E-Book, Deutsch, Band 06940, 144 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
Bergmann Picknick im Olivenhain
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-451-81128-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vom Innehalten und sich wieder finden
E-Book, Deutsch, Band 06940, 144 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
Reihe: Herder Spektrum Taschenbücher
ISBN: 978-3-451-81128-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Steffens Leben ist schnell und durchgetaktet. Eine Radtour in Süditalien führt ihn durch eine menschenleere Landschaft. Plötzlich ist sein Fahrrad verschwunden. Da trifft er den geheimnisvollen Bauern Alessio und folgt ihm in seinen Olivenhain. Es beginnt ein überraschendes Gespräch. Und ehe er sich versieht, verändert sich der Blick des erfolgreichen Geschäftsmanns auf die Welt und sein atemloses Leben. Steffen versteht: So kann es nicht weitergehen. Aber wie dann? Er hält inne und macht sich auf den richtigen Weg der eigentlich schon immer vor ihm gelegen hat.
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Ich glaub’s nicht!«, entfuhr es ihm, als ihm bewusst wurde, dass auch sein Smartphone in einer der Packtaschen und somit weg war. Keine Möglichkeit, Hilfe zu holen oder sich hier herauszunavigieren. Das war für die Typen ja mal eine richtig fette Beute. Aber selbst wenn er sich jetzt auf den Weg zu den Carabinieri machen würde, er hatte nichts gesehen und nichts gehört. Was sollte er zu Protokoll geben? Wie wollte er sich erklären und wie der Versicherung glaubwürdig darstellen, dass er das Rad ordnungsgemäß abgeschlossen hatte? Richtung Meer zu gehen, machte keinen Sinn. Er wusste, dass die Küste an diesem Abschnitt sehr steil und unwegbar war. Es schien zwar nicht so weit weg zu sein, aber bei diesem zerklüfteten Gelände konnte das Tage dauern, bis er dort ankam. Soweit Steffen sich erinnern konnte, hatte ihm sein Radcomputer als nächsten Orientierungspunkt eine kleine Kapelle in vielleicht zehn Kilometern Entfernung angezeigt. Und wo eine Kapelle ist, da werden wohl auch Menschen sein oder irgendwann vorbeikommen, versuchte Steffen sich an den Macher zu erinnern, der er an den meisten Tagen des Jahres war. Es gab immer eine Lösung, das wusste er. Man musste sie nur finden. Über den Tellerrand hinausschauen. Sich nicht selbst blockieren. Aber was das hier anging, blockierte er sich ja nicht. Er war ein Opfer. Man hatte ihn bestohlen. Das änderte allerdings wenig an seinem Gefühl, dass er blockiert war. Er stand auf, um sich irgendwie in Bewegung zu setzen. Das Meer kam also nicht in Frage. Er musste zu dieser verdammten Kapelle. Nur welches war nun die richtige Richtung? Er blickte um sich. Alles sah gleich aus. »Ich darf wütend sein!«, brüllte er. Es kam kein Echo und keine Erlaubnis. Es hielt ihn aber auch niemand davon ab. »Das ist ja nicht zu fassen!«, stampfte er mit den Bikerschuhen, die langsam zu drücken begannen, auf die Erde, sodass eine staubige Wolke aufstieg, und schlug mit den Fäusten gegen den Baum, der ihm am nächsten stand. Aus dem Olivenhain hörte er auf einmal eine Stimme: »Hallo!« Oder hatte er schon Halluzinationen? Erschrocken schaute sich Steffen um. Vielleicht sind es die Diebe, wagte er zu hoffen. Vielleicht kommen sie mit der Technik des Fahrrads nicht zurecht. Aber es waren keine Halbstarken, keine jungen Flegel, die ihn riefen. Es war eine alte raue Stimme, die er hörte. In der Tat entdeckte er in einiger Entfernung einen alten Mann, der unter einem Baum auf einem Stein saß und ihn mit seinem Strohhut zu sich winkte. Wo kommt der denn jetzt her?, wunderte sich Steffen. Wie die Fahrraddiebe hatte er auch den Bauern weder kommen hören noch sehen. »Bin ich denn blind?