E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Benni Prendiluna
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8031-4261-0
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-8031-4261-0
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Stefano Benni, geboren 1947 in Bologna, ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller Italiens. Seine Bücher erreichen dort Millionenauflagen und werden in viele Sprachen übersetzt. Bei Wagenbach erschienen u.a. »Die Bar auf dem Meeresgrund«, »Geister«, »Komische erschrockene Krieger«, »Terra!«, »Der Zeitenspringer«, »Brot und Unwetter«, »Von allen Reichtümern« und zuletzt »Die Pantherin«.
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3 Der freundliche Fahrer
Von der Bushaltestelle aus sah man in ein verkümmertes Tal. Die niederträchtige Gallwespe und der heimtückische Smog hatten jahrhundertealte Kastanien zu Fall gebracht und Obstgärten erstickt. Doch der goldene, sonnendurchtränkte Nebel war der Gleiche wie viele Jahre zuvor, wie an jenem Morgen, als Prendiluna für ihre erste Stelle als Lehrerin das Haus im Wald verlassen hatte, um in die Stadt zu fahren.
Damals hieß das nützliche Gefährt Überlandbus, war blau, quietschte und hatte knubbelige Sitze. Aus den Tüten der Fahrgäste schauten Hühnerbeine und Käseköpfe heraus. Jetzt hieß es Stadtbus und war ein roter Drache mit Antennen und luxuriösem Inneren in Perlgrau, und es gab sogar eine Steckdose, damit man sein Handy aufladen konnte.
Einst fuhr man von dieser Haltestelle über sieben Serpentinen ins Tal, dann schlängelte sich die Straße kurvenreich zwischen Stille und Kirschbäumen entlang. Jetzt ging alles schneller: Nach einem Kilometer Sturzflug fuhr man auf die Schnellstraße durch die Metroprovinz, jener seltsamen Mischung aus kleinen Häuschen und Lagerhallen, Gemüsegärten und Supermärkten, Tankstellen und Reklameschildern, die den Fortschritt bezeugte. In nur zwei Minuten gelangte man von der Brunnen- und Kaminkultur in die wunderbare Welt der Großstadt. Die alte Dame konnte nicht sagen, ob all das besser oder schlechter war. Vor sechzig Jahren hatte sie mehr Hoffnungen gehabt, allerdings in einem eiskalten Bett geschlafen. Wofür sollte man sich entscheiden, für die Träume oder für eine Heizung?
Eine Amsel flog nah an ihr vorbei und bewegte ihren Schwanz, als wollte sie sie umwerben. Als junge Frau war Prendiluna eine zerzauste Brünette gewesen, die auf dem Fahrrad allen Männern des Orts die Stirn bot. Ihr Hintern war Gegenstand von Kommentaren und Aufmerksamkeiten, und wenn es bergauf ging, fand sie sich seltsamerweise immer an der Spitze des Feldes wieder. Jetzt war sie bucklig und versilbert, aber immer noch eine strahlende herzkranke und abenteuerlustige Siebzigjährige. Der Bus kam, und sie hob eine Hand, um auf sich aufmerksam zu machen, denn das war immer noch ein Bedarfshalt.
Ein freundlicher Fahrer lächelte ihr zu und hielt an.
Prendiluna hatte einen großen Rucksack und einen riesigen Rollkoffer mit vier geheimnisvollen Löchern. Sie trug all ihre Kleider übereinander. Als sie einstieg, musterten die anderen Fahrgäste sie.
»Signora, soll ich Ihren Koffer in den Gepäckraum laden?«
»Nein, danke, ich behalte ihn bei mir … darin ist etwas sehr Wertvolles.«
»Goldbarren?«
»Nein. Acht Katzen à drei Kilo und zwei Riesenkatzen, zusammen also um die fünfunddreißig Kilo«, sagte die Alte.
Der Fahrer lachte.
»Und die bleiben schön brav da drin?«
»Ich habe ihnen falsche Hoffnungen gemacht«, gestand sie, »ich habe behauptet, wir fahren nach Polynesien.«
Aus dem Koffer kam ein vielstimmiges, enttäuschtes Miauen.
»Kopf hoch, meine verehrten Miezen«, sagte der freundliche Fahrer, »die Fahrt dauert nur eine Stunde.«
Er war ein braungebrannter Riese mit Schnauzbart und sprach mit ausländischem Akzent. Ein kirchlich verheiratetes Paar Trumpiane, das ein und dasselbe Hohnlächeln zur Schau trug, als hätten sie nur einen Mund, schaute ihn hasserfüllt an. Der Trumpian zischte:
»Geht’s bald mal weiter?«
»Wir sind hier nicht bei Ihnen zuhause, hier wird gearbeitet, hier werden Fahrpläne eingehalten«, sagte die Trumpine.
Der freundliche Fahrer seufzte und setzte sich ans Steuer. Am Innenspiegel baumelte der Wimpel einer berühmten Fußballmannschaft.
»Jetzt wollen sie uns auch noch den Fußball wegnehmen«, sagte der Trumpian. »Haben Sie keinen verdammten F.C. Lumumba, dem Sie zujubeln können?«
»Hoffen wir mal, dass er wenigstens fahren kann«, sagte sie. »Ausgerechnet einen Negerfahrer mussten wir erwischen!«
»Der ist kein Neger«, behauptete er, »der ist Marokkaner, Tunesier, Jemenit, einer von diesen Terroristensamenschleudern jedenfalls.«
Während seiner Hasstirade hatte er sich beifallheischend Prendiluna zugewandt.
