Benz | Vom Vorurteil zur Gewalt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Benz Vom Vorurteil zur Gewalt

Politische und soziale Feindbilder in Geschichte und Gegenwart

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-451-82121-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Standardwerk zur Geschichte von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit  

Vorurteile und Stereotype gibt es seit Jahrtausenden. Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindschaft, Homophobie, Antiziganismus und andere Ausgrenzungen von Minderheiten sind langlebige, scheinbar nicht an Anziehungskraft verlierende Phänomene – aber warum? Der Zeithistoriker Wolfgang Benz zieht die Summe seines jahrzehntelangen Forschens und liefert eine einzigartige Gesamtdarstellung zur Geschichte von Vorurteilen, Klischees und Ressentiments entlang der Fragen:



- Wie entstehen und wie verändern sich Vorurteile, Ressentiments und Stereotype?

- Welche Feindbilder prägen die europäische Geschichte?

- Und wie entwickeln sich daraus Ausgrenzung und Gewalt?  

Wolfgang Benz erklärt Geschichte und Gegenwart eines höchst problematischen und hartnäckigen Phänomens. Ein Buch von größter Aktualität in Zeiten des wachsenden Extremismus weltweit und ein Standardwerk zur Geschichte von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
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Prolog: Vorurteil – Ressentiment – Feindschaft
Die Corona-Pandemie ist auch ein Lehrstück sozialen Verhaltens. Auf die Einschränkungen ihrer Lebensqualität haben erboste und von Ängsten geplagte Bürger mit der Beschimpfung von Menschen asiatischen Aussehens als »Schuldige« reagiert. Die einheimischen Bewohner von Feriengebieten an der Ostsee haben Auswärtige, auch wenn sie den größten Teil des Jahres auf eigenem Grund am Rand des Dorfes verbringen, sich akzeptiert und integriert fühlten, als »Fremde« erkannt und gebrandmarkt. Auf der Suche nach Schuldigen haben Verschwörungstheorien im Internet Konjunktur und selbsternannte Sachverständige wie ein Koch veganer Observanz, ein durchgeknallter Schauspieler oder ein Sänger erklären einem willigen Publikum entweder, dass es die Pandemie gar nicht gibt, oder wer sie über uns gebracht hat, wahlweise z. B. Bill Gates oder der jüdische Philanthrop Soros. Dass »die Juden« die Drahtzieher des Übels sind, steht für viele seit dem Mittelalter fest, als sie durch vergiftete Brunnen die Pest ausgelöst haben sollen. Wenn es nicht doch, wie andere vermuten, die Muslime waren. Vielleicht auch Roma, oder dass, je nach der Region, andere »Schuldige« an einem Übel zu stigmatisieren und auszugrenzen sind, Uiguren, Rohingyas, Kurden, Yeziden oder beliebige andere Minderheiten. Die Suche nach den Schuldigen an einer Katastrophe oder unglücklichen Zuständen und deren Fortdauer setzt immer die Gewissheit der eigenen Unschuld voraus. Das erklärt zu einem Teil auch den Zulauf zu den – überaus berechtigten – Protesten gegen den Rassismus, den schwarze Bürger der USA seit Jahr und Tag erfahren. Wenn Rassismus in rabiater Polizeigewalt kulminiert und Antirassisten in aller Welt im Juni 2020 dagegen protestieren, ist vom deutschen Alltagsrassismus nicht die Rede, obwohl auch hier die Ordnungsmacht gegenüber Farbigen anders reagiert als gegenüber Weißen. Judenfeindschaft ist für viele nur noch als vermutetes Attribut muslimischer Bürgerkriegsflüchtender vorstellbar, den autochthonen Antisemitismus in den eigenen Reihen wollen sie nicht bemerken. Die Feindschaft gegen den Islam hat ähnliche Wurzeln wie der Hass gegen Juden. Das zu akzeptieren und die Konsequenzen zu