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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Berlin Welcome Home

Erinnerungen, Bilder und Briefe
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-311-70046-3
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erinnerungen, Bilder und Briefe

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-311-70046-3
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Lucia Berlins Erzählungen, die zu den schönsten literarischen Wiederentdeckungen der letzten Jahre gehören, gehen auch deshalb so unter die Haut, weil sich in ihnen ihr eigenes wechselvolles Leben spiegelt. 18 Mal zog sie um, wurde mit 32 Jahren als Mutter von vier Söhnen bereits zum dritten Mal geschieden, war nirgends richtig zu Hause. Kurz vor ihrem Tod 2004 schrieb sie an einem Buch, das mehr als 20 kurze autobiografische Texte enthält, chronologisch geordnete Erinnerungen an die Orte, die sie prägten und an denen auch ihre Geschichten spielen. Sie beginnen 1936 in Alaska und enden (viel zu früh) 1966 im Süden Mexikos, mehr Zeit blieb ihr nicht. Ergänzt durch eine Auswahl von Fotos und Briefen, gibt der von ihrem Sohn Jeff herausgegebene Band einen faszinierenden Einblick in den Lebensstoff, aus dem Lucia Berlin ihre einzigartige Literatur geschaffen hat: »Da waren sie, die Geschichten ihrer Kindheit, die wir so oft gehört hatten, als wir noch klein waren. Nur geordnet und nicht mehr als Fiktion getarnt«. (Jeff Berlin im Vorwort)

LUCIA BERLIN, 1936-2004, schrieb im Laufe ihres Lebens 77 Erzählungen, wovon die meisten in den achtziger und neunziger Jahren veröffentlicht wurden. Dennoch war sie zu Lebzeiten kaum bekannt. Durch ihre Wiederentdeckung 2015 mit dem Band A Manual for Cleaning Women, der auf Anhieb ein New-York-Times-Bestseller wurde, fand sie endlich die weltweite Anerkennung, die ihr gebu?hrt. Die 2016 unter dem Titel Was ich sonst noch verpasst habe veröffentlichte Auswahl daraus stand zehn Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2017 folgte der zweite Band Was wirst du tun, wenn du gehst. Kurz darauf erschienen 22 weitere Erzählungen - Abend im Paradies - sowie Lucia Berlins Memoir Welcome Home, beide in der Übersetzung von Antje Rávik Strubel.
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Ausgewählte Briefe 19441965


November 1944, Overseas

Upson Drive, El Paso, Texas

Meine liebe Lucia:

hab ganz vielen Dank für den lieben Brief. Es tut mir furchtbar leid, dass ich nicht öfter geschrieben habe. Du warst so beschäftigt in Radford, und hier gibt es so wenig, worüber man schreiben könnte, außer, wie sehr, sehr ich es vermisse, dein liebes Gesicht zu sehen und dich reden und lachen zu hören. Ich denke an dich und Molly und Mutter in jeder Minute, die ich fern von euch bin, und lebe nur für den Tag, an dem ich nach Hause kommen kann.

Jetzt bist du also acht Jahre alt, und du glaubst, dass dir das gefällt. Warum, du bist jetzt praktisch eine alte Frau, oder? Ich wünschte, ich wäre da, um dich zu sehen und dir zuzuhören, wenn du von der Schule und deinen Freunden erzählst und dem Spaß, den du hast. Aber Daddy ist sehr weit weg, um in einem Krieg zu kämpfen, der die Welt für alle Lucias und Mollys überall anständig und gut macht.

Viele Menschen werden verletzt und viele sterben in der Hoffnung, dass diese Welt, in der ihre Kinder aufwachsen, die Welt sein wird, die sie sich für sie gewünscht haben.

Ihre Kinder wiederum werden sie nicht enttäuschen. Sie werden brav, ehrlich und gut aufwachsen. Sie werden nie herumschleichen, um schlimme Dinge zu tun, weil sie zu gut und stolz sind. Außerdem könnten ihre Herzen niemals jauchzen und fröhlich sein in dem Wissen, es zugelassen zu haben, dass Schmutz und Hässlichkeit den Platz von Ehrlichkeit und Güte eingenommen hat. Manchmal fällt es jungen Leuten schwer, zu wissen, was gut und was schlecht ist, und sie müssen es im Laufe des Älterwerdens lernen, so wie man buchstabieren und lesen lernt.

