E-Book, Deutsch, 243 Seiten
Bick Die Landärztin
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95824-045-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 243 Seiten
ISBN: 978-3-95824-045-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Martina Bick wurde 1956 in Bremen geboren. Sie studierte Historische Musikwissenschaft, Neuere deutsche Literatur und Gender Studies in Münster und Hamburg. Nach mehreren Auslandsaufenthalten lebt sie heute in Hamburg, wo sie an der Hochschule für Musik und Theater arbeitet. Martina Bick veröffentlichte zahlreiche Kriminalromane, Romane und Kurzgeschichten und war auch als Herausgeberin tätig. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2001 war sie die offizielle Krimistadtschreiberin von Flensburg. Bei dotbooks erscheinen ihre Romane »Unscharfe Männer«, »Die Landärztin« und die Fortsetzung »Neues von der Landärztin«, die im Sammelband »Das kleine Pfarrhaus auf dem Land« zusammengefasst sind, die 20er-Jahre-Krimis »Die Polizeipsychologin - Im Dunkel der Stadt« und »Die Polizeipsychologin - Der Tote im Viktoriapark« sowie die Krimi-Reihe um Hauptkommissarin Marie Maas, die folgende Bände umfasst: »Der Tote und das Mädchen. Der erste Fall für Marie Maas« »Tod auf der Werft. Der zweite Fall für Marie Maas« »Die Tote am Kanal. Der dritte Fall für Marie Maas« »Tödliche Prozession. Der vierte Fall für Marie Maas« »Nordseegrab. Der fünfte Fall für Marie Maas« »Tote Puppen lügen nicht. Der sechste Fall für Marie Maas« »Totenreise. Der siebte Fall für Marie Maas« »Heute schön, morgen tot. Der achte Fall für Marie Maas«
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 6
Die Apfelplantage von Jupp Putensen lag etwas außerhalb des Dorfes an der Landstraße nach Grömitz. Am Straßenrand machte ein großes Schild in Form eines Apfels auf den Obstverkauf aufmerksam, auch wenn das Angebot sich jetzt saisonbedingt auf ein paar übriggebliebene Kisten Apfelmost beschränkte. Touristen, die in den nahen Ostseebädern ihren Urlaub verbrachten, hielten trotzdem zuweilen an, um frische Äpfel zu kaufen. Kopfschüttelnd schickte Jupp sie dann wieder weg.
Barbara Pauli fuhr mit ihrem Ford Fiesta bis auf den Hof und parkte den Wagen vor einem baufälligen Hühnerstall. Die Hühner hatten in dem morschen Zaun, der ihren Auslauf eingrenzen sollte, ein Schlupfloch gefunden und pickten zwischen dem Gerümpel, das überall herumstand. An einer flachen Baracke lehnte ein etwas kleineres Apfelschild, und über der Tür ließ sich mit etwas Mühe ein ins Holz gebrannter Schriftzug entziffern: Hofladen. Besonders vertrauenserweckend sah das Geschäft gerade nicht aus.
Auf der anderen Seite des Hofplatzes erstreckte sich eine zweite flache Baracke mit einer großen, verglasten Veranda, die offenbar das Wohnhaus darstellte. Neben der Tür lehnte ein altmodisches Fahrrad mit Hilfsmotor. Halb im Gestrüpp verborgen, war ein verbeulter Ford Transit geparkt, auf dessen Seiten der unvermeidliche Apfel prangte. Zwei Hunde kläfften ohne Unterlaß in ihrem Verschlag. Auf der Fensterbank der Veranda saß eine Katze und betrachtete die Ärztin aus verschlafen blinzelnden Augen. Von Jupp Putensen war weit und breit keine Spur.
Barbara klopfte an die Scheiben der Behausung und rief laut seinen Namen. Kurz darauf tauchte der alte Mann am anderen Ende des Hofes auf. Humpelnd, den langen grauen Bart vorne ins Hemd gesteckt, eine fleckige Schlägermütze im Genick. Er trug lange Gummihandschuhe.
»Frau Doktor, wenn mich nicht alles täuscht«, sagte der Apfelbauer und hielt seine behandschuhten Hände hoch, als wolle er sich ergeben. »Tut mir leid, ich mache mich gleich hübsch. Mußte gerade die große Giftspritze saubermachen.«
Barbara holte ihre Tasche aus dem Wagen und wartete ein wenig ärgerlich neben der Veranda. Ganz so schlecht schien es dem Kranken ja nicht zu gehen, wenn er noch arbeitsfähig war.
