Biermann | Barbara | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Biermann Barbara

Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2016-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-2016-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wolf Biermann erzählt von unerhörten Liebesgeschichten und außergewöhnlichen Menschen, deren Schicksale seinen Lebensweg gekreuzt und die ihn in besonderer Weise angerührt haben. Da ist Ruth Berlau, die tragische Geliebte Brechts, die sich von Biermann ihre übermächtige Feindin Helene Weigel nicht kleinreden lassen will. Und schon gar nicht klein singen! Da ist der galante Kohlen-Otto, der sich nie ohne Schnittblumen den Damen nähert - ein plebejischer Flaneur, der im VEB-Knast verblüht. Die beißwütige Barbara in Biermanns Lotterbett. Der Stricher, dessen Frau Monika ihm aus Eifersucht ein Messer in den Rücken rammt. Miriam Makeba, die Biermanns langen Kummerton im Liebeslied richtig deuten kann. Biermanns Sohn Manuel, der von einem Löwen geleckt wird. Der Mann, der sich für Rembrandt hält. Der Vater, der seinem Sohn den Rücken zudreht, damit er nicht die Finessen seines Gitarrenbaus ablernen kann. Oder der SS-Mann, der in Ostberlin fragt: Bin ick'n Mensch? Erstmals erzählt Biermann von der Hochzeit seiner Oma Meume, von Sexualaufklärung und warum seine Mutter ihn ein einziges Mal ohrfeigte. Und da ist Biermanns Geliebte Garance, die sich nach dem Bau der Mauer in den Fesseln der Stasi in Westberlin prostituiert und die ihm offenherzig versichert: 'Dass du Jude bist, stört mich überhaupt nicht.' Eindringlich, bewegend, komisch und liebevoll erzählt Wolf Biermann diese und andere Geschichten vom mächtigsten aller Gefühle, der Liebe, und von tapferen Menschen in bewegten Zeiten.

Wolf Biermann, Dichter und Liedermacher, wurde 1936 in Hamburg geboren. Er war die Stimme des Widerstands in der DDR und wurde 1976 ausgebürgert. Seitdem gibt er Konzerte in manchen Ländern. Für seine Dichtung wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Georg-Büchner-, dem Heinrich-Heine- und dem Hölderlin-Preis. www.wolf-biermann.de
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Garance comme une fleur

Nach dem Bau der Mauer, und noch lange vor meinem Verbot 1965 im Dezember, bot mir ein Bett im Krankenhaus eine willkommene Klausur. In der Charité, zwischen Luisenstraße und Mauer, entfloh ich den Vorhaltungen meiner einzigen Brigitte. Ich hatte sie mal wieder betrogen mit gleich zwei jungen Frauen, die es mir zudem komisch bequem machten, denn beide hießen Ingrid. Und ich genoss dabei den Kitzel einer politischen Eroberungsromantik: Der Rebell raubt seinen Widersachern, den übermächtigen Ober-Genossen, die Weiber. Es waren zwei bildhübsche Töchter der Nomenklatura.

Unhaltbar wurde diese wacklige Konstruktion aber, als die beiden Studentinnen sich eines schönen Tages gegen mich verbündeten. Gemeinsam suchten sie mich heim. Mir halfen keine charmanten Lügen mehr, keine Macho-Ausrederein. Kaltherzlich setzten sie mich auf’n Topp. Peinlich! Pein-lich! Pein, also Schmerz. Und schmerzlich, besonders für meine leidgeprüfte Brigitte.

Ich haderte mit meinem Katzenjammer, will sagen: ein selbstmitleidiger Katerjammer. Schluss mit all diesen Larifari-Liebeleien! Eine Ohrenentzündung hatte mich aus dem Verkehr gezogen. Im Krankenhaus besuchte mich Freund Robert. Dem Havemann klagte ich mein banales Leid. Und berühmte mich bei dieser günstigen Gelegenheit mit einer billigen Beknirschung. Ich beteuerte: »Nee, Robert. Von jetzt an nie wieder …« Genauso moral-schlitzohrig nahm der Freund mich in Schutz: »Jeder ist auf der Suche nach der idealen Frau seines Lebens!« Und er lachte: »Das kenn ich! Die Sehnsucht des Mannes nach Monogamie befällt ihn immer nur im schwachen Zustand, wenn er der liebevollen Pflege bedarf!«

Ich sollte noch zwei Wochen zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. Die Zeit kroch dahin. Die Langeweile, mon dieu! Lahm und taub lag ich in strenger Betthaft und vertrieb mir die Ewigkeiten durch Lesen in Hölderlins Hyperion. Leere Blicke auf die rote Apfelsinensonne im Fenster nach Westen. Der kühle Herbst flammte in seinen warmen Friedhofsfarben, das tröstete mich nicht.

