E-Book, Deutsch, Band 5, 144 Seiten
Benfey / Brodbeck Erinnerungen an Friedrich Fröbel
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-1810-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 5, 144 Seiten
Reihe: Frühe Schriften zur Fröbelpädagogik
ISBN: 978-3-8192-1810-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rudolf Benfey (geb.: 31. Dezember 1821, gest.: 21. Februar 1891) war Journalist, Pädagoge und Schriftsteller, der auch für seine engen Verbindungen zu Friedrich Fröbel und dessen Pädagogik bekannt wurde. Geboren in Nörten bei Göttingen wuchs Benfey in einer Zeit großer politischer und sozialer Umwälzungen auf, die seine späteren Aktivitäten und Ansichten maßgeblich beeinflussten. Als überzeugter Anhänger Friedrich Fröbels setzte er sich für die Verbreitung von dessen Ideen ein. Er war von der Bedeutung einer kindzentrierten Erziehung und der herausragenden Rolle des Spiels für frühkindliches Lernen überzeugt.
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1. Was ich über Fröbel hörte.
Von Wiesbaden kam ich und war ganz entzückt über die interessanten Resultate der Jacotot’schen Methode, die ich im Kreisschen Institut beim französischen Sprachunterricht hatte, anwenden sehen. Dass die 11- und 12-jährigen Knaben schon nach kurzer Zeit auf Französisch ihren Lehrern Rede und Antwort stehen konnten, dass während der ganzen Stunde fast kein deutsches Wort, als höchstens bei der Interpretation einer Stelle, in deren Mund kam, hatte auf mich umso mehr Eindruck gemacht, als ich von meiner Gymnasialzeit her nur den schleppenden Unterricht in den modernen Sprachen kannte. —
Lebhaft und gesprächig, wie man im zweiundzwanzigsten Jahre ist, erzählte ich einem Mitreisenden, der sich dafür zu interessieren schien, von dem gehabten Eindrücke, als ein ebenfalls im Wagen befindlicher Mitreisender sich in die Rede mischte und sagte: „Wenn Sie sich für Unterricht so interessieren, dann hätte ich gewünscht, Sie wären vor einigen Tagen in Darmstadt gewesen, wo man in der ganzen Stadt von einem seltsamen Manne sprach, der dort Vorträge über Unterricht gehalten hat." Natürlich waren wir beide gespannt und wollten von unserem Mitreisenden Näheres hören, doch dieser, offenbar bloß Geschäftsreisender, konnte uns nur das allerseltsamste Bild von dem merkwürdigen Manne, von dem er gehört, entwerfen. Er selbst sei nicht in die Vorlesung gegangen, so lautete seine Mitteilung, aber an der Gasthofstafel, wo er gesessen, hat er zwei Tage nur von dem Manne reden gehört. Es soll ein Wundermann sein, der den Kindern das Lernen im höchsten Grade erleichtert. —
Mein anderer Mitreisender, mit dem ich vorher gesprochen, schaltete ein: „Aha, wieder eine neue Auflage des Philanthropismus, er wird den Kindern die Buchstaben auf Zuckerkuchen backen lassen!" — „Nein," fuhr der Berichterstatter fort, „so etwas war es nicht, sagten die Leute, die bei Tische darüber sprachen; es stritten sich zwei an der Tafel darüber, ob es Spielerei oder Spiele wären, und der eine sagte, das ganze Kunststück jenes Mannes sei, die Kinder fortwährend spielen zu lassen, und während sie spielten, lernten sie alles Mögliche." Das schien uns beiden wohl ein bisschen arg nach Jägerlatein zu schmecken und wir sahen uns erstaunt über die Äußerung des Fremden an; dieser fuhr fort: „Ja, der Mann selbst soll ein ganz eigentümlicher Mensch sein; wenn die Kinder ihn sehen, so laufen sie zu ihm hin und reichen ihm die Hand, so weiß er sie mit dem Auge zu fesseln." —
„Ein neuer Rattenfänger von Hameln!" meinte mein Mitreisender; „führt er auch die Kinder in die Berge, um sie nach Siebenbürgen zu verkaufen?" — „Nein,"sagte der Fremde, der diesen Scherz kaum zu verstehen schien, „in Siebenbürgen ist er nicht gewesen, aber in der Schweiz, und reist manchen Sommer mit den Kindern wieder hin."
Immer seltsamere Konturen nahm also die Erzählung an. — Ich fragte den Mitreisenden, wo jener denn die Kinder her nimmt, ob etwa von der Straße. „Nein, er soll ein großes Institut gegründet haben, tief in Thüringen, das seine Verwandten leiten, und mit diesen Kindern reise er nach der Schweiz." Und wie kommt er nach Darmstadt? Aber mit dieser Frage schienen wir die Intelligenz des Reisegenossen in Verlegenheit zu setzen, er wusste nichts darauf zu erwidern. — Jedenfalls ist er ein Propagandist für irgendeine Idee. — Vielleicht vom Schnepfenthaler Institut gesandt, ein Schüler oder Nachkomme Salzmanns. — Haben sie denn nichts weiteres über diesen seltsamen Mann gehört? „O ja, er bekümmert sich viel um die Steine, die sich in den Bergen finden, und lehrt den Kindern deren Gestatten kennen; er ist auch ein Jäger gewesen und hat den Krieg mitgemacht gegen die Franzosen, — mehr weiß ich nicht." — Das Gespräch wandte sich bald auf andere Dinge, erst kurz vor Frankfurt fiel es mir ein, den Fremden nach dem Namen jenes Vortragenden zu fragen, doch er hatte diesen nicht behalten, er wüsste nicht genau, ob er Fröbler oder Fröhlich hieße, war endlich die Antwort, die ich bekam, — so geschah es am 29. September des Jahres 1844.
