E-Book, Deutsch, 365 Seiten
Berger Stadt der Türme
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7487-2716-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Garde
E-Book, Deutsch, 365 Seiten
ISBN: 978-3-7487-2716-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ihr 19. Geburtstag verändert Kiras gesamtes Leben. Nicht nur, dass sie genau an diesem Tag ihre einzige noch lebende Verwandte verliert, sondern auch, dass ihre einzige Überlebenschance darin besteht, der verhassten Garde beizutreten. Die Garde - die Menschen, die ihre Eltern auf dem Gewissen haben. Kira sieht in ihrem Unglück die Möglichkeit, sich endlich für ihre Familie zu rächen. Doch kann sie es als einfache Dienerin mit den besten Kämpfern der Stadt aufnehmen? Kira verwickelt sich in ein Spiel aus Macht, Intrigen und Liebe.
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Kapitel 1
Kiras Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Zitternd drückte sie sich in ihrem schlichten grauen Kleid gegen die Wand und versuchte, die beruhigende Frische des Morgens tief in ihre Lungen zu ziehen. Das Geräusch zweier Giganten, die sich bekämpften, löste in ihr eine altbekannte Angst aus. Es lag schon etliche Jahre zurück, doch sie sah vor ihrem inneren Auge jedes Mal, wie die mächtige Pranke in das Dach ihres Hauses schlug. Die Nebelschwaden lösten sich allmählich auf und nahmen den leichten Schleier des Morgens mit. Bald wird hier alles unter einer weißen Schneedecke liegen, dachte Kira, als ihr Puls wieder unter Kontrolle war und der Blick über den kleinen Kräutergarten schweifte. Während die Adligen die letzten Sonnentage vor dem Wintereinbruch genossen, musste sie mit den anderen Dienern die Vorbereitungen für das große Festmahl erledigen. Kira hasste dieses halbjährliche Fest, an dem die gutsituierten Adligen im Überfluss aßen und tranken. Niemand von denen verlor auch nur einen Gedanken an die Armen in der Stadt, die von der Hand in den Mund lebten. Für sie waren Bettler nur Abschaum, und Abschaum wurde nicht beachtet. Kira nahm einen tiefen Atemzug und bückte sich zu den Kräutern zu ihren Füßen. Der liebliche Geruch von Basilikum drang in ihre Nase. Vorsichtig zupfte sie ein Blatt ab und verrieb es in ihren Fingern. Sie liebte das Aroma seines ätherischen Öles. Im Geheimen hatte sie einmal von diesem wundervollen Kraut probiert. Der unverwechselbare Geschmack hatte sie seit dem Tag nicht mehr losgelassen. »Bist du immer noch nicht fertig?« Marianne – der Hausdrache, wie sie unter dem jüngeren Personal genannt wurde – stand in der Tür und warf ihr einen griesgrämigen Blick zu. »Nicht einmal die einfachste Aufgabe kannst du gewissenhaft ausführen!« Ihre Haare waren wie bei allen Dienern zu einem Dutt hochgesteckt. Doch im Gegensatz zu Kira trug sie an ihrem schlichten grauen Kleid schwarze Applikationen, welche sie als höhergestellte Haushälterin kennzeichnete. Marianne schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich habe es deiner Tante mehrmals gesagt; sie ist viel zu nett zu dir! Was du brauchst, ist eine härtere Hand! Wärst du meine Nichte, wäre ich nicht so gütig zu dir! Bei mir würdest du das lernen, was solche Mädchen wie du brauchen – Disziplin!« Kira blieb stumm, wie immer, wenn Marianne ihr vor Augen führen wollte, wie schlecht sie sich benahm. Dabei war es offensichtlich, dass der Hausdrache sie hasste. Was der Grund dafür war, wusste Kira allerdings nicht. Womöglich lag es daran, dass ihre Tante als gleichhohe Hausangestellte die Erlaubnis der Baronin erhielt, die verwaiste Nichte zu sich zu holen. Obschon das neun Jahre zurücklag, war ihr Marianne die ganze Zeit nur mit Argwohn gegenübergetreten. »Du hast genau noch eine Minute, um deine Arbeit zu erledigen. Danach wirst du mit Mimi auf den Markt gehen, um die bereitstehenden Äpfel zu holen.« Ohne ein weiteres Wort drehte sich Marianne auf dem Absatz um und rauschte wieder ins Innere. Kira verzog grimmig das Gesicht, machte sich aber eilends daran, die Kräuter für die Köchin zu sammeln. Nicht, dass der Hausdrache auf die Idee kam, ihr wieder mal das Abendessen zu streichen. Mimi und sie waren Kandidaten dafür. Sie konnten sich noch so anstrengen - wenn Marianne einen schlechten Tag hatte, erfand sie einen x-beliebigen Grund und strich ihnen kurzerhand die Mahlzeit. Die junge Madlen, welche von allen nur Mimi genannt wurde, war erst seit zwei Wochen im Haus der Baronin tätig. Mit ihren 12 Jahren erinnerte sie Kira an ihre Anfänge. Sie war etwas jünger gewesen, als sie das erste Mal dieses pompöse Haus betrat und keine Ahnung davon hatte, was es hieß, eine Dienerin zu sein. In den darauffolgenden Wochen musste sie lernen, wie man Adlige bediente, einen Hofknicks ausführte und sich möglichst unsichtbar machte. Obwohl sie, im Gegensatz zu Mimi, über eine schnelle Auffassungsgabe verfügte, fand Marianne immer etwas zu kritisieren. Im Unterschied zu heute hatten ihr früher die