An einem dieser düsteren Tage aber ging mir die Sonne auf. Eine Krankenschwester erschien in meinem Zimmer. Sie wollte Blutdruck messen. Nur zu! Als ich die Neue sah, erzitterte mein Herz. Galant zog ich die große, butterbleiche Frau ins Gespräch. Zog sämtliche Register, die zum Repertoire eines ausgekochten Verführers gehören. Fragte sie im Frauenversteher-Ton nach ihrem Leben. Und auch das kommt immer gut: Ich machte paar Witzchen auf eigene Kosten.

Mein Katerjammer? – vergessen! Beknirschung? – passé! Diese schöne Helena stachelte all meine Lebensgeister. Ich gockelte, ich schnurrte und schmeichelte dumm rum wie ein gewiefter Weiber-Leiber-Zeitvertreiber. Und nannte mich einen Dichter. Einen Liedermacher. Sie kannte weder dieses sonderbare Wort noch irgendwas von irgendeinem Wolf Biermann.

Nach ihrem Namen fragte ich die Schöne nicht, weil den wusste ich sofort: Garance! Sie war es. Endlich! die Blume meines Lebens, Garance comme une fleur … Ironischerweise war es ausgerechnet ma chère Madame Brigitte gewesen, die ihren Hamburger Fischkopf Biermann vor paar Jahren nach Westberlin in ein kleines Kunst-Kino auf’n Ku’damm gezottelt hatte. Sie zeigte mir ihren Lieblingsfilm, »Les Enfants du Paradis«. Alles französisch. Und meine gelernte Pantomimin Brigitte übersetzte mir die hinreißenden Dialoge des Poeten Jacques Prévert. Die Hauptrolle des Pantomimen Baptiste im Theater der Seiltänzer spielte der geniale Jean-Louis Barrault, den scheuen Star des »Théâtre des Funambules« am Boulevard du Temple in Paris.

Ich erkannte in dem leuchtenden Madonnengesicht dieser Krankenschwester sofort die Schauspielerin Arletty. Ihre Rolle in diesem Jahrhundertfilm »Die Kinder des Olymp« ist die einer Bohème-Halbhure. Die Geschichte des Films spielt in genau den Jahren, als unser Heinrich Heine dort lebte, nicht etwa »wie Gott in Frankreich«, sondern göttlicher: »wie Heine in Paris«. Die Arletty spielt diese Rolle der Garance als ein bon vivant Ur-Weib. Und zugleich kuschelig, also chaud comme une caille! Seit ich diesen Film gesehn hatte, suchte ich – mag sein hinter dem eigenen Rücken – meine DDR-Garance.

Und nun stand sie vor mir. Trotz ihrer Krankenschwesterkluft sah ich genug. Ihre Haut schimmerte perlmuttern. Ihre Hände wie Mai-Schollen. Fett war diese Ostberliner Garance nicht, aber üppig. Das Fleisch! die Poesie! die Philosophie! Das Gesicht! Der beseelte Blick! Mich überflutete eine Begeisterung, die herrlich hysterisch war: Die Begierde hat gute Gründe, ist aber maßlos übertrieben. Im Krankenbett niedergestreckt, glotzte ich die Schöne romantisch an: nicht irgendeine Frau, die man verführen will, sondern die Frau!!

Ich weiß nicht, warum grad kleine Männer so scharf sind auf größere Menschinnen. Mit meinen gierigen Augen roch ich beides, ihre Lebenslust und zugleich eine wunderbar tiefe Melancholie. Ihr bittersüßer Kussmund holte mir das geschliffene Wort von Victor Hugo aus dem Gedächtnis hoch: »Melancholie ist das Vergnügen am Traurigsein.« Genau das suchte ich. Endlich, hier in der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Charité, hatten die Götter des Olymp mir meine Garance zugespielt. Kein Traumbild, die Frau war aus Fleisch und Blut. Nur verkleidet als Krankenschwester. Ich hatte Glück: Sie fiel auf mich rein. Und mein extravaganter Kosename Garance gefiel ihr sogar.

Nebbich – ich wurde wieder kregel. Nach noch ein paar Tagen entließen mich die Ärzte. Und meine große bleiche Garance versprach mir, mich zu besuchen. Ein paar Lieder würde sie sich gerne mal anhören. Allein die Aussicht machte mir Hoffnung. Diese blonde Üppige wollte ich unbedingt verschlingen. Und als sie dann verlegen in der Tür stand – war im Grunde schon alles klar. Im Flur nahm ich ihr den Mantel ab, wir gingen ins Zimmer. Mit eleganter Drehung schwang sie ihr göttliches Hinterteil in den großen ledernen Ohrensessel und schmiegte ihren Lockenkopf an die Lehne. Sie lächelte sibyllinisch. Und kaum hatten wir die obligate Tasse schwarzen Tee mit Sahne und Kluntjes ausgetrunken, fielen wir übereinander her.

