Bijan | Als die Tage nach Zimt schmeckten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Bijan Als die Tage nach Zimt schmeckten

Roman
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1796-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1796-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Lesegenuss so sinnlich wie Vanillekuchen mit Zimt Teheran im Frühling: Jeden Tag wartet der alte Zod im Glyzinienhof vor dem Café Leila auf den Postboten. Bringt er einen Brief von seiner geliebten Tochter Noor? Endlich hat sie geschrieben. Nach 30 Jahren wird sie aus den USA in ihre verlorene Heimat zurückkehren. In die Stadt der Widersprüche, in der Schönheit und Gewalt nebeneinander existieren. In das Café Leila, in dem Noors Vater früher alles zauberte, was die persische Küche an himmlischen Köstlichkeiten hergab. Zu ihrer Familie, die trotz aller Wärme und Liebe zerrissen wurde. Eine berührende Geschichte über eine persische Familie, die endlich wieder zusammenfindet.  

Donia Bijan lebt in San Francisco und arbeitet als Köchin und Autorin. Sie studierte an der UC Berkeley und leitet seit zehn Jahren ihr eigenes Restaurant.
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2. Kapitel

In einer Sackgasse am Ende der Nasrin-Straße, in der es immer still war bis auf die Zeit, wenn die Vorschüler der Firouzeh-Grundschule nach draußen stürmten, stand für sich allein ein verblichenes gelbes Backsteingebäude. Unter dem Schild, das in die Hauswand eingelassen war, befand sich das Café Leila, dessen Eingang von tief hängenden Glyzinien umrahmt wurde, die nun, Ende April, in voller Blüte standen. Als der Postbote endlich Noors Brief ablieferte, wischte sich Zod mit dem Umschlag die taubenblauen Blütenblätter vom Revers und bestand aus lauter Dankbarkeit darauf, dass der Postbote eine Tasse Tee bei ihm trank. Dann sah er dem Roller nach, der in der Gasse verschwand, machte sich im Garten zu schaffen und schnitt Rosen für die Tische im Speisesaal. Nachdem er wochenlang gewartet hatte, war er noch nicht bereit, den Brief aufzureißen. Er musste sich auf die erste Zeile vorbereiten, die ihn stets zu Tränen rührte: Mein Liebster, mein Baba.

Da die Mittagessenszeit näher rückte, würde Zod noch länger warten müssen. Sein Lehrling Karim fächelte schon mit einem Besen das Kohlefeuer im Hof an, bereit, die Namen der Stammgäste zu verkünden, sobald sie eintrafen, als wären sie Schauspieler auf einer Bühne – eine ungeduldige Besetzung aus Ärzten, Büroangestellten, Ladenbesitzern, Ingenieuren und Studenten, die bald geduckt durchs Tor treten würden. Der Junge war erst dreizehn, besaß aber eine männliche Art und hatte von Zod gelernt, die Gäste mit der reinsten Wertschätzung zu erkennen und zu begrüßen. Es kam kaum einer, den er nicht kannte.

Von den ursprünglichen Angestellten des Café Leila waren noch zwei Kellner übrig. Hedayat und Aladdin (Silberfüchse, die Zods verstorbener Vater in den Sechzigerjahren eingestellt hatte) trugen verwaschene, marineblaue Jacken mit goldbesetzten Epauletten, in denen sie wie pensionierte Generäle aussahen. Bevor seine Frau gestorben war, hatte Aladdin Aftershave benutzt und jeden Tag eine weiße Nelke im Knopfloch getragen, doch das hatte er nun aufgegeben und musste ermahnt werden, seinen Schnurrbart zu stutzen und lose Knöpfe anzunähen. Hedi, Alas stämmiger jüngerer Bruder, war in seiner Jugend Ringer gewesen und stemmte im Hof noch immer jeden Morgen seine Hanteln. Mit vierundsechzig verrichtete er die ganze schwere Arbeit im Restaurant. Ihr Cousin Soli arbeitete in der Küche. Er war nach dem Krieg aufgetaucht, weil er Arbeit suchte, und Zod hatte sie für ihn gefunden. Bald hatte er sich als zuverlässig erwiesen und war Lehrling geworden. Naneh Goli, Zods früheres Kindermädchen, trug das volle Gewicht ihrer fünfundachtzig Jahre in den Garten, wo sie, eine Hand in die Hüfte gestützt, Kartoffeln und Radieschen ausgrub. Der gebeugte Rücken zeigte die Spuren der Zeit. Sie waren wie eine Familie, so vertraut miteinander und ihren Aufgaben, dass sie kaum sprachen. Wer früh kam, konnte hören, wie Hedi knurrend die Tische umräumte, Ala bei jeder gefalteten Serviette tief seufzte, Soli seinen Neffen Karim anwies, die Kohlen zu entzünden, und Zod jeden Befehl mit Kosenamen verbrämte – er war unfähig, Naneh Goli um eine Tomate zu bitten, ohne sie mit Lob zu überschütten.

