E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Bikman / Fung Warum wir krank werden
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7453-1405-2
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Insulinresistenz als wahre Ursache für chronische Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer oder Krebs - und wie wir sie bekämpfen können. Mit einem Vorwort von Dr. Jason Fung
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1405-2
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Benjamin Bikman ist Doktor der Bioenergetik mit Schwerpunkt auf Stoffwechselerkrankungen bei Adipositas. Als Wissenschaftler und Professor an der Brigham Young University erforscht er die Ursachen und Folgen von Stoffwechselerkrankungen, inklusive Fettleibigkeit und Diabetes, und welche Rolle Insulin dabei spielt. Seine Forschungsergebnisse werden regelmäßig in Fachmagazinen veröffentlicht.
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KAPITEL 1
Insulinresistenz – was ist das?
Insulinresistenz ist die Epidemie, von der Sie womöglich noch nie etwas gehört haben. Dies ist vielen von uns neu, und unsere Unwissenheit steht im Widerspruch zur tatsächlichen Verbreitung der Insulinresistenz: Die Hälfte aller erwachsenen US-Bürger ist insulinresistent, genau wie etwa jeder Dritte auf beiden amerikanischen Kontinenten.4 Es wäre allerdings durchaus möglich, dass sich dieser Anteil auf bis zu 88 Prozent der Erwachsenen beläuft.5
Noch beunruhigender ist, wie häufig die Insulinresistenz in Zukunft sein wird – und denken Sie bloß nicht, es handle sich um ein lokales Problem. Bei der weltweiten Entwicklung sieht es noch düsterer aus: 80 Prozent der von Insulinresistenz betroffenen Personen leben in Entwicklungsländern, und wie in Amerika sind die Hälfte aller Erwachsenen in China und Indien insulinresistent. Doch dieser Trend ist nicht neu. Nach Angaben der International Diabetes Federation hat sich die weltweite Anzahl der Fälle von Insulinresistenz in den letzten drei Jahrzehnten verdoppelt, und sie wird sich in weniger als zwanzig Jahren wahrscheinlich erneut verdoppeln.
Früher war die Insulinresistenz eine Wohlstandskrankheit (was ich gern als »Wohlstandsplage« bezeichne) – also eine Krankheit, an der hauptsächlich wohlsituierte ältere Menschen litten. Doch neuerdings ist alles anders: Es gibt nachweislich Berichte über insulinresistente Vierjährige (und bis zu 10 Prozent der nordamerikanischen Kinder sind insulinresistent6). Außerdem leiden in Ländern mit niedrigem Einkommen inzwischen mehr Menschen darunter als in Ländern mit hohem Einkommen.7
Obendrein weiß die überwältigende Mehrzahl der Insulinresistenten noch nicht einmal, dass sie insulinresistent ist, und sie hat noch nie von Insulinresistenz gehört! Deshalb stehen wir im Kampf gegen die weltweit steigenden Zahlen vor einer zusätzlichen Hürde: Wir müssen zunächst einmal dafür sorgen, dass die Menschen diese Krankheit verstehen.
Aktuelle und prognostizierte Diabetesfälle nach Region (in Millionen).
Quelle: International Diabetes Federation8
Die zehn Länder mit den meisten erwachsenen Diabetikern im Jahr 2019.
Quelle: International Diabetes Federation9
Insulin – eine Einführung
Um die Insulinresistenz zu verstehen, müssen wir zunächst eine Basis schaffen und über das Insulin selbst sprechen. Viele Menschen kennen Insulin ausschließlich als Medikament für Diabetiker. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Hormon, das der menschliche Körper auf natürliche Weise produziert (es sei denn, wir leiden an Typ-1-Diabetes – später mehr dazu).
Insulin ist wie die meisten anderen Hormone ein Protein, das in einem bestimmten Organ des Körpers gebildet wird, um dann mit dem Blut durch ihn hindurchzufließen und andere Bereiche zu beeinflussen. Es wird in der Bauchspeicheldrüse (in der medizinischen Fachterminologie: »Pankreas«) gebildet, einem kleinen Organ, das sich hinter dem Magen befindet. Am bekanntesten ist die Bauchspeicheldrüse dafür, dass sie unseren Blutzuckerspiegel reguliert. Sobald wir etwas essen, das unseren Blutzuckerspiegel erhöht, schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus, das »die Türen öffnet«, um verschiedene Organe oder Strukturen wie Gehirn, Herz, Muskeln und Fettgewebe mit Glukose zu versorgen. Insulin reguliert aber keineswegs nur unseren Blutzuckerspiegel, sondern wirkt auf die Zellen aller Körpergewebe ein und hat deshalb ein recht großes Publikum! Dies ist so gut wie einmalig bei den Hormonen, die für gewöhnlich nur eines oder bestenfalls ein paar wenige Organe beeinflussen. Der Einfluss von Insulin ist so gewaltig, dass er bis in jede Zelle reicht.
Wie Insulin im Einzelnen wirkt, hängt von der Zelle ab. Bindet es zum Beispiel an eine Leberzelle, so produziert sie (unter anderem) Fett; bindet es an eine Muskelzelle, produziert sie (unter anderem) neue Proteine. Vom Kopf bis zu den Zehen reguliert Insulin den Umgang der Zellen mit Energie, verändert ihre Größe, beeinflusst die Produktion anderer Hormone und entscheidet sogar darüber, ob Zellen leben oder sterben. Eines aber ist immer gleich: Insulin kann Zellen dazu veranlassen, kleinere Dinge größer zu machen – ein Prozess, der Anabolismus oder Stoffaufbau genannt wird. Insulin ist ein anaboles Hormon.
