E-Book, Deutsch, Band 393, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
Bernried Alpengold 393
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7517-4381-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was geschah im Finsterwald?
E-Book, Deutsch, Band 393, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
ISBN: 978-3-7517-4381-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach einem uralten Brauch werden zwei ein Paar, wenn sie gemeinsam übers Johannisfeuer springen. Der Sendlinger-Xaver blickt der bildhübschen Fanny vom Seelhof verliebt in die Augen. Längst sind die zwei sich einig, und als das Madl übermütig nickt, ergreift der Xaver rasch Fannys Hand, und zusammen wagen sie den Sprung über das Feuer. Ganz berauscht küssen sie sich hinterher. Wie schön wird es sein, wenn sie erst verheiratet sind!
In ihrem Glück merken sie nicht, dass sie beobachtet werden. Der Bursch, der hinter einem Busch verborgen steht, ballt die Hände zu Fäusten. Niemals wird er zulassen, dass der Xaver und die Fanny Mann und Frau werden ...
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Was geschah im Finsterwald?
Ein dramatischer Heimatroman um Schuld und Vergebung
Von Kathi Bernried
Nach einem uralten Brauch werden zwei ein Paar, wenn sie gemeinsam übers Johannisfeuer springen. Der Sendlinger-Xaver blickt der bildhübschen Fanny vom Seelhof verliebt in die Augen. Längst sind die zwei sich einig, und als das Madl übermütig nickt, ergreift der Xaver rasch Fannys Hand, und zusammen wagen sie den Sprung über das Feuer. Ganz berauscht küssen sie sich hinterher. Wie schön wird es sein, wenn sie erst verheiratet sind!
In ihrem Glück merken sie nicht, dass sie beobachtet werden. Der Bursch, der hinter einem Busch verborgen steht, ballt die Hände zu Fäusten. Niemals wird er zulassen, dass der Xaver und die Fanny Mann und Frau werden ...
Die schroffen Felsen der Perchtenspitz stachen in seltener Klarheit vom abendblauen Himmel ab. Noch war der Mond nicht aufgegangen, da loderten die ersten Flammen der Johannisfeuer auf. In ihrem Schein sah man die Türme und uralten Mauern der Kralsburg genauso klar wie die steil abfallenden Wasser der Perchtenklamm, die schäumend in die Wildache stürzten.
Auf einer Plattform vor den Toren der alten Burg hatte die Dorfjugend von Perchting wie alljährlich den Scheiterhaufen errichtet. Die Augen der Madln und Burschen, die um das Feuer herumgeschart standen, leuchteten in verhaltener Glut. Heute kam es darauf an! Wer miteinander den Sprung über das Feuer wagte, der wurde im nächsten Jahr ein Paar.
Groß, blond und mit markantem Gesicht stand Xaver Sendlinger ein wenig abseits von den anderen.
»Worauf wartest du noch, Xaver?«, rief man ihm zu, als er zögerte. »Mach den Anfang! Auf geht's!«
Xaver trat einen weiteren Schritt beiseite.
»Ich lass mir Zeit«, erwiderte er selbstbewusst. Er wusste genau, dass er nur zu wählen brauchte.
Dorine Lenzen, einzige Tochter des reichen Gotzenbauern, schob sich näher an Xaver heran. Ihre Schönheit war kaum zu übersehen. Sie hatte dichtes kastanienbraunes Haar, das in einem festen Zopf apart am Hinterkopf befestigt war. Ihre dunklen Augen sprühten vor Temperament.
»Worauf wartest du denn, Xaver? Schreckt dich das Feuer, oder hast du was Besonderes im Sinn?«, fragte sie.
Xaver war nur ein Kleinbauer, Sohn einer armen Witwe, doch er schien genau zu wissen, was er wert war. Mit blitzenden Zähnen und strahlenden Augen lachte er Dorine an.
