Zeitschrift für christliche Spiritualität
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
ISBN: 978-3-429-06676-5
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
n. 511
Notiz
Stafan Kiechle SJ
Den Glauben erzählen [113-114]
Nachfolge
Jochen Wagner
Auf-hören.
Beten in Zeiten des rasenden Stillstands [116-122]
Michael Rosenberger
Gekreuzigtes Leben -mitleidender Gott.
Schöpfungsspiritualität nach Corona [123-131]
Jörg Alt SJ
Die „Klima-Bibel“ - der Pentateuch für heute [132-138]
Xavier Jeyaraj SJ | Christoph Benke
„Ich bin bereit, den Preis zu zahlen“.
Stan Swamy SJ (1937-2021) [139-143]
Nachfolge | Kirche
Sandra Huebenthal
Leben in der Fremde?
Neues Testament und frühchristliche Diasporaerfahrung [144-152]
Stephan Rothlin SJ
Unterwegs zwischen Fremde und Heimat [153-157]
Michael Quisinsky
Größe und Elend des Glaubens?
Jansenismus und Rigorismus in Geschichte und Gegenwart [158-166]
Nachfolge | Junge Theologie
Johannes Ludwig
Soft ehtics?
Vertrauen als Schlüsselkategorie eines Neuanfangs [167-172]
Reflexion
Simon Peng-Keller
Nonduales Bewusstsein?
Zur aktuellen Diskussion um kontemplative Exerzitien [174-183]
Sebastian Maly SJ
Franz Jalics SJ und sein Erbe.
Zur Weiterentwicklung des Grieser Weges. Ein Tagungsbericht [184 -189]
Andrea Völkner
Das menschliche Lebensjetzt - in der Deutung W. Pannenbergs und H. U. v. Balthasars [190-198]
Benno Haunhorst
Herz Jesu und Maria zu Ehren.
Anstöße von Günter Grass, Joseph Beuys und Marianne Gartner [199-206]
Lektüre
Maria Magdalena Dörtelmann OP
Caterina lesen.
Annäherung an die Kirchenlehrerin durch ihre Schriften [208-215]
Buchbesprechung [216-220]
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Schöpfungsspiritualität
N
Michael Rosenberger | Linz geb. 1962, Priester, Dr. theol., Professor für Moraltheologie an der KU Linz m.rosenberger@ku-linz.at Gekreuzigtes Leben – mitleidender Gott
Schöpfungsspiritualität nach Corona
„Am wievielten Tage schuf Gott noch mal das Virus?“1 Mit dieser erfrischenden und zugleich provokanten Frage eröffnet die evangelische Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien aus der Pfarrei St. Michael in Fürth am 14. April 2020 ihre Online-Betrachtung über „Corona und Gottes gute Schöpfung“. Darin mahnt sie, die Pandemie nicht vorschnell und allzu direkt mit einem wie auch immer gearteten Sinn aufzuladen, betont jedoch zugleich, dass das Corona-Virus für glaubende Christ(inn)en nicht anders denn als Geschöpf Gottes gesehen werden könne – was die bohrende Frage aufwerfe, wie wir das Bedrohliche und Zerstörerische der Schöpfung in unserem „Glaubenspuzzle“ unterbringen. Strategie 1: säkularisieren
Leider wurde Schardiens Frage während der Pandemie nur selten gestellt und noch seltener mit vorsichtigen Überlegungen für eine Antwort ergänzt. Es scheint, dass die Übermacht der Evolutionstheorie, die auch aus Sicht der Kirche mittlerweile „mehr als eine Hypothese“ ist2, diesen Problembereich faktisch profaniert bzw. säkularisiert hat – selbst in weiten Teilen der Theologie und der kirchlichen Verkündigung. Doch so positiv es ist, dass Gott nicht mehr unmittelbar für alles und jedes herhalten muss und dass sein Bodenpersonal seine Absichten nicht mehr so selbstverständlich zu kennen vorgibt wie früher: Ist er damit als „Schöpfer des Himmels und der Erde“ irrelevant geworden? Können wir auf Dauer mit einer Schöpfungstheologie auskommen, die alles Sperrige und Unbequeme in der Natur an die Biologie weiterreicht und selbst nur noch von einer rosaroten Harmonie der Schöpfung säuselt? Strategie 2: spiritualisieren