Es blieb jetzt länger hell, doch an den kurzen Wintertagen kamen die Gäste früher, weil das Licht in der Küche sie von den düsteren Straßen lockte. Wie Kinder, die von einer Rauchsäule oder einer Hand, die über die Dächer winkt, zum Essen gerufen werden, kamen sie nacheinander, allein oder zu zweit, die Gesichter rot von der kalten Luft. Im Hof vermischte sich der üppige Duft von Zwiebeln und Grillfleisch. Sie stolperten wie betrunkene Matrosen durch die halb offene Tür und rempelten einander an, um einen Tisch zu ergattern. Tauchte ein Stammgast nicht auf, wurde Karim losgeschickt, um nach ihm zu sehen.

Für Zod war das Café Leila eine nie endende Oper, bei der er Einblicke in das geheime Leben der Männer gewann, die ihre Hemdknöpfe öffneten und die Ärmel aufrollten, um in diesem Theater ihre Rolle zu spielen. Er bedauerte, dass immer weniger Frauen kamen, weil sie den Hidschab erdrückend und die wachsamen Augen der Polizisten, die auf den Straßen herumlungerten und nur nach einem Vorwand suchten, um sich mit ihnen anzulegen, unerträglich fanden. Manchmal kamen noch Familien mit Ehefrauen und Großmüttern, Töchtern und Schwestern. Dann leuchteten seine Augen wie Laternen, und er klatschte in die hoch erhobenen Hände, als wäre eine Hochzeitsgesellschaft eingetroffen.

Die Welt um das Café Leila veränderte sich, doch das Leben, das sich dort seit den 1930er-Jahren abspielte, ging weiter. Links und rechts, wo verlassene Gebäude einander ausdruckslos anstarrten, hatte es früher Geschäfte gegeben. Verstaubte Fassaden mit den Überresten ihrer Waren – ein Tennisschuh, alte Filmdosen, ein Fahrradreifen – kündeten von einem Leben, das weitergezogen war. Geblieben waren der alte Arzt in dem zweistöckigen Haus (seine Familie war längst im Ausland), der Lebensmittelhändler, der Ala Tee und Zigaretten verkaufte, die Vorschüler, die mittags nach Hause gingen, und Zod in seinem sauberen Café mit dem Marmorboden und den Stühlen mit den Leiterlehnen, dem Café, das sein Vater Yanik Yadegar, ein russischer Einwanderer, der in der Küche des St. Petersburger Hotels Astoria ausgebildet worden war, vor beinahe achtzig Jahren eröffnet hatte.

In den 1930er-Jahren hatte Yanik die erste Konditorei mit Gartencafé eröffnet und Blini und Apfelcharlotte, Bœuf Stroganoff und Kulitsch nach Teheran gebracht. Er kam mit seiner Frau Nina, die mit Zimt gewürztes Hackfleisch und Zwiebeln in zarte Piroggen löffelte und die persische Küche durch praktisches Herumprobieren erlernte, die Familie und Gäste mit ihrem großzügigen Geist nährte, sich einfühlsam mit den Nachbarn bekannt machte und Farsi lernte. Um den Sprung über die Grenze einfacher zu gestalten, änderte Yanik seinen Nachnamen von Yedemsky in Yadegar und pflanzte einen kleinen Obstgarten, in dem Granatäpfel, Mandeln und Maulbeeren wuchsen, die den Gartentischen Schatten spendeten. Sie blühten jedes Jahr wieder und erfüllten trotz politischer Unruhen und Straßenkämpfe die Luft mit ihrem süßen Duft.

