E-Book, Deutsch, 142 Seiten
Reihe: Fachbücher für jede:n
Bindernagel Ich höre dir zu
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8461-4
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gute Gespräche im Alltag
E-Book, Deutsch, 142 Seiten
Reihe: Fachbücher für jede:n
ISBN: 978-3-8497-8461-4
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", sagt eine Redewendung. Und es stimmt: Wer zunächst einmal zuhört und dann vielleicht eine einfache, offene und kurze Frage stellt, lässt sein Gegenüber zu Wort kommen und findet selbst leichter heraus, was sie oder er meint.
Daniel Bindernagel zeigt, wie wir unsere Kommunikation mit einfachen Mitteln verbessern. Er stützt sich auf das Konzept der Eigensprache und die Methode der Idiolektik, die sich in der Therapie und in der Beratung von Menschen bewährt haben. In überschaubaren Kapiteln überträgt er sie auf alltägliche Situationen: in der Partnerschaft und in der Familie, in der Freizeit oder im Beruf. Ein Kapitel ist Gesprächen unter Jugendlichen gewidmet.
Mit seiner einfachen, klaren Sprache, den praktischen Übungen und wiederkehrenden Rubriken gibt das Buch selbst ein gutes Beispiel für direkte Kommunikation.
Autoren/Hrsg.
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SCHLÜSSELWORTE
Was sind Schlüsselworte?
Schlüsselworte sind Worte, die ich beim Zuhören besonders heraushöre. Sie treten durch ihren Klang oder die begleitende Körpersprache aus dem Gesagten hervor. Sie klingen nicht nur besonders, sondern sie klingen auch bei mir an. Das heißt, sie rufen bei mir als Zuhörendem eine Resonanz hervor. »Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.« Ersetzt man »Zauber« durch »Schlüssel« in diesem Gedicht aus dem Jahre 1838 von Joseph von Eichendorff4, dann kommt eine poetische und sehr treffende Beschreibung von Schlüsselworten in Gesprächen heraus. Greifen wir Schlüsselworte auf und fragen einfach nach, ermöglichen wir unserer Gesprächspartnerin, zu Wort zu kommen, sich selbst zu erkunden und besser zu verstehen. Warum ist Sprache vielschichtig?
Um zu verstehen, warum Sprache vielschichtig ist, müssen zunächst einige Besonderheiten von Sprache und ihrer Entwicklung erklärt werden. In den Anfängen der Menschheit diente Sprache zunächst vor allem dem Austausch von Gefühlen und der Regulation von Beziehungen, nicht so sehr dem Informationsaustausch. Das ist auch heute noch in vielen Situationen der Fall, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Durch komplexe, vernetzte Vorgänge im Gehirn wird unser Sprachausdruck laufend beeinflusst sowie durch unsere Gefühlslage modelliert. Die ausgesprochene Sprache ist unter anderem deshalb sehr vielschichtig und mehrdeutig. Über den Klang und die Körpersprache vermitteln sich laufend viele Informationen aus anderen Schichten, die die rein lexikalische Bedeutung eines Wortes begleiten und ergänzen. Ein Sprichwort sagt: »Der Ton macht die Musik.« Das bringt die Sache auf den Punkt. Wie wir etwas sagen, ist für eine gelingende Kommunikation wichtiger, als was wir sagen. Und so machen auch der Klang und der Rhythmus des Sprechenden ein Wort zum Schlüsselwort. Genau das können wir uns zunutze machen für eine gelingende Kommunikation. Kurz gesagt: Wir hören der Sprache zu, wie wir Musik lauschen, und fragen dort nach, wo es für uns als Zuhörende gut klingt. Das hört sich sehr einfach an, muss allerdings geübt werden. Eine weitere Besonderheit von Sprache ist, dass jeder Mensch seine eigene Sprache spricht. Sie ist unverwechselbar und diesem Menschen eigentümlich. Ein Schlüsselwort ist ein verdichteter Ausdruck dieser Eigensprache, dieses Idiolekts. Warum ist das Wissen um die Eigensprache wichtig?
