Benwell | Es.Ist.Nicht.Fair. | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Benwell Es.Ist.Nicht.Fair.


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-446-25406-0
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-446-25406-0
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit der Diagnose ALS ist nichts mehr, wie es war, für den 17-jährigen Sora. Er wird sterben. Bald. Konfrontiert mit dieser Wahrheit sucht Sora nach einem Rest Selbstbestimmung und Würde. Einen geschützten Raum findet er in Chats im Internet. Hier findet er auch neue Freunde: die vom Zeichnen besessene Mai und den liebenswerten Kaito. Doch werden die beiden ihn auch noch mögen, wenn sie ihn richtig kennenlernen? Wenn sie alles über ihn wissen? Soras Gedanken kreisen immer konkreter um den Plan, wenigstens den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen. Nur dafür braucht er die Hilfe seiner Freunde. Eine bewegende Geschichte über Krankheit und Tod, aber auch über die Kraft wahrer Freundschaft.

Sarah Benwell lebt in Bradford Upon Avon und hat einen Magister für junges kreatives Schreiben an der Universiät von Bath Spa gemacht. Neben ihrem eigenen Schreiben gibt sie Schreibworkshops für Teenager und ist auf vielen Online-und Social Media-Plattformen aktiv. Mit über 5000 Followern auf den Seiten, auf denen sie schreibt und chattet, ist sie 'eine bekannte Online-Persönlichkeit'. Es.Ist.Nicht.Fair. (2016) ist ihr Debüt.
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1


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Was wärst du, wenn du sein könntest, was du willst?

Ich starre auf den blinkenden Cursor oben auf der Seite.

Was ich gern wäre?

Es gibt so viele Möglichkeiten: ehrlich, lustig, mutig. Ein Superheld mit einer tragischen Vergangenheit und einer glänzenden, geheimnisvollen Zukunft, mit übermenschlichen Kräften und telekinetischen Fähigkeiten. Ich könnte alles sein und sie würden die Wahrheit nie erfahren.

Das ist ja wohl auch das Problem: Ob Kinderschänder, Mörder oder Hochstapler – im Internet kann man sich allzu leicht verstecken. Ich finde das gut.

Ich tippe »Samurai« in das erste Kästchen. Dann halten meine Finger auf der Tastatur inne. Ich denke zu viel darüber nach, klar, aber es muss stimmen. Alle diese Kästchen zusammengenommen ergeben ein Bild: ein Bild von mir.

Außerhalb des Computers sieht niemand mehr Abe Sora. Alle sehen nur den Jungen, der komisch aussieht, den Jungen, der nicht gehen kann, den Jungen, der Hilfe braucht.

Den Jungen, der sterben wird.

Zuerst dachten alle, die Schmerzen in meinen Beinen kämen von einer Grippe, aber dann wurden meine Muskeln immer schwächer und eines Tages klappte ich auf dem Baseballfeld zusammen. Meine Beine trugen mich einfach nicht mehr. Die Untersuchungen zogen sich gefühlt eine Ewigkeit hin. Niemand wusste, was mir fehlte. Sie untersuchten mich und untersuchten mich und stellten mir zig Millionen Fragen. Jede Hypothese erwies sich als falsch, eine Erkrankung nach der anderen wurde von der Liste gestrichen, bis sie die Diagnose endlich gefunden hatten.

Wir hatten die Tür noch nicht ganz geöffnet, da wusste ich es schon. Der Arzt deutete mit einem so ernsten Gesicht auf die leeren Stühle, dass es mir klar war. Man sagt, ein Krieger müsse immer mit dem Tod rechnen, aber ich hätte nie gedacht, dass er mich so finden würde: in einem weißen Raum mit surrenden Neonröhren.

»Die gute Nachricht ist, dass wir eine Diagnose haben«, sagte der Arzt leise. »ALS. Amyotrophe Lateralsklerose.«

Meine Mutter schob ihren Stuhl ein bisschen näher heran, legte ihre Finger über meine geballte Faust und sagte dann langsam und bedächtig: »Was ist das?«

»Das ist die schlechte Nachricht.« Der Arzt seufzte und schaute auf einen Punkt zwischen uns, als könnte er es nicht ertragen, uns anzusehen.

