E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Reihe: Die-Hana-Westerman-Serie
Bennett Tote Bucht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-32973-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Reihe: Die-Hana-Westerman-Serie
ISBN: 978-3-641-32973-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hana Westermann hat ihren Dienst eigentlich quittiert, doch als sie in den Dünen von T?t? Bay auf ein Skelett stößt, löst das etwas in ihr aus. Vor 21 Jahren wurde an derselben Stelle schon einmal die Leiche einer jungen Frau gefunden. Der Fall war einer der Gründe, weshalb Hana sich dazu entschieden hat, Polizistin zu werden. Ist es ein Nachahmer oder handelt es sich vielleicht sogar um denselben Täter? Je mehr sie über den Fall herausfindet, desto mehr Zweifel kommen ihr über die früheren Ermittlungen. Die Vergangenheit droht, Hana einzuholen - und sie kann niemandem vertrauen.
Michael Bennett (Ng?ti Pikiao, Ng?ti Whakaue) arbeitet als preisgekrönter Regisseur, Produzent und Showrunner für Film und Fernsehen in Neuseeland (Aotearoa). '6 Tote' ist der erste Fall für Detective Senior Sergeant Hana Westerman. In seinem Thriller-Debüt verknüpft Michael Bennett seine Leidenschaft für spannende Geschichten mit Fragen von Identität und Herkunft, die eng mit dem kolonialen Erbe seiner Heimat verbunden sind. Mit seiner Partnerin und seinen drei Kindern lebt Michael Bennett in Auckland (T?maki Makaurau).
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1
Die Götter Von Auckland
Ich werde mit jener Nacht beginnen.
Es war ein Samstag. Und die letzte Vollmondnacht in Auckland. Die Nacht, in der Dax mein Leben in einen Trümmerhaufen verwandelt hat. Die Nacht, die alles veränderte. Gibt es eigentlich ein Emoji für »Alles ist im Arsch«? Das sollte es.
Dax. So liebenswert. Aber was für ein Arschloch.
Er besitzt einen beschissenen alten Motorroller. Allerdings ist er ein lausiger Fahrer, und es ist gut, dass er nicht schnell genug fahren kann, um sich, mich oder sonst wen ernsthaft zu verletzen. Ich weiß zwar eine Menge über eine Menge Dinge, aber ich habe null Ahnung von Technik, es ist also reine Spekulation, dass von den vermutlich vier Zündkerzen seines Rollers nur eine funktioniert. Der Roller ist ein Mülleimer mit Lenker und zwei Rädern. Aber er liebt dieses Ding. Es sieht total bescheuert aus, wenn er auf seinem Roller mit dem qualmenden, rostigen Auspuff zu einer unserer »Youth at Risk«-Sitzungen aufkreuzt. Dazu dieses breite Grinsen in seinem hässlichen, aber attraktiven Gesicht. Versteht mich nicht falsch. Er sieht verdammt gut aus. Aber auf eine ungewöhnliche Weise. So könnte man es ausdrücken. Rothaarige sind den Leuten suspekt, aber ich steh nun mal auf Sommersprossen, blasse Haut und rote Haare. Gegensätze ziehen sich wohl an. Und seine Nase erinnert an eine antike Statue oder so was in der Art. Das heißt, sie ist groß. Ein wenig zu groß für sein Gesicht. Viel zu groß. Dax sagt, dass er damit besser atmen kann, was auch immer zum Teufel das zu bedeuten hat.
Ich finde, sie sieht würdevoll aus. Ich liebe sie. Als wir uns zum ersten Mal küssten, habe ich zuerst seine Nase geküsst.
Das einzig Gute an Dax’ beschissenem alten Roller ist dessen Name.
Die Götter von Auckland.
Das geht auf mein Konto.