»Immer rein in die gute Stube«, sagte Jupp Putensen und scheuchte Barbara wie ein Huhn ins Haus. »Keine Bange, ich beiße nicht. Man muß ja froh sein, wenn die Ärzte heute noch auf dem Land leben wollen, nicht wahr?«
Er machte für Barbara einen Stuhl am Küchentisch frei. Im Hause herrschte die gleiche Unordnung wie draußen auf dem Hof. Nur die Luft war schlechter. Es war stickig und roch stark nach Kohlenstaub. Der alte Küchenherd wurde trotz des milden Wetters beheizt.
Der Alte ließ sich auf dem zweiten Küchenstuhl nieder und sah die Ärztin an, als wolle er ergründen, was er für sie tun könne. Als Barbara schwieg, wurde er ernst.
»Ich war nur mal eben draußen nachsehen, ob die Spritzen alle in Ordnung sind. In ein paar Tagen fängt die Plantage an zu blühen, dann muß alles parat sein, verstehen Sie?«
»Eigentlich bin ich hier, um mir Ihr krankes Bein anzuschauen«, sagte Barbara kühl. »Vielleicht wären Sie mal so freundlich und machen Ihren Unterschenkel frei. Dr. Stähr sagte, Sie hätten große Schmerzen.«
»Nun mal langsam, junge Deern. Wir sind doch hier nicht beim Militär. Erst mal genehmigen wir uns einen Klaren, wenn Sie gestatten. Oder trinken Sie nicht im Dienst?«
Barbara schnappte nach Luft und trommelte mit zwei Fingern ungeduldig auf ihre Ledertasche.
Jupp Putensen schien zu verstehen, daß seine Masche nicht ankam. Er beobachtete die Ärztin, schüttelte den Kopf und ließ seine Hand ratlos auf die Tischplatte fallen.
»Daß ihr jungen Leute so gar keine Lebensart mehr habt. Immer nur schnell, schnell, nicht wahr? Kein Wort zuviel, bloß keine Zeit verlieren. Aber haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was Zeit eigentlich ist, junge Frau?«
»Wenn Sie sich so wohl fühlen«, sagte Barbara scharf, »könnten Sie ebensogut am Montag in die Sprechstunde kommen, Herr Putensen. Die Hausbesuche machen wir eigentlich nur bei Patienten, die sich selbst nicht helfen können. Wie ich sehe, sind Sie durchaus noch fähig, mit dem Wagen in die Praxis zu fahren.«
»Mit welchem Wagen?«
»Draußen steht ein Transporter.«
»Der steht da, aber das heißt doch nicht, daß er auch fährt«, konterte Putensen. »Wenn ich Glück habe, springt er nach der Ernte an, wenn ich ausliefern muß. Und im Herbst, wenn ich in die Mosterei fahre. Im Winter darf er ruhn, genau wie die Bäume – und wie die Menschen es auch hin und wieder tun sollten. Wollen Sie nun meinen Apfelschnaps probieren, oder soll ich mit mir selbst anstoßen?«
»Also gut, aber nur einen kleinen. Ich habe ja bald Feierabend.«
»Das hört sich schon besser an, junge Frau. Wenn unser Doktor nicht so von Ihnen geschwärmt hätte, hätte man eben meinen können, Sie wären von der Polizei. Man muß sich doch mal kennenlernen, bevor man die Hosen runterläßt, nicht wahr?« Er lachte und goß zwei kleine Schnapsgläser randvoll mit einem bernsteinklaren Selbstgebrannten. »Prosit.«
»Prost, Herr Putensen.«
»So.« Der Apfelbauer stellte sein Glas zurück auf den Tisch und fing an, das linke Hosenbein seiner braunen, schmierigen Stoffhose hochzukrempeln. »Da haben wir den Salat«, kommentierte er die böse Venenentzündung.
Barbara stand auf und legte sein Bein auf einen Stuhl, um es besser untersuchen zu können. Der Mann hatte bestimmt Schmerzen, die er mit seiner burschikosen Art und mit Hilfe von diversen Schnäpsen überspielte.
»Leben Sie hier ganz alleine?« fragte sie, während sie die Schwellungen und Verfärbungen sorgfältig in Augenschein nahm. »Haben Sie keine Hilfe auf dem Hof?
Jupp Putensen lachte. Es klang ein bißchen resigniert.
