Bergmann | Die Freiheit leben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 382 Seiten

Bergmann Die Freiheit leben


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86781-364-8
Verlag: Arbor
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 382 Seiten

ISBN: 978-3-86781-364-8
Verlag: Arbor
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Professor Frithjof Bergmann, international vor allem durch sein Konzept der Neuen Arbeit bekannt, wendet sich in diesem Buch den philosophischen Grundlagen seines Lebenswerks zu. Das Entdecken dessen, was wir „wirklich, wirklich wollen“ – eines der beiden Kernelemente der Neuen Arbeit –, ist untrennbar mit seinem Freiheitskonzept verknüpft und gründet in ihm.
Der Betrug entstand im 18. Jahrhundert. Damals entwickelte sich die Idee, Freiheit sei die Abwesenheit aller Grenzen – ein „leerer Raum“, in dem man von nichts eingeschränkt oder behindert wird; in dem „alles möglich“ und „alles erlaubt“ ist.

Dass es sich um ein Modell handelt, das qua Definition zum Scheitern verurteilt ist, fällt erst bei näherer Betrachtung auf: Jede Mutter, jeder Vater und jeder Lehrer weiß, dass es ohne Grenzen nicht geht. Würden wir diese Art von Freiheit ernst nehmen, ja sie gar „leben“, würde es uns zumeist in ein Chaos stürzen.

Arglos und unhinterfragend hantieren wir noch immer mit unangemessenen und gefährlichen Denkmodellen des 18. Jahrhunderts und zwingen uns so in ein Denken, das Gesellschaft, Arbeitswelt, Politik und jeden Einzelnen lähmt!

Schicht um Schicht, mit heiterer Wortgewalt und chirurgischer Präzision, legt Frithjof Bergmann die destruktiven Grundlagen unseres Freiheitsbegriffs frei. Dabei setzt er auf ein stimmigeres, jedoch nicht minder historisch gewachsenes Konzept – eine Freiheit, die im selben Atemzug in Gesellschaft, Arbeitswelt, Bildung und persönlichem Leben zur Realisierung führt.

Dem Bild des äußerlich grenzenlosen Raums stellt er das Bild eines innerlich unbegrenzten Menschen entgegen, der nicht Sklave ist, der nicht auf den Knien liegt, der sich nicht artig verbeugt; das Bild einer Frau, die ihren eigenen Willen hat, die selber entscheidet; das Bild eines Menschen, der Kraft hat, der sich selbst achtet und eben deshalb nicht die Stiefel eines anderen küsst – auch wenn dieser andere Macht und Titel besitzt.

Die Freiheit leben markiert einen Weg, der uns in die Freiheit führt. Gehen aber muss man ihn selbst, und zwar auf ureigene, selbst gefundene Art und Weise.

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Eine Theorie der Freiheit


Wir müssen nun eine andere Gangart einschlagen. Bis jetzt haben wir nur hinter einige allgemein verbreitete Grundannahmen Fragezeichen gesetzt und Terrain abgesteckt, das unsicher und problematisch ist. Von nun an werden wir jedoch methodischer und in einer systematischeren Reihenfolge vorgehen, denn es soll nun eine Theorie der Freiheit entwickelt werden.

Eine Meta-Theorie der Freiheit

Es sollte klar sein, dass das Thema unserer Theorie in gewisser Hinsicht nicht Freiheit selbst sein wird. Das Ziel wird sein zu erklären, welche Ansichten in Bezug auf die Freiheit bisher vertreten worden sind. Bis jetzt umschwirren uns diese in verwirrender Vielfalt. Die Absicht ist nun, eine Abstraktionsstufe höher zu steigen und die Logik und Gesetzmäßigkeit ans Licht zu bringen, die diese unterschiedlichen Interpretationen leitet, die ihre verblüffende Vielgestaltigkeit ordnet. Was wir vorlegen wollen, ist deshalb in diesem Sinne eine Art Meta-Theorie der Freiheit.