»Richtig geraten, Dorine! Ich warte auf was Besonderes. Du wirst gleich sehen, was ich im Sinn hab.«
Dorine blieb das Herz fast stehen, denn er kam mit lachender Miene genau auf sie zu. Aber ehe sie sich freuen konnte, war er an ihr vorbeigegangen. Sein strahlender Blick galt nicht ihr. Er streckte die Hände nach einem Madl aus, das hinter ihr stand.
»Magst du mit mir antreten, Fanny?«, fragte er laut genug, dass alle ihn hören konnten. Nur zögernd und sichtlich widerwillig ließ sich das Mädchen ins Licht der Flammen ziehen. Über einem schmalen Gesicht leuchteten goldblonde Haare. Im Gegensatz zu Dorines feuriger, üppiger Schönheit war dieses Mädchen überschlank und biegsam wie eine Haselnussgerte, mit empfindsamen Zügen und zurückhaltendem Wesen.
»Ich möchte eigentlich nicht, Xaver«, wehrte Fanny sich sanft. »Ich bin nur auf einen Sprung hergekommen und muss gleich wieder heim. Die Mutter liegt schwer krank zu Bett. Ich muss wieder heim.«
Aber Xaver zog sie einfach mit sich. Er spannte die langen, kräftigen Beine zum Sprung. Wie eine abgeschnellte Feder glitt er durch die Flammen. Das Mädchen an seiner Seite flog mit.
Nicht nur die dunklen Augen der Gotzenhoftochter glühten in heimlichem Feuer, als die beiden jenseits der Flammen aufsetzten und Hand in Hand davongingen, auch hinter der dicken Burgmauer stieg ein tiefer Seufzer in die Luft. Dort saß im Schutz der Dunkelheit ein Mann auf einem Pferd und beobachtete heimlich die Vorgänge beim Feuer.
Als Xaver und Fanny sich entfernten, hatte auch der Mann genug gesehen. Er wendete sein Pferd und ritt mit hängenden Schultern davon.
Xaver zog die zierliche Fanny in den Schatten der Burgmauer. Dort blieb er stehen, stemmte die Hand gegen die Mauer und beugte sich über das Mädchen.
»Hast du dir den Sprung genau überlegt, Fannerl? Du weißt, was er bedeutet, gell?«
Fanny wollte ausweichen, aber die Mauer ließ ihr keinen Platz.
»Lass mich aus, Xaver, ich muss heim.«
»Du wirst mir doch wenigstens ein Busserl geben, Madl. Darauf hab ich Anspruch.«
»Nicht jetzt, Xaver«, bat Fanny leise. »Ich bin so unruhig wegen der Mutter. Es geht ihr heute besonders schlecht.«
»Geh, Fannerl, ein Kuss dauert nicht lang«, meinte Xaver lachend. »Danach kannst du gleich hinunter zum Seelhof laufen und nach der Mutter sehen. Ich hol dich in ungefähr einer halben Stunde dort ab, damit wir zusammen beim Johannisfeuer singen.«
Sein Mund kam auf sie zu. Zerstreut und nur in dem Bestreben freizukommen, hielt Fanny still. Es war ein Kuss ohne Bedeutung.
»Lass mich jetzt gehen, Xaver, ich bitte dich!«, bat Fanny gleich hinterher eindringlich. »Es pressiert wirklich.«
Fanny hatte den großen blonden Xaver recht gern. Sie mochte seine etwas heisere Sprache, seine leichtfertige Art zu lachen und seine selbstbewusste Art, mit der er sich über Hindernisse einfach hinwegsetzte. Im Augenblick aber ging seine Hartnäckigkeit ihr gewaltig auf die Nerven, denn er ließ sie immer noch nicht los. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf.
»Wenn du mich jetzt nicht freigibst, Xaver, dann rede ich im ganzen Leben kein Sterbenswort mehr mit dir. Kannst du denn nicht begreifen, dass es der Mutter heute so schlecht geht?«
Er gab sie frei, und sie lief rasch den Weg hinab, der in Windungen von der Kralsburg abwärts zum Seelhof führte. Früher einmal hatten Burg und Seelhof zusammengehört, aber das war lange her. Schon seit Generationen waren die Seelhofbauern selbstständig!