ziehen, nach denen keine Minderheit diskriminiert werden darf, fällt schwer. Nicht nur in Deutschland, wo aus der Geschichte zu lernen wäre. Ressentiments sind auch in anderen Kulturen der Kitt nationalen, religiösen, zivilisatorischen Selbstbewusstseins. Die Aversion gegen Muslime, die Hindus praktizieren, angeleitet von einer Regierung, die Indien als reinen Hindustaat neu gestalten will, in dem Muslime Bürger minderen Rechtes wären, hat eine lange Geschichte. Die Teilung des kolonialen indischen Subkontinents 1947 in zwei unabhängige Staaten, das muslimische Pakistan und das hinduistische Indien, hat durch einen »Bevölkerungsaustausch«, d. h. durch Flucht und Vertreibung, mehr Probleme geschaffen als gelöst. Die größte Demokratie der Erde, das so lange wegen praktizierter Toleranz und Friedfertigkeit gelobte Indien, droht seiner Tugenden verlustig zu gehen, wenn es die Ausgrenzung von »Anderen« zum Staatsziel erhebt. Das geschieht derzeit auch in Myanmar gegenüber den Rohingyas, die unter den Parolen buddhistischer Mönche zu »Fremden« erklärt sind. Ausgrenzung hat auch in der Türkei gegenüber den Kurden eine lange und unheilvolle Tradition und sie wird in der Volksrepublik China aus Staatsräson gegen die Minderheit der Uiguren praktiziert. Gespeist durch Ressentiments, die ethnisch, religiös, kulturell oder sozial begründet sind, werden Ängste und Gefühle des Bedrohtseins stimuliert und Demagogen finden sich, die im Gewand der politischen Lichtgestalt Erlösung von nationaler Schmach versprechen und der Befreiung von fremder Herrschaft die Wege weisen zur glücklichen Zukunft oder die als Propheten kostümiert, das Böse erkannt zu haben meinen und versprechen, es mit Stumpf und Stiel zum Heil der Guten auszurotten. Die Hasspredigt, die zur Tat ruft, bedient Vorurteile und rührt an die latente Bereitschaft zur Gewalt, die uns allen innewohnt. Der Völkermord an den Armeniern, inszeniert von Politikern des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg war, wie zuvor der Genozid an den Hereros unter deutscher Kolonialherrschaft, nur ein Vorspiel zum Judenmord, den Hitlerdeutschland in der Mitte des 20. Jahrhunderts beging. Vorausgegangen war dem Holocaust die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland unter der Ideologie des Antisemitismus, die zentraler Teil der Staatsdoktrin war. Gegründet auf jahrhundertealte zuerst religiöse, dann auch rassistische Vorurteile wurden die Juden erst diskriminiert, dann ausgegrenzt und verfolgt, schließlich ermordet. Das Zusammenspiel von Ressentiments mit dem von Demagogen geschürten Hass gegen die stigmatisierte Minderheit, die von Staats wegen geübte Gewalt und deren Hinnahme durch die Bürger – durch Billigen, durch Wegsehen, durch Mitwirken – hatte im Judenmord 1941–1945 singuläres Ausmaß. Deshalb hat der Holocaust auch paradigmatische Funktion für die Erklärung des mörderischen Zusammenhangs von Vorurteilen (die aus Stereotypen, Klischees, Zuschreibungen an Minderheiten gebildet sind) mit Ideologie und Gewalt. Entgegen der nach Gewaltexzessen schnell und gern verbreiteten Annahme, die Opfer seien durch provokatives Verhalten, durch ihre mit der Lebensweise der Mehrheit nicht vereinbare Eigenart, aufgrund ihrer Religion, ihrer primitiven Lebensweise, der Verweigerung bestimmter Lebensart selbst an ihrem Unglück schuld, muss die Ursachenforschung in der Mehrheitsgesellschaft beginnen. Warum brauchen wir Vorurteile zur Begründung unserer Abneigung gegen Fremdes? Wie entstehen aus Ressentiments Feindbilder, die individuell und kollektiv als Hass agiert werden, der sich zur Massengewalt, zum Krieg und zum Völkermord