Es gibt vieles, was einen Menschen lehrt, wie man auf schöne, anständige und gute Weise aufwächst. Eine der Möglichkeiten ist das Leben von Jesus und viele, viele schöne Bücher, die du im Laufe des Älterwerdens lesen wirst. Weitere Lehrmeister sind deine Mutter und dein Vater. Sie sind für dich da (und ich werde da sein … eines Tages), wenn du Kummer hast und nichts verstehst. Aber ich glaube, der großartigste Lehrmeister ist dein Herz. Wenn dein Herz leicht und beschwingt ist und du jauchzen möchtest, dann bist du gut und tust Gutes. Wenn es sich dunkel und schmutzig und beschämend anfühlt, tust du das Falsche.

Der Grund, warum ich dir das schreibe, Lucia, ist der, dass ich so weit weg bin und nicht so mit dir reden kann, wie ich es gewöhnlich tue, und mir gerade, mitten in diesem Krieg, eingefallen ist, dass du ohne Daddy aufwächst, beinahe. Ich möchte, dass du jetzt, wo du die junge Dame des Hauses bist, weißt, dass du ein Teil dieser Familie bist, und wir möchten, dass es die wunderbarste und glücklichste Familie auf der ganzen Welt ist, und dass, obwohl wir in einem Jahr auf der Spitze eines Berges und im nächsten Jahr in einem dunklen Canyon leben, unser wunderschönes Zuhause in unseren Herzen errichtet wird. Ein großer Schriftsteller sagte einmal, dass viel Gold und schöne Pelze zwar viele schlimme Sachen verbergen können, aber ein schönes Herz auch unter Lumpen und Schmutz nicht verborgen bleiben kann.

Ich hoffe, ihr habt ein wunderbares Weihnachtsfest, und wenn alles gut geht, hoffe ich, euch bald nach dem Ersten des neuen Jahres für eine kurze Zeit sehen zu können. Gott segne dich, Lucia, und möge dafür sorgen, dass du gut und stark und schön bleibst.

Dein dich immer liebender Daddy

P.S. Gib Mutter und Molly einen Kuss von mir.

6. März 1947

713 Upson Street

El Paso, Texas

()

Trench Mine, Patagonia, Arizona

Lieber Daddy,

es tut mir leid, dass ich nicht eher geschrieben habe, aber ich war sehr beschäftigt (mit Spielen). Wir vermissen dich sehr.

Herrjemine, ich wurde in die 7. Klasse versetzt, weil sie hier in der 6. Klasse den Unterrichtsstoff aus der 5. Klasse machen. Ich habe beschlossen, Sängerin zu werden, weil uns das Singen so viel Spaß macht.

Wie geht es Mabel? Ich habe gehört, sie ist jetzt dein bester Kumpel. Hoffentlich wird aus Benny kein Kater. Es gibt hier so viele Hundekämpfe, dass ich gar nicht weiß, was ich machen soll.

Heute waren wir in der Sinfonie. Miss Buck ließ uns früher gehen. Wir sind so zeitig da gewesen, dass wir noch in einen Drugstore gehen und uns eine Cola kaufen und in einen Billigladen gehen durften und dann zur Liberty Hall.

Das Orchester war sehr schlimm. Sie waren alle durcheinander. Anstatt den Geigenspielern einen Platz zu geben und den Posaunen einen Platz und den Flöten einen Platz (ein Platz, ein Platz, dito etc.), waren sie alle durcheinander. Und alle Männer und Frauen hatten verschiedenfarbige Kleidung an. Das einzig Gute daran war die Musik, aber das war natürlich auch das Einzige, worauf es ankam. Wir hatten sehr gute Plätze.

Im Moment gibt es hier nicht sehr viele gute Filme. Ich habe einen gesehen, 20 der war sehr gut. Es gab einen Film, der ziemlich gut gewesen sein soll, aber ich konnte nicht hingehen, und außerdem wollte ich nicht. Er hieß 21 aber ich weiß nicht, ob er gut war oder schmutzig war.

Vergiss jedenfalls nicht, dass wir dich alle lieben und dich sehr vermissen.

Allerliebste Grüße, Deine Lucia

1954 (Herbst)

Marron Hall, University of New Mexico

Albuquerque, New Mexico

Fort Lewis College, Hesperus, Colorado

Liebe Lorna,

hallo, du nichtsnutzige, nuttige Schlampe … ich bin am 20. an die Schule zurückgekehrt und habe ein paar ziemlich pathetische und nachtragende Briefe vorgefunden. Wir waren hier eine Herberge für eine Band, die in Marron eingefallen ist, dann gab’s da eine Sache vom Bundesministerium für Wohnfragen, so dass wir alle drei Wochen umziehen mussten … Es war trotzdem gemein von mir, nicht zu schreiben, aber mehr sag ich nicht …

