«, erhielt Jeanne Birdsall den National Book Award for Young People`s Literature. Es wurde genau wie ihre anderen Bücher über die Penderwicks ein New York Times-Bestseller. Inzwischen gibt es fünf Bände dieser Reihe, die auch in Deutschland unzählige Fans hat. Jeanne Birdsall lebt in Northampton, Massachusetts, mit ihrem Mann, zwei Katzen und einem Boston Terrier namens Cagney. Mehr über sie erfahrt ihr auf ihrer Website: www.jeannebirdsall.com
Weitere Infos & Material
Erstes Kapitel
Ein Tanz an der Bushaltestelle
Lydia tanzte, wo sie ging und stand – auf dem Bürgersteig, in den Supermarktgängen, in der Bücherei, im Schwimmbad, sogar auf dem Parkplatz. Heute war eine Bank an der Bushaltestelle ihre Bühne. Auf etwas so Schmalem zu tanzen war eine Herausforderung, aber Lydia passte auf, dass sie nicht fiel – sie setzte kleine Schritte, verzichtete auf Sprünge und machte stattdessen wilde Bewegungen mit dem Oberkörper.
»Musik, Maestro!«, sagte sie. »Welches Tempo, Miss Penderwick? Ich glaube, mir ist nach etwas Flottem, Maestro. Dann also etwas Flottes.«
Lydia sang nicht so gut, wie sie tanzte, und das Summen ihres inneren Maestro war ein wenig schief, aber der Rhythmus! Während Lydia sich vor- und zurückbeugte, war sie eins mit dem Rhythmus, und laut ihrem Vater war das der Inbegriff von Musik. Das hatte er gesagt, als Lydia noch zu klein war, um das Wort »Inbegriff« zu verstehen. Mittlerweile ging sie in die fünfte Klasse und verstand fast alle Wörter, mit denen ihr Vater um die Ecke kam, solange er nicht Latein sprach. (Manchmal tat er das nämlich.) Der Inbegriff zu sein bedeutete, dass sie mit ihrem Tanz den Geist der Musik zum Leben erweckte.
Eine letzte Drehung, dann verbeugte Lydia sich und wartete auf den Applaus, der nicht kam. An der Bushaltestelle war kein Mensch außer ihr, und die Penderwicks-Hunde beachteten sie nicht. Sonate, die Ältere der beiden, schlief unter der Bank. Sonate schlief oft – Lydias Mutter nannte sie ihren Zen-Hund. Feldspat, der andere Hund, war Sonates Sohn und hatte die gleichen albernen, großen Augen, aber er war kein Zen-Hund. Für ihn war das Leben vor allem spannend und am spannendsten fand er Lydias große Schwester Batty. Und natürlich alles, was er gerade mit sich herumschleppte. Heute war es ein Kleiderbügel aus Plastik.
»Denk dran, ihn nicht zu zerkauen und runterzuschlucken«, ermahnte Lydia ihn.
Feldspat sah sie verächtlich an. So etwas Dummes würde er nie tun. Irgendwo tief in seiner Mischlings-DNA steckte etwas von einem Retriever, und Retriever fraßen niemals ihre Jagdbeute, schon gar nicht, wenn die Beute aus Plastik bestand und nicht gut schmeckte. Nur weil er einmal aus Versehen eins von Lydias Stirnbändern gefressen hatte, waren seine Instinkte noch lange nicht verkümmert.
Lydia hielt Ausschau nach dem Bus. Sie und die Hunde warteten auf Batty, die in Boston Musik studierte. Lydia fand, dass Batty nicht oft genug nach Hause kam und nie lange genug blieb – diesmal wollte sie nach dem Wochenende wieder fahren. Von allen Penderwick-Geschwistern hatte Batty am meisten Verständnis für Lydia und ihre Tanzleidenschaft. Wahrscheinlich weil Batty selbst Sängerin war – beide lebten für die Musik, auch wenn jede sie auf ihre eigene Weise ausdrückte.