steigert? Ressentiments bilden sich aus vielen Ingredienzen. Überliefertes »Wissen« über »Zigeuner« oder Juden, das sich über Generationen vererbt hat, das religiöse oder abergläubische Wurzeln haben mag oder aus dem Hörensagen von angeblichen Gewohnheiten der »Fremden«, aus Märchen und Legenden zusammengeflossen ist, gehört vor allem dazu. Christlicher Glaubenseifer hat gegenüber Juden und Muslimen im Lauf der Jahrhunderte manchen Schaden angerichtet. Nicht nur Martin Luther hat gegen Andersgläubige gewütet, seine katholischen Feinde wie der Theologe Johannes Eck standen ihm mit antijudaistischer Hetze in nichts nach. Gerüchte sind Verwirrten stets die bessere Wahl als die Wahrheit und Ideologen fördern ihre Sache mit angeblichen Tatsachen, die sie behaupten und wiederholen, bis sie geglaubt werden. Das digitale Zeitalter bietet ungeahnte neue Möglichkeiten der Kreation und des Transports von Gerüchten, Falschmeldungen, Unterstellungen. »Fake News« sind ein selbstverständliches Instrument bei der Verfolgung politischer, ökonomischer, sozialer Ziele geworden. Vorurteile, genährt aus der Religion der Auszugrenzenden, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, die immer noch als »Rasse« von minderem Wert erklärt wird, oder ihrer Kultur, die als Gefahr für die Mehrheit verstanden und als Feindkonstrukt eingesetzt wird, sind Triebkräfte der Gesellschaft und bestätigen deren Selbstverständnis. Zum Verständnis der Welt, zur Erklärung von Katastrophen, zur Beschwichtigung von Ängsten, zur Bestätigung des Gefühls der Ohnmacht angesichts des Waltens »geheimer Mächte« entstehen Verschwörungstheorien. Sie sind so unsinnig wie die »Protokolle der Weisen von Zion« und deshalb so wirkungsvoll, weil sie jenseits der Gesetze der Logik angesiedelt und deshalb für rationale Argumente unerreichbar sind. Für das Verhältnis von Ressentiment und Gewalt spielen sie eine überragende Rolle. Das macht sie so gefährlich wie der obsessive Fundamentalismus, der die gleiche Klientel bedient: Menschen, die ihrem Argwohn den Vorzug vor dem Gebrauch des Verstandes geben und für schlichte Welterklärungen, für bedingungsloses Freund-Feind-Denken und für obskure Heilserwartungen empfänglich sind. Die Radikalisierung solchen Denkens, besser Fühlens, lässt sich politisch instrumentalisieren wie im Rassenwahn des Nationalsozialismus oder im religiös ideologisierten Dschihadismus der islamistischen Bewegungen Al-Qaida und »Islamischer Staat« mit ihren vielfachen Verzweigungen. Die Radikalisierung erfolgt aber auch als individueller Prozess der Enthemmung latenter Gewaltbereitschaft. Die Akteure von mörderischem Hass, der in Vorurteilen gegen »Andere« gründet, die in Oslo und Charleston, in Pittsburgh oder Christchurch, in Halle und Hanau zu Massenmördern wurden, sind trotzdem keine »Einzeltäter«, wie der Polizeibericht und lokale Medien im ersten Schrecken gerne verkünden. Sie gehören zum Geflecht aus Vorurteil, Feindkonstrukt, Ausgrenzung und Gewalt, das lange Tradition hat, Fremdenfeindschaft und religiöse Intoleranz kultiviert, sozialpsychologischen Bedürfnissen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft entspricht, Ängste kanalisiert und von Demagogen als Heilsbotschaft, als Verteidigung des...


Prof. Dr. Wolfgang Benz, geb. 1941, einer der renommiertesten deutschen Zeithistoriker, lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU. In seinen Forschungen und Veröffentlichungen beschäftigt sich Wolfgang Benz u. a. mit Vorurteilen und ihren Ausprägungen in Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.


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