Durch eine sonderbare Ideenverkettung jedoch wollte die Erinnerung des Vorganges nicht aus meinem Gedächtnis weichen. Kurz vor zu Bette Gehen, als ich die Erlebnisse des Tages noch einmal genau erwog, wurde ich über einige Tatsachen stutzig: Zu dem Manne laufen alle Kinder — das war die erste Betrachtung, — es muss also doch etwas in ihm liegen, was der Kinder Herz ergreift, — „er soll den Kindern alles durch Spiele lehren," — das ist eine Unmöglichkeit, sagte ich mir, ein bedeutendes Missverständnis mein Berichterstatter muss hier falsch gehört oder verwirrt aufgefasst haben, — aber dann wieder: Er beschäftigt sich mit Steinen und macht die Gestalten klar? — Ich hatte den Winter vier Jahre vorher mich weidlich mit Mineralogie abgemüht und vor dem Rätsel der Kristallformen war ich ahnungsvoll an der Pforte stehen geblieben.
Angestrengteste Mühe und Arbeit hatten mich eben nur mit den oberflächlichsten Umrissen derselben bekannt gemacht, denn die Fähigkeit des Auges, klar und scharf alle diese Erscheinungen zu erkennen, war leider in der früheren Jugend nicht genug geweckt und die Anschauung konnte nicht gleichen Schritt halten mit dem Wunsche, das Erlernte geistig zu durchdringen. Ähnlich war es mir ein Jahr später beim Praktikum der Chemie ergangen, auch hier musste ich es beklagen, dass ich in der frühen Jugend nicht genügende Sinnesübungen vorgenommen, und dass deshalb mein Auge mich bei genauen Unterscheidungen der Farben und beim sorgfältigen Beobachten der Fällungen meist im Stiche ließ. — Es mag etwas Bedeutungsvolles liegen in der Weise, wie jener Mann die Kinder mit den Gestalten der Steine bekannt macht. Immer interessanter wurde mir dieses ahnungsvolle Bild, es ließ mich in der Nacht kaum schlafen.
Am folgenden Tage ging ich zu einem befreundeten Institutsvorsteher, bei dem ich vor meiner Wiesbadener Reise etwa 14 Tage hospitiert und seine Schule kennen gelernt hatte; diesem teilte ich das erlebte Abenteuer mit und fragte, ob er Fröbler oder Fröhlich kenne.
Der Name war ihm unbekannt. Ein junger Lehrer, der zuhörte, meinte: „sollte der Fremde sich nicht etwa verhört haben und Fröbel aus Keilhau gemeint haben?" — Der Institutsvorsteher schüttelte das Haupt. — „Zu dem passen ja die Züge nicht; übrigens, wenn’s der wäre, so hätten Sie auch nichts verloren, er ist vor kurzem in Frankfurt gewesen und ist wohl jetzt nach Darmstadt gegangen. — Aber ich halte all das, was er vorbrachte, für pädagogischen Schwindel, hie und da sind wohl gesunde Bemerkungen, Manches von Pestalozzi wacker benützt. Aber er hält die Kinder mit unnützen Kleinigkeiten auf, da müssen sie Papier flechten und ausschneiden und alles Mögliche treiben; jedoch auf ein wirkliches Lesen und Schreiben und sonstige vernünftige Wissenschaft scheint er nicht zu kommen, er beschäftigt sich nur mit 4- bis 6-jährigen Kindern." Ich fragte hierauf, ob. es denn nicht richtig sei, dass er ein Institut habe.
„Gehabt," war die Antwort; „seine Verwandten haben es jetzt, er ist dort ungeheuer unpraktisch vorgegangen, hat sogar Griechisch vor Latein lernen lasten." — Nun, das empfiehlt ja auch Herbart, war meine Antwort. — Der Institutsvorsteher meinte, alle solche Versuche können nur von Seite des Staates ausgehen, wir Lehrer sind an die Wünsche der Eltern gebunden, die wollen, dass ihre Kinder zur entsprechenden Zeit in die Staatsanstalten eintreten können. Fröbel hat aber von jeher seine eigenen Wege wandern wollen. Er hatte ja in den 20iger Jahren auch Kinder aus Frankfurt, aber wenn man sie ihm übergab, dann behauptete er, dieselben könnten vor der Universitätszeit nicht seine Schule verlassen, denn er nehme einen anderen Gang, lege weit mehr Wert auf Naturwissenschaft, als man sonst das tut, und er verschiebe den Unterricht in den klassischen Sprachen auf ein reiferes Alter."
Aber das ist ja ganz vernünftig, platzte ich heraus, das ist ja meine Sehnsucht schon seit Langem, dass eben die realen Wissenschaften, der Anblick des Lebens der Kinder Geist erstarken soll, ehe sie an den schweren Stoff von Völkern aus der Vergangenheit herantreten. — „Schwärmerei," meinte der Institutsvorsteher, „wenn Sie erst eine Zeit lang gewirkt haben, werden Sie sehen, wir hängen von den Eltern ab und nicht wir können den Erziehungsplan der Kinder bestimmen, sondern nur mit Hilfe des Staates können da bedeutende Veränderungen vorgenommen werden."
Von nun ab ließ es mir keine Ruhe; war schon durch die erste Mitteilung eine dunkle Sehnsucht erwacht, von dem seltsamen pädagogischen Wanderer Näheres zu erfahren, so hatten die Bemerkungen des Institutsvorstehers meinen Wunsch zur lebhaften Neugier gestaltet. Dass ich einen Reformator im Sinne und Geiste Pestalozzis, nur den modernen Ansprüchen näher stehend, in Fröbel finden würde, unterlag nach den bisherigen Notizen fast keinem Zweifel, und gerade das, was jener Institutsvorsteher als...