Ausgangspunkt: Ein weit verbreitetes Lebensgefühl

Ich werde mit einer gelebten Erfahrung anfangen, teilweise auch deshalb, um den kommenden höchst abstrakten Überlegungen einen konkreten Bezugspunkt zu geben, aber auch aus anderen Gründen, die gleich klar werden sollen: Es gibt Momente, in denen wir das Gefühl haben, dass unser wirkliches Leben noch nicht begonnen hat. Unsere gesamte Vergangenheit scheint eine lange Theaterprobe gewesen zu sein. Mehr oder weniger sieht es aus, als sei bis jetzt alles nur „hypothetisch“ gewesen, nur eine von vielen Möglichkeiten, die wir in Erwägung gezogen haben; dass es nicht das letzte Wort ist und von der uns zur Verfügung stehenden Zeit noch nichts verbraucht ist. Manchmal fühlt es sich auch so an, als seien wir selbst gar nicht aktiv gewesen, steckten gar nicht richtig „in“ unserem Leben, sondern hätten es nur beobachtet wie Zuschauer – den unpersönlichen Ablauf eines Zusammenspiels der Kräfte. Es ist, als hätte ein hölzerner Doppelgänger von uns all die Vorgänge durchlebt, die unsere Vergangenheit darstellen, und das, was wir wirklich sind, hätte sich indessen die ganze Zeit geduldig im Abseits gehalten und gewartet, dass es an die Reihe kommt. Nur ein plötzlicher Auftritt würde unser Selbst – so lange hinter den Kulissen verborgen – endlich auf die Bühne befördern. Und das wäre dann unsere erste wirkliche Handlung, eine Art Geburt, der lange aufgeschobene Anfang unseres wirklichen Lebens.

Was nötig ist, um ihn herbeizuführen, darüber gehen die Meinungen ziemlich auseinander. Manchmal scheint es, als sei es wunderbar einfach. Wir haben das Gefühl, als könnte sich von einem Atemzug zum nächsten alles ändern, als würde ein neuer innerer Wille genügen, als müsste man nur nicken, Ja sagen, und der Vorhang würde sich öffnen. Viel öfter jedoch scheint es entmutigend schwierig. Alle gewöhnlichen Maßnahmen scheinen unzureichend. Es ist, als müssten wir einen absolut neuen Anfang machen, der hier aber nicht stattfinden kann, sondern nur auf irgendeiner anderen Seite, auf die wir erst gelangen müssen; als wenn dieser neue Start von allen Bindungen an die Gegenwart befreit werden müsste, weil jegliche Kontinuität mit der Vergangenheit ihn korrumpieren würde. Dann malen wir uns phantastische Fluchtmöglichkeiten aus, ersehnen uns das Leben eines Vagabunden, eines Einsiedlers oder wollen in die Fremdenlegion eintreten. Es scheint uns, als könnte nur solch ein drastischer Schnitt, paradox und verrückt, wie er ist, nur etwas so Wildes und Unerhörtes endlich „real“ sein, als würde nur solch ein weitreichender Akt das eigene verborgene Selbst endlich zum Vorschein bringen.

Ein entfremdetes Selbst

Die Beklemmung und die rastlose Suche nach einer unerreichbaren Entschlossenheit, die diese Erfahrung begleiten, werden plausibel, wenn wir die Art und Weise betrachten, in der das Selbst sich unvermeidlich konzeptualisiert, wenn es ins Spiel kommt. Wenn die Erfahrung intensiv ist, fühlen wir uns von allem, was wir sind, abgeschnitten. Nicht nur unsere Vergangenheit, sondern sogar unsere momentanen Gedanken und Gefühle scheinen irgendwie weit weg zu sein, fremd, wie etwas, was wir beobachten. Wenn aber so viel „abgespalten“ und zum „Objekt“ gemacht worden ist, dann bleibt für das beobachtende Selbst nicht mehr viel übrig. Wenn das Selbst sich von den Elementen abtrennt, die es konstituieren, dann reduziert es sich auf etwas Substanzloses, auf nicht mehr als einen Punkt – den Punkt, von dem aus der Rest gesehen wird. Die Basis, von der aus ich dann wahrnehme, der Bereich, von dem ich das Gefühl habe, das „bin wirklich ich“, ist dann fast auf null geschrumpft, und dementsprechend wird deshalb das Gefühl der Isolation und des Mangels absolut.

Verzweifelte Suche nach Freiheit: Dostojewskijs „Mann aus dem Untergrund“


Grenzfall einer extremen Form von Freiheit

Als ein erstes Beispiel werden wir diesen Gefühlen eine ungezügelte und drastische Version der Freiheit gegenüberstellen. Es ist gerade das Extreme an ihr, was sie theoretisch lehrreich macht. Man könnte sie mit einem mathematischen oder juristischen Grenzfall vergleichen. Das Grundmaterial dieser prinzipiellen Sichtweise findet sich vielerorts, aber in besonders schlagender Form wieder bei Dostojewskij, diesmal in den Aufzeichnungen aus dem Untergrund4.