Prendiluna antwortete nicht. Sie setzte den Gesichtsausdruck einer vertrottelten Alten auf.
trällerte der Fahrer ein Lied von Adriano Celentano und fuhr fröhlich los.
»Sogar die Lieder nehmen sie uns weg«, zischte die Trumpine.
Aus dem Koffer kam ein schmerzverzerrtes Miauen. Eine der Miezekatzehn, Emily, vertrug das Autofahren nicht. Sie litt an Motorfahrzeugblähungsbeschwerden. Aus einem Loch schaute erst ein verdrehtes blaues Auge hervor, dann ein Schwanzende. Und im Bus verbreitete sich ein starker Geruch nach verwestem Katzenfutter.
Vom Sitzplatz hinter der Alten sagte ein pickeliger Jugendlicher mit Balotelli-Frisur, Totenkopf-Sweatshirt und einer displayphilen kleinen Vampirsfreundin:
»Is da etwa Käse drin?«
»Nein … ich habe meinen Mann umgebracht«, lachte die Alte.
»Cool«, sagte die kleine Vampirin, ohne vom Handy aufzuschauen.
Da musste der freundliche Fahrer das Lenkrad herumreißen, um einem displayphilen Amokfahrer auszuweichen, der in der Kurve Pokémon fing.
»Hören Sie mal, wie heißen Sie überhaupt, kann ja sein, dass ihr bei euch zuhause immer schön geradeaus durch die Wüste fahrt, aber hier gibt es Kurven … entweder Sie fahren anständig, oder wir werden keine Freunde«, sagte der Trumpian.
»Wahrscheinlich hat er nicht mal einen Führerschein«, argwöhnte halblaut die Trumpine.
Der freundliche Fahrer setzte ein plombenstrahlendes Lächeln auf und antwortete warmherzig:
»Mein Name ist Ervad, ich komme aus einem Land mit vielen Bergen und habe einen Führerschein der Klasse D, der vollkommen ausreichend und geeignet für meine Rolle als Automedon ist.«
»Sie klauen uns sogar unsere Kultur«, sagte der Trumpian zähnefletschend.
»Was ist ein Automerdon?«, fragte sie. »Ist das was Ansteckendes?«
Da kam aus dem Koffer Katzenkampfkrawall, soll heißen der Protest der zusammen mit Emily eingepferchten Miezen, weil erstere ihrem Unwohlsein weiterhin gasförmigen Ausdruck verlieh.
Ein Mann mit Schnauzbart und hochrotem Kopf, der noch trumpiger war als das Ehepaar, stand auf und sagte:
»Man darf keine Tiere mit in den Bus nehmen, werstinktdennhierso! Herr Fahrer, verweisen Sie diese …«
»Genau«, sagte eine ebenfalls schnurrbärtige, aber blasse Frau, »man darf Tiere nicht so eng eingepfercht transportieren.«
»Ich bitte um Entschuldigung. Das sind meine Katzen, wir sind gleich da«, antwortete Prendiluna.
Eine talkshowartige Rauferei brach los. Auf der einen Seite die Tierschützer, auf der anderen die mit Katzenphobie und die Trumpiane, in verschiedenen Abstufungen von Empörung bis Wut und auch mit abweichenden Vorschlägen.
»Jagen wir sie zum Fenster raus!«
»Arme Kätzchen!«
»Wir sind arm dran, nicht die Kätzchen!«
»Besser eine stinkende Katze als ein parfümierter Mann!«
»Sie sind still, Sie Veganerin, Sie!«
»Ich schlage vor«, sagte ein junger Mediator, »dass die Dame im Bus bleibt, aber nach hinten geht, und wir uns nach vorne setzen.«
»Ich schlage vor«, sagte die Trumpine, »die Alte in den Graben zu werfen.«
»Und den Fahrer gleich mit«, sagte der Trumpian, »ich fahre.«
Zum Glück erwies sich der freundliche Fahrer als streng und zugleich konstruktiv:
»Meine Damen und Herren«, sagte er, »auch wenn ich die verschiedenen Meinungen und legitimen Abneigungen respektiere, muss ich Ihnen doch mitteilen, dass ich keine Lösungen akzeptiere, die auf eine Abschiebung hinauslaufen, in diesem Bus habe ich die Verantwortung und das Kommando. Ich nehme den Koffer zu mir, öffne das Fenster und bitte Sie um Geduld, das Ziel ist nur wenige Minuten entfernt, und ich bin sicher, dass diese kleine Unannehmlichkeit auszuhalten ist. Wir bedanken uns für Ihre Reise mit der Autobuslinie Fastbus Ervad und würden uns freuen, Sie bald wieder als unsere Fahrgäste begrüßen zu dürfen.«
»Einen Scheiß werd’ ich«, sagte der hochrote Supertrump, »ich lass mich doch nicht von einem Asylanten herumkommandieren. Ich werde Beschwerde einlegen und lass Sie nach Hause zu den Kamelen zurückschicken.«
»Rassist«, rief die kleine Vampirin.
»Ich polier dir gleich die Fresse mit deinen ganzen Piersings, du Junkie«, sagte der Supertrump versöhnlich.
Fast wäre die nächste Rauferei losgebrochen, doch Prendiluna, gewohnt im Umgang mit undisziplinierten Klassen, baute sich mit ihren Ein-Meter-Vierundsechzig auf und...