Seit Batty studierte, wohnten nur noch Lydia und ihr Bruder Ben zu Hause. Ben war sechzehn und interessierte sich hauptsächlich dafür, zusammen mit seinem besten Freund Rafael Filme zu gucken und zu drehen. Manchmal durfte Lydia in den Filmen mitspielen. Sie war schon alles Mögliche gewesen: ein Wunderkind, das von Feinden ihres Landes ermordet wurde, eine Schachmeisterin, die von ihrem wahnsinnigen Rivalen ermordet wurde, und Jeanne d’Arc, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde; in dem aktuellen Projekt war sie ein empfindsamer Apfel, der am Ende des Films gegessen wurde. Lydia war es leid, für die Kunst ihres Bruders zu sterben, und hoffte, dass er sich bald etwas Neues ausdachte.
Es gab noch drei weitere Schwestern in der Familie, sie waren schon erwachsen und über zwanzig. Zwei von ihnen, Rosalind und Jane, wohnten gar nicht so weit von zu Hause weg und kamen immer mal wieder zu Besuch. Die dritte, Skye, lebte in Kalifornien und schrieb an ihrer Doktorarbeit in Astrophysik. Sie war gleich nach der Schule – da war Lydia gerade erst vier – an die Westküste gezogen und schaffte es nur ein paarmal im Jahr, zu ihnen nach Massachusetts zu kommen. Lydia vermisste sie sehr, der Familiengeschichte zufolge war sie das erste Baby gewesen, mit dem Skye etwas anfangen konnte. Skye leugnete das und behauptete, bis Lydia drei war und halbwegs vernünftig reden konnte, hätte sie sich nicht groß mit ihr abgegeben, aber das glaubte Lydia nicht. Sie konnte sich noch ganz genau erinnern, wie sie schön warm in ihrem Bettchen lag und in Skyes blaue Augen schaute.
Immer noch kein Bus in Sicht, also war Zeit für einen weiteren Tanz. Diesmal wollte Lydia mit langsamen Bewegungen Sehnsucht und Schönheit ausdrücken. Für die Sehnsucht musste sie ihre Fantasie anstrengen, denn damit hatte sie nicht viel Erfahrung, aber Schönheit war überall um sie herum, in den Narzissen, die gegenüber der Bushaltestelle im Garten der Ayvazians blühten und – dachte Lydia insgeheim – in ihrem Haar. Sie selbst erhob keinen Anspruch auf Schönheit, aber ihre Haare waren wirklich prächtig: rot und gerade richtig gelockt, genau wie die von Ben und ihrer Mutter. Die anderen Geschwister hatten nicht solche Haare, denn sie hatten eine andere Mutter, die lange vor Lydias Geburt gestorben war.
Als sie mit ihrem Tanz fertig war, machte Feldspat das merkwürdige Geräusch, das sie in der Familie freundlich Bellen nannten, obwohl es eher eine Mischung aus Winseln und Räuspern war. Alles andere war mit einem Kleiderbügel im Maul auch unmöglich. Doch er und Sonate hatten ein System entwickelt – immer wenn Feldspat dieses Geräusch machte, stimmte Sonate mit richtigem Gebell ein, sodass sie gemeinsam genug Krach machten, um Feldspat Gehör zu verschaffen.
So auch jetzt. Sonate wachte auf und legte sofort los, worauf Lydia von der Bank sprang und die Leinen ganz fest hielt. Sie wusste schon lange, dass die beiden es im Voraus merkten, wenn Batty kam. Wenn sie so zeterten, musste Battys Bus gleich in Sicht kommen. Und da war er auch schon, er erklomm den Hügel und kam mit seiner kostbaren Fracht stetig näher.