In der ersten Hälfte dieses Werkes, in der der in einer erbärmlichen Kellerwohnung hausende, verspottete, ständig auf und ab gehende kleine Regierungsbeamte seine Philosophie der Bosheit zu Papier bringt, gibt es eine Passage, in der Dostojewskij diesen Teil des Romans zu einem konzentrierten, kraftvollen Höhepunkt führt. Sein kleiner Beamter erklärt, dass nur ein Akt schierer Willkür, ausgeführt in völliger Unabhängigkeit, unter Missachtung jeglicher Vernunft und Vorteilhaftigkeit, eine wahrhaft metaphysische Dimension hat. Er proklamiert es als das summum bonum.5 Nichts anderes gibt dem Menschen wahre Freiheit. Nur solch ein Akt durchbricht den neutralen Panzer der Anonymität, der den Menschen gefangen hält. Allein auf diese Weise kann der Mensch einzigartig werden und sich dauerhaft von anderen abheben. Andernfalls hat das Selbst nicht mehr Identität oder Kontur als ein Ei unter einem Dutzend anderer.

Dieser kleine Beamte hat einen Freund, von dem er sagt: „Schickt sich dieser Herr zu einer Tat an, wird er ihnen sogleich wortreich und eindeutig darlegen, wie er nach den Gesetzen der Vernunft und der Wahrheit vorzugehen habe. Mehr noch: er wird Ihnen eine erregte und leidenschaftliche Rede über die wahren, normalen Interessen des Menschen halten, wird stotternd über die kurzsichtigen Dummköpfe herziehen, die weder ihre Vorteile noch den wahren Wert der Tugend zu erkennen vermögen, und – er kann eine Viertelstunde darauf ohne jede plötzliche äußere Ursache, vielmehr aus innerem Antrieb, der stärker ist als alle vorgetragenen Interessen, ganz anders handeln, das heißt deutlich wider seine eigenen Worte, wider die Gesetze der Vernunft, wider den eigenen Vorteil, kurz, gegen jede bessere Einsicht.“

In einem Ausbruch der Verzweiflung attackiert Dostojewskijs kleiner Beamter all die „Statistiker, klugen Forscher und Freunde der Menschheit“, all die klugen und berechnenden Systematiker, und schleudert ihren Bemühungen seine einzige, seiner Meinung nach jedoch vernichtende Erwiderung entgegen. All ihre auf Vernunft gegründeten, sorgsam konstruierten Gebäude müssen einstürzen, so behauptet er, denn in ihrer Aufzählung der Ziele und Zwecke, die der Mensch verfolgt, fehlt ein Ziel und Desideratum zwangsläufig. Und ironischerweise ist es das Wichtigste; es ist der „über alles vorteilhafte Vorteil“. Dieses Gut, das „wichtiger und vorteilhafter ist als alle anderen, besteht genau darin, „gegen alle Gesetze zu handeln; das heißt, gegen Vernunft, Ehre, Ruhe und Wohlstand – mit einem Wort gegen alle herrlichen und nützlichen Dinge“, es ist der „eigene ungezwungene freie Wille, die eigene, womöglich ungezügelte Laune, die eigene mitunter bis zum Irrsinn aufgestachelte Phantasie … Woher nehmen all die klugen Denker ihre Weisheit, dass der Mensch ein ‚normales‘, tugendhaftes Wollen nötig habe? Wieso bilden sie sich unerschütterlich ein, er brauche unbedingt einen vernünftigen, vorteilbringenden Willen? Was der Mensch braucht, ist allein das selbständige Wollen, was diese Selbständigkeit auch kostet und wohin sie auch immer führt.“

Freiheit als völlige Unabhängigkeit …

Dass eine repräsentative Formulierung dieser Idee von Freiheit nicht in einem klassischen philosophischen Text vorkommt, sondern stattdessen bei einem Romancier wie Dostojewskij gesucht werden muss, sollte uns nicht überraschen. Sogar diejenigen Philosophen, die den Fähigkeiten der Vernunft Grenzen setzen, neigen nicht dazu, Freiheit nur mit solchen Handlungen zu identifizieren, die gegen sie verstoßen. In literarischen Werken jedoch finden sich Varianten dieser Idee ziemlich oft (etwa bei William Blake; oder in André Gides „acte gratuit“, „zweckfreier Handlung“; oder bei D. H. Lawrence). Außerdem, wenn es so etwas wie eine grundlegende erfahrungsmäßige Bedeutung der Idee der Freiheit gibt, dann ist sie von den Ansichten des Mannes im Kellerloch nicht weit entfernt – und eher als eine vorsichtige philosophische Definition neigt natürlich die Literatur dazu, solche archaischen...



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