Und wie wunderbar sie auch im Dunkeln war! Ich entdeckte verblüfft etwas an ihr, was ich noch nie erlebt hatte. In meiner Venus wohnte tief innen ein Raubtierchen. Ein saftiger Schwellkörper vielleicht, nein, ein seltener Muskel musste das sein. Der schnappte nach meinem Will, zog ihn immer noch tiefer rein und massierte mein Zentralorgan im aufreizenden Rhythmus. Eine Fellatio naturalissimo! Es war das Paradies! Wir spielten das Spiel aller Spiele: Tier mit zwei Rücken. Making the beast with two backs – so flogen wir über die Dächer von Berlin-Mitte und hoch über die Mauer hin. Und landeten nach unserem rüden Ritt rücklings auf weichen Kissen. Ich klappte die Augendeckel hoch. Von der Häuserfront gegenüber schien eine Leuchtreklame durch das Fenster. Das Rot an der Wand über meinem Lotterbett. Darin schwamm meine Garance. Ich war selig.

Meine Frau im Nebenhaus – wir lebten wie verheiratet – merkte von meinem neuen Glück zum Glück nichts. So weit lief meine leichtsinnliche Fremdgeherei wieder mal bestens. Immer kam Garance zu mir, nie besuchte ich sie. Den Grund sollte ich bald wissen: Sie hatte einen kleinen Sohn, um den sich auch ihre Mutter kümmerte. Und nach ein paar Wochen beichtete Garance mir die unerhörte Geschichte einer Erpressung.

Ein Gynäkologe vom Krankenhaus Friedrichshain hatte sie geschwängert. Als das Kind geboren war, heiratete er sie nicht, sondern haute paar Monate später ab nach Westen. Kurz darauf wurde die junge Mutter »zur Klärung eines Sachverhalts« zum Magistrat bestellt. Ein Genosse ohne Gesicht, im typischen, im auffällig unauffälligen Anorak, holte sie ab. Er brachte sie zum Verhör in die Volkspolizei-Zentrale Keibelstraße. Ein kurzer Fußweg in die Unterwelt der Macht. Der Mann hinterm Schreibtisch spielte mit offenen Karten: »Ich bin Offizier des MfS. Wir sind hier bei den Genossen der Kriminalpolizei zu Gast, damit es für Sie etwas netter ist als bei uns im Ministerium für Staatssicherheit.«

Dann hielt er ihr eine kleine Rede: »Tja, Frau Schröder, Ihr Leben ist nicht einfach. Das Kind, die Arbeit in der Charité. Der Kindsvater, Herr Doktor Karl-Heinz Schweger, hat die DDR verraten. Er ist in den Westen abgehaun, obwohl er unserem Staat sein teures Studium verdankt. Republikflucht, das wissen Sie, ist in der Deutschen Demokratischen Republik bei Strafe verboten. Ihr sauberer Herr Doktor ist übergelaufen in das Land der Krupps und Thyssens und Schlotbarone, wo die faschistischen Revanchisten mit der NATO den nächsten Weltkrieg vorbereiten … Wir wissen, dass Herr Dr. Schweger sich inzwischen nach Dortmund abgesetzt hat. Da bemüht er sich im Hospital um eine Stelle in der Gynäkologie. Natürlich hat er seine Flucht mit Ihrer Hilfe vorbereitet. Und nun spekulieren Sie darauf, dass er Sie im Zuge der Familienzusammenführung nachholt. Aber daraus wird nichts! Beihilfe zur Republikflucht kostet in der Regel zwei Jahre Gefängnis. Oder ein paar Jahre mehr, je nach Schwere der persönlichen Schuld.«

Die junge Frau war geschockt. Sie beteuerte, dass der Vater des Kindes ihr im Vorfeld nichts von seinen Fluchtplänen erzählt habe. Sie wisse nicht, wie es ihm hatte gelingen können, abzuhaun. Und sie log mit der Lüge, der Arzt habe sie heiraten wollen. Da grinste der Offizier und schnarrte: »Wer’s glaubt, wird selig!« – Noch ein Tritt.

Doch die getretene Seele hielt sich tapfer. Garance weinte nicht. So eröffnete der Stasimann routiniert die nächste Runde in diesem perversen Schachspiel. Es war absurd,...


Biermann, Wolf
Wolf Biermann, Dichter und Liedermacher, wurde 1936 in Hamburg geboren. Er war die Stimme des Widerstands in der DDR und wurde 1976 ausgebürgert. Seitdem gibt er Konzerte in manchen Ländern. Für seine Dichtung wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Georg-Büchner-, dem Heinrich-Heine- und dem Hölderlin-Preis.www.wolf-biermann.de



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