Die Genese einer modernen Sozialtechnik
E-Book, Deutsch, 409 Seiten
ISBN: 978-3-593-40344-1
Verlag: Campus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Einleitung
Marketing im 20. Jahrhundert
Absatzinstrument - Managementphilosophie - universelle Sozialtechnik
Hartmut Berghoff
Praxiserfolge durch Erfahrungswissen
Die absatzwirtschaftlichen Herausforderungen der Industrialisierung
Von Commodities zu Produkten
Die Transformation des Farbstoffmarktes im 18. und 19. Jahrhundert
Alexander Engel
Markenherrschaft und Reklameschwung
Die schweizerische Schokoladeindustrie zwischen Produktions- und Marketingorientierung, 1860-1914
Roman Rossfeld
Anfänge der Verwissenschaftlichung und
Professionalisierung des Marketing
"Der Konsument muß erobert werden!"
Agrar- und Handelsmarketing in Deutschland während der 1920er und 1930er Jahre
Uwe Spiekermann
Zwischen Intuition und Experiment
Hans Domizlaff und der Aufstieg Reemtsmas, 1921 bis 1932
Tino Jacobs
Pfade der akademischen Marketinglehre in Deutschland
Entwicklungsphasen der deutschen Marketingwissenschaft seit dem Zweiten Weltkrieg
Ursula Hansen und Matthias Bode
Geschichte und Methodik der akademischen Käuferforschung
Günter Silberer und Oliver Büttner
Anfänge und Geschichte der Werbewirkungsforschung
Günter Silberer und Gunnar Mau
Die Transformation der unternehmerischen Praxis seit 1945
Marketing als Krisenstrategie
Die deutsche Automobilindustrie und die Herausforderungen der 1970er Jahre
Ingo Köhler
Die Macht der Unterscheidung
Markenstrategie und Märktedynamik am Beispiel von Continental
und Dachser
Paul Erker
"Marketing is Everything"
Das Ausgreifen in Politik und Gesellschaft
Hitler als Designobjekt und Marke
Die Rezeption des Werbegedankens durch die NSDAP bis 1933/34
Alexander Schug
"Atomwaffe im Propagandakampf"?
Markt- und Meinungsforschung in Politik und Wirtschaft der frühen Bundesrepublik
Anja Kruke
Verkaufen wie Zahnpasta?
Politisches Marketing in den bundesdeutschen Wahlkämpfen, 1949-1990
Thomas Mergel
Abkürzungsverzeichnis
Autorinnen und Autoren
Personenregister
Firmenregister
Marketing betrachtete man in Deutschland lange als eine eher dubiose Aktivität. Werner von Siemens wurde tonangebend, als er Werbung zu einer unsoliden und überflüssigen Kostenstelle erklärte: "Wer das Beste liefert, bleibt schließlich oben, und ich ziehe immer die Reklame durch Leistung der durch Worte vor." Selbst noch in den 1980er Jahren betonten vergleichende Studien zur Unternehmenskultur die Dominanz der Produktionsorientierung in Deutschland: "… to design and manufacture high-quality and reliable products … is still central to German management concerns…" Eine andere Studie bestätigte die starke Bewertung der Technologie und die relative Vernachlässigung von Marketing und Finanzmanagement: "Managers tend to be better qualified on the technical side than their colleagues on the commercial side. The things which are considered most important in Germany are design, manufacturing methods and the perfectibility of products. Status … follows these lines." Deutsche Manager hatten sich in Studiengängen "in engineering, economics and law, not in business administration" qualifiziert. In den Unternehmen waren die Karriereaussichten ausgebildeter Marketingexperten vor 1980 relativ begrenzt. Oftmals wurden sie in Firmen, die Techniker leiteten, nicht ernst genommen und von strategischen Entscheidungen ausgeschlossen. Heinz Dürr, der frühere Vorstandsvorsitzende der AEG, die 1996 nach einer schweren Krise aufgelöst wurde, traf folgende Feststellung: "Unsere Ingenieure entwickeln tolle Sachen, aber können sie dem Markt nicht rüberbringen. Wir sind ›product driven‹ und nicht ›market driven‹."
Trotz warnender Stimmen vollzog sich seit den 1960er Jahren ein tief greifender Wandel, nicht zuletzt als Reaktion auf das Auslaufen der Nachkriegsrekonstruktionen mit ihren sehr aufnahmefähigen, rasch expandierenden und zumeist wenig umkämpften Märkten. Zunehmend wurden nun die aus den USA stammenden Impulse aufgenommen. Dort hatte der Managementlehrer Peter Drucker 1954 folgende Leitsätze formuliert, die danach zu einer Art Mantra der Marketingberufe geworden sind: "The customer is the foundation of a business and keeps it in existence. He alone gives employment. (…) Because its purpose is to create a customer, the business has two - and only two - basic functions: marketing and innovation. (…) Marketing is the distinguishing, the unique function of the business. (…) Marketing is so basic that it is not enough to have a strong sales department and entrust marketing to it. Marketing is not only much broader than selling, it is not a specialized activity at all. It encompasses the entire business. It is the whole business seen from the point of view of its final result, that is from the customer's point of view. Concern and responsibility for marketing must therefore permeate all areas of the enterprise."
Acht Jahre später, 1962, ertönte in Deutschland folgendes Echo: "Verkaufen ist alles. (.) Die Auseinandersetzungen um den Markt verschärfen sich zusehends. Trotzdem stecken die Vertriebsmethoden vieler Unternehmen noch in den Schuhen der Großväter. (.) Konsequentes Marketing-Denken fordert die Beseitigung all der altehrwürdigen Trennwände zwischen Produktion, Vertrieb, Werbung und Finanzwesen. Das ganze Unternehmen ist ausgerichtet auf die Eroberung des Marktes. Die Generalstabsarbeit hierzu leistet das Marketing. (.) Das Bewusstsein, in einem Boot zu sitzen, wächst. Abgebaut wird der Ressortpartikularismus." Zu Verdeutlichung des neuen Leitbildes der integrativen, auf den Markt ausgerichteten Unternehmensführung wurde eine Karikatur beigefügt, in der Marketing als das gemeinsame Boot aller Abteilungen des Unternehmens erscheint, das die geforderte "enge Verzahnung aller Funktionen" symbolisiert. "Viele amerikanische Firmen gehen so weit, dass sie keinen leitenden Mitarbeiter beschäftigen, der nicht seine Sporen im Außendienst verdient hat. Es ist dann nicht erstaunlich, wenn diese Firmen bis in die letzte Verästelung vom absatzwirtschaftlichen Denken beherrscht werden." Deutsche Firmen würden dagegen oft "ausschließlich von Technikern beherrscht". In der Zukunft müsse gelten: "Der Platz des Marketing-Direktors ist im Vorstand, der Geschäftsleitung oder Direktion."