Als Batty strahlend ausstieg und sich genauso darüber freute, zu Hause zu sein, wie ihre Familie sich freuen würde sie da zu haben, hielt Lydia sich zurück, denn sie wusste, dass die Hunde immer als Erstes begrüßt wurden. Die Hunde wussten es auch, sie drückten sich an Batty und bebten vor Freude, während sie in leisem Ton liebevoll mit ihnen sprach, sie zärtlich von Kopf bis Fuß streichelte und sich vergewisserte, dass sie genauso gesund und munter waren wie bei ihrem letzten Besuch. Ben hatte Batty einmal den Heiligen Franz von Cameron genannt – Cameron hieß die Stadt, in der die Penderwicks lebten – und keiner hatte ihm widersprochen, außer Batty, die der Meinung war, es sollte normal sein und nicht heilig, Tiere unendlich zu lieben.
Erst nach dem Begrüßungsritual wandte Batty sich zu Lydia, prüfte ihre Größe, betrachtete sie von allen Seiten, während Lydia sich drehte, und sah ihr dann fest in die Augen.
»Du bist gewachsen, seit ich das letzte Mal zu Hause war«, sagte Batty.
»Drei Millimeter.« Lydia war stolz auf diese drei Millimeter.
»Und in der Schule läuft es gut?«
»Wir lernen langweilige Hauptstädte.«
»Das haben wir auch gemacht, und die einzige, an die ich mich noch erinnern kann, ist Harrisburg, die Hauptstadt von Pennsylvania, weil Henry immer Harrisburger gesagt hat und deswegen Ärger bekam. Und Boston natürlich.«
Lydia kam auf ihr Lieblingsthema zurück. »Singst du für mich? Ich übe Flamenco.«
Batty ging ihre riesige innere Liederbibliothek durch. »Ich singe einen Standard – Oye Como Va.«
Batty sang und Lydia tanzte, wie sie es schon fast Lydias ganzes Leben lang machten. In einigen ihrer ersten Erinnerungen hüpfte sie im Wohnzimmer herum, während Batty Klavier spielte und sang. Lydias Schwestern sagten gern, sie hätte eher Tanzen als Laufen gelernt, aber wenn Lydia darüber nachdachte, kam es ihr unlogisch vor. Ihr Flamenco war nicht gerade feurig – sie würde noch einige Jahre Übung brauchen und ihre Sneaker waren auch nicht besonders geeignet –, aber es machte wahnsinnig viel Spaß und Batty stampfte und klatschte sogar ein bisschen mit.
»Excelente«, sagte Batty, als der Tanz zu Ende war. »Es ist schön, zu Hause zu sein.«
Sie mussten Sonate wecken, die mitten in Oye Como Va eingedöst war, und gingen dann langsam die Gardam Street hoch. Sie ließen den Hunden genügend Zeit, um an ihren Lieblingsdüften zu schnuppern oder sie aufzufrischen, soweit nötig.
»Wesley spricht schon wieder davon, die Uni abzubrechen. Und dann will er irgendwo an die Westküste gehen«, sagte Batty.
»O nein, Batty!«
Wesley war ein Kunststudent, den Batty in der ersten Woche am College kennengelernt und bei ihren Besuchen oft mitgebracht hatte. Lydia mochte ihn lieber als alle Freunde, die Batty in der Highschool gehabt hatte. Er gehörte sogar zu den Top Four aller Freunde, die ihre vier Schwestern je gehabt hatten. Und das nicht nur deshalb, weil Wesley sie beim Tanzen gezeichnet hatte und die Zeichnung jetzt eingerahmt im Wohnzimmer hing. Nein, Wesley hatte eine ruhige, geheimnisvolle Ausstrahlung. Auch Ben mochte Wesleys Art, so sehr, dass er vorgeschlagen hatte einen Film mit ihm als Geheimagent zu drehen. Lydia hatte Wesley davon abgeraten, weil der Geheimagent garantiert am Ende des Films sterben musste, aber Wesley brauchte ihren Rat gar nicht. Anstatt sich von einer Kamera oder einem Menschen beobachten zu lassen, war er lieber selbst der Beobachter.
Und dann war da noch Wesleys Hund Hitch, eine dreibeinige Dogge. Als Lydia Hitch verfiel, hatte...