***
Der Mann auf dem Pferd verharrte noch eine Zeit lang im dunklen Burghof, dann stieg er langsam ab und befestigte die Zügel an einem Mauerhaken. Beim ersten Geräusch ging das Licht in einem Raum in der Burg an. Eines der Fenster wurde geöffnet.
»Da bist du ja endlich, Lukas! Komm ins Haus, ich bitte dich. Es hat doch keinen Sinn, im Schutz der Finsternis herumzustreifen. Davon kriegst du nur Herzweh.«
Für Sekunden geriet der Mann in den Lichtkreis, der aus dem erleuchteten Zimmer fiel. Bei seinem Anblick schrak man zunächst zusammen. Ein Jagdunfall hatte Lukas von Kral zu einem hässlichen Menschen gemacht. Seine Augenlider waren geschwollen, der Mund zusammengedrückt und formlos. Nur wer den Blick nicht abwandte, sondern dem Baron genau in die Augen sah, erkannte hinter dem zerstörten Gesicht die Klugheit und den Adel seines Wesens.
»Ich komme später zu dir, Hilda«, gab der Burgherr seiner langjährigen Haushälterin freundlich Bescheid. »Wir spielen dann noch eine Partie Schach. Hör nur, drüben beim Feuer fangen sie jetzt zu singen an. Ich möchte eine Weile zuhören.«
»Bleib doch, Lukas!«, rief die Frau ihm bittend nach.
Aber Lukas von Kral, der letzte Baron auf der Kralsburg über der Perchtenklamm, hielt den Kopf auf die Brust gesenkt und ging still seiner Wege.
Auch Dorine Lenzen konnte dem fröhlichen Treiben beim Johannisfeuer kein Interesse mehr abgewinnen. Es gab eine Menge Burschen, die das schöne Mädchen gern aufgefordert hätten, doch es fand sich keiner, der es wagte, sie anzusprechen.
Nur einer hatte die ganze Zeit über kein Auge von der schönen Gotzenhoftochter gelassen. Jetzt schob er sich unauffällig neben sie.
»Zum Sprung über das Feuer darf unsereins dich nicht auffordern, Hoftochter«, sagte er respektvoll. »So vermessen bin ich nicht. Aber darf ich dich nach dem Spektakel heimbegleiten? Die Nacht wird dunkel, da könntest du eine Begleitung gut brauchen.«
Dorine warf den Kopf in den Nacken und maß den Mann an ihrer Seite mit einem Blick voll hochmütiger Abweisung.
»Was fällt denn dir ein, Simmerl, dass du auf einmal dreist wirst? Ich finde meinen Heimweg allein.« Kalt wandte sie ihm den Rücken zu und ging davon.
Nur eines der Mädchen am Feuer hatte die kurze Szene bemerkt. Eine junge Magd vom Gotzenhof, die den Großknecht Simmerl Rau schon seit Langem schwärmerisch verehrte.
»Mach dir nix draus, Simmerl«, tröstete sie ihn mit freundlichem Gesicht. »Die Hoftochter ist leicht ein bisserl schnippisch, aber sie meint es nicht so.«
***
Das Lachen und Singen der jungen Leute drang bis zum Seelhof, der ein wenig unterhalb der Burg lag. Der Tag war heiß gewesen, und darum standen alle Türen und Fenster weit offen. Der Seelhofbauer war allein mit seiner Frau, die schon seit Wochen leidend war und nicht zum Sterben kommen konnte. Ihr mühsam unterdrücktes Stöhnen schnitt ihm ins Herz. Er hätte ihr so gern geholfen.
»Soll ich die Läden schließen, Josefa?«, erkundigte er sich, als die Musik ihm zu laut vorkam.
Die schneeweißen knochigen Hände der Kranken fuhren unruhig auf der Bettdecke hin und...