Neben dieser mehrheitlichen Tendenz zur Säkularisierung der Frage nach Krankheit, Leid und Tod gab es jedoch während der Pandemie auch eine Strömung, die diese Frage in ungewöhnlicher Weise „spiritualisierte“: Die Bewegung der Querdenker(innen). Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben die weltanschaulichen Fundamente dieser Gruppe, die nach ihrer Überzeugung trotz gemeinsamer Demonstrationen von rechten Corona-Leugner(inne)n und Impfgegner(inne)n deutlich zu unterscheiden und politisch eher links einzuordnen ist, anhand von qualitativen Interviews untersucht.3 Ihrer Analyse nach „zeigte sich bei der Mehrheit der Studienteilnehmer:innen ein ausgeprägt spirituelles, esoterisches und anthroposophisches Denken, für das Ganzheitlichkeit, Natürlichkeit oder Vertrauen in den eigenen Körper elementar sind. Zu diesem Denkstil, der die natürlichen Abwehrkräfte in den Vordergrund stellt und die Komplementärmedizin stärken will, gehört auch die Impfskepsis.“4 Und weiter: „Das Zurückdrängen von Institutionen und Autoritäten, die Informalisierung alltäglicher Umgangsformen, meditative Selbstsorge und spirituelle Techniken sind den Befragten wichtig und werden synkretistisch mit New Age und Anthroposophie kombiniert. Immer wieder ist von Meditation, Yoga sowie seelischer und körperlicher Heilung die Rede, von Praktiken also, die auf die Einheit und ein Gleichgewicht mit der Natur zielen. […] gerade solche Elemente werden sich im Verlauf unserer Argumentation […] als Kernbestandteile des libertären Autoritarismus herausstellen.“5 Die konkrete Spiritualität der Querdenker(innen) führt nämlich zur subjektiven Überzeugung nahezu grenzenloser Autarkie und zur „Abhängigkeitsvergessenheit“ – der Vergessenheit sowohl der Abhängigkeit von der Natur als auch der Abhängigkeit von der Gesellschaft und anderen Menschen. Wenn dann staatliche Restriktionen gesetzt werden, um die Pandemie einzugrenzen, empfinden sie das als Kränkung: „Gerade durch ihre spirituelle Innerlichkeit sind sie abhängigkeitsvergessen. Sie fühlen sich gekränkt, weil der Staat ihnen ihre innere Freiheit und die Souveränität über ihren Körper nimmt.“6 Zu dieser Abhängigkeitsvergessenheit kommt, vor allem mit Blick auf die vulnerablen Gruppen der Gesellschaft, eine starke Gefühllosigkeit. Die Dramatik des Leidens und Sterbens wird massiv verharmlost: „Immer wieder wird […] bemängelt, die Maßnahmen würden etwas künstlich aufhalten, was zum Leben schlicht dazugehöre: den Tod. Einige entscheiden sich in der individuellen Risikoabwägung zwischen Einschränkung und Gefährdung für Letztere, so etwa Frau Bächle: ‚Ich würde dann auch irgendwann sagen: ›Hey, scheiß drauf.‹ Ich habe keine Lust, immer mit einer Maske herumzulaufen und mich einzusperren. Ich will jetzt einfach mein Leben genießen, und wenn ich die Krankheit kriege und sterbe, ist's halt so.‘“7 Und Frau Hubacher führt aus: „Wir werden alle sterben an irgendetwas, so traurig das ist, das gehört leider dazu. Und ältere Menschen haben halt irgendwann einfach nicht mehr so das Immunsystem, wo ihnen hilft, dass sie Infektionen durchmachen können […]. Will denn die Person noch zwanzig Jahre weiter leben in totaler Isolation und nur noch mit Handschuhen und Maske und Schutzanzug besucht werden, oder will sie nicht für sich selber entscheiden? Nein, ich will eigentlich dann lieber vielleicht nur noch drei Jahre leben, aber dafür so richtig mit Besuch und Festen – und das genießen.