Ich erinnere mich, dass ich dachte: Ist das, was ich habe, so schrecklich, dass er es nicht einmal beschreiben kann? Erkrankt er selbst auch, wenn er mich nur anschaut? Und ich stellte mir vor, wie Bazillen aus meinen Fingerspitzen strömten und alles verseuchten, was ich berührte. Ich wollte meine Hände aus Mamas Griff lösen, aber ihre Finger waren steif vor Angst.

Ich warf einen Blick zu ihr hinüber und beobachtete, wie ihre Augen im Gesicht des Arztes verzweifelt nach Hinweisen suchten. Sie sah müde aus. Das bemerkte ich an diesem Tag zum ersten Mal. Seither ist sie immer müde.

»ALS ist sehr selten«, fuhr der Arzt fort. »Deshalb hat es mit der Diagnose so lange gedauert. Normalerweise findet man diese Erkrankung nicht bei einem Jungen im Alter Ihres Sohnes.«

Meine Mutter wartete nicht, bis er weitersprach, sondern sagte mit gehetzter, verzweifelter Stimme: »Aber was ist es?«

Der Arzt schaute über meine rechte Schulter, während er die Symptome herunterbetete. Er benutzte komplizierte Wörter wie Atrophie, Faszikulationen und Neurodegeneration, die mir nichts sagten, und sprach in einem Ton, der wohl beruhigend klingen sollte.

Seine Wörter brandeten mit voller Wucht gegen mich und schwappten dann wieder zurück wie Wellen vom Ufer. »Allmähliche Verschlechterung … eingeschränkte Beweglichkeit. Keine Aussicht auf Heilung … durchschnittliche Prognose zwei Jahre, in manchen Fällen auch mehr … oder weniger … Es tut mir leid.«

Keine Aussicht auf Heilung. Und seither bin ich, auch für meine Mutter, der Junge, der sterben wird.

Aber hier, hier kann ich alles sein.

Benutzername: Samurai

Tag: Pflanze bei Sonnenschein, lies bei Regen

Alter: 17

Geschlecht: Männlich

Interessen: Literatur, Geschichte, lesen, schwimmen, Baseball

Was wärst du, wenn du sein könntest, was du willst?

Was du willst?

Die Stimme meiner Mutter unterbricht meine Gedanken. Sie ruft: »Ich komme!«, während sie den Flur hinunterschlurft. Ich höre den Riegel und das leise Knarzen der Tür, höfliche Stimmen.

Wer ist das?

Ich schaue auf die Uhr, als stünde dort die Antwort, obwohl weder meine Mutter noch ich zurzeit viel Besuch bekommen. Es ist … schwierig. Peinlich. Niemand mehr mag etwas mit uns zu tun haben.

Ich lausche auf ein Zeichen, das mir sagt, wer die Besucher sein könnten: ein Husten, ein Lachen, der Rhythmus vertrauter Schritte. Nichts. Ich komme nicht drauf.

Ich wünschte, sie würden gehen.

Den Atem anzuhalten, wenn nur die geringste Aussicht auf Gesellschaft besteht, ist schon fast zum Ritual geworden. Sobald ich die Tür höre, das Telefon oder eine fremde Stimme, frage ich mich, wer jetzt wieder meine Schande mitbekommt. Wer mich anstarrt und nichts zu sagen weiß.

Endlich geht die Tür zu und die leisen Schritte meiner Mutter bewegen sich durch den Flur zurück. Ich lehne den Kopf an den Monitor meines Computers und stoße einen langen Seufzer der Erleichterung aus, während das kühle Glas seine Ruhe auf mein Gesicht überträgt. Sie sind weg. Ich bin in Sicherheit.

»Sora?« Mutter klopft an die Tür.

»Hmmm«, stöhne ich auf und drehe das Gesicht zur Tür. Die Kälte des Glases verschiebt sich ein bisschen. Ich stelle mir vor, dass die Kälte ein Eisberg ist, dass ich mich ganz allein in einer Einöde aus Eis befinde, wo alles klar und frisch und ruhig ist. Aber ich bin nicht dort. Meine Mutter spricht weiter.

»Sora, deine Freunde sind da. Dürfen wir reinkommen?«

»Wir?« In Panik richte ich mich auf und schiebe mich von meinem Schreibtisch weg. Auf einmal wird mir bewusst, wie klein mein Zimmer ist und wie aufdringlich groß die Räder meines Rollstuhls. Ich kann mich unmöglich hier verstecken.