Als ich noch zur Schule ging, ein paar Jahre bevor ich Dax kennenlernte, war ich fasziniert von den Atua. Den Göttern der Maori. Ich besuchte eine erstklassige Schule, und unter den fast siebenhundert Schülerinnen gab es höchstens eine Handvoll mit dunkler Haut wie mich. In jedem Halbjahr hat man uns etwas über die Kultur der Maori erzählt, weil das vermutlich im E-Mail-Newsletter einen ziemlich guten Eindruck machte. Ihr wisst schon: Diversität. In diesen paar Stunden brachte man uns die Grundlagen bei, wie Vater Himmel und Mutter Erde durch ihre Kinder getrennt wurden. Dass die Regentropfen, die vom Himmel fallen, die Tränen von Vater Himmel sind, der um seine bessere Hälfte weint. Dass der Nebel das betrübte Seufzen von Mutter Erde ist. Und dass in dem Raum zwischen Mutter und Vater die Kinder zu Göttern wurden. Da war Tane Mahuta, der Gott des Waldes und der Vögel, der sich seinem Vater entgegenstellte und die Eltern auseinanderriss. Und der Kriegsgott Tumatauenga und sein kleiner Bruder Rongo, der Gott des Friedens. Ich schätze, dass die beiden Geschwister sich nicht gut vertragen haben. Sie haben sich bestimmt die ganze Zeit gestritten, oder? Was die Frage aufwirft: Wie verhält sich der Gott des Friedens, wenn es hart auf hart kommt, wenn es bei einer handfesten Auseinandersetzung heftig zur Sache geht?
Anfangs fand ich diese ganze Götter-Nummer ziemlich schrecklich. Fast alle Schnitzereien von Maori-Göttern, die man auf Fotos sieht, zeigen Männer. Natürlich gibt es auch Göttinnen, aber die Männer bekommen die ganze Aufmerksamkeit. Welch Überraschung. Dann habe ich gründlich darüber nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass Götter in Wirklichkeit weder männlich noch weiblich sind. Wie kann der Wind ein Mann sein? Wie können die Sterne, der Wald, der Donner oder der Frieden in ihrer DNA ein X- und ein Y-Chromosom haben? Das hat sich nur irgendwer ausgedacht, so wie diese ganzen Maler beschlossen haben, dass Jesus, ein Typ aus dem Nahen Osten, der sich den ganzen Tag in der Sonne aufhielt, helle Haut und blaue Augen hatte. Sobald ich mir die Götter als geschlechtslos vorstellte, war ich von ihnen begeistert. Es gibt diesen einen Gott, Ruaumoko, das jüngste Kind, das noch im Leib der Mutter war, als die Eltern getrennt wurden. Er war so wütend über das Schicksal seiner Familie, dass er der Gott des Erdbebens wurde. Ruaumoko bedeutet »die zitternden Wellen, die die Erde verwüsten«. Außerdem bekam Ruaumoko den Job als Gott des Ta Moko. Ein Gott für Tätowierungen! Das ist großartig.
Eines Tages habe ich Dax von den Göttern erzählt. Er schnappte sich darauf eine meiner Spraydosen und sprühte auf das Schutzblech den Namen des Rollers. Die Götter von Auckland.
Ich liebe diese supercoolen geschlechtslosen Götter. Und ich liebe Dax.
Oder sollte ich sagen: »liebte«? Die Sache mit Vergangenheits- und Gegenwartsform ist etwas kompliziert für mich. Ihr werdet schon sehen. Ich brauche einen Korrekturleser.
Einerseits liebe ich Dax, andererseits hasse ich ihn. Ich hasse es, dass er an keinem Klamottenladen vorbeigehen kann, ohne sich in ein Hemd oder eine Jacke zu vergucken, und er das Kleidungsstück einfach klauen muss, nur um es einen Tag später wegzuwerfen, weil er festgestellt hat, dass es ihm eigentlich gar nicht gefällt. Ich hasse es, dass er seine Kippenpackung in seinen T-Shirt-Ärmel wickelt. Er hat das aus einem Film, den er mal gesehen hat, aus einem uralten Film namens Badlands. Mit diesem hübschen, sonderbaren, dürren Mädchen und diesem gut aussehenden Draufgänger. Der hatte auch immer eine Kippenpackung in seinen T-Shirt-Ärmel gewickelt. Dabei raucht Dax nicht mal gern. Aber er will ein Typ aus einem Film sein.
Was für ein Arschloch.
Aber … was ich an Dax liebe. Dass er den Menschen auf eine Weise in die Augen sieht, als würde er direkt in ihre Seele blicken. Dass er nett zu kleinen Kindern ist. Vielleicht weil zu ihm als kleines Kind nie jemand besonders nett war. Ich liebe es, dass Dax mich zum Ehrengott erklärt hat, nachdem ich ihm von den Atua erzählt hatte.