Insulin ist zweifellos wichtig. Vorausgesetzt, es funktioniert! Zu Problemen – ein wichtiger Gegenstand dieses Buches – kommt es dann, wenn Insulin nicht richtig arbeitet. Dieser Zustand wird als Insulinresistenz bezeichnet.
Gehirn: Verwendung von Glukose zur Energiegewinnung, Wachstum von Nervenzellen
Ohren: Verwendung von Glukose zur Energiegewinnung, Hören
Herz: Umgang mit Energie, Größe des Herzens, Blutdrucksenkung
Muskel: Umgang mit Energie, Produktion von Muskelprotein, Größe
Fett: Umwandlung von Glukose in Fett, Fetteinlagerung, Wachstum
Leber: Speicherung von Glukose, Bildung von Fett
Hoden/Eierstöcke: Normale Bildung von Sexualhormonen
Knochen: Umgang mit Energie, Wachstum
Nerven: Verwendung von Glukose zur Energiegewinnung, Wachstum
Das Insulin und seine vielen Aufgaben.
Insulinresistenz – die Definition
Ganz einfach ausgedrückt, haben wir es bei der Insulinresistenz mit einer verminderten Reaktion auf das Hormon Insulin zu tun. Eine Zelle, die nicht mehr auf Insulin reagiert, wird insulinresistent. Dies kann verschiedene Ursachen haben (mit denen wir uns später beschäftigen werden). Ignorieren immer mehr Zellen das Insulin, gilt schließlich der ganze Körper als insulinresistent.
In diesem Zustand brauchen manche Zellen mehr Insulin, damit es die gleiche Wirkung entfaltet wie bisher. Das Hauptmerkmal der Insulinresistenz ist somit, dass mehr Insulin im Blut ist, das häufig nicht mehr so gut wirkt.
»Blutglukose« oder »Blutzucker«?
Der Begriff »Blutzucker« ist vage und irreführend, streng genommen aber korrekt, da man alle einfachen Kohlenhydrate als »Zucker« bezeichnen kann. Mit »Zucker« ist gemeinhin die Saccharose (also Haushaltszucker und Glukose-Fruktose-Sirup) gemeint, eine Verbindung aus Glukose- und Fruktosemolekülen. Doch darum geht es nicht, wenn vom »Blutzucker« die Rede ist. Richtiger ist es, hier von Glukose zu sprechen – der nicht weiter veränderbaren Form, in der die verzehrten Kohlenhydrate nach vollendeter Verdauung vorliegen.
Wie erwähnt, besteht eine der Hauptaufgaben des Insulins darin, den Blutglukosespiegel zu regulieren. Da ein dauerhaft erhöhter Blutglukosespiegel gefährlich ist und sogar tödlich sein kann, braucht der Körper Insulin, um die Glukose aus dem Blut zu entfernen und den Blutglukosespiegel damit wieder auf das normale Maß zu senken. Doch wie steht es bei Insulinresistenz um die Kontrolle der Blutglukose? Während sich eine Insulinresistenz etabliert, wird dieser Prozess in Mitleidenschaft gezogen, sodass es zu dem typischen Diabeteszeichen eines hohen Blutglukosespiegels oder der »Hyperglykämie« kommen kann. Aber wir preschen vor. Eine Insulinresistenz kann bereits lange bestehen, bevor jemand an Typ-2-Diabetes erkrankt. (Im nächsten Abschnitt finden Sie eine Darstellung der Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes.)
Insulin wird fast immer im Verhältnis zur Glukose gesehen. Nicht ganz fair, wenn man bedenkt, dass es Hunderte (Tausende?) von Aufgaben im Körper erfüllt. Dennoch ist in einem gesunden Körper mit normalem Blutglukosespiegel üblicherweise auch der Insulinwert normal. Bei einer Insulinresistenz ist der Insulinspiegel im Verhältnis zur Glukose jedoch höher als erwartet. In der »Geschichte« von Insulinresistenz und Diabetes halten wir die Glukose für den Hauptprotagonisten, obwohl sie in Wirklichkeit eine Nebenrolle spielt. Das heißt, wir verwenden die Glukose normalerweise als Marker zur Diagnose und Überwachung von Diabetes, obwohl wir uns eigentlich zuerst den Insulinspiegel ansehen sollten.
Wie kommt es zu dieser Verschiebung der Prioritäten? Nun, vermutlich können wir Geschichte und Wissenschaft für das Paradigma von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes verantwortlich machen, bei dem die Glukose im Mittelpunkt steht.
Weshalb zu viele auf die Glukose statt auf das Insulin schauen
Da die Insulinresistenz zu den Ursachen eines Typ-2-Diabetes gehört, wird sie historisch mit der Familie der Diabetes-mellitus-Erkrankungen in einen Topf geworfen.
Der erste dokumentierte Hinweis auf diese Gruppe von Krankheiten ist über dreitausend Jahre alt und stammt aus dem alten Ägypten. Auf einem medizinischen Papyrus war vermerkt, bei Menschen mit einer bestimmten Erkrankung komme es zu einer »zu starken Urinentleerung«. Etwas später beobachteten...