Ich würde dir die drei Dollar zurückschicken, aber du hast mir gerade das Leben gerettet. Ich schick dir die Kohle nächsten Monat … das hat mich wütend gemacht, weil ich wollte, dass du herkommst und ich dich eingeladen habe. Ich war davon ausgegangen, dass du im August kommst, ich war zwar nur eine Woche hier, war in L.A., hatte eine traumhafte Zeit … rate mal, mit wem ich ausgegangen bin, echt große Sache … Tonto aus 22 … Alle sagten »Ach, wie wunderbar, du gehst mit Tonto aus« … ich bin gestorben vor Lachen, und außerdem heißt er Jay … Meine Kusine arbeitet beim Fernsehen, also habe ich eine Menge über Junk gelernt, echt interessant die Kulissen und alles … Am besten hat mir die Kulisse von so eine Art große Turnhalle … mit Hotels und Häusern im Westernstil, mit Kramläden und Saloons gefallen … mit Pferden, die überall herumlaufen, Cowboystatisten (göttlich), Mist etc. … Alles sieht perfekt aus, bis hin zum Spucknapf … Ich kam mir vor wie ein kleines Mädchen … Ein Kameramann ließ etwas runterfallen und sagte , und ich fragte ihn, wo er das gehört und gelernt hätte, und wie sich herausstellte, war er mal Seemann und hat es in Valpo aufgeschnappt … (Diffusion der Kulturen) … wir unterhielten uns stundenlang. Alle waren so nett zu mir und erklärten mir alles Mögliche und stellten mich Leuten vor etc. Meine Kusine, du erinnerst dich, die richtig hübsche, ist (nicht) mit einem Typen verheiratet, der GANZ GENAU wie Danny ist, nur gutaussehend und groß … wie ein langgezogener Danny aussieht … ich bin fast gestorben, als ich ihn ansah und konnte nicht anders, als ihn anzustarren.

Ach, verdammt, Lorna, hast du überhaupt Kohle … Ich wünschte, du würdest mich anrufen, und ich zahle es dir am 1. Nov. zurück. Ich bin total deprimiert … Das ist mir noch nie passiert … Ich liebe Lou, und wir gehen immer noch miteinander, aber plötzlich bin ich ehrgeizig geworden und will die Uni beenden, und es gibt so verflucht viele Dinge, die ich tun möchte … Ich hätte nie gedacht, dass die Uni mal zwischen mir und einem Typen stehen würde … Ich bin wirklich stolz auf mich … habe zwei A in der Summer School bekommen … Ich mag die Idee, etwas zu tun und für etwas zu arbeiten, auf das ich stolz sein kann, weißt du … Es passt nicht zu meinem chilenischen Charakter aus S. C., aber jetzt denke ich anders, und ich habe Angst, dass es vielleicht nicht so gut ist. Der Gedanke an einen Kühlschrank, ein Gefrierfach und die Lebensmittelrechnung erschreckt mich (wie schreibt man das überhaupt) und ich mache mir wahnsinnige Sorgen.

Stell dir vor … Ich habe Aufsicht in Marron Hall, muss die Peitsche über all diesen kreischenden Monstern knallen lassen.

Hast du was von Danny gehört? Ich habe letzte Nacht von ihm geträumt, mit einer pinkfarbenen Rose in einer Schiffermütze. Heute habe ich einen Brief von Lionel bekommen … ich hatte ihn schon ganz vergessen, und es war auf jeden Fall gut, von ihm zu hören … du weißt ja, manchmal liebt und...


Berlin, Lucia
LUCIA BERLIN, 1936–2004, schrieb im Laufe ihres Lebens 77 Erzählungen, wovon die meisten in den achtziger und neunziger Jahren veröffentlicht wurden. Dennoch war sie zu Lebzeiten kaum bekannt. Durch ihre Wiederentdeckung 2015 mit dem Band A Manual for Cleaning Women, der auf Anhieb ein New-York-Times-Bestseller wurde, fand sie endlich die weltweite Anerkennung, die ihr gebu¨hrt. Die 2016 unter dem Titel Was ich sonst noch verpasst habe veröffentlichte Auswahl daraus stand zehn Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2017 folgte der zweite Band Was wirst du tun, wenn du gehst. Kurz darauf erschienen 22 weitere Erzählungen – Abend im Paradies – sowie Lucia Berlins Memoir Welcome Home, beide in der Übersetzung von Antje Rávik Strubel.

Strubel, Antje Rávik
Antje Rávik Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Sie veröffentlichte u.a. die Romane »Tupolew 134« und »Sturz der Tage in die Nacht«, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Zuletzt erschienen von ihr »In den Wäldern des menschlichen Herzens« sowie Übersetzungen der Werke von Lucia Berlin und Joan Didion.



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