“8 Hier zeigt sich eine sehr spezifische Verbindung von stoischem Gleichmut und epikureischem Hedonismus – vermittelt über eine starke Egozentrik. Während also die Mehrheit der Christ(innen) die Frage nach Leid und Tod offenbar kaum noch als Herausforderung für den Schöpfungsglauben begreift und damit de facto säkularisiert, geht die Minderheit der Querdenker(innen) den Weg einer Spiritualisierung, die Leid und Tod für zweitrangig erklärt und damit den „Stachel“ (1 Kor 15,55) zieht. Im Ergebnis sind beide Spiritualitäten leidensfern und anästhesiert und ermöglichen keinen angemessenen Umgang mit der Wirklichkeit. Kann eine fundierte Schöpfungsspiritualität hier Alternativen aufzeigen? Theodizee und Schöpfungsspiritualität
Am Ursprung der ersten Schöpfungserzählung Gen 1 und vieler weiterer biblischer Schöpfungstexte steht die Theodizeefrage, also die Frage, wie Gott gut sein kann, wenn es in der Welt doch so viel Leid gibt. Sieben Mal heißt es daher: „Gott sah, dass es (sehr) gut war.“ (Gen 1,4.10.12.18.21.25.31) Man spürt förmlich die Zweifel, gegen die dieser kehrversartige Satz gesprochen wird. Denn wer halbwegs aufmerksam und unvoreingenommen in die Schöpfung schaut, kommt schnell zur Befürchtung, es sei gerade nicht alles gut. Angesichts dessen ist der Satz eine doppelte „Beschwörung“: Eine Beschwörung der Zuhörenden, doch das Gute in der Schöpfung nicht zu übersehen, und eine Beschwörung Gottes, insbesondere im liturgischen Zusammenhang: „Bitte, Gott, sag uns doch, dass es gut ausgeht!“ In der Liturgie und im Erzählen wird die Schöpfungserzählung vergegenwärtigt, so als geschehe sie jetzt, um das Eintreten der Gottheit zugunsten des Lebens einzuklagen. Erzählt wurde und wird sie nämlich an Festen, an denen dieses Eintreten Gottes zugunsten des Lebens besonders fragwürdig ist: Am Neujahrsfest, das damals wie heute viele Fragen darüber aufwirft, was das neue Jahr wohl bringen wird, bei der Geburt eines Menschen, bei der sich die Angehörigen ebenfalls fragen, was auf diesen Menschen im Leben wohl alles zukommt, und im christlichen Kirchenjahr an Ostern, wo die Frage nach der Macht des Todes im Zentrum steht. Schöpfungsspiritualität, so die Folgerung, muss sich gerade dort bewähren, wo die Brüchigkeit und Endlichkeit des Lebens besonders klar zutage tritt. Schöpfung umfasst Konkurrenz, Verdrängen, Wegnehmen von Ressourcen um des eigenen Überlebens willen, zum Preis des Sterbens der Konkurrenz. Sie bedeutet zumindest für etliche Pflanzen sowie die allermeisten Tiere auch das Töten – und sei es „nur“ von Pflanzen –, um sich zu nähren und das eigene Leben zu erhalten. Und sie schließt das Sterben ein, um Platz zu machen für die nächste Generation, für die der pflanzliche wie tierliche Leichnam sogar noch Lebensgrundlagen schafft. – Warum das so sein muss, ist die eigentlich bohrende Frage, die sich nicht beantworten lässt, der aber doch nicht ausgewichen werden darf. Wer sie aus der Schöpfungsspiritualität wegrationalisieren (säkularisieren) oder wegharmonisieren (spiritualisieren) will, nimmt sie nicht ernst. Zu sterben und zu vergehen widersetzt...