»Du hast keine normalen Augen. Maori haben keine grünen Augen. Du hast die Augen eines Gottes.«
Das mit den grünen Augen und den Maori stimmt übrigens nicht. Noch etwas, wofür ich mich in der Schule begeisterte: Biologie. Vererbungslehre, Allele und Gene. Meine leiblichen Eltern, beide Maori, hatten braune Augen. Wieso habe ich dann grüne? Ich habe einiges dazu gelesen und gegoogelt und bin meinem Biolehrer noch mehr als meinen anderen Lehrern auf den Wecker gefallen, bis ich es herausgefunden habe. Das ist absolut möglich. Der dominant-rezessive Erbgang ist sehr viel komplizierter, als man denkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich grüne Augen habe, ist nicht besonders groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwer, wenn er nicht Schwede, Ire oder Schotte ist, grüne Augen bekommt, ist nicht besonders groß. Lediglich zwei Prozent der Weltbevölkerung haben grüne Augen. Aber es ist durchaus möglich. Und dieser Fall ist bei mir eingetreten.
Dax interessierte sich nicht für die wissenschaftliche Erklärung. Er ist ein Träumer. Er lebt in einem Film.
»Du hast die Augen eines Gottes.«
Später waren wir beide dann zwei siebzehnjährige Ex-Junkies, die versuchten, nicht im Jugendknast zu landen, indem wir am »Youth at Risk«-Programm teilnahmen. Die auf einem beschissenen alten Moped namens Die Götter von Auckland durch die Stadt kutschierten.
Wenn Dax ein E-Zigaretten-Aroma wäre, dann würde er nach Tequila und Auspuffabgasen schmecken. Was für ein Arschloch. Aber so liebenswert.
Wie auch immer. Besagte Nacht.
Ein Samstag. Die letzte Vollmondnacht. Die Nacht, die alles veränderte. Da war Dax überhaupt nicht liebenswert. Er war das genaue Gegenteil davon, was auch immer das ist. Er war der Gott der Arschgesichter. Ich kapierte nur nicht, warum. Ich musste ihn eine Stunde lang bedrängen und löchern. Sogar noch länger. Und schließlich rückte er mit der Sprache heraus.
»Ich habe mit jemandem geschlafen.«
Rums.
Tangaroa, Gott des Meeres. Schick eine Flutwelle. Spül mich fort.
Er sei nicht in sie verliebt, sagte er, als würde das die Sache auch nur ein bisschen besser machen. Er mochte sie nicht mal besonders. Und wollte ganz sicher nicht mit ihr zusammen sein. Aber ihm war klar, was seine Aktion zu bedeuten hatte. Er teilte mir auf seine kranke Art mit, dass es zwischen uns aus war.
Mein Freund mit der hübschen übergroßen Nase wollte nicht mehr mit mir zusammen sein.
Ich lief aus dem Haus. Raus auf die Straße. Holte tief Luft. Und betrachtete den großen Vollmond über der Stadt. Ich wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Wusste nicht, wie ich das wieder zusammenflicken sollte, was so plötzlich, so unerwartet und so vollends in die Brüche gegangen war. Was so vollends im Arsch war.
Dax bewahrt neben seinem Bett ein Glas mit Geld auf, hundert Dollar. Das hat eine symbolische Bedeutung. So viel kosten zwei Tütchen Crack. Nachdem wir einen Entzug gemacht hatten, wollte Dax mit dem Glas voller Geld zum Ausdruck bringen: »Wir sind jetzt clean. Wir haben’s geschafft. Wir können neben dem Geld für zwei Tütchen Crack schlafen, ohne der Versuchung nachzugeben. Wir sind stärker.«
Ich musste an das Glas denken. Ich hob einen Backstein auf, ging zurück und warf ihn durch Dax’ Fenster, kletterte ins Haus, brüllte ihn an, er solle sich verdammt noch mal von mir fernhalten, nahm das alberne Glas mit dem symbolischen Geldbetrag. Und lief hinaus in die Nacht.
Nun.
Das war die Nacht, die alles veränderte. Es war ein Samstag. Sieben Tage später, am nächsten Samstag, würde in...