»Eine Hilfe hatten wir nie, meine Frau und ich. Und seitdem sie letztes Jahr gestorben ist, Gott hab’ sie selig, da muß ich eben allein zurechtkommen. Nun, was sagen Sie? Muß das Bein ab?«
»So schlimm ist es wohl noch nicht, Herr Putensen.«
»Ich heiße Jupp. So heiße ich schon immer und für alle. Auch für Frau Doktor, ist das klar?«
»Klar«, sagte Barbara und legte eine Gummimanschette um seinen Oberarm, um den Blutdruck zu messen. Das Ergebnis war miserabel. »Aber klar ist auch, daß Sie viel zu hohen Blutdruck haben. Wußten Sie das schon? Am liebsten würde ich Sie ins Krankenhaus einweisen, Jupp. Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?«
Sie holte ihr Handy aus der Jackentasche und begann die Nummer des Krankenhauses in Oldenburg zu wählen.
»Kommt gar nicht in die Tüte«, sagte Jupp Putensen ruhig und fing an, sein Hosenbein wieder herunterzukrempeln. »Ins Krankenhaus gehe ich nicht, da brauchen Sie gar nicht erst zu telefonieren.«
»Sie müssen unbedingt gründlich untersucht und medikamentös eingestellt werden. Ich kann so die Verantwortung für Sie nicht übernehmen.«
»Das sollen Sie auch gar nicht. Sie sollen mir nur eine neue Salbe verschreiben. Meine ist nämlich alle. Schön wäre es natürlich auch, wenn Sie gleich eine Tube dabeihätten. Dann muß ich nicht erst in die Apotheke nach Lensahn. Bis ich da hinkomme, bin ich schon halb krepiert.«
»Es gibt keine Salbe, die Ihnen helfen könnte«, sagte Barbara.
»Natürlich gibt es die. Hat der Doktor mir doch gegeben. Diese gelbe, wie heißt sie noch? Hier liegt ja noch die alte Tube. Arnika, genau. Wie die Schwester von der Schwägerin meiner Frau, Arnika.«
»Arnikasalbe kann Ihre Beschwerden ein kleines bißchen lindern, mehr nicht. Wir müssen aber etwas gegen Ihren Bluthochdruck tun. Sie könnten sonst einen Schlaganfall bekommen, Jupp. Ihr Herz könnte versagen. Es ist ernst, wirklich.«
»Ach wo, der Doktor kennt mich schon zwanzig Jahre, der weiß, daß er mich von hier nicht wegkriegt. Alles halb so schlimm. Ich habe nur die blöden Stützstrümpfe nicht getragen, in der letzten Zeit. Ist so schwer, sie anzuziehen am Morgen, verstehen Sie? Ich bin nicht mehr so gelenkig. Und jetzt geben Sie mir meine Salbe, und dann trinken wir noch einen Schnaps.«
Barbara steckte das Telefon wieder in die Tasche und holte ihren Rezeptblock heraus.
»Ich schreibe Ihnen außer der Salbe einen Betablocker auf. Haben Sie jemanden, der die Medikamente für Sie abholt? Sonst kann der Apotheker sie Ihnen auch bringen lassen. Es kann sein, daß Sie kalte Füße bekommen von den Tabletten und daß Sie häufig zur Toilette müssen. Das ist normal. Ich werde natürlich auch mit Dr. Stähr über Ihren Fall sprechen.«
»Tun Sie das. Der Doktor weiß, daß Unkraut nicht so leicht vergeht.«
»Außerdem sollten Sie das kranke Bein hochlagern, wenn Sie sitzen, und unbedingt die Stützstrümpfe wieder anziehen. Ich werde jemanden vorbeischicken, damit man Ihnen in den nächsten Tagen dabei hilft. Und überlegen Sie sich bitte, ob Sie sich nicht doch lieber für eine Weile ins Krankenhaus legen wollen. Es geht vor allem darum, daß Sie unter Kontrolle sind, und um eine gründliche Untersuchung.«
Jupp Putensen grinste und stöpselte die Flasche erneut auf.
»Noch ‘nen Kleinen, Frau Doktor?«
»Nein, danke, ich muß jetzt los.«
»Und ich dachte, Sie erzählen mir noch, wie es meinem kleinen Freund Timmi geht. Ich habe gehört, er ist in den Feuerwehrteich gefallen.«
»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Gestern abend hatte er noch ziemlich hohes Fieber, aber heute morgen war es schon runter auf achtunddreißig fünf....