Nörgeleien sehr zugesetzt und sie oft zum Weinen gebracht. Diesen Erniedrigungen wollte sie Mimi um keinen Preis aussetzen. *** Der oberste Stadtvorsteher saß in einem schwarzen Anzug mit lilafarbigen Applikationen an einer langen mahagonifarbenen Tafel. Neben ihm saß eine wunderschöne langhaarige Frau, die ebenfalls mit einer edlen violetten Robe gekleidet war. Reste des eingenommenen Frühstücks standen noch auf dem Tisch, die gerade von zwei Dienerinnen leise und rasch abgeräumt wurden. Jeffrey, ein großgewachsener junger Mann im Alter von 23 Jahren, stand mit bebendem Oberkörper neben dem Tisch und taxierte seinen Vater wutentbrannt. Er besaß hohe Wangenknochen und kurze braune Haare, welche die Verwandtschaft zu seinem Gegenüber unmöglich ausschlossen. Jeffreys Kleidung war ebenfalls schwarz mit violetten, eingenähten Einsätzen, aber nicht so prunkvoll wie die seines Vaters. Wütend drückte er seine zu Fäusten geballten Hände so stark zusammen, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sein Gesicht war vor Wut rot gefleckt. Der oberste Stadtvorsteher grinste hämisch und musterte seinen Sohn mit einem abschätzigen Blick. »Du bist wirklich enttäuschend, Sohn!« Das letzte Wort betonte er besonders abwertend. Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Denkst du etwa, es würde deine Energie erhöhen, wenn du die Gefangenen aussaugst?« Die Frau neben ihm kicherte amüsiert. Jeffrey sah sie vernichtend an, was sie aber mit einem kalten, geringschätzigen Blick quittierte. »Du vergisst dabei etwas Schwerwiegendes!« Der Vater stand auf und ging langsam auf ihn zu. Er wirkte majestätisch und man konnte seinen hohen Status allein schon an seinen Gang erkennen. »Die Gefangenen gehören mir und du vergreifst dich an meiner Ware!« Mit einer kurzen, schnellen Bewegung seiner Finger beförderte er Jeffrey an die dahinterliegende Mauer, wo er mit einem lauten Knall gegen die Wand prallte. Stöhnend rappelte er sich gleich darauf wieder hoch und warf seinem Erzeuger einen vernichtenden Blick zu. »Über Jahre hast du dich an ihnen bereichert«, sprach der Stadtvorsteher mit fester Stimme weiter und ging dabei durch den Raum. »Denkst du wirklich, ich wäre so dumm und hätte es nicht bemerkt?« Er sah zu seiner Frau hinüber. »Ich wollte dich dafür züchtigen, doch meine treue Gemahlin war da anderer Meinung.« Er lächelte boshaft. »Die Idee, aus dem Ganzen ein Spiel zu machen und zu schauen, was du mit meiner Ware anstellst, kam von deiner Mutter.« »Stiefmutter!«, zischte Jeffrey schäumend vor Wut. Der Stadtvorsteher ging mit schnellen Schritten auf seinen Sohn zu und legte ihm seine starke Pranke ans Kinn. »Wage es nie wieder, mich zu unterbrechen! Wenn ich spreche, dann hast du gefälligst deinen Mund zu halten!« Er schrie laut und ließ seinen rasenden Zorn durch den Raum donnern, dass das Inventar erzitterte. Jeffrey presste die Lippen zusammen und funkelte wutentbrannt seinen Vater an. Er stand kurz vor dem Explodieren. »Ich weiß, du denkst, wenn du ihre Fähigkeiten raubst, würde es dich irgendwann stärker machen. Doch das wird nie geschehen!« Der Stadtvorsteher musterte ihn herablassend. »Ich muss zugeben, es bereitete mir all die Jahre eine perfide Freude, dieses Spiel zu beobachten. Zu sehen, wie du süchtig nach ihrer Energie wurdest und ungezügelt deiner Gier nachgabst. Du bist wie ein Junkie, der die nächste Dröhnung braucht.« Jeffreys Stiefmutter kicherte abfällig. »Aber nun ernsthaft, Jeffrey.« Sein Vater lächelte belustigt. »Bist du wirklich der Meinung, du könntest mit deren Kraft irgendwann stärker werden als dein alter Herr? Ist es das, was du damit bezweckst, indem du sie bis zum letzten Tropfen aussaugst?« »Wer weiß?«, fauchte Jeffrey wütend zwischen zusammengepressten Zähnen. Sein Vater schnalzte abwertend mit der Zunge. »Du willst ausgerechnet mir das Wasser reichen?« Er lachte kurz auf, machte dann aber eine erneute Bewegung mit den Fingern, worauf sich sein Sohn keuchend an die Kehle griff und nach Luft rang. »Du bist eine Null, Jeffrey! Du warst immer ein Nichtsnutz und wirst es immer bleiben! Du bist kein fähiger Hexer, sondern ein verwöhnter, größenwahnsinniger Junge, der nicht einmal seinem Vater gewachsen ist!« Er machte nochmals eine Bewegung, wodurch Jeffreys Gesicht rot anlief und er laut japste. »Diese Stadt braucht keinen jähzornigen Junkie wie dich!« Er trat näher zu seinem Sohn, um ihm ins Ohr zu flüstern. »Also benimm dich, oder ich werde derjenige sein, der dich aussaugt!« Er machte eine erneute Bewegung mit den Fingern, wodurch sich sein Zauber auflöste. Keuchend beugte sich Jeffrey vor, um neuen Sauerstoff in seine Lungen zu saugen. »Mylady?« Der Stadtvorsteher streckte charmant die Hand nach seiner Gattin aus, die ihm entgegenkam und ihm ihre zarten Finger reichte. Er gab ihr einen galanten Handkuss und führte sie mit einem letzten, verächtlichen Blick auf seinen nach Luft japsenden Sohn aus dem...