Wer besucht mich unangemeldet? Ich hatte in der Schule eigentlich keine echten Freunde, eher Bekannte. Leute, mit denen man im Klassenzimmer rumalbern konnte, aber niemand Spezielles. Ich war gern allein und zog die Stille der Bibliothek vor, besonders in den letzten Monaten.

»Sora?«

Ich knurre und die Tür geht leise auf. Meine Mutter lächelt mich an, tritt beiseite und führt Tomo herein, den Kapitän der Baseballmannschaft unserer Schule, und ein Mädchen, das ich vielleicht auf dem Flur der Schule mal gesehen habe, mit einem Cello-Kasten auf dem gebeugten Rücken. Ich betrachte sie mit zusammengekniffenen Augen. Ja. Kurz bevor ich die Schule verließ, sorgte sie für Unruhe, weil sie ihr erstes Pult im Orchester aufgab, um eine Rockband zu gründen. Sie sehen merkwürdig aus, wie sie so nebeneinanderstehen: klein und groß, rebellisch und adrett, die Musikerin und die Sportskanone, aber sie klammert sich fest an ihn.

Was machen die beiden hier? Keiner von beiden war jemals bei mir zu Hause gewesen. Wir sind nicht befreundet. Wir haben kaum einmal miteinander gesprochen.

Sie bleiben einen Augenblick in der Tür stehen und schauen sich kurz an. Ich verstehe: Sie mussten kommen. Keiner von ihnen möchte mit mir allein sein. Dem Krüppel. Dem Kranken. Dem Todgeweihten.

»Hi«, sage ich.

»Hi«, antworten sie gleichzeitig, treten aber immer noch nicht über die Schwelle.

Einen Augenblick lang schauen wir uns einfach an, bis ich es nicht länger ertrage.

»Kommt rein und fühlt euch wie zu Hause.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

Sie kommen näher, einen Schritt, zwei Schritte.

»Das ist Reiko.« Tomo schüttelt ihre Hand ab.

Ich zeige auf das Bett mit seinen ordentlich umgeschlagenen gefalteten Laken. Reiko setzt sich und spielt nervös mit ihren Haaren, Tomo dagegen geht auf und ab und schwingt die Arme, als ob er sich aufwärmen würde.

Er bleibt stehen und betrachtet die Wand über meinem Bett, das Poster von Katsuhiro Maekawa, dem Werfer der Tigers im Spiel gegen die Yankees 2004. Darunter das Regal mit meinem Fanghandschuh, dem silbernen Schläger aus der limitierten Auflage, den Ball, auf dem die Hälfte des aktuellen Teams unterschrieben hat. Und meine Autogrammkarten. Die meisten sind ordentlich nach Mannschaft und Saison in Ordnern verstaut. Eine jedoch, mit dem Gesicht von Yoshio Yoshida, steht einsam auf dem Regal und schaut mich an. Es ist ein Duplikat. Auch Yoshio ist zusammen mit seiner Mannschaft sicher in einem Ordner abgelegt, aber mir gefällt die Vorstellung, dass er über mich wacht.

»Wow!« Tomo zeigt mit dem Kopf auf den Ball, der den Platz neben Yoshio einnimmt. »Ist das in der Mitte ein Autogramm von Tomoaki?«

Ich nicke. Die Unterschrift ist kaum erkennbar, krakelig und mit der linken Hand geschrieben. Tomoaki Kanemoto hatte lächelnd den Ball für mich signiert, obwohl er die ganze Zeit mit einem Meniskusriss gespielt hatte. An diesem Tag lernten alle...


Mihr, Ute
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Benwell, Sarah
Sarah Benwell lebt in Bradford Upon Avon und hat einen Magister für junges kreatives Schreiben an der Universiät von Bath Spa gemacht. Neben ihrem eigenen Schreiben gibt sie Schreibworkshops für Teenager und ist auf vielen Online-und Social Media-Plattformen aktiv. Mit über 5000 Followern auf den Seiten, auf denen sie schreibt und chattet, ist sie „eine bekannte Online-Persönlichkeit”. Es.Ist.Nicht.Fair. (2016) ist ihr Debüt.



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