«, fragte er sich besorgt und war aber gleichzeitig erleichtert, hier auf menschliches Leben zu treffen. Ob der Mann ihm weiterhelfen konnte? Vielleicht hatte er eine Idee, wo sein Mountainbike hingekommen sein könnte. Es konnte ja nicht vom Erdboden verschluckt worden sein. Oder er wusste vielleicht, wo das nächste Dorf war oder wie man auf dem schnellsten Weg irgendwohin kommen könnte, wo es wenigstens eine Bushaltestelle gab. Steffen beschleunigte seine Schritte, so gut es ihm seine Sportmontur erlaubte. Die ersten Blasen schienen nach den wenigen Schritten schon am Entstehen zu sein. Beim Näherkommen sah Steffen in das sonnengegerbte Gesicht eines offenbar einheimischen Bauern, der bei Wind und Wetter draußen war und sich um seine Felder kümmerte. Der Strohhut wanderte wieder auf seinen kahlen Kopf. »Buon giorno«, grüßte ihn der Mann schon von Weitem. »Buon giorno«, gab Steffen mit schön gerolltem R, wie er es im Italienischkurs lange geübt hatte, zurück. Einerseits war es ihm ein wenig unheimlich, dass er auch diesen alten Bauern nicht hatte kommen hören, andererseits war er erleichtert, in dieser Ödnis jemanden zu treffen. Vielleicht hatte er ja wenigstens ein telefonino dabei, wie die Italiener liebevoll ihr Handy nannten, mit dem man Hilfe holen könnte. Der Mann saß merkwürdigerweise auf dieser alten Mauer, von der aus Steffen eben noch fotografiert hatte. Eine Mauer aus einzelnen, grob behauenen Steinen errichtet, brüchig wirkend, und dennoch sehr stabil. Das ist seltsam, dachte er sich. Wo kommt der Mann her, wo ist mein Rad? Die Augen des Alten leuchteten ihm tiefblau entgegen. In seinem Gesicht zeichneten sich weiße Bartstoppeln von der gebräunten Haut ab. Ganz sicher handelte es sich um einen Einheimischen. Seine schwieligen Hände spielten mit einem Olivenzweig. Als Bauer kannte er sicher die Gegend, und möglicherweise hatte er auch eine Ahnung, wer das Rad geklaut haben könnte. Steffen spürte, wie seine Anspannung einer gewissen Zuversicht und dem Ansatz von Vertrauen wich. Das verwunderte ihn selbst, denn es war gerade Vertrauen zu fremden Menschen, das zu gewinnen ihm sehr schwerfiel. Seine Eltern hatten ihm dermaßen eingeimpft, Fremden gegenüber vorsichtig zu sein und sich auf keinen Fall mit jemandem, den er nicht kannte, einzulassen, dass ihn diese Vorsicht als Misstrauen bis heute begleitete. Besonders wenn sie freundlich sind, klang ihm heute die Warnung seiner Mutter in den Ohren. »Es gibt einfach zu viele Gauner auf dieser Welt«, hatte sein Vater oft geschimpft und Steffen aber eigentlich nicht wirklich beigebracht, wie man einen Gauner von einem freundlichen Menschen unterscheidet. Vielleicht konnte ihm der Mann hier eine Hilfe sein. »Scusi, signore, non ha hier veduto un Fahrrad in zona?« »Ich verstehe nur Bahnhof,« kam postwendend auf Deutsch mit schwerem italienischem Akzent zurück. Steffen stutzte. »Wie, Sie sprechen deutsch?« »Si, ich habe ein paar Jahre in Stuttgart gearbeitet. Ich bin viel in der Welt herumgekommen. Ich bin Alessio, und wer sind Sie?