Bevor ein zweites Stockwerk errichtet und nebenan ein Hotel hinzugefügt und die Kinder geboren wurden, schliefen Yanik und Nina wie zwei blinde Passagiere im Lagerraum, kuschelten sich zwischen Einmachgläser und Jutesäcke mit Reis und Pintobohnen, die wenigen Habseligkeiten fein säuberlich in einem Pappkarton gefaltet, der als Schrank diente. Es gab kein Bad, weshalb sie zweimal in der Woche mit einer Doroshke, der Pferdekutsche, in den nächsten Hamam fuhren, wo Yanik im Männerbereich die Qalyan genannte Wasserpfeife rauchte und Nina mit den Frauen Tee trank, nachdem sie rosig aus der Schwitzstube gekommen und von einer mürrischen Wärterin rau abgerubbelt worden war.

Auf den Holzbänken der öffentlichen Bäder gewann das Paar die Zuneigung der Einheimischen; der gesellige Yanik ließ sich einen gewaltigen Schnauzbart wachsen und sang russische Balladen für Väter und Söhne, die ihn mit warm raunendem Applaus willkommen hießen, und Nina brachte Teekuchen für Großmütter, Tanten und junge Mädchen, die von der hellhäutigen Schönheit verzaubert waren. Von ihnen lernte sie das Feilschen, wie man Joghurt machte und wann man Auberginen, Gurken und Knoblauch einlegen musste, die von den Dorfbewohnern auf Eseln in die Stadt gebracht wurden. Als es im Dezember schneite und ihre Straße keinen Strom mehr hatte, hörten sie von Yalda, dem persischen Fest der Wintersonnenwende. Sie beleuchteten das Café mit Kerzen, füllten Keramikschalen mit Granatäpfeln, Trockenobst und Nüssen und kochten in gewaltigen Töpfen herzhafte Ash-reshteh, eine dicke, mit Molke versetzte Nudelsuppe. Es war ein fröhlicher und denkwürdiger Abend, an dem erzählt und geschlemmt wurde, sodass es in der Nachbarschaft für viele Jahre Tradition wurde, sich zur Wintersonnenwende im Café Leila zu versammeln.

Schließlich wurde Ziegel für Ziegel ein Wohnbereich hinzugefügt, ein Porzellanwaschbecken und eine Badewanne mit Krallenfüßen wurden installiert, doch Yanik und Nina besuchten weiterhin den Hamam und schlichen in den Lagerraum, um einander zu betasten und sich rasch zu lieben, behaglich im ursprünglichen Nest, das sich immer kühl und dämmrig um die Hitze zwischen ihnen schloss. Zod hätte sich nicht gewundert, wenn er auf einem Bett aus Linsen gezeugt worden wäre. Seine Eltern hatten von einem besseren Leben geträumt, und der Iran nahm sie auf und bot ihnen eine Zuflucht, in der sie ihre drei Söhne aufziehen und in Würde arbeiten und leben konnten.

In den alten Tagen, als Städte wie Teheran und Kabul sich ihrer Kinos und Tennisklubs rühmten, war das Café eine Heimstatt für Intellektuelle gewesen. Die Fünfziger- und Sechzigerjahre waren voller Möglichkeiten, und Yanik empfing Studenten der Universität, Schriftsteller, Musiker, Dichter und Journalisten, ganze Gästegruppen, die sich jeden Nachmittag versammelten und bis spät in den Abend blieben. Wenn er, was er für sein Leben gern tat, in dem verglasten Kämmerchen saß, das ihm als Büro diente, und seine Gäste beobachtete, die sich mit Messer und Gabel über die Baklava seiner Frau hermachten, fühlte er sich in die eleganten Cafés versetzt, die er in Budapest und Wien gesehen hatte. Er besorgte sich die Bücher seiner Gäste, stellte sie in den Regalen aus und bat um Autogramme, und wenn jemand ein Gericht besonders gerne mochte, benannte er es nach ihm, worauf es Nimas Suppe oder Foroughs gefüllter Kohl oder Sohrabs Windbeutel hieß. Die Stammgäste sicherten seinen Unterhalt – er wollte mehr als nur...


Bijan, Donia
Donia Bijan lebt in San Francisco und arbeitet als Köchin und Autorin. Sie studierte an der UC Berkeley und leitet seit zehn Jahren ihr eigenes Restaurant.



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