Die Nichtbeachtung der Tatsache, dass jeder Mensch seine ganz eigene Sprache benutzt, kann zu vielen Missverständnissen führen. Beachte ich hingegen, dass jedem Menschen eine spezifische Sprache eigen ist, so ergeben sich daraus mehrere entscheidende Punkte für eine gelingende Kommunikation. Erstens muss ich davon ausgehen, dass ich nicht wirklich weiß, wovon der andere gerade spricht. Deshalb frage ich offen und ohne Vorurteil nach und lasse mir einfach mehr erzählen. Wenn es mir gelingt, meinem Gegenüber offen zu begegnen, neugierig auf seine Welt zu sein und zu bleiben, dann werde ich sicherlich Neues über diese Person erfahren. Außerdem wird mein Gegenüber so eher das Gefühl bekommen, gehört oder gar verstanden zu werden. Damit sind wir bereits an einem Kernpunkt von Kommunikation angelangt. Ich lasse meinen Gesprächspartner zu Wort kommen. Das gelingt am einfachsten, wenn wir zuhören und ab und zu eine offene Frage zu einem Schlüsselwort stellen. Die Frage sollte zudem einfach, kurz und konkret sein. Alltagsbeispiel Schlüsselworte Die zwei Freunde Dario und Andreas machen eine Wanderung über mehrere Tage in einem abgelegenen Gebiet. Dario fragt Andreas: DARIO Was beschäftigt dich? Andreas Ich bin vor Kurzem pensioniert worden. Jetzt schaue ich gerade zurück. DARIO Was siehst du beim Zurückschauen? ANDREAS Ich sehe ein Puzzle. Das ist fast fertig. Dario Was ist auf dem Puzzle zu sehen? ANDREAS Eine Landschaft mit einem Fluss, drum herum Auenlandschaft. DARIO Das Puzzle ist fast fertig? ANDREAS Ja, nur ein Puzzleteil fehlt noch. (Pause) Und das ist das, was wir gerade machen. DARIO Ein Puzzleteil? ANDREAS Ich war in meinem Leben oft rastlos und viel unterwegs. Wenn das Puzzle vollständig ist, tritt eine lang ersehnte Ruhe ein. Ich spüre es schon ein bisschen. Die Landschaft mit dem Fluss hat etwas Beruhigendes und sehr Schönes an sich. Kommentar
Dario beginnt das Gespräch mit einer offenen Frage. Sie lädt Andreas ein, etwas zu erzählen, das ihn beschäftigt. Er greift das Schlüsselwort »zurückschauen« auf und stellt dazu wiederum eine offene, konkrete und einfache Frage. Diese ermöglicht es Andreas, das Bild vom Puzzle zu beschreiben. Für Andreas ist dieses Bild in der Rückschau auf sein Leben neu und überraschend. Wenn Schlüsselworte aufgegriffen werden, wird ein Prozess beim Erzähler angestoßen. Dieser Prozess kann so in Gang kommen ohne Störung von außen durch »fremde« Worte. Dario bringt hier ja keine eigenen Worte ein, die von Andreas in Bezug auf seine eigene Rückschau auf sein einzigartiges Leben als fremd empfunden werden könnten. Er fragt einfach und offen weiter nach. Für Dario ist das Wort »Puzzleteil« am deutlichsten hörbar. Es ist stark betont und abgesetzt. Beim Zuhören klingt es in der Pause spürbar nach. Für Dario ist es das deutlichste Schlüsselwort in dieser Gesprächssequenz. Andreas berichtet Dario ein halbes Jahr später, dass ihm dieses Gespräch, insbesondere das »Puzzleteil«, einiges bewusst gemacht habe und hilfreich gewesen sei. Hin und wieder denke er an das Gespräch zurück. Das Bild des »Puzzleteils« habe »den Nerv getroffen« und das Gespräch auf berührende Art beflügelt. Aktuell denke er zuweilen über weitere »Puzzleteile« in seinem Leben nach. Er empfinde diese nun als willkommene Zugaben. Fazit Schlüsselworte Jeder Mensch spricht seine eigene Sprache. Ohne dass es uns bewusst ist, verwenden wir Schlüsselworte, wenn wir sprechen. Diese treten durch ihren besonderen Klang und Rhythmus oder die begleitende Körpersprache aus dem Gesprochenen hervor. Greifen wir diese auf und stellen einfache und konkrete Fragen zu ihnen, eröffnen sich dem Sprechenden neue Welten. Er kommt zu Wort. In der Kommunikation fühlt er sich gehört. Praxis Schlüsselworte Variante 1: Such dir eine Person und nimm dir 20 Minuten Zeit. Stell der Person eine sogenannte belanglose Frage. Hier drei Beispiele: Wie bist du heute zur Arbeit / nach Hause / nach XY gefahren? Was hast du heute erlebt? Kannst du mir mal einen Baum beschreiben? Nun hörst du dem Gesprochenen wie Musik zu. Wenn dein Gegenüber aufhört zu sprechen, stell eine einfache, kurze und konkrete Frage zu einem Wort, das bei dir angeklungen ist, das du besonders herausgehört hast. Wenn dein Gesprächspartner Lust hat, wechselt nach 5 Minuten die Rollen. Tauscht euch jeweils kurz darüber aus, wie das Gespräch für dich als Befragten und als Fragenden gewesen ist. Variante 2: Von Vorteil ist, wenn ihr diese Übung zu dritt macht. Der Dritte im Bunde bekommt die Aufgabe, in der oben beschriebenen Art zuzuhören und sich nur die Schlüsselworte zu merken oder zu notieren. Nach dem Gespräch benennt er die Schlüsselworte. Es ist einfacher, die Schlüsselworte zu hören, wenn du nicht selbst fragen musst. Wenn alle drei Lust dazu haben, wechselt die Rollen jeweils nach 5 Minuten. Variante 3: Such dir eine Person und nimm dir 20 Minuten Zeit. Bitte die Person, einen kurzen Text vorzulesen. Sie könnte zum Beispiel ein beliebiges Buch aufschlagen und einen zufällig ausgewählten kurzen Abschnitt oder eine Passage aus einer herumliegenden Zeitschrift vorlesen. Du hörst dem Text wie Musik zu und schaust, welche Worte bei dir anklingen, welche du heraushörst. Stell eine einfache, kurze und konkrete Frage zu einem dieser Worte. Wenn dein Gegenüber aufhört zu sprechen, stell erneut eine einfache, kurze und konkrete Frage zu einem Wort, das er verwendet hat. Wenn dein Gesprächspartner Lust hat, wechselt nach 5 Minuten die Rollen. Tauscht euch jeweils kurz darüber aus, wie das Gespräch für dich als Befragten und als Fragenden gewesen ist. Variante 4: Führe Variante 3 zu dritt entsprechend Variante 2 durch. Der Dritte im Bunde bekommt wieder die Aufgabe, zuzuhören und sich nur die Schlüsselworte, also die Worte, die bei ihm anklingen, zu merken oder zu notieren. Nach dem Gespräch benennt er die Schlüsselworte. Variante 5: Spielt das Spiel Wer gut fragt, gewinnt. Ein Spiel für bessere...