«, streckte er Steffen die schwielige, erdverkrustete Hand entgegen. Seine grobe Drillichhose, das großkarierte Hemd und die schweren Schuhe bestätigten Steffens Vermutung, dass er es mit einem Bauern zu tun hatte, dem wohl die Bäume hier gehörten. Auch sein ruhiger und direkter Blick in Steffens Augen nahm jeden Vorbehalt, dass von ihm etwas zu befürchten wäre. Es machte ganz und gar nicht den Anschein, als ob er einer Bande von Fahrraddieben vorstehen würde. »Kommen Sie«, lud der Mann ihn ein, näher zu treten. Seine Stimme hatte den heiseren, rauen Klang, den Menschen in Bergregionen häufig haben. »Danke, ich heiße Steffen.« Er war immer noch ein wenig durch den Wind und gleichzeitig entspannte er sich immer mehr. In seiner Agentur wurde er nicht müde zu sagen, dass man die Dinge, die laufen, nicht durch unnötige Fragen stören soll. »Fragt nur da, wo es nicht funktioniert«, vermittelte er seinen Mitarbeitern immer. »Mein Fahrrad wurde gestohlen«, platzte es aus ihm heraus. »Ich muss auf der Stelle zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Das Rad war teuer und es war nagelneu.« Dass es versichert war, schob er erst nach einem hektischen Einatmen nach. Der Alte verstand aber offenbar noch nicht wirklich, denn er reagierte überhaupt nicht. Ruhig wie ein alter Elefant saß er auf dieser zerbröckelten Mauer, strich sich über den Stoppelbart und sah gelassen über die Weite des Tals. »Haben Sie vielleicht ein Telefon dabei?«, schob Steffen nach. »Ein Handy? Telefonino?« Aber Alessio schien ihn nicht zu hören. Er machte weder den Eindruck, dass er verwundert, noch dass er erschrocken wäre. »So so«, brummte er vor sich hin. Vermutlich werden hier ständig Räder geklaut, zählte Steffen eins und eins zusammen. Das ist typisch für den Süden. Selbst auf staubigen Mauern Siesta halten, aber für den Besitz von anderen, beziehungsweise für dessen Verlust, kein Verständnis aufbringen können! »Da hast du aber großes Glück«, setzte der alte Mann dem Ganzen die Krone auf und lächelte Steffen an. Bevor dieser etwas sagen konnte, wandte Alessio sich zur Seite und zeigte mit einer Hand in Richtung Meer. »Das hätte uns an einem schlechteren Ort passieren können. Hier ist es sonnig, gleichzeitig gibt es immer wieder Schatten, es weht ein kleiner Wind und wir haben einen wunderbaren Blick auf das Meer.« »Wie, uns?« erwiderte Steffen etwas zu erbost. Diese bäuerliche Gemütsathletik war für ihn in diesem Moment eine Nummer zu viel. Sein Herz begann zu rasen und er zitterte nun doch. Er soll mir helfen, zuckten die Worte durch seinen Kopf. O sole mio war das Letzte, was Steffen jetzt brauchten konnte. Fast wollte er den Mann an den Schultern packen und ihn schütteln, mit dem Fuß aufstampfen oder losheulen. »Vielleicht verstehen Sie nicht«, versuchte er es noch einmal und sprach dabei extrem deutlich und sehr, sehr langsam. »Mein Fahrrad ist gestohlen worden. Es war sehr teuer. Hightech. Exklusiv!« »Ach, lass mal«, winkte der Bauer unbeeindruckt ab. »Mein gelbes Motorino ist auch weg. Was macht das? Es wird schon wiederkommen.« »Wie? Dein Motorino ist auch weg? Das ist eine Bande!« Steffens Stimme überschlug sich fast. Als gelte es sich vor möglichen Attentaten zu schützen, sprang er zur Seite, ließ hektisch seinen Blick in Richtung Wäldchen schweifen, auf den Weg und in die Ferne. Hier, mitten in Gottes freier Natur, diese Kriminalität! Wie ging es dann erst in den Städten zu? »Das ist krank!«, sagte er trocken. »Das ist alles richtig krank.« Aber immerhin, er steckte jetzt